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Avicenna Begabtenförderwerk für Muslime

„Selbst als Jahrgangsbester wurde ich nicht für eine Hochschulförderung vorgeschlagen“

Der Initiator und Gründer des Avicenna-Studienwerks, Beschir Hussain, erläutert im Gespräch mit dem MiGAZIN die Ziele und Hintergründe des ersten Begabtenförderwerkes für Muslime und was ihn persönlich motivierte, sich für Avicenna einzusetzen.

Montag, 29.07.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 02.08.2013, 0:39 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Das Avicenna-Studienwerk ist das erste Begabtenförderwerk für Muslime. Was muss man sich darunter vorstellen?

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Beschir Hussain: Das Avicenna-Studienwerk ist das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) anerkannte muslimische Begabtenförderungswerk der Bundesrepublik Deutschland. Es fördert junge begabte und gesellschaftlich besonders engagierte Muslime während ihrer Studiums- und Promotionszeit. Das Ziel unserer Arbeit besteht darin, an der Heranbildung verantwortungsbewusster und qualifizierter muslimischer Multiplikatoren in Deutschland mitzuwirken.

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Was bedeutet das konkret?

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Hussain: Der Anteil der Muslime an der deutschen Gesamtbevölkerung liegt zwischen 4,6 und 5,2 Prozent. An den Hochschulen liegt ihr Anteil hingegen knapp unter 3 Prozent. Folgen wir der Annahme, dass Muslime in Deutschland über alle Altersgruppen hinweg verhältnismäßig gleichmäßig verteilt sind, können wir den Schluss ziehen, dass sie an deutschen Hochschulen unterrepräsentiert sind. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt nehmen nicht nur weniger muslimische Studenten ein Studium auf, sondern immer mehr brechen ihr Studium auch ab. Das ist ein messbares Problem, das wir mit dem Avicenna-Studienwerk nachhaltig lösen wollen.

Welche Herausforderungen gab es im Gründungsprozess?

„Im ersten Semester meines Studiums hörte ich erstmals von der Begabtenförderung in Deutschland und realisierte rückblickend, dass ich auch als jahrgangsbester Abiturient damals nicht von meiner Schule für eine Hochschulförderung vorgeschlagen wurde. Als ich kurze Zeit darauf gleich von zwei Begabtenförderwerken in ein Förderprogramm aufgenommen wurde, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, unterstützt zu werden und ein Teil der deutschen Gesellschaft zu sein.“

Hussain: Die Anerkennung durch das BMBF war mit drei Jahren intensiver Vorarbeit verbunden. In der Anfangsphase wurde viel Zeit und Kraft in die Konzeption und in den Aufbau der Organisation investiert. Für die Gründungsmitglieder war es von Anfang an aber auch wichtig, dass die Pluralität der muslimischen Gemeinschaft möglichst breitflächig in den Gremien abgebildet wird. Und das ist alles andere als eine monolithische Gruppe. Es kommen an fast jeder Stelle sehr unterschiedliche Erwartungen und Interessen zusammen, die sorgfältig ausbalanciert werden müssen. In Zukunft wird es in erster Linie darum gehen, die Geschäftsstelle auszubauen, ein Auswahlverfahren zu konzipieren und vor allem nachhaltige Strukturen zu etablieren, die es dem Avicenna-Studienwerk längerfristig ermöglichen, finanziell unabhängig zu arbeiten.

Was war Ihre persönliche Motivation, das Avicenna-Studienwerk zu gründen?

Hussain: Ich bin im Berliner Stadtteil Neukölln geboren und aufgewachsen. An meiner Schule wurden Schüler entsprechend ihrer ethnischen Herkunft in unterschiedliche Klassen unterteilt. Viele meiner Freunde beendeten ihre schulische Laufbahn vorzeitig und nur wenige waren insbesondere aufgrund der fehlenden Unterstützung gewillt, ein Hochschulstudium aufzunehmen. Im ersten Semester meines Studiums hörte ich erstmals von der Begabtenförderung in Deutschland und realisierte rückblickend, dass ich auch als jahrgangsbester Abiturient damals nicht von meiner Schule für eine Hochschulförderung vorgeschlagen wurde. Als ich kurze Zeit darauf gleich von zwei Begabtenförderwerken in ein Förderprogramm aufgenommen wurde, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, unterstützt zu werden und ein Teil der deutschen Gesellschaft zu sein. Ich setzte mir zum Lebensziel, ein Begabtenförderwerk für Muslime in Deutschland zu gründen.

Es wird oft kritisch hinterfragt, warum das Avicenna-Studienwerk ein Begabtenförderungswerk ist, das speziell Muslime fördert. Was sagen Sie dazu?

Hussain: Begabtenförderung ist eine Form der Investition. Jedes Jahr fördert die Bundesregierung eine begrenzte Anzahl an leistungsstarken und verantwortungsbewussten jungen Menschen in Deutschland. Mit dieser Förderung geht stets die Erwartung einher, dass diese Studenten und Doktoranden zukünftig einen zusätzlichen Beitrag zum gesamtgesellschaftlichen Nutzen leisten. Wie hoch dieser Nutzen für die Gesellschaft am Ende tatsächlich ist, hängt analog zu Investitionsbewertungen von mehreren Variablen ab, von denen ich an dieser Stelle zwei erwähnen möchte; können beide maximiert werden, erhöht sich auch der Nutzen für die Gesellschaft.

Die erste Variable ist die Eintrittswahrscheinlichkeit des gesellschaftlichen Nutzens – unabhängig davon, welche Ausrichtung und Höhe dieser Nutzen hat. Der Begabtenförderung durch den Staat geht es als solche zunächst einmal ausschließlich darum, diejenigen jungen Menschen zu identifizieren, die zukünftig mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einen Nutzen für die gesamte Gesellschaft (mit)generieren können und wollen. Durch die Bereitstellung eines materiellen Stipendiums soll diese Wahrscheinlichkeit maximiert werden; diese Aufgabe übernimmt das BMBF in vollem Umfang und stellt allen anerkannten Begabtenförderungswerken das nötige Kapital zur Verfügung. Kann sich ein Student ohne finanzielle Sorgen auf sein Studium konzentrieren, steigt in der Regel die akademische Erfolgswahrscheinlichkeit durch eine entsprechende Zeitallokation. Welchen weltanschaulichen oder religiösen Hintergrund der Student hat und mit welchen wissenschaftlichen Fragestellungen er sich inhaltlich beschäftigt, bleibt auf dieser Ebene zunächst völlig irrelevant.

An welcher Stelle spielt der muslimische Glaube denn dann eine Rolle?

Beschir Hussain ist im Private Equity und Venture Capital tätig. Zuvor studierte er Philosophie und Wirtschaftswissenschaften an der WHU und der Columbia University in New York. Während des Studiums wurde er von der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Stiftung der deutschen Wirtschaft gefördert. Hussain ist Initiator und Gründer des Avicenna-Studienwerks.

Hussain: Auf der Systemebene an keiner Stelle, ausschließlich auf individueller Förderwerksebene und das spiegelt sich auch deutlich in der Finanzierungsstruktur der religiösen Förderwerke wider. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen ist die zweite Variable in der Gleichung und ist ein Zusammenspiel aus vielfältigen Weltanschauungen, Ideologien und Erfahrungen, die in einer Gesellschaft durch eine signifikante Anzahl an Trägern vertreten werden. Durch konstruktiven Diskurs und Partizipation an der politischen Willensbildung stiften die Träger der verschiedenen Anschauungen als Kollektiv einen Nutzen für die gesamte Gesellschaft. Dies ist eine zentrale Überlegung, die einer jeden freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung zu Grunde liegt. Auf diese Überlegung stützt sich eben auch das durch die Bundesregierung geförderte Begabtenförderungssystem in Deutschland.

Die Begabtenförderungswerke sind gesamtheitlich betrachtet ein Kollektiv und sie arbeiten in einigen Bereichen auch als ein organisiertes Kollektiv. Sie spiegeln das pluralistische Spektrum der in Deutschland vorhandenen weltanschaulichen, religiösen, politischen, wirtschafts- und gewerkschaftsorientierten Strömungen wider. Bundesweit gab es bislang zwölf Begabtenförderungswerke. Konfessionell geprägt sind das katholische Cusanuswerk, das Evangelische Studienwerk Villigst und das jüdische Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk. Durch die Gründung des muslimischen Begabtenförderwerkes Avicenna wurde eine Lücke in diesem Spektrum geschlossen. Jedes durch das BMBF anerkannte Begabtenförderungswerk hat ein ideelles Programm, das neben der materiellen Unterstützung die zweite Förderungskomponente bildet. Hier spielen Wertevorstellungen eine Rolle. Im Gegensatz zu den materiellen Stipendien wird diese Komponente allerdings von den Begabtenförderungswerken selbst und nicht vom BMBF finanziert.

Kann der gesamtgesellschaftliche Nutzen und dessen Eintrittswahrscheinlichkeit jeweils maximiert werden, erhöht sich der tatsächlich geschaffene Nutzen für die Gesellschaft. Die Bundesregierung (die materielle Stipendien zur Verfügung stellt) und die Begabtenförderungswerke (die jeweils ideelle Stipendien zur Verfügung stellen) arbeiten gemeinsam auf dieses Ziel hinaus.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Avicenna-Studienwerks?

Hussain: Meine persönliche Vision für das Avicenna-Studienwerk ist die Etablierung eines Begabtenförderwerkes, das junge Menschen dabei unterstützt, ihre individuellen Persönlichkeitspotenziale in vollem Umfang zu entfalten und als Multiplikatoren am gesellschaftlichen Leben konstruktiv mitzuwirken. Feuilleton Interview Leitartikel

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  1. all-are-equal sagt:

    @G.H.:
    Ich werden meinen Eindruck nicht los, dass es bei dem Avicenna-Studienwerk doch primär um Förderung der Religion auf universitärem Boden geht. Letztlich läuft das doch auch wieder auf ideologische Abschottung und nicht auf Förderungswilligkeit je nach objektiver Bedürftigkeit hinaus. Eine reale Förderungslücke sehe jedoch ich nicht für muslimische Studierende im Speziellen, sondern für Migranten und EU-Ausländer, ganz egal ob diese Moslems, Christen, Hindus, Buddhisten, Agnostiker oder Atheisten sind. Vielleicht wird doch noch einmal ein integratives Unterstützungsprogramm ganz ohne religiöse oder weltanschauliche Scheuklappen ins Leben gerufen.

  2. Berliner sagt:

    @surviver „Wenn ein Land begabte Jugendliche fördert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie später der Gesellschaft, der Volkswirtschaft, dem Finanzamt, der Wissenschaft und Forschung, …etc. etc. einen höheren Nutzen haben, als ein arbeitsloser Hartz-4-Empfänger.“

    Das stimmt so nicht. Protektion ist für eine Leistungsgesellschaft äußerst schädlich. Unser System lebt davon, dass jeder seinen eigenen Weg selbst geht. Es zeigt sich, dass dort wo besonders gefördert wird, eher schlechtere Ergebnisse zu verzeichnen sind. Förderung hat nicht automatisch Leistung zur Folge. Stipendien sind als Ausnahmefall gedacht, nicht als Regelfall.

  3. surviver sagt:

    @Wendy
    „…das kann doch nicht nur an den Lehrern liegen“.
    Das liegt sicherlich nicht nur an den Lehrern, aber sicherlich auch nicht nur an den Schülern.
    Das hat viele Gründe.
    Eines der Hauptgründe ist sicherlich nicht nur die „ungebildete“ Eltern, sondern auch falsche Politik.
    Wenn ich mir den Bezirksbürgermeister von Berlin Buschkowski angucke, kann das auch nichts werden.
    Er betreibt sogar im TV (Phonix) Anti-Islam-Propaganda und wird beim Lügen nicht mal rot im Gesicht…….

  4. G. H. sagt:

    @all-are-equal
    Ist aber im Moment trotzdem nicht ganz falsch: Erstens sind unsere Unis längst nicht so säkular, wie sie gerne tun – Gottesdienste, Studentenpfarrer, Studentengemeinden gibt es an jeder größeren Hochschule. Und zweitens muss man davon ausgehen, dass die hier lebenden Muslime tendenziell eine geringere Akademikerquote aufweisen als andere Einwanderer (z.B. aus Osteuropa). Wie Initiativen wie Arbeiterkind.de erleben, ist es für Leute mit Nicht-Akademischen Hintergrund besonders schwierig zu sehen, ob und wie sie ein Stipendium bekommen können. Die Selbstidentifikation als Muslim kann helfen, hier einen Weg zu bahnen. Ich gehe stark davon aus, dass noch niemand untersucht hat, wie gut die Chancen für Muslime auf ein Stipendium sind – bei gleicher Leistung, selbstverständlich – aber ich gehe jede Wette ein: Die Religionszugehörigkeit wird sich signifikant auf die Chancen auswirken. Genau wie sie sich auch auf die Wohnungssuche, die Arbeitsplatzsuche und die Partnerschaftssuche auswirkt.

  5. G. H. sagt:

    @all-are-equal
    …und ich bin nicht Teil von einem dieser Clubs, aber sehe ich das falsch wenn ich glaube, dass Abschottung ein Teil des Spaßes dabei ist? Ein bisschen so, wie man für Bayern ist, damit man gegen Dortmund sein kann? Gruppenzugehörigkeit kann ja schließlich nur funktionieren, wenn es auch Gruppen-nichtzugehörigkeit gibt…