Sprachstand
Schulische Segregation und Spracherwerb
Eltern schicken gerne ihre Kinder auf Schulen, die einen geringen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund haben. Sie glauben, dass ihre Kinder dort bessere Leistungen erbringen. Stefanowitsch und Goschler klären über Vorurteile und gravierende Probleme im deutschen Bildungssystem auf.
Von Anatol Stefanowitsch und Juliana Goschler Freitag, 02.08.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 12.01.2016, 14:13 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Trotz des von Begriffen wie „Integration“ und „Inklusion“ geprägten öffentlichen Diskurses lässt sich in den Bildungssystemen deutschsprachiger Länder seit vielen Jahren eine Tendenz zu einer “Entmischung” von Schüler/innen unterschiedlicher Herkunft beobachten. Diese Tendenz hat verschiedene Ursachen. Da wäre zunächst das vielerorts geltende Wohnortprinzip bei der Zuweisung einer Schule, das dazu führt, dass sich ein hoher bzw. niedriger Anteil an Migrant/innen in einer Gemeinde oder einem Stadtteil auch in den Schulen wiederfindet.
Dieser Mechanismus wird noch dadurch verstärkt, dass viele Eltern die Bildungschancen ihrer eigenen Kinder durch Schulen mit einem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund gefährdet sehen und alles daran setzen, ihr Kind trotz des Wohnortsprinzips auf Schulen mit möglichst wenig Migrant/innen zu schicken. Schließlich gibt es mehr oder weniger gut gemeinte institutionalisierte Trennungsbemühungen wie z.B. die Einrichtung separater Deutschklassen oder separater Förderklassen für Migrantenkinder.
Diese schulische Segregation wird oft unter dem Aspekt allgemeiner Bildungschancen diskutiert. Nach aktueller Forschungslage besteht jedoch kein Zusammenhang zwischen dem Anteil von Schüler/innen mit Migrationshintergrund in einer Klasse und den dort erzielten Leistungen. Der Bildungserfolg hängt auch hier vom sozialen Hintergrund der Schüler/innen ab. Die schulische Segregation nach Herkunft ist also nicht vorrangig in Hinblick auf Bildungschancen problematisch; für eine gelungene Integration ist sie aber höchst bedenklich. Das gilt vor allem auch für einen erfolgreichen und umfassenden Erwerb der deutschen Sprache durch Kinder mit Migrationshintergrund.
Alle wissenschaftlichen Theorien des Spracherwerbs sind sich in einem Punkt einig: Um eine Sprache erfolgreich zu erwerben, müssen wir ihr möglichst oft, möglichst lange und in möglichst unverfälschter Form ausgesetzt sein. Für den Erwerb einer oder mehrerer Muttersprachen ist das selbstverständlich: Der findet unter diesen Bedingungen automatisch und völlig ohne formale Unterweisung statt. Aber auch im Fremdsprachenunterricht hat sich diese Erkenntnis längst durchgesetzt. Grammatikübungen und die Bearbeitung didaktisch gekünstelter Texte sind über die Jahre immer stärker der Lektüre authentischer Texte und der Konversation über möglichst realistische Gesprächsanlässe gewichen. Trotzdem kann Fremdsprachenunterricht die Bedingungen, unter denen eine Sprache erfolgreich erworben wird, nur sehr unzureichend simulieren – eine unverfälschte, vielfältige und reichhaltige Sprachumgebung ist in jedem Fall effektiver.
Nun entsteht aber in Schulklassen, in denen Schüler/innen mit Migrationshintergrund die große Mehrheit bilden, eine Situation, die der des Fremdsprachenunterrichts ähnlicher ist als der des natürlichen Spracherwerbs. Und solche Schulklassen sind nicht selten: Über 40 Prozent aller Kinder aus Einwandererfamilien in Deutschland besuchen Schulen, auf denen Kinder mit einer nicht-deutschen Muttersprache in der Mehrheit sind. Diese Situation wirkt sich notwendigerweise negativ auf den Spracherwerb aus. Dabei geht es nicht vorrangig um die Alltagssprache – die beherrschen die meisten Kinder mit Migrationshintergrund allen Klischees zum Trotz sehr gut –, sondern um die sogenannte Bildungssprache, also die „gehobene“ Sprachvarietät, die in förmlicheren Zusammenhängen wie den Medien, der Politik oder eben den Bildungseinrichtungen verwendet wird. In gemischten Klassen gibt es Schüler/innen, die diese Varietät in gewissem Maße von Zuhause mitbringen und so als Modell für diejenigen dienen können, die zu Hause andere Sprachen sprechen. In einer Klasse, die (fast) ausschließlich aus Kindern mit Migrationshintergrund besteht, wird die Lehrperson schnell zum einzigen Modell für diese Varietät. Dieser Nachteil, der ohne Not in Kauf genommen oder sogar bewusst herbeigeführt wird, ist durch zusätzlichen Deutschunterricht kaum wieder auszugleichen.
Es spricht nichts gegen gezielten Sprachunterricht für Schüler/innen mit entsprechenden Defiziten (ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht). Aber dieser Unterricht kann nicht die reichhaltige sprachliche Umgebung ersetzen, die in gemischten Klassen durch natürliche Kommunikationssituationen über alle Fächer hinweg ganz von alleine entsteht. Aktuell Meinung
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Genau aus diesem Grund verlassen auch Eltern mit MH, die ihren Kindern etwas bieten wollen, die segregierten Schulen; das wäre noch zu erwähnen. Die strukturelle Segregation, die sich in vielen deutschen Großstädten verfestigt hat, lässt sich nur ganz langfristig auflösen; kurz- und mittelfristig müssen die segregierten Brennpunktschulen einfach besser ausgestattet werden; nicht zuletzt auch durch den Einsatz externer Coaches und Moderatoren, die die sprachliche und politische Bildung der kids vornabringen können. Hier ein Beispiel: http://www.dialogmachtschule.de
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