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Der Spiegel & Sarrazin

Das gutgläubige Leitmedium

Im „Fall Sarrazin“ scheitert der Spiegel bis heute am eigenen Aufklärungsanspruch: Statt selbst zu recherchieren, verbreiten die Redakteure lediglich, was Prominente ihnen in den Block diktieren.

Von Martin Niggeschmidt Donnerstag, 01.08.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 08.08.2013, 9:02 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

War Hitler hochbegabt? Macht Schule dumm? Diese und andere Fragen zum Thema Intelligenz versuchte ein Spiegel-Redakteur kürzlich zu klären, indem er den Begabungsforscher Detlef Rost um Auskunft bat. Neun solcher Mythen wurden locker abgearbeitet, bis es zum Ende hin plötzlich ernst wurde: Mythos Nummer zehn lautete nämlich: „Bei Fragen der Intelligenz gibt es keine Tabus.“

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Detlef Rost schien sofort zu wissen, worauf das Stichwort „Tabu“ abzielte. „Ob es Unterschiede zwischen Ethnien gibt, ist ein weithin erforschtes Feld“, so Rost. „Aber ich werde hier nicht einmal fremde Ergebnisse wiedergeben, geschweige denn meine Meinung sagen. Sonst müsste ich fürchten, dass ich in der Vorlesung mit Eiern beworfen werde.“ (Der Satz wurde inzwischen aus dem Netz genommen.)

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Detlef Rost ist eine der wichtigsten deutschen Quellen von Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“, und Rost sprang dem ehemaligen Berliner Finanzsenator in der öffentlichen Debatte des Jahres 2010 zur Seite. Die „Sarrazin-Methode“, sich als Opfer von Tugendterror und Zensur darzustellen, beherrscht offenbar auch er. Doch ist die Forschungslage tatsächlich so eindeutig, wie Rost suggeriert?

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Nebulöse Andeutungen
Dass es Menschengruppen und Ethnien gibt, die bei IQ-Tests besser abschneiden als andere, bestreitet niemand. Ob es sich dabei wirklich um Intelligenzunterschiede handelt, ist allerdings durchaus umstritten. Selbst prominente Intelligenzforscher wie der Neuseeländer James Flynn vertreten die Ansicht, dass IQ-Tests nicht die Intelligenz messen, sondern eher schwach mit ihr korrelieren. Offenbar hat zudem jede Kultur, jedes Milieu und jede Generation ganz eigene Vorstellungen davon, was Intelligenz ist.

Die im Zuge der Sarrazin-Debatte populär gewordene Idee von der „Erbdummheit“ bestimmter Bevölkerungsgruppen lässt sich mit den Mitteln der Intelligenzforschung schon gar nicht untermauern. Die den Erblichkeitsschätzungen der Intelligenzforschung zugrunde liegende Methode ist nämlich lediglich geeignet, Aussagen zur Erblichkeit individueller Unterschiede innerhalb einer Gruppe zu treffen. Über die Erblichkeit von Unterschieden zwischen Gruppen sagt der Erblichkeitskoeffizient nichts aus. 1

Ein schlichter Hinweis auf die begrenzte Aussagekraft der Intelligenzforschung hätte einem Artikel, der den Anspruch erhebt, „Intelligenzmythen“ zu enttarnen, gut angestanden. Doch statt aufzuklären, präsentierte der Spiegel-Redakteur seinen Lesern nebulöse Andeutungen über „Forschungsergebnisse“, die zu brisant sind, um darüber sprechen zu können.

Dabei ist der Streit über „race and intelligence“ schon ziemlich alt – und wird von den Amerikanern in schonungsloser Offenheit und Härte geführt. Im Jahr 1994 erschien in den USA ein Buch, das ähnliche Thesen vertrat wie Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“. Die US-Autoren Charles Murray und Richard J. Herrnstein warnten in ihrem Bestseller „The Bell Curve“ vor einer Verdummung der Gesellschaft durch die überdurchschnittliche Vermehrung von Unterschichten und Afro-Amerikanern. Auch in den USA schlugen die Wellen der Empörung hoch. Doch anders als die deutschen Medien im Fall Sarrazin sahen es die US-Journalisten als ihre Aufgabe an, die Quellen des Buches zu überprüfen.

Charles Lane wies in einem Artikel für die New York Review of Books nach, dass sich die Argumentation des US-Bestsellers zu weiten Teilen auf die Publikationen eines (pseudo-)wissenschaftlichen Netzwerks stützt, das vom Pioneer Fund finanziert wurde, einer 1937 vom Nazi-Anhänger Wickliffe Draper zum Zwecke der „Rassenverbesserung“ gegründeten Stiftung. Die vom Pioneer Fund geförderten Wissenschaftler betreiben fast ausschließlich rassistisch-eugenische Studien, in denen die Überlegenheit des gebildeten weißen Bürgertums nachgewiesen werden soll.

Die Aufdeckung dieser Quellenlage verhinderte, dass sich die Botschaft von „The Bell Curve“ als durch objektive wissenschaftliche Erkenntnisse untermauerter Tabubruch verkaufen ließ. Wer das Buch öffentlich verteidigte, wusste, in welch dubiose Gesellschaft er sich begab.

Muslime statt Afro-Amerikaner
Für „Deutschland schafft sich ab“ tauschte Thilo Sarrazin lediglich die Afro-Amerikaner gegen „muslimische Migranten“ aus – folgte ansonsten aber getreulich der Argumentation von „The Bell Curve“ und zog auch dasselbe Netzwerk rassistischer Pioneer-Fund-Forscher als Quellen heran. Die Verbindung zu „The Bell Curve“ wurde in den Medien des Öfteren erwähnt. Doch eine Recherche zum Hintergrund des Buches und damit auch zu den nachweisbaren Bezügen ins rechtsextreme Milieu fand nicht statt.

Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz

Die fachliche Argumentation des nebenstehenden Artikels wird im 2012 erschienenen Buch „Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz“ weiter ausgeführt. In die- sem Sammelband werden die Denk- muster und -fehler von Sarrazins Nie- dergangsszenarien aus Sicht verschie- dener Wissen- schaftsdisziplinen untersucht.

Unbedingt lesenswert!“, urteilte Spektrum der Wissenschaft. www.von-galton-zu-sarrazin.de

Das Versagen der deutschen Medien im Fall Sarrazin lässt sich exemplarisch am Leitmedium Spiegel zeigen. Das Nachrichtenmagazin druckte (zeitgleich mit der Bild-Zeitung) vorab Auszüge aus „Deutschland schafft sich ab“. Das sei keine leichte Entscheidung gewesen, erläuterte der damalige Spiegel-Chefredakteur Mathias Müller von Blumencron im Interview mit der Taz (27.8.2010). „Wir haben darüber intensiv in der Redaktion debattiert. Auch ich habe lange mit mir gerungen.“ Aber: Die Debatte müsse geführt werden – und der Spiegel werde dazu beitragen.

Verblüffend geringer Rechercheehrgeiz
Tatsächlich wurde ein kenntnisreicher Artikel des Wissenschaftsjournalisten Jörg Blech zur „Mär von der vererbten Dummheit“ nachgeschoben, doch ansonsten zeichnete sich die Spiegel-Berichterstattung über Sarrazins Thesen durch verblüffend geringen Rechercheehrgeiz aus.

Der Spiegel, der für andere Themen ganze Rechercheteams abstellt, brachte weder ausreichend Zeit noch Kompetenz auf, um Sarrazins Quellen nachzuspüren und den ideengeschichtlichen Bezügen seiner Argumentation auf den Grund zu gehen. Die Diskussion darüber, ob Sarrazin tatsächlich rassistisch und eugenisch argumentiert, hätte sich durch die Abklärung der Quellenlage vermutlich schnell erledigt.

Auch historische Recherchen wären aufschlussreich gewesen. Sarrazins zentrales Argument, moderne Gesellschaften würden immer dümmer, weil die Minderintelligenten überdurchschnittlich viele Kinder bekämen, lässt sich mit sozialwissenschaftlichen Methoden überprüfen. Erstmals formuliert wurde sie nämlich bereits im Jahr 1869 von Francis Galton, auf den Sarrazin sich ausdrücklich bezieht. Was ist seither geschehen? In allen westlichen Gesellschaften stieg das Qualifikations- und Bildungsniveau der Bevölkerung stark an. Sarrazin hat also eine historisch überkommene Zukunftsprognose wiederbelebt, die sich längst als unzutreffend erwiesen hat. Wenn man wie Sarrazin der Ansicht ist, dass IQ-Tests die Intelligenz messen, sollte man mit dem alten Verdummungs-Dreisatz erst recht vorsichtig sein: Bei IQ-Tests hat bisher jede Generation besser abgeschnitten als die Generation zuvor („Flynn-Effekt“).

Dass die Journalisten diese historische Dimension ausgeblendet und Sarrazins Dreisatz als neue, provokante These aufgeblasen haben, gehört zu den Absurditäten des Medientheaters um den Bestseller „Deutschland schafft sich ab“.

  1. Siehe dazu beispielsweise Elsbeth Stern: „Warum Haut- und Haarfarbe nichts mit genetisch bedingten Intelligenzunterschieden zu tun haben“ sowie Andreas Heinz: „Intelligenz versus Integration?“. Beide Aufsätze in: Andreas Heinz / Ulrike Kluge: „Einwanderung – Bedrohung oder Zukunft?“ Frankfurt 2012.
Feuilleton Leitartikel Meinung

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  1. AI sagt:

    Man kann von Niemandem nichts erwarten. Folgt man „Argumentationsmustern“ findet man am Anfang zu oft ideologische bzw. persönliche Motivationen. Faulheit allerdings hat zwei Urspünge: Vetternwirtschaft, weil die Mär vom erfolgreichen Angehörigen einer Kaste aufrechterhalten werden muss, und das Bedürfnis bzw. die Absicht ein Thema, oder das mögliche Ergebnis der daraus entstehenden Diskussion auf die Agenda zu setzen. Im Moment, und das zeichnet die derzeitige soziale Landschaft (weltweit) aus, haben sich die Protagonisten in „ihre“ Ecke verzogen und argumentieren aus dem sicheren Schützengraben der jeweiligen Gruppen. Zerrieben dazwischen werden Ansichten und Gedanken, die sich um eine ausgleichende Position bemühen. Der Erfolg der eugenischen Argumentation zeigt sich alleine schon das Auftauchen des Begriffs „Gutmensch“ (der kritische Positionen zur Eugenik im 3. Reich bezeichnete). Ähnlich argumentiert wird, wenn sich Migranten für eine Partei engagieren, die sichtlich wenig für eine sinnvolle Integrationspolitik getan haben. Diese Positionen argumentieren aus der Vergangenheit und das ist das Problem: Sie schleppen die gegenseitige Missachtung und das Unbehagen gegenüber einer sich verändernden (Welt-)Gesellschaft mit sich. Ob wir Menschen diesen Zwiespalt aushalten werden liegt weniger an der Schlüssigkeit von Argumentationen und Statistiken, sondern vielmehr an der Fähigkeit ausgewogen zu Denken, und die Grenze seiner eigenen Community zu überwinden. Wir waren schon mal soweit. Die Gier nach Anerkennung und sozio-ökonomischem Aufstieg hat diese Kultur zerstört. Vor allem Migranten (was o. wen auch immer dieser Begriff bezeichnen mag) sollten sich in dieser Diskussion der Doppldeutigkeit von Argumentationen bewusst werden. Vielmehr aber als das zeigt dieser Artikel, dass unabhängiger Journalismus kaum mehr möglich ist, ob durch Sicherheitsbehörden, durch ökonomische Konzentrationen oder durch den politischen Willen, oder auch Abhängigkeiten, in den jeweiligen Redaktionen.
    In dieser Stimmungslage geht man nicht mehr aufeinander zu, sondern man geht auf die jeweilige gesellschaftliche Stellung zu und zementiert dadurch die gesellschaftliche Trennung. Welche Auswirkungen das hat, kann man auf weniger intellektuell angehauchten Foren im Netz nachlesen. Vom „Muster“ her allerdings unterscheiden sich diese Diskussionen selten, eher an der Ausdrucksweise. Fazit: Es geht um Bedürfnisse die in diesen Auseinandersetzungen geäussert werden, und diese müssen endlich offen gelegt werden.

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  4. Mike sagt:

    Ich denke das Sarrazin Buch ist deshalb gut, weil es zeigt, wie viele Deutsche tatsächlich denken. Sarrazin „spricht breiten Teilen der deutschen Bevölkerung aus dem Herzen“. Sprüche wie „endlich traut sich mal das auszusprechen, was alle denken, aber keiner wagt“ kann man überall in Deutschland von allen Schichten hören. Wenn man versucht, dagegen etwas zu sagen, wird man sofort als „Gutmensch“ abgestempelt. In einem gebe ich Dr. S recht: Es ist durchaus möglich, dass sich Deutschland abschafft, aber das geschieht dann aus ganz anderen Gründen, als die von Dr. S beschriebenen. Wenn wir es tatsächlich wieder zulassen, Rassenhygiene flächendecken zu betreiben, können wir als Nation für immer einpacken. In diesem Sinne: Achtet gut darauf mit wem Ihr Euch paart, sonst bestraft Euch das Dr. S. Gen :-)