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Nach CERD-Rüge

Bundesregierung fordert neue Ermittlungen gegen Sarrazin

Die Bundesregierung stellt in seiner Stellungnahme an den UN-Antirassismus-Ausschuss schärfere Gesetze gegen Rassismus in Aussicht. Außerdem soll erneut geprüft werden, ob Thilo Sarrazins Äußerungen strafrechtlich geahndet werden können.

Montag, 15.07.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 19.07.2013, 1:20 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

In einer Verbalnote an den Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen (CERD) stellt die Bundesregierung Änderungen der Gesetzgebung gegen Rassismus in Aussicht. „Die Bundesregierung prüft aktuell die deutsche Gesetzgebung zur Strafbarkeit rassistischer Äußerungen im Lichte der Äußerungen des Ausschusses“, heißt es darin nach Informationen des Tagesspiegels. Zudem sei die Berliner Staatsanwaltschaft gebeten worden, „jede Möglichkeit zu prüfen, die Entscheidung zur Verfahrenseinstellung zu überdenken“.

Die Erklärung der Bundesregierung ist eine Reaktion auf eine CERD-Rüge vom April dieses Jahres. Der UN-Ausschuss hatte Deutschland vorgeworfen, die Äußerungen Thilo Sarrazin zu Türken und Arabern nicht geahndet zu haben. Innerhalb von 90 Tagen sollte sich Deutschland erklären, mit welchen Maßnahmen sie reagiert wolle.

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CERD-Rüge Auslöser
Auslöser der CERD-Rüge war ein Strafantrag der Türkischen Gemeinde Berlin-Brandenburg (TBB) wegen Beleidigung und Volksverhetzung, der 2009 von der Berliner Staatsanwaltschaft eingestellt wurde. Sarrazins Äußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, lautete die Begründung. Der TBB gab nicht nach und wandte sich an den Antirassismus-Ausschuss.

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Die jetzt bekannt gewordene Stellungnahme der Bundesregierung nahm der TBB „zu Kenntnis“. Sie fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich Maßnahmen gegen Rassismus einzuleiten. TBB-Sprecherin Ayşe Demir appellierte an die Berliner Justiz, zu prüfen, ob das wegen Volksverhetzung und Beleidigung gegen Herrn Sarrazin eingestellte Strafverfahren wieder aufgenommen werden könne. Hierzu erwarte der TBB auch eine Aussage des Justizsenators von Berlin.

Unabhängige Beobachtungsstelle gefordert
Die Strafparagrafen Volksverhetzung und Beleidigung müssten deutlich konkretisiert und verschärft werden. Außerdem müsse – wie von CERD gefordert – das Thema Rassismus, in der Aus- und Fortbildung von Staatsanwälten, Richtern und Anwälten verstärkt zu berücksichtigen. Die Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle von der Zivilgesellschaft wie in Großbritannien sei ebenfalls notwendig. Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Kenan Kolat wandte sich ebenfalls an die Bundesregierung, zügig einen Ausschuss einzurichten, der die bestehenden Gesetze auf die Strafbarkeit rassistischer Äußerungen überprüft und Vorschläge hierzu gibt.

Der CERD-Rüge war ein Interview Thilo Sarrazins in der Zeitschrift „Lettre International“ im Herbst 2009 vorausgegangen. Darin sagte er über die türkischen und arabischen Migranten wörtlich: „Die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate. […] Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin.“ Später gestand Sarrazin, dass diese Zahlen nicht belegt sind.

Medien uninteressiert
Dem Interview folgte Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. Es wurde durch Vorabveröffentlichungen in der Bild und Der Spiegel zum meistverkauften Sachbuch seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Über Wochen und Monate hielt sich Sarrazin in den Schlagzeilen. Die CERD-Rüge und auch die jetzt bekannt gewordene Stellungnahme der Bundesregierung hingegen wurden von den Medien nur vereinzelt aufgegriffen. Kolat und Demir: „Der gesellschaftliche Diskurs über Rassismus muss in der Gesellschaft breiter debattiert werden.“ (bk) Leitartikel Politik

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  1. Cengiz K sagt:

    …dass Recht im hiesigen Rechtssystem reine Auslegungssache ist und nie allgemeingültigen Charakter besitzt…

    …diesen Tatbestand nicht erkennen wollen, ebenso, wie die auf dem rechten Auge blinde Staatsanwaltschaft diesen Sachverhalt nicht erkennen will, ist ohne jeden vernünftigen Zweifel der Geisteshaltung der Staatsanwaltschaft und Ihrer eigenen geschuldet…

    Dass der rassistische status quo in Deutschland von Opportunisten und Apparatschiks, von Karrieristen und Egomanen am Leben erhalten wird, ist eine Erkenntnis, die noch nicht zu Jedem durch gedrungen ist… Paragraphenreiter, Nabelbeschauer und Hasbara-Trolle werden immer behaupten, dass alles bestens ist..
    Danke an Saadiya und Marie..

  2. Marie sagt:

    Nun, Herr Masala, ich habe nun wirklich keine Lust, hier über die DDR zu debattieren – das Thema haben Sie hier eingeführt. Man nennt das Nebelkerzenwerfen, denn mit dem eigentlichen Thema hat es nichts zu tun.
    Nur so viel – in dem Maße, wie es in der BRD der Fall war, haben Nazikader im Osten nicht Karriere gemacht. Das ist nachgewiesen und schließt aber auch nicht aus, dass es auch in der DDR solche Fälle gab. Den Nachweis rassistischer Morde sind Sie schuldig geblieben und die Thesen eines Herrn Waibel sind insofern völlig irrelevant, als es sich um unbewiesene Thesen handelt. Ich bin ja nun keineswegs verpflichtet, mich diesen unbewiesenen Thesen (Thesen basieren auf einer bestimmten Einstellung/Geisteshaltung) anzuschließen.

    Dass in der DDR angeblich rassistische Morde „tot geschwiegen“ wurden, dafür sind sie ebenfalls den Sachbeweis schuldig geblieben und selbst wenn das stimmen würde, ist dem zu entgegnen: Auch in der BRD werden rassistische und sozialdarwinistische Hintergründe rechtsextremer Gewalt totgeschwiegen und aus diesem Grunde taucht in der polizeilichen Statistik nur ein Bruchteil dieser Morde auf – unabhängige Untersuchungen, beispielsweise der Amadeo Antonio Stiftung, der FR und anderer kommen zu ganz anderen Zahlen.

    Auch der rassistisch motivierte Mord in Kaufbeuren am 17. Juli wird wohl vom Staat wieder als „Schlägerei mit Todesfolge“ eingestuft werden, obwohl ihm rassistische Beschimpfungen vorausgingen und die Täter Neonazis aus der einschlägigen Szene waren. Auch in dieser Angelegenheit herrscht seitens deutscher Mainstreammedien wieder einmal weitestgehend das große Schweigen – da müssen wir also nicht extra in die DDR abschweifen, Herr Masala.

    Beifall der Anwohner gab es keineswegs nur in Rostock-Lichtenhagen, wie Sie uns das glauben machen und ich halte es bezüglich dessen, was zum Anstieg der rechten Gewalt nach der Wende geführt hat, mit den Erklärungen der Sozialforscher, die mir bei Weitem plausibler erscheinen:

    „Sozialforscher sehen die Ursachen für die Zunahme rechtsextremistischer Gewalt bei den Jugendlichen in Orientierungslosigkeit, Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Die ideologische Rechtfertigung der Gewalttaten übernehmen rechtsextremistische Organisationen und Parteien.“

    Letztere, die Organisationen und Parteien, wurden ohne jeden Zweifel in den Osten importiert. Vor der Wende gab es dort keine rechtsextremistischen Parteien.

    Und um das zutreffende Statement der Sozialforscher zu ergänzen: Die ideologische Rechtfertigung übernehmen auch Rassisten, wie Herr Sarrazin und der deutsche Staat, der zum Einen gegen Rassisten wie Herrn Sarrazin nichts unternimmt und dessen Vertreter zum anderen seit vielen Jahren sogenannte „Migranten“ zur Gefahr für die Deutschen und den deutschen Sozialstaat erklären. Das ist der Boden, auf dem solche Taten gedeihen. Die Legitimierung dieses menschenrechtswidrigen Treibens, durch die sich Rassisten selbstverständlich ermuntert fühlen. Auf allen Kanälen werden im Internet mittlerweile die Statements der Rassisten verbreitet, beileibe nicht nur bei PI. Diese Art der „Diskussion“ ist kein Schutz vor rassistischen Morden, das Gegenteil ist der Fall. Die in den 90er Jahren das gesamte Land überziehende rechte Mordserie hätte ohne die damals extrem aufgeheizte Stimmung in der Asyldebatte, als in einer beispiellos verrohten „das Boot ist voll“ Rhetorik das Asylrecht faktisch abgeschafft wurde, so mit Sicherheit nicht stattgefunden. Die Aufwiegler haben auch damals ihre Hände in Unschuld gewaschen.

    Ein sehr lesenswerter Artikel von Heribert Prantl, dem ich in allen Punkten zustimme:

    http://www.sueddeutsche.de/politik/brandanschlag-von-solingen-vor-jahren-erst-stirbt-das-recht-dann-stirbt-der-mensch-1.1683458

    „Die Angst vor den „Flüchtlingsmassen“ wurde politisch so gefördert, wie früher die Angst vor dem Kommunismus gefördert worden war; das Asylgrundrecht wurde zum Symbol für die angebliche „Überfremdung“ gemacht, und die Zerschlagung des Symbols als Abhilfe angekündigt. Immer mehr Politiker redeten von Flüchtlingen im Katastrophenjargon; je mehr Ausländerheime brannten, umso mehr „Asylschwindler“ gab es. “

    „Im August 1991 sagte der damalige bayerische Innenminister Edmund Stoiber, dass das Asylrecht zu einem „abstrakten Grundrecht“, zu einem Gnadenrecht werden müsse, weil sonst „rechtsradikale Organisationen Aufwind bekommen“. Die Bevölkerung sei vor einer „totalen Überforderung“ durch Flüchtlinge zu schützen.“

    „Die fünf Morde von Solingen sind 20 Jahre her. Sie waren der Höhepunkt einer Gewaltserie gegen Ausländer und geschahen in einem Klima, als selbst FDP und SPD auf den Anti-Asyl-Kurs der Union einschwenkten.“

    Erst stirbt das Recht, dann stirbt der Mensch. Das Recht ist in dieser Hinsicht schon lange tot und je mehr dieser Staat das Recht an dem „Bedürfnis“, von Rassisten ausrichtet, ihre volksverhetzenden Hassparolen ohne jede staatlichen Konsequenzen im Volke ungestraft verbreiten zu dürfen, um so mehr Menschen werden sterben. Erst kommt das Wort, dann kommt die Tat, das war im Dritten Reich so und das ist heute nicht anders. Solche Taten werden immer durch Hass-Propaganda vorbereitet und ohne solche Hasspropaganda, die im Volk auf fruchtbaren Boden fällt, wären sie nicht möglich.

  3. Songül sagt:

    @aloo masala Nachtrag:

    Vom US- amerikanischen Verständnis von Meinungsfreiheit bin ich abgerückt, nachdem mir die Symbolkraft der Jurisprudenz deutlich wurde. Wir sprechen oft von den Meinungsmachern Medien, aber auch die Jurisprudenz gibt dem Volk vor, wo gesellschaftliche Akzeptanz beginnt und aufhört. Im Grunde handelt es sich um eine wechselseitige Beziehung, weshalb ich in einem meiner vorherigen Beiträge schon erwähnte, dass Urteile auch immer die Gesellschaft widerspiegeln.

  4. Marie sagt:

    Die Argumente von Songül und Marie sind ein weiteres Argument dafür, dass Meinungsfreiheit sehr weit gefasst werden sollte. Denn wenn die Geisteshaltung für die Auslegung der Gesetze entscheidend ist, wie kann dann eine Rechtsprechung sich anmaßen zu entscheiden, was gesagt werden darf und was nicht?
    Ihre Argumentation wird immer krasser, Herr Masala. Selbstverständlich hat jedes Gesetz einen Auslegungsspielraum, beispielsweise auch, ob es sich bei einem Tötungsdelikt um Mord oder Totschlag handelt – da hat die Justiz zu prüfen, ob die Mordmerkmale erfüllt sind. Und zwar nach bestem Wissen und Gewissen, Herr Masala. Entsprechend Ihrer immer krasser werdenden Argumentation könnte man alle Gesetze ja abschaffen und Mord und Totschlag auch freigeben. Besteht ja auch bei dem einen oder anderen ein „Bedürfnis“, jemanden umzubringen.

    Was hier kritisiert wurde, ist nicht die Tatsache, dass Gesetze im Einzelfall ausgelegt werden müssen, sondern dass im Falle der Volksverhetzung eine vermutlich rassistische Grundeinstellung, zumindest eine gewisse Sympathie, auch in der Gesellschaft und bei der Justiz, wie Songül das sehr richtig erkannt hat, dazu führen, dass auch in sehr eindeutigen Fällen die Täter stets straffrei ausgehen.

    Die UNO wiederum hat sehr richtig erkannt, dass es in Deutschland nicht um die rassistischen volksverhetzenden Inhalte geht, die verbreitet werden, sondern allenfalls darum, wer diese Inhalte verbreitet. Sind die Volksverhetzer Mitglied der NPD oder anderer als rechtsextremistisch eingestuften Vereinigungen, ist bei gleichen Aussagen die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung höher. Die Justiz hat aber ausschließlich den Inhalt der volksverhetzenden Aussage zu bewerten, wer sie von sich gibt, ist in einem Rechtsstaat nach dem Gesetz ohne Bedeutung.

    Es bleibt also zu konstatieren, dass Volksverhetzung in Deutschland in der Regel straffrei bleibt, wenn sie nicht von den einschlägigen Gruppenmitgliedern rechtsextremer Parteien, sondern von Politikern anderer Parteien in gleicher Weise verbreitet wird. Und das widerspricht eindeutig dem Gesetz und den Menschenrechtskonventionen, die Deutschland unterzeichnet hat, wie die UNO absolut zutreffend feststellte.

  5. Lionel sagt:

    Seriöse Besprechungen ohne Diffamierungen zu den Themen Intelligenz
    http://www.tagesspiegel.de/wissen/zwillingsstudien-intelligenz-ist-erblich/6065240.html

    und Verwandtenehe:
    http://www.welt.de/vermischtes/article732888/Wenn-der-Cousin-mit-der-Cousine-schlaeft.html

    Hier hat es keinen Sturm der Entrüstung gegeben.
    Sollten diese Artikel auch volksverhetzend sein?

  6. Marie sagt:

    Ach ja, und noch eins, Herr Masala – auch ein sehr „weit gefasster“ Begriff von Meinungsfreiheit würde ja nicht verhindern, dass es auch da Abgrenzungsprobleme bezüglich dessen gäbe, was noch unter die „weit gefasste“ Meinungsfreiheit fiele und was nicht. Somit ist das auch aus diesem Grunde kein Argument.

    Nur wenn man jede Art von rassistischer Volksverhetzung freigäbe, wenn man in diesem Lande „alles wieder“ sagen darf, so wie das Rassisten (und Sie auch, entsprechend Ihrer Beiträge) fordern, wenn man die Menschenwürde derer, gegen die gehetzt wird, (um den Boden zu bereiten für ihre Ausmerzung, denn was angeblich „schädlich“ und „unwert“ ist und die Deutschen angeblich in ihrer Existenz und ihrem Fortbestand gefährdet, gehört nach dieser Denkart aus einem Recht auf „Notwehr“ heraus ausgemerzt, nicht wahr, damit legitimieren die Mörder ihre Taten) als nicht schützenswertes Gut betrachtet, gäbe es keinerlei Auslegungsprobleme mehr. […] Da kann einem normal menschlich empfindenden Menschen nur noch angst und bange werden, bei dem, was Sie hier schreiben.

  7. Songül sagt:

    @aloo masala

    Das war jetzt wirklich weit hergeholt.
    Zu Beginn der Diskussion fragte ich, ob die Paragrahen der Volksverhetzung und Beleidigung deines Erachtens nach überflüssig seien, jetzt liest es sich, als sei das Gesetz an sich überflüssig. Natürlich hat man bei der Rechtsprechung auch immer einen Gewissen Auslegungsspielraum (der die Zeit und die Gesellschaft widerspiegelt). Genauso wie bei TV-Sendern und Zeitungen kann man an der Zusammensetzung des Bundesverfassungssgerichts die dominerende Partei und damit die politische Linie erkennen.
    Der Glaube an absolut neutrale und objektive Rechtsprechung ist ziemlich naiv.

  8. Lionel sagt:

    @Songül

    Schon die alten römischen Juristen wussten: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“
    Und das Recht und Gerechtigkeit nicht immer identisch sind, habe ich nicht nur einmal schmerzlich erfahren müssen.
    Dennoch: Rechtsanwendung ist keine willkürliche Rabulistik – es gibt die grundsätzliche Bindung an Recht und Gesetz, es bestehen Auslegungsregeln, wir haben unabhängige Richter, Staatsanwälte müssen alles zusammentragen was gegen u n d f ü r den Beschuldigten/Angeklagten spricht usw.

    Unser Rechtswesen ist wahrlich nicht perfekt – doch wo existiert ein besseres System?
    Was wäre die Alternative? Die Judikative komplett abschaffen?

    Es gibt hier keine Gesinnungsjustiz wie vormals in der „DDR“ , keine Geheimprozesse, wir haben kontrollierende Medien.

    Dass Rechtsempfinden mag die Straflosigkeit von Sarrazin als Unrecht sehen – doch ist das Rechtsempfinden immer gerecht?
    Wenn es nur nach dem Rechtsempfinden ginge, hätten wir jetzt die Todesstrafe.
    Ja, unsere Justiz ist nicht perfekt, aber sie wird kontrolliert und Fehler werden korrigiert (Bspw. die Platzvergabe im NSU-Prozess) – aber eine Herrschaft der Willkür und Rabulistik gibt es in ihr nicht.

  9. Marie sagt:

    @ Lionel
    Einen Sturm der Entrüstung hat es deshalb nicht gegeben, weil diese Artikel nicht offen volksverhetzend sind (auch wenn bei beiden Artikeln Tendenzen durchaus vorhanden sind, mit Sarrazins volksverhetzenden rassistischen Statements sind sie nicht vergleichbar).

    Es geht bei der (teilweise) vererbbaren Intelligenz, die anhand von Zwillingsstudien belegt wurde, um die individuelle Intelligenz, die in einer Population durchaus unterschiedlich ist und der Gaus´schen Normalverteilung folgt. Bei Sarrazins Thesen geht es dagegen um angeblich ethniebedingte Intelligenzunterschiede und die gibt es nicht.

    Ganz einfach ausgedrückt: In jeder Bevölkerung gibt es Individuen mit hoher, mittlerer und niedrigerer Intelligenz, die Intelligenz ist zum Teil auch vererblich, von der Ethnie abhängig ist sie NICHT. Sie folgt bei anderen Ethnien exakt denselben Normalverteilungskurven und Bildungsunterschiede beruhen nicht auf fehlender Intelligenz einer bestimmten Ethnie, sondern auf mangelnder Bildung. In keinem anderen hoch entwickelten Industrieland haben Kinder aus unteren Schichten schlechtere Bildungschancen, als in Deutschland. Bei gleichen Bildungschancen sind alle Rassen und Ethnien im Durchschnitt der Ethnie exakt gleich intelligent, individuelle Unterschiede im Rahmen der Normalverteilung.

    Dass der Autor im Tagesspiegel die Zwillingsforschung als Beleg für die Richtigkeit von Sarrazins rassistischen Behauptungen bezüglich rassischer/ethniebedingter genetischer Intelligenzunterschiede heranzieht, ist in höchstem Maße unlauter – aber die argumentative Redlichkeit haben die Sarrazin-Verfechter ja schon immer über Bord geworfen, da müssen auch Zwillinge und Individualbegabungen herhalten, um Sarrazins Rasselehre von den ethnischen Intelligenzunterschieden angeblich zu belegen.

    Auch der Weltartikel operiert mit derartigen Unredlichkeiten: Die Rede ist von „viele“ und „oft“, belastbare Zahlen zu der angeblich erhöhten Behinderungsrate bleibt der Artikel schuldig – stattdessen wird mit einer Einzelgeschichte operiert, als wenn es diese Behinderung unter Deutschen nicht gäbe. Weiter erfährt man, dass das Risiko bei Cousine und Cousin „fast doppelt so hoch sei“, 6-7 % gegenüber 4 % (im weiteren text) sind aber keineswegs fast doppelt so hoch. Statistische Zahlen zur angeblichen Häufigkeit solcher Ehen erfährt der Leser ebenso nicht, es wird der Eindruck vermittelt, als würden Türken und Araber grundsätzlich ihre Cousins/Cousinen heiraten, was in keinster Weise der Fall ist. Und als gäbe es deshalb exorbitant hohe Behinderungsraten (was nicht der Fall ist).

    Somit werden auch in diesem Artikel Ressentiments geschürt, wenn er auch nicht offen rassistisch ist. Zu einer seriösen Problembenennung gehören belastbare und nachgewiesene Zahlen über die angebliche Ausprägung des Problems und da die Zahlen das angebliche besorgniserregende Ausmaß der „gravierenden“ Problems nicht belegen, operiert der Ressentimentschürer eben mit „vielen“ und „oft“ und verzichtet auf Zahlen zu der angeblich erhöhten Behinderungsrate.

    „Ja, unsere Justiz ist nicht perfekt, aber sie wird kontrolliert und Fehler werden korrigiert (Bspw. die Platzvergabe im NSU-Prozess) – aber eine Herrschaft der Willkür und Rabulistik gibt es in ihr nicht.“

    Erstens wird unsere Justiz nicht kontrolliert (im Gegensatz zu der vieler anderer Staaten), zweitens werden Fehler nur in sehr seltenen Ausnahmefällen korrigiert und drittens haben Sie vor der „Korrektur“ der Platzvergabe nach meiner Erinnerung Stein und Bein geschworen, dass die ursprüngliche Platzvergabe absolut rechtens und verfassungsgemäß gewesen sei, mit ähnlichen „Argumenten“, mit denen Sie jetzt auch die Straffreiheit im Falle Sarrazin bei Volksverhetzung als rechtlich einwandfrei darstellen. Dass die Platzvergabe rechtlich absolut in Ordnung sei, würden Sie weiter behaupten (und würde auch das OLG weiter behaupten), wenn nicht die betroffenen Pressevertreter das BVerfG eingeschaltet hätten und Ihre Rechtsbetrachtungen und die des OLG sich dadurch als unhaltbar heraus gestellt hätten, Herr Lionel.

    Ich bezweifle, dass die Verfassungsbeschwerde ohne das große Medienecho und die Empörung im In- und Ausland überhaupt angenommen worden wäre. Denn es ist so, dass bei Weitem nicht in allen Fällen die Unrechtssprechung der Gerichte durch das BVerfG korrigiert wird – weil in vielen Fällen eine Verfassungsbeschwerde nicht möglich ist und in den allermeisten und den weniger medienwirksamen Fällen (auch wegen der Überlastung dieses Gerichtes) erst gar nicht angenommen wird. Erstaunlich, dass Sie jetzt plötzlich von einem „Fehler“ sprechen.

    Ihre Paragraphenreiterei, mit der Sie dauernd den unrichtigen Anschein erwecken wollen, in der deutschen Justiz ginge alles stets nach Recht und Gesetz zu, ist einfach absolut lächerlich. Noch lächerlicher finde ich es, dass Sie sich hier die Rolle eine vermeintlich unfehlbaren Gutachters anmassen und andere Foristen über die angeblich einzig richtige Interpretation von Urteilen des BVerfG und von einschlägigen juristischen Kommentaren „aufklären.“

    Dabei berufen Sie sich auf Urteile, die für diesen Fall weder einschlägig sind, noch sind Sie m.E. in der Lage, den Tenor dieser Urteile (Soldaten sind Mörder, beispielsweise) und Kommentare (Tröndle/Fischer) richtig zu verstehen. Sie machen sich an keiner Stelle die Mühe eines auch nur ansatzweise neutralen Interpretationsversuchs und ihre „Auslegung“ folgt allein ihrer Geisteshaltung, ganz genauso, wie das auch bei der Platzvergabe der Fall war. Da haben Sie uns hier auch erklärt, dass die angeblich verfassungsgemäß sei und sich auf die Rechtssprechung des BVerfG berufen, die sie stets nach Ihrer eigenen Gesinnung fehl“interpretieren.“.

  10. Marie sagt:

    Im Übrigen hoffe ich sehr, dass die UNO sich mit dem Geschwafel der Deutschen Regierung, die Gesetze zu verschärfen, nicht zufrieden gibt, sondern zielführende Schritte verlangt, dass auch in Deutschland die Gesetze gegen Rassismus von der Justiz anzuwenden sind und dass auch in Deutschland die Menschen vor Rassismus und Volksverhetzung zu schützen sind.

    Der $ 130 StGB ist m.E. völlig in Ordnung, da gibt es nichts zu verschärfen und es würde auch nichts nutzen, das Gesetz zu verschärfen. Wenn die auf dem rechten Auge blinde Justiz sich weigert, gegen Volksverhetzer zu ermitteln und volksverhetzende rassistische Publikationen zu angeblich erlaubter Meinungsäußerung uminterpretiert und sich deshalb weigert, die Gesetze anzuwenden, nutzen alle Gesetze nichts. Schließlich kann man nicht jeden mögliche Variante volksverhetzender Texte in die Gesetze aufnehmen. Hier sind ganz andere Maßnahmen dringend erforderlich.