Ausländerpolitik in den 80ern (1/9)
„Deshalb erteilen wir jeder Politik eines ‚Ausländer raus‘ eine klare, eindeutige Absage.“
Bonn, 4. Februar 1982. Im Bundestag debattieren die Parteien über Ausländerpolitik - Familienzusammenführung, Assimilation, Einbürgerung, Gettos oder auch darüber, wie man Türken "loswird". MiGAZIN veröffentlicht in einer neunteiligen Serie die Debatte in voller Länge. Heute: Hans-Eberhard Urbaniak (SPD)
Mittwoch, 07.08.2013, 8:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 08.08.2013, 19:44 Uhr Lesedauer: 17 Minuten |
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Info: Hans-Eberhard Urbaniak (SPD) gehörte dem Deutschen Bundestag 1970 bis 2002 an. Von 2000 bis 2002 war er Alterspräsident des Bundestages.
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Die Koalitionsfraktionen und die Opposition haben für die heutige Debatte Entschließungsanträge eingebracht. Ich begrüße es außerordentlich, daß dies dem Parlament nach langer Zeit wieder einmal Gelegenheit gibt, die sicherlich brennenden ausländerpolitischen Fragen eingehend zu diskutieren. Seit unserer letzten Debatte gab es eine Reihe von Entwicklungen, die uns Sorge bereiten und die nicht nur die Regierung, die bekanntlich eine Reihe von Entscheidungen getroffen hat, sondern auch den Deutschen Bundestag beschäftigen müssen. In dem Entschließungsantrag der Koalition, den ich hier für meine Fraktion einzubringen habe, machen wir noch einmal unsere ausländerpolitischen Grundpositionen sehr deutlich.
Wir sind, um es gleich vorweg zu sagen – das ist unsere Position -, für Integration und Konsolidierung. Es gibt weder zu der Integrationspolitik noch zu der von der Bundesregierung betriebenen Begrenzungspolitik eine Alternative. Wer sich einer recht verstandenen Begrenzungspolitik verweigert, wird die integrationspolitischen Ziele, wie wir meinen, verfehlen. Wir haben das in unserem Entschließungsantrag ganz klar herausgestellt. Er sieht, wie ich meine, im Gegensatz zum Oppositionsantrag beide Bereiche in einem ebenso ausgewogenen wie untrennbaren Zusammenhang. Wenn eine dieser beiden tragenden Säulen der Ausländerpolitik bricht, stürzt das ganze Gebäude. Gerade diese ausländerpolitische Sicht ist auf Grund einiger Entwicklungen in den letzten Jahren noch unabdingbarer geworden. Ich greife nur einige Daten heraus.
Allein in den letzten drei Jahren hat sich die ausländische Wohnbevölkerung um mehr als 600 000 erhöht. Das ist die Bevölkerung einer Großstadt. Deutliches Zeichen dafür ist die Zuwanderung, die nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu den Abwanderungen steht. In früheren Jahren hatten wir hier eine stärkere Abwanderung, soweit sich Konjunkturbewegungen negativer Art bei uns ergeben haben. Die Bereitschaft zur Rückkehr war weitaus größer. Dennoch stellen wir heute fest, daß es in den Ländern, aus denen diese Menschen zu uns gekommen sind, wohl überhaupt keine oder nur ganz geringe wirtschaftliche Perspektiven gibt. In den Jahren, die wir gerade in dieser Zuwanderungsbewegung besonders zu beachten haben, ist dafür gesorgt worden, daß sich die Zahl der Ausländer bei uns durch den Anwerbungsstopp stabilisierte.
„Bei der gegenwärtigen Situation können wir auf die Mitarbeit dieser Ausländer nicht verzichten.“
Besonders zu beachten ist die Struktur der Zuwanderung nach Altersgruppen, handelt es sich doch per saldo fast ausschließlich um Kinder und Jugendliche, die im Rahmen des Familiennachzuges zu uns gekommen sind. Ihre Zahl erhöhte sich zwischen 1974 und 1981 um 400 000. Wenn man berücksichtigt, daß sich hierunter – insbesondere nach Abschaffung des sogenannten Stichtages – eine große Zahl von Späteinsteigern befindet, so wird sicherlich deutlich, vor welchen Problemen wir in unserem Bildungssystem stehen und welche Anstrengungen hier notwendig sind. Während eine deutliche Abnahme der Zahl der hier tätigen Ausländer mit bestimmten Nationalitäten in den letzten Jahren registriert werden konnte, erhöhte sich die Zahl der türkischen Wohnbevölkerung gegenüber 1974 um mehr als eine halbe Million. Uns allen ist bekannt, daß wir gerade bei dieser Bevölkerungsgruppe vor besonders schwierigen integrationspolitischen Problemen stehen. Das spüren wir vor allen Dingen in den Ballungsgebieten, in den Städten und in den Gemeinden.
In einer insgesamt schwierigen Beschäftigungssituation sind die Ausländer schon seit längerem in ganz besonders hohem Maße auch von Arbeitslosigkeit betroffen. So betrug ihre durchschnittliche Arbeitslosenquote im Dezember 11 %, bei den Türken sogar 14 %. Dennoch muß man feststellen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Der deutsche Bergbau lebt von ihnen. Von den 100 000 im Steinkohlenbergbau unter Tage Beschäftigten sind fast 23 000 Ausländer, darunter 87 % Türken. In der Autoindustrie lebt Ford in Köln von ihnen, wie wir meinen. Dort haben wir über 26 000 Mitarbeiter. Davon sind 10 000 ausländische Arbeitnehmer, darunter 80 % Türken. Ähnlich ist die Situation in Rüsselsheim. Wir wissen auch, daß viele Ausländer verschiedener Nationalität in den Gaststätten tätig sind. Viele schwere Arbeiten werden in den Städten von ausländischen Arbeitnehmern verrichtet; bei der gegenwärtigen Situation können wir auf die Mitarbeit dieser Ausländer nicht verzichten. Auf der Werft Blohm + Voss in Hamburg gibt es 1700 Ausländer, darunter 1 000 Türken. So können wir generell sagen, daß es trotz der Situation im Bereich der Arbeitslosigkeit in unserem Lande eine ganze Reihe von Branchen gibt, in denen wir, wenn die Ausländer dort nicht mehr beschäftigt würden, die Lücke mit eigenen Kräften wohl nicht schließen können. Die Ausländer tragen in diesen Branchen entscheidend dazu bei, daß die Konkurrenzfähigkeit und das Absatzfeld für die dort produzierten Güter auch erhalten bleiben.
Wir kennen die starken räumlichen Konzentrationen, die eine angemessene Eingliederung in Beruf und Gesellschaft erfordern. Vor diesem Hintergrund ist unsere ausländerpolitische Grundposition der Integration und Konsolidierung zu sehen.
„Für uns ist Integration bestmögliche Eingliederung des Ausländers in Gesellschaft und Beruf. In der aktuellen Situation lege ich gerade auf das letzte Wort großen Wert. Wir haben, wie ich meine, für unsere ausländischen Arbeitnehmer eine hohe beschäftigungspolitische Verantwortung übernommen, der wir uns nicht entziehen können. Deshalb erteilen wir jeder Politik eines „Ausländer raus“ eine klare, eindeutige Absage.“
Zunächst einige Bemerkungen zur Integration: Für uns ist Integration bestmögliche Eingliederung des Ausländers in Gesellschaft und Beruf. In der aktuellen Situation lege ich gerade auf das letzte Wort großen Wert. Wir haben, wie ich meine, für unsere ausländischen Arbeitnehmer eine hohe beschäftigungspolitische Verantwortung übernommen, der wir uns nicht entziehen können. Deshalb erteilen wir jeder Politik eines „Ausländer raus“ eine klare, eindeutige Absage.
(Beifall bei der SPD und der FDP)
Diese beschäftigungspolitische Verantwortung besteht natürlich ganz besonders gegenüber der groben Zahl von ausländischen Jugendlichen, die hier in unserem Lande geboren und aufgewachsen sind. Überhaupt ist es für uns wichtig, einen Schwerpunkt in unseren integrationspolitischen Bemühungen bei der zweiten, j a zum Teil schon der dritten Generation der Ausländer zu setzen. Hier bedarf es noch weiterer erheblicher Anstrengungen, insbesondere – ich erwähnte es schon – im Bereich des Bildungssystems. Hierzu enthält unser Entschließungsantrag klare Aussagen an die entsprechenden Adressaten der öffentlichen Hand. Das sind vor allem die Länder. Die vom Bund eingeleiteten Maßnahmen zur Berufsvorbereitung und sozialen Eingliederung junger Ausländer müssen weiter ausgebaut werden. Ich hoffe, daß hierfür auch hinreichende Finanzmittel zur Verfügung stehen. Nach Durchsicht des Bundeshaushalts 1982 können wir uns bei den Kolleginnen und Kollegen des Haushaltsausschusses und des Arbeitsministeriums bedanken, daß die Ansätze für diese Arbeit ausgeweitet werden konnten. Zu den MBSE können wir feststellen: Seitdem diese Maßnahmen laufen, gibt es tatsächlich gute berufliche Chancen für jugendliche Ausländer. Man kann sich nur dazu beglückwünschen, daß sowohl das Ministerium wie auch wir Abgeordnete diese Maßnahmen erfunden und finanziell so ausgestattet haben, daß sie heute gut praktiziert werden können. Sonst wäre die Arbeitslosigkeit unter den jungen ausländischen Arbeitnehmern noch viel größer.
(Beifall bei der SPD) Aktuell Politik
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