Studie
Migranten drei Mal häufiger von Altersarmut betroffen
Vier von zehn der ausländischen Senioren in Deutschland sind von Altersarmut betroffen. Im Vergleich zu Deutschen weisen sie damit eine dreimal so hohe Armutsquote auf. Das geht aus einer aktuellen Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung hervor.
Dienstag, 09.07.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Vier von zehn Ausländern (41,5 Prozent) im Rentenalter sind in Deutschland von Armut bedroht. Damit ist die Altersarmut unter älteren Ausländern, die oft als sogenannte Gastarbeiter kamen, mehr als dreimal so hoch wie unter Deutschen über 65 Jahren. Grundsicherung im Alter, eine besondere Form der Sozialhilfe, müssen ausländische Senioren wegen sehr niedriger Renten sogar etwa sechs Mal so häufig in Anspruch nehmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Untersuchung von Dr. Eric Seils, Sozialexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Sie erscheint demnächst in einem Schwerpunktheft der WSI-Mitteilungen.
Danach bezogen 2011 etwas mehr als 13 Prozent aller Senioren in der Bundesrepublik ein monatliches Einkommen unter 848 Euro, so die aktuellsten verfügbaren Daten aus dem Mikrozensus. 848 Euro entsprechen 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Einkommens. Wer als Alleinstehender weniger hat, gilt nach gängiger Definition als „armutsgefährdet“. In der Gesamtbevölkerung traf das auf 15,1 Prozent der Menschen zu.
Viele Ausländer mit Niedrigrenten
Allerdings verdecken die relativ niedrigen Durchschnittswerte bei den Älteren nach Seils´ Analyse, dass es schon heute Gruppen mit einem sehr hohen Risiko der Altersarmut gibt. Vierzig Jahre nach dem Beginn des Anwerbestopps gelte dies insbesondere für die damaligen Gastarbeiter, die oft wenig verdienten und stark von Arbeitslosigkeit betroffen waren. So waren 2011 in Deutschland 41,5 Prozent der Ausländer über 65 Jahren von Altersarmut bedroht, 12,7 Prozent bezogen Grundsicherung. Unter den Senioren mit deutscher Staatsangehörigkeit waren nur 2,1 Prozent darauf angewiesen.
Im Vergleich zu den Vorjahren ist das Armutsrisiko unter den älteren Ausländern um knapp drei Prozentpunkte angestiegen. Da parallel immer mehr Migranten das Rentenalter erreichten, wuchs die absolute Zahl der armutsgefährdeten Ausländer über 65 weitaus stärker: Seit 2005 von 171.000 auf 268.000. Und die Aussichten verdüstern sich nach Seils´ Analyse noch weiter: Männliche ausländische Bestandsrentner erhielten 2011 monatlich im Durchschnitt 811 Euro aus der Rentenkasse. Neurentner bekamen hingegen nur 623 Euro – ein Einkommen unterhalb der Schwelle für die Grundsicherung, die bei 698 Euro liegt. Noch weitaus niedriger waren die Renten ausländischer Frauen, und auch bei ihnen mit sinkender Tendenz. „Nach einem Leben voller Arbeit droht den ehemaligen Gastarbeitern die Altersarmut“, resümiert Seils.
Zahlen keine Überraschung
Die Zahlen sind für Memet Kılıç, migrationspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, keine Überraschung. Die Arbeitskräfte hätten überwiegend körperlich schwere Arbeit geleistet, oft mit gesundheitlichen Folgen. „Unter solchen Bedingungen konnten viele nicht bis zum Renteneintrittsalter arbeiten. Somit erhalten heute viele eine niedrigere Rente“, so der Grünen-Politiker. Nun müsse sich einiges ändern, damit dieses Problem bei den nächsten Generationen nicht auftritt.
„Diskriminierung bei der Arbeitsplatzsuche muss mit anonymisierten Bewerbungsverfahren entgegen gewirkt werden! Unzureichende Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse stellen ein großes Problem dar, hier bedarf es rechtlichen Reformen! Bei der noch immer mangelnden Anerkennung von ausländischen Abschlüssen gibt es zwar Fortschritte, jedoch müssen die Verfahren weiter optimiert werden! Das Bildungssystem muss fairer gestaltet werden! Des Weiteren sind flächendeckende, gesetzliche Mindestlöhne zwingend nötig!“, so Kılıç.
Doch nicht nur die „Gastarbeiter“ sind von Altersarmut betroffen. Wie aus der Untersuchung weiter hervorgeht, ist zwischen 2006 und 2011 die Armutsgefährdungsquote unter Senioren deutlich stärker gestiegen als bei Jüngeren – um 2,9 Prozentpunkte. Und die durchschnittlichen Rentenansprüche der Neurentner sinken immer weiter unter das Niveau der Bestandsrentner, die schon länger im Ruhestand sind. Sozialforscher Seils befürchtet daher eine „Rückkehr der Altersarmut“.
Die Studie: Armut im Alter – aktuelle Daten und Entwicklungen, in: WSI-Mitteilungen 5/2013. Das Schwerpunktheft mit dem Titel „Altern in der Arbeitsgesellschaft“ erscheint am 15. Juli.
Deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern
Seils´ Untersuchung liefert auch aktuelle Daten zur regionalen Verteilung von Altersarmut in Deutschland. So waren 2011 in Hamburg und Berlin rund 10 Prozent der Senioren von Armut bedroht. Dagegen liegt der Wert im Saarland, in Bayern und Rheinland-Pfalz bei 16 Prozent und mehr. Den überraschend hohen Wert im wohlhabenden Freistaat erklärt WSI-Forscher Seils mit der jüngeren Wirtschaftsgeschichte: Als die heutigen Rentner im Erwerbsleben standen, zählte Bayern noch zu den ärmeren, stark ländlich geprägten Bundesländern.
Historisch bedingt sind auch die meist unterdurchschnittlichen Armutsquoten in Ostdeutschland: Wer vollständig oder überwiegend zu DDR-Zeiten berufstätig war, hat meist eine Erwerbsbiografie ohne größere Lücken und einen relativ hohen gesetzlichen Rentenanspruch. Allerdings zeichne sich insbesondere bei ostdeutschen Männern eine „Wende zur Armut“ ab, so Seils: Seit dem Jahr 2000 sänken die Neurenten sehr stark. Grund: Die jüngeren Ruheständler waren oft von der Massenarbeitslosigkeit nach der deutschen Vereinigung betroffen. (wsi/etb) Gesellschaft Leitartikel Studien
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@aloo masala
Warum sollte die Bezeichnung „Deutscher“ nicht auf Menschen mit Migrationshintergrund zutreffen? Deutscher ist, wer einen deutschen Pass hat. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn man ganz genau sein will, sind diese Menschen von mir aus Deutsche mit ausländischen Wurzeln.
Warum du so zimperlich mit dem Begriff „Neger“ bist, ist mir angesichts deiner vorherigen Argumentation unbegreiflich:
„… Irgendwann heißt es dann, dass die Bezeichnung negativ besetzt sei und man sich ein neues Wort suchen müsse. Warum? Für mich ist das eine völlig grundlose geistige Kapitulation gegenüber eines Teils der Bevölkerung, dem ich nicht die Bedeutungsgewalt neutraler Begriffe überlasse. Deswegen bleibe ich beim Wort Migrant.“
Deshalb müsstest du beim Begriff „Neger“ bleiben!
Denn dieser wurde etymologisch korrekt angwandt, ist lediglich negativ besetzt. Genau wie du beschreibst.
In solchen Fällen ist m.E. eine Diskussion sogar berechtigt, denn sie werden ihrer Ursprungsbedeutung gerecht. Ob es uns nun gefällt oder nicht.
Begriffe außerhalb ihrer Ursprungsbedeutung anzuwenden ist m.E. nicht einmal diskussionswürdig. Es ist schlichtweg falsch! Das Argument, jeder wisse doch, wofür der Begriff stehe, ist ziemlich schwach und noch dazu gewagt: Ich weiss nicht, was gemeint ist. Steht der Begriff für etwas anderes als die Bezeichnung Mensch mit Migrationshintergrund?
@Songül
Das Wort „Neger“ ist vor dem Hintergrund der Sklaverei und Kolonisation entstanden und damit schon zu Beginn vorbelastet. Das Wort „Migrant“ ist vor dem Hintergrund der Einwanderungsbewegungen als neutraler Begriff eingeführt worden.
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Begriffe außerhalb ihrer Ursprungsbedeutung anzuwenden ist m.E. nicht einmal diskussionswürdig. Es ist schlichtweg falsch!
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So ist nun einmal die Spache. Die Begriffe Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie werden außerhalb ihrer Ursprungsbedeutung angewendet. Das gleiche gilt für Wörter wie Wolkenkratzer, Fernsprecher, Fernseher, Kindergarten, Weltschmerz, Großvater, Flutlicht, …
@aloo masala
Ja, der Begriff „Antisemitismus“ wird bekannterweise falsch angewendet.
Wieso das auf den Begriff „Rassismus“ zutreffen soll, leuchtet mir nicht ein.
Bei dem Begriff „Islamophobie“ handelt es sich um keinen Fachbegriff.
Die letzteren Vergleiche hinken gewaltig.
@Songül
Rassismus umfasst inzwischen auch den kulturellen Rassismus und nicht nur den biologischen Rassismus.
Islamophobie ist ein Fachbegriff aus der Forschung. Die deutsche Forschung steht hier vor dem Problem, entweder den Begriff Islamfeindlichkeit zu verwenden und damit in der Wissenschaft sich mit einem fachfremden Begriff ins Abseits zu katapultieren oder sie bleiben bei diesem schlechten Begriff. Alle wissen, dass der Begriff schlecht ist.
@aloo masala
Ob biologischer oder kultureller Rassismus, es kommt am Ende dasselbe bei raus und darauf kommt es doch letzendlich an.