Blick auf Europa 3/3
„Der Gemeinschaftsgedanke ist eine geniale Idee.“
Über Europa wurde viel diskutiert. Politiker werben für ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl. EU-Bürger werden mobilisiert, um sich in ganz Europa wie zu Hause zu fühlen. Gleichzeitig werden nationalistische Gruppierungen stark und die EU als Wirtschaftsgemeinschaft wegen der Euro-Krise infrage gestellt. Doch wie wird die Staatengemeinschaft eigentlich von außen gesehen? Drei Gespräche in Deutschland mit jungen Leuten aus Nicht-EU-Staaten über ihre Sicht auf Europa. Heute Navid aus dem Iran.
Von Miriam Gutekunst Freitag, 05.07.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.06.2015, 10:21 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Navids 1 einzige Angst vor seinem Aufenthalt in Europa war, wie die Menschen dort ihm gegenüber reagieren würden, wenn sie erfuhren, aus welchem Land er kommt. Der 27-Jährige ist Iraner und hatte schon vor seiner Ausreise die Vermutung, dass in Europa ein sehr einseitiges und negatives Bild von seinem Heimatland vorherrsche. Schon seit langer Zeit verfolgt er die westliche Berichterstattung. Im Internet informiert er sich unter anderem über die Seiten der BBC und der Deutschen Welle. Er hatte das Gefühl, dass die Bilder und Aussagen in den Medien nicht die Realität im Iran wiedergeben.
Zum Beispiel gab es im Jahr 2009 nach den Präsidentschaftswahlen im Iran öffentliche Proteste gegen das offizielle Wahlergebnis. Dabei kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. „In den westlichen Medien wurden damals nur Aufnahmen von diesen Straßenschlachten gezeigt“, erinnert sich Navid. „Aber ich war auch beteiligt an den Protesten. Ich war mitten in der Menschenmenge und habe auch ein Transparent hochgehalten und mir ist nichts passiert.“ Er hätte sich gewünscht, dass auch diese friedlichen Demonstrationen gezeigt worden wären.
Im Gespräch mit Touristen fand er heraus, dass auch die Reisenden zunächst ein ganz falsches Bild von der iranischen Bevölkerung hätten. „Eine Touristin erzählte mir, dass sie so positiv überrascht sei von dem Land“, sagt Navid. Ihm ist es wichtig, dass die Menschen in Europa erfahren, dass auch die Iraner eigentlich sehr offen und kommunikativ gegenüber Ausländern sind.
Schließlich hat Navid es am eigenen Leib erfahren, dass viele Menschen in Europa anscheinend tatsächlich schlecht und undifferenziert über Menschen iranischer Herkunft denken, und zwar an seinem ersten Arbeitstag.
Navid sollte eigentlich seit Oktober letzten Jahres bereits in München an einem Doktorandenprogramm der TU München teilnehmen. Er ist Ingenieur und kommt von einer der besten Universitäten im Iran. Allerdings hatte er Probleme mit dem Visum und konnte am Ende erst vor zwei Monaten einreisen und musste somit auch später in das Programm einsteigen.
Seit dem Konflikt um das iranische Nuklearprogramm und der damit einhergehenden politischen Krise zwischen seinem Heimatland und Europa sei es auch schwieriger geworden ein Visum zu bekommen, meint Navid.
Als er schließlich im April doch seine Arbeit antreten konnte, wurde er in der Mitarbeiterrunde gefragt, warum er denn das Visum nicht rechtzeitig bekommen hätte. „Ich habe versucht es ihnen zu erklären und plötzlich sagte ein Kollege hinter mir: Das ist doch normal. Der ist Terrorist,“ erzählt Navid und man kann ihm in diesem Moment ansehen, wie sehr ihn dieser Kommentar damals getroffen haben muss.
Er ging im Anschluss auf den Mitarbeiter zu und fing an mit ihm zu reden und seine Situation darzustellen. Es hatte Wirkung. „Heute sind wir die besten Freunde.“ Seitdem diskutiert er viel mit seinen Kollegen über sein Land, über Deutschland und Europa, über Kultur und Religion, über Politik und Geschichte. Es begeistere ihn, so viel Neues zu erfahren und nach und nach diese Gesellschaft immer besser zu verstehen. „Meiner Meinung nach ist der Gemeinschaftsgedanke der Europäischen Union eine geniale Idee.“
- Name wurde geändert. Navid möchte eines Tages in den Iran zurückkehren und aufgrund der politischen Spannung seinen Namen nicht in westlichen Medien lesen.
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