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Vergabepraxis von Ausbildungsplätzen

Jeder dritte Arbeitgeber lehnt Frauen mit Kopftuch ab

Dass Frauen mit Kopftuch es schwer haben, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden, war bekannt. Dass diesen Frauen aber mehr als jeder dritte Betrieb verschlossen bleibt ist neu und geht aus einer aktuellen Studie der Pädagogischen Hochschule Freiburg hervor.

Donnerstag, 15.08.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Sie sind hoch motiviert und bringen beste Voraussetzungen mit für einen Ausbildungsplatz – junge Frauen mit Kopftuch. Dennoch bleiben ihnen die Türen von mehr als ein Drittel (35,1 Prozent) aller Ausbildungsbetriebe verschlossen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Erhebung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

Für die Untersuchung wurden exemplarisch kleine, mittlere und große Betriebe im Breisgau-Hochschwarzwald angeschrieben und nach der Vergabepraxis ihrer Ausbildungsplätze befragt. Mehr als 700 haben geantwortet – mit erstaunlicher Offenheit. Danach würden viele Betriebe (12,4 Prozent) eine Bewerberin nicht nur wegen dem Kopftuch ablehnen, sondern auch dann, wenn sie oder er den Islam praktiziert. Einen Homosexuellen würden der Erhebung zufolge 4,5 Prozent der befragten Betriebe ablehnen.

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Massive Einschränkung der Ausbildungschancen
Studienautor Prof. Albert Scherr sieht darin eine „massive einschränkung“. Im SWR-Fernsehen erklärte er, dass viele dieser Jugendlichen oft doppelt eingeschränkt seien in ihren Ausbildungschancen. Für Hartmut Möller von der Industrie- und Handelskammer Freiburg ist das nichts Neues. Er kennt die Gründe für die ablehnende Haltung der Betriebe: es sind Vorurteile und Ängste.

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Vor allem im Dienstleistungsbereich würden viele wegen des Kundenkontakts keine Musliminnen mit Kopftuch einstellen. „Wir können die Betriebe nicht zwingen, ihr Verhalten zu ändern. Wir können nur appellieren. Das Damoklesschwert des Fachkräftemangels hängt über den Betrieben und die müssten das jetzt endlich mal begreifen“, so Möller.

Politik in der Pflicht
Bereits am Dienstag hatte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) eine Studie vorgelegt, die die Ergebnisse der Freiburger Erhebung stützt. Danach ist die Benachteiligung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Migrationshintergrund im Bildungssektor oder auf dem Arbeitsmarkt weit verbreitet. Dass Frauen mit Kopftuch viel häufiger diskriminiert werden, ging auch schon aus der ADS-Erhebung hervor.

Vertreter türkischer und muslimischer Organisationen sehen die Politik in der Pflicht. „Es ist nicht mehr hinnehmbar, dass Menschen mit Migrationshintergrund in der Bildung oder auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden und die Politik immer noch keine Konsequenzen daraus zieht und Schritte zur Behebung von Diskriminierung verweigert, und das, obwohl immer wieder auch die Diskriminierung von staatlicher Seite belegt wird“, erklärte etwa Ayşe Demir, stellvertretende Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Diese Diskriminierungserfahrungen führten bei den Betroffenen zu Resignation und Frust mit negativen Auswirkungen auf Leistungen und Motivation.

Forderung nach AGG in Bundesländern
Demir fordert Allgemeine Gleichbehandlungsgesetze (AGG) in den Bundesländern und unabhängige Beratungs – und Beschwerdestellen damit Betroffene Anlaufstellen haben. „Solange Vorbehalten, Vorurteilen und Diskriminierungen nicht mit konsequenten Maßnahmen von staatlicher Seite entgegengewirkt wird, wird sich an dieser Situation kaum etwas ändern“, erklärte Demir.

Der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kızılkaya, zeigte sich von den aktuellen Untersuchungen nicht überrascht. Die Ergebnisse bestätigten, was muslimische Religionsgemeinschaften schon lange kritisieren: „Von Kindesalter an sehen sich Muslime aufgrund ihrer Religion oder ihrer ethnischen Herkunft Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt“, so Kızılkaya.

Arbeiten am Kern des Problems
Das Bild des Islam und der Muslime in Deutschland werde durch die mediale Berichterstattung, aber auch durch teilweise islamfeindliche Rhetorik von Politikern mit Vorurteilen versehen. Es sei nicht verwunderlich, dass diese Darstellungsweise einen negativen Einfluss auf die Gesellschaft und alle Lebensbereiche habe. „Von Vorurteilen gegenüber Muslimen sind weder Lehrer an Schulen, Erzieher an Kindergärten noch Arbeitgeber in Unternehmen ausgeschlossen. Dadurch wird dann auch deren Handeln gegenüber Muslimen negativ geprägt“, erklärte Kızılkaya weiter. Er fordert nicht nur die Einrichtung von Beschwerdestellen, sondern auch ein Arbeiten am Kern des Problems, „nämlich dort, wo diskriminierende Einstellungen entstehen“. Sonst werde nur am Symptom gearbeitet, nicht aber an der Ursache.

Beunruhigt von den Studienergebnissen zeigte sich auch Ali Ataullah Demirezen, Präsident des Verbandes der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). „Dass Menschen aufgrund ihres Andersseins in dieser Gesellschaft benachteiligt und ausgegrenzt werden, ist inakzeptabel. Jeder Bürger dieses Landes, unabhängig seiner Herkunft, Hautfarbe oder Religion muss gleich behandelt werden“, so Demirezen. Der VIKZ-Präsident appelliert ebenfalls an Politik und Gesellschaft, Diskriminierung und Ungerechtigkeit stärker zu bekämpfen und Hilfsangebote für Betroffene zu fördern. Sonst würden unnötig Potenziale verschwendet und das gesellschaftliche Klima negativ beeinflusst.

Bereits in der Vergangenheit kritisierte der Dachverband der vier größten islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland, Koordinationsrat der Muslime (KRM), dem auch Islamrat und VIKZ angehören, staatliche Kopftuchverbote als schlechte Vorbilder für die freie Marktwirtschaft. Wenn schon der Staat Benachteiligung per Gesetz legitimiere, seien Nachahmer aus der Privatwirtschaft die selbstverständliche Folge, so der Vorwurf. (etb/sb) Gesellschaft Studien Wirtschaft

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  1. Deix sagt:

    @mo
    In der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) haben sich STAATEN verpflichtet, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ihrer Bürger zu respektieren. Diesen Staaten erlaubt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausdrücklich sichbare religiöse und weltanschauliche Zeichen zu untersagen, weil es sich dabei um eine angemessene Einschränkung zum legitimen Zweck des Interessenausgleichs handelt -Sahin gegen die Türkei (EGMR-Beschwerde Nr 44774/98 vom 10. 11. 2005; Dogru und Kervanci gegen Frankreich (EGMR-Beschwerden Nr 27058/05 und 31645/04, beide vom 4. 12. 2008). Zwischen Privaten und daher auch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gilt die EMRK und auch das GG gar nicht unmittelbar. Herr Müller kann seinen Anspruch auf Religionsfreiheit zwar gegenüber der Bundesrepublik Deutschland einfordern nicht aber gegenüber Herrn Maier. Wenn sogar Staaten das optische Neutralitäsprinzip erlaubt ist, dann muss das für privatenUnternehmen umso mehr möglich sein. Es darf auch nicht vergessen werden, dass wir uns im Arbeitsrecht im Vertragsrecht bewegen, wo Vertragsfreiheit gilt und die Interessen beider Vertragsteile zählen. Durch das AGG soll sichergestellt werden, dass im Arbeitrecht keine ungleichen Maßstäbe für die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen geschaffen werden können, nicht aber die Vertragsfreiheit ausgehebelt werden. Wenn Frankreich und die Türkei Schüler aus dem öffentlichen Bildungssystem verweisen dürfen, wenn sich diese nicht an das Prinzip der optischen Zurückhaltung zwecks fairem Interessenausgleich halten wollen, muss das im Arbeitsrecht umso mehr möglich und richtig sein. Spielregeln müssen im Zusammenleben eingehalten werden, es gilt nicht das Faustrest des optisch Aufdringlichsten.

  2. aloo masala sagt:

    @mo

    Zum Thema Diskriminierung: Eine Diskriminierung ist gegeben, wenn das Verbot religiöser Symbole selektiv durchgesetzt wird, wie das beispielsweise in Europa der Fall ist. Die politischen Debatten und Kommentare zu den Gesetzestexten bestätigen ebenfalls auch diesen Eindruck.

    —-
    Die entscheidende Frage ist: Warum kann man ein wahlweise normales Kleidungsstück oder normales religiöses Symbol – wenn es die wie auch immer gearteten Regeln des Arbeitgebers (die nicht nur auf das Kopftuch beschränkt sind) erfordern, partout nicht abnehmen?
    —-

    Man kann auf religiöse Symbole verzichten. Aber von einem Gläubigen zu verlangen, er soll auf seine religiösen Pflichten verzichten, halte ich außer in gut begründeten Fällen für unzumutbar.

    Die erste entscheidende Frage ist vielmehr: Mit welchem Recht darf ich in religiöse Verpflichtungen (außer in begründeten Fällen) anderer eingreifen? Denn die Internationale Menschenrechtskonvention betrachtet das religiöse Bekenntnis und die Religionsausübung als untrennbare Bestandteile der persönlichen Identität eines Menschen.

    Die zweite entscheidende Frage ist: Wie lassen sich das Recht auf Glaubensfreiheit und das Weisungsrecht des Arbeitgebers vereinbaren?

    Was definitiv nicht geht ist das Argument von deix, dass religiöse Symbole bei Kunden Anstoß erregen könnten. In diesem Fall würde Diskriminierung durch Diskriminierung gerechtfertigt werden. Der Intoleranz der Kunden würde ein höheres Gewicht eingeräumt als dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit.

    Hier ist gegenseitige Rücksichtnahme geboten. Wenn keine entscheidenden Beeinträchtigen für das Unternehmen gegeben sind, dann bedeutet Rücksichtnahme seitens des Arbeitgebers, dass er einer Muslima das Tragen des Kopftuchs gestattet. (Eine Beeinträchtigung aufgrund von Kundenvorbehalten ist hierbei unzulässig)

  3. mo sagt:

    @deix
    Ich bezog mich auf Ihren Satz „Diese Länder sollten ein Vorbild für private Unternehmen sein!“, den ich so interpretiere, dass Sie sich ein weltanschaulich neutrales Erscheinungsbild für ALLE privaten Unternehmen wünschen. Das kann ich nicht unterschreiben.
    Was sie danach geschrieben haben, kann ich unterschreiben. Ich hatte aber auch ausgedrückt, dass Unternehmer in ihrer Entscheidung für oder gegen Neutralität frei sein sollen (was sie faktisch ja auch sind).

  4. mo sagt:

    @aloo masala
    In der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit ist Religion jeder anderen Weltanschuung gleichgestellt. Es gibt keine Hierarchie der Weltanschauungen, jene mit und jene ohne Gott. Deshalb kann man auch nicht von selektiven Verboten sprechen. deix hatte ja bereits das Beispiel der Burschenschaftenhüte gebracht. Worauf man verzichten kann und worauf nicht, ist eine persönliche Frage, mit deren Konsequenzen man persönlich belastet ist.
    Es gibt ja durchaus noch viel weitergehende Diskriminierungen dem Anschein nach. Wenn z.B. eine Person durch Krankheit im Gesicht entstellt ist oder stottert, so ist dies etwas, was die Person nicht ablegen kann, noch wofür sie verantwortlich ist. Dennoch kann kein Unternehmer gezwungen werden, diese Person im Kundenkontakt einzustellen. Diese Person wird auch kaum Chancen haben z.B. in einer Konditorei Kuchen zu verkaufen. Das klingt auf den ersten Blick brutal, ich würde dennoch den Konditormeister nicht als Unmensch oder Rassist verurteilen. Jeder kann sich ja mal in die Lage des Konditormeisters hineinversetzen und ganz ehrlich versuchen die Frage zu beantworten, wie man selbst handeln würde. Wohlgemerkt geht es um private Unternehmen – und die sind ja Thema dieses Artikels.

    „Die erste entscheidende Frage ist vielmehr: Mit welchem Recht darf ich in religiöse Verpflichtungen (außer in begründeten Fällen) anderer eingreifen?“

    Mit dem gleichen Recht, mit dem ich auch in die Rechte und Verpflichtungen aller anderen religiösen oder nichtreligiösen Verpflichtungen eingreifen darf. Es ist sicher ein Menschenrecht, dass ich mich kleiden darf, wie ich will. Wenn der Arbeitgeber dort eingreift – z.B. soll ich in der Pizzeria mit schwarzer Hose und weißem Hemd bedienen, z.B. soll ich in der Konditorei nicht gepierct sein, z.B. soll ich im Skatershop nicht langweilig aussehen (Piercings erwünscht) – kann ich das akzeptieren oder nicht.
    Wenn eine Unternehmerin nur Frauen einstellen möchte, weil sie sich unter Frauen wohler fühlt, wäre das genau genommen eine Diskriminierung von Männern. Und Mannsein gehört ebenfalls untrennbar zur persönlichen Identität. Wollen Sie es der Unternehmerin verbieten nur Frauen einzustellen? Ich nicht. deix hatte auch ein Beispiel eines türkischen Arztes gebracht, wo ich das Ablehnen des Kopftuches nachvollziehen kann. Die Gründe für manche Entscheidung mögen zuweilen auch moralisch verwerflich sein. Wollen Sie eine Gesinnungsprüfung einführen? ich nicht.

    „Die zweite entscheidende Frage ist: Wie lassen sich das Recht auf Glaubensfreiheit und das Weisungsrecht des Arbeitgebers vereinbaren?“

    Gute Frage. Dazu drei Gedanken:
    1. Ich persönlich sehe nicht die Glaubenfreiheit an sich infrage gestellt, wenn verlangt wird, auf äußere Elemente während der Arbeitszeit zu verzichten.
    2. Wenn unterschiedliche Rechte – oder auch unterschiedliche moralische Vorstellungen – kollidieren, muss man entscheiden. Das hieße, man verlässt die Ebene, wo es um Gut und Schlecht, Richtig und Falsch geht und betritt die Ebene der Politik. Ich würde sagen, schon aus pragmatischen Gründen muss das Weisungsrecht des Arbeitgebers erhalten bleiben.
    3. In den meisten Fällen treten Probleme schon deshalb nicht auf, weil sich Dinge von selbst regeln. Der Anzugträger will gar nicht im Skateshop arbeiten, der gepiercte nicht in der Konditorei. An vielen Arbeitsplätzen sehe ich Frauen mit Kopftuch. Wer selbstständig ist, kann eh machen, was er will.

  5. deix sagt:

    @aloo masala
    Es ist verständlich, dass manche kopftuchtragende Frauen auch gerne pädogische Berufe ausüben würden und dafür auch intellektuell geeignet wären. Ebenso nachvollziehbar ist es aber, dass Eltern, die ihre Tochter in eine öffentliche Schule schicken, nicht wünschen, dass die Lehrerin etwas vorlebt, was sie für einen unaufgeklärten Aberglauben halten. Ein vermeintliches ewiges Gebot einer Verhüllungspflicht nur für Frauen, während die Glaubensbrüder ohne Bedenken ihr Haupthaar immer und überall unbedeckt öffentlich zeigen dürfen, steht ja tatsächlich in einem deutlichen Spannungsverhältnis zum Verbot geschlechtsspezifischer Diskriminierungen, welche durch das AGG ja auch bekämpft werden sollen. Dieser Standpunkt ist kein Vorurteil, gegen welches angekämpft werden muss, sondern eine sehr achtbare und rationale Einstellung, die Respekt verdient. Aus guten Grund ist es daher in der Türkei schon seit Jahrzehnten untersagt mit Kopftuch im öffenlichen Bildungssymstem zu unterrichten. Daran möchte auch die islamisch-konservativ geprägte Regierungspartei AKP einhelligen öffentichen Erklärungen zufolge nicht rütteln. Während man privat seine Religion in vollen Zügen ausleben kann, sind für die Ausübung beruflicher Rollenbilder verschiedene berechtigte Interessen unter einen Hut zu bringen.
    Die beste berufliche Karriereförderung ist für alle Gesinnungsgemeinschaften ein möglichst unverkrampfter Umgang mit reinen Äußerlichkeiten, was auch den Blick auf die wahren inneren Werte besser öffnet.
    Ich kenne viele Musliminnen, die nicht im Traum daran denken würden jemals ein Kopftuch aufzusetzen, genauso wie ich viele Katholiken kenne, welche die vorgeschriebene Ehelosigekeit für Prister ablehnen. Folglich ist die Ablehnung des Kopftuchs durch viele Firmen überhaupt kein Beleg für eine generlle Geringschätzung von Muslimen.

  6. Marie sagt:

    Es ist schon erhellend, mit welch an den Haaren herbei gezogenen Argumenten hier die Diskriminierung kopftuchtragender Frauen schön geredet wird, besonders der Herr (oder Frau) Mo ist da ja äußerst erfinderisch und kreativ.

    „Ebenso nachvollziehbar ist es aber, dass Eltern, die ihre Tochter in eine öffentliche Schule schicken, nicht wünschen, dass die Lehrerin etwas vorlebt, was sie für einen unaufgeklärten Aberglauben halten.“

    So,so – die Frau mit Kopftuch lebt also etwas vor. Aha – was denn, bitteschön? Und die Lehrerin mit Kreuz am Hals, die lebt nix vor. Und die Kruzifixe an Schulwänden mit dem Gekreuzigten dran, was man mit Fug und Recht als religiöse Gewaltdarstellung bezeichnen kann, die man kleinen Kindern zumutet, die leben auch nix vor.

    Der Herr Mo schwadroniert gar davon, dass die ganzen Verbote und die ganze Diskriminierung nur davon kommt, dass die Damen ihr Koptuch so wahnsinnig wichtig finden, sonst würde man es ja niemals und nimmer verbieten, wenn das bloß ne Baskenmütze oder ein Kreuz wäre. Aha. Na so was aber auch. Sehr logisch und sehr überzeugend. Ist ja gar nicht so einfach, Argumente für die Rechtfertigung von Diskriminierung zu finden. Da muss man schon sehr kreativ sein., die nicht auf den allerersten Blick erkennen lassen, wes Geistes Kind man ist. Da muss man schon seeeehr kreativ und erfinderisch sein.

  7. aloo masala sagt:

    @mo

    Bevor ich auf Ihre Argumente eingehe, möchte ich voranstellen, dass das AAG eine Regelung ist, die Menschenrechte nicht nur als Schutz vor dem Staat sondern als generellen Wert im Verhältnis der Bürger untereinander sieht, wobei ich Arbeitgeber als Bürger auffasse. Damit lässt sich alles das was ich sage, nicht nur auf den Staat beschränken, sondern gilt gleichermaßen für private Arbeitgeber.

    Die von mir genannten selektiven Verbote bezogen sich auf die Diskriminierungen in Europa. Gesetzlich sind religiöse Symbole für Staatsbedienstete verboten, durchgesetzt wird das beim Kreuz nicht. Das selektive Verbot ist daher eine Diskriminierung, weil trotz Gesetz selektiv eine Gruppe mehr Freiheiten hat als andere.

    Der andere Punkt bezieht sich auf die Zumutbar- und Verhältnismäßigkeit. Ich sehe hinsichtlich beider Kriterien einen qualitativen Unterschied, ob man eine religiöse Verpflichtung oder das Tragen eines Che-Guevara T-Shirts untersagt. Das Grundgesetz sieht das ganz ähnlich. In Artikel 4, Abs. 2 heißt es

    „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

    Wie Religionsfreiheit und Religionsausübung gemäß der internationalen Menschenrechte verstanden wird, hatte ich bereits in einer Antwort an deix beschrieben. Das beinhaltet auch das Tragen eines Kopftuchs. Politische Weltanschauungen oder Burschenschaften sind dagegen Beispiele, die nicht unter dem Begriff Religion fallen.

    Grundsätzlich vertrete ich ebenfalls die Zielrichtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, das allerdings eine pluralistische Neutralität und keine sterile Neutralität fördern möchte. Einschränkungen religiöser oder weltanschaulicher Symbole müssen sehr gut begründet und gleichzeitig zumutbar und verhältnismäßig sein. Der Arbeitgeber muss nachweisen, warum eine Einschränkung für das Unternehmen notwendig ist, ohne sich auf Kundenvorbehalte, also Diskriminierungen berufen zu können. Wenn der Arbeitgeber das überzeugend nachweisen kann, dann soll das Kopftuch verboten werden. Diesen Nachweis haben beispielsweise europäische Staaten beim Kopftuchverbot für Staatsbedienstete bisher nicht erbringen können.

    Aus Sicht der internationalen Menschenrecht besitzt der Wunsch des Arbeitgebers nach einem einheitlichen Erscheinungsbild der Bediensteten in der Öffentlichkeit ebenfalls keinen Vorrang vor dem Menschenrecht auf freie Religionsausübung. Das erklärt beispielsweise, weshalb Sikhs in Indien, den USA und UK ihren Turban beim Militär und bei der Polizei tragen dürfen.

    Ein Sikh als Arzt kann jedoch nicht darauf bestehen, seinen Turban während einer OP statt einer sterilen OP-Haube zu tragen. Hier wiegen verständlicherweise die Sicherheits- oder Hygienevorschriften schwerer als die Glaubensfreiheit.

    Zu Ihren 3 Gedanken:

    —-
    1. Ich persönlich sehe nicht die Glaubenfreiheit an sich infrage gestellt, wenn verlangt wird, auf äußere Elemente während der Arbeitszeit zu verzichten.
    —-

    Was sind für Sie „äußere Elemente“?

    —-
    2. Wenn unterschiedliche Rechte – oder auch unterschiedliche moralische Vorstellungen – kollidieren, muss man entscheiden. Das hieße, man verlässt die Ebene, wo es um Gut und Schlecht, Richtig und Falsch geht und betritt die Ebene der Politik. Ich würde sagen, schon aus pragmatischen Gründen muss das Weisungsrecht des Arbeitgebers erhalten bleiben.
    —-

    Wenn das Weisungsrecht des Arbeitsgebers dazu führt, dass bestimmte Gruppen systematisch benachteiligt werden, weil beispielsweise gegenüber dieser Gruppe Kundenvorbehalte bestehen, dann räumt man der Intoleranz und Diskriminierung ein größeres Gewicht ein als den Grundrechten der diskriminierten Menschen. Das ist ein Widerspruch zu den Vorstellungen, die wir in einer Demokratie von Menschenrechten haben.

    Folglich werden regelmäßig Maßnahmen ergriffen, um den Missstand bei der Weisungsbefugnis zu korrigieren. Das betrifft beispielsweise Frauen und Behinderte in den Chefetagen der Unternehmen, Universitäten oder im Staatsdienst.

    —-
    3. In den meisten Fällen treten Probleme schon deshalb nicht auf, weil sich Dinge von selbst regeln. Der Anzugträger will gar nicht im Skateshop arbeiten, der gepiercte nicht in der Konditorei. An vielen Arbeitsplätzen sehe ich Frauen mit Kopftuch. Wer selbstständig ist, kann eh machen, was er will.
    —-

    Ja, das ist richtig. Allerdings sind die Berufswünsche von Sikhs oder muslimischen Frauen ebenso breit gestreut wie von Angehörigen jeder anderen Gruppe auch. Das heißt, es gibt Sikhs, die mögen Anzüge und Sikhs, die mögen Skateboards.

  8. aloo masala sagt:

    @deix

    Vorweg, ich orientiere mich nicht an die Regelungen der Türkei sondern an menschenrechtlichen Standards. Die Türkei ist hier für mich definitiv kein Maßstab, ebenso wenig wie die Regelungen in einigen europäischen Staaten, die zudem noch diskriminierend umgesetzt werden.

    Zwischen religiöser Pflicht und anderen Grundrechten muss eine Abwägung stattfinden. Sie müssen allerdings gut begründen können, weshalb das Kopftuch eine geschlechtsspezifische Diskriminierung darstellt, wenn die Frau freiwillig das Kopftuch trägt und dem Mann gleichzeitig frei steht, ebenfalls sein Haupt zu verhüllen.

  9. Cengiz K sagt:

    …Die beste berufliche Karriereförderung ist für alle Gesinnungsgemeinschaften ein möglichst unverkrampfter Umgang mit reinen Äußerlichkeiten, was auch den Blick auf die wahren inneren Werte besser öffnet….
    Dann machen Sie das mal vor: Indem Sie Frauen verbieten wollen, ein Hijab zu tragen, verstoßen Sie gegen Ihre eigenen hier vorgetragenen Prinzipien.. Sie akzeptieren nur solche, die Ihrer Definition gemäß „neutral“ zu sein haben, ohne auf die von Ihnen gepriesenen „inneren Werte“ zu achten, indem Sie frauen mit Kopftuch per se ablehnen.. Da sind doch gerade für Sie „Äußerlichkeiten“ nicht einfach „Äußerlichkeiten“.. Sie sind ein glänzendes Beispiel dafür, wie der Kampf gegen Ausgrenzung und Xenophobie bei einem/R selbst anfängt..

    …Aus guten Grund ist es daher in der Türkei schon seit Jahrzehnten untersagt mit Kopftuch im öffenlichen Bildungssymstem zu unterrichten….
    Atatürk hatte bestimmt nicht im Sinn, gegen Diskriminierung anzugehen.. Seine Agenda war eine andere.. Es ist eine Wonne Ihre Beiträge zu lesen, dahingehend, wie Sie Dinge vermischen, nur um Ihre Argumentation pro Diskriminierung, , pro Ausgrenzung, pro Islamophobia, pro Tyrannei, so als wären sie ein Beitrag für eine aufgeschlossene und friedliche Koexistenz.. Sie sind doch (A)SPD-Wähler, oder?

    …Wenn eine Unternehmerin nur Frauen einstellen möchte, weil sie sich unter Frauen wohler fühlt, wäre das genau genommen eine Diskriminierung von Männern. Und Mannsein gehört ebenfalls untrennbar zur persönlichen Identität. Wollen Sie es der Unternehmerin verbieten nur Frauen einzustellen?…
    Ich denke niemand will das.. Es geht darum, dass Muslime in der BRD verteufelt werden, und in prekäre Lagen gezwungen werden.. Allein die Arbeitsmarktanalyse, oben zitiert, zeigt, dass (nicht nur) der beruflichen Selbstverwirklichung in Deutschland Grenzen gesetzt sind.. Deutschland nicht halb so tolerant ist, wie Sie es glauben machen möchten.. Sie können sich aber am allgemeinen Begriff der Diskriminierung aufhängen, nur um nicht das Offensichtliche diskutieren (und zugeben) zu müssen..

  10. mo sagt:

    @aloo masala
    Religion und andere Weltanschauungen sind grundgesetzlich absolut gleichgestellt. Wo sollte auch eine Grenze gezogen werden? Anerkennung von Religionsgemeinschaften gibt es nur in Form von Körperschaften des öffentlichen Rechts, die eben aber auch anderen Weltanschauungsgemeinschaften offensteht.

    „Die Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit schützt sowohl religiöse wie nicht religiöse Weltanschauungen und die Freiheit zur Bildung religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften; ferner die Freiheit, nichts zu glauben. (…) Art. 4 Abs. 1 und 2 GG stellt eine für jedermann geltende Freiheitsverbürgung dar, die nach ihrem Wortlaut an sich schrankenlos gilt, doch letztlich dort ihre Grenze findet, wo sie auf die kollidierenden Grundrechte andersdenkender Grundrechtsträger trifft.“(Bundeszentrale für politische Bildung)

    Was den Staat als Arbeitgeber betrifft ist das eine andere Sache. Da treffen ihre Argumente (in den meisten Fällen) zu.

    Was die Kollision von Rechten betrifft, so ist durch eine Nicht-Einstellung eines Arbeitgebers oder durch eine Kleidungsvorschrift, nicht das Menschenrecht auf Religionsausübung direkt betroffen, sondern allenfalls das Recht, in genau diesem Betrieb zu arbeiten.
    Mal angenommen, Sie haben einen Laden und ein junger Mann bewirbt sich, der ihnen als genau der richtige erscheint, kurz bevor sie den Vertrag unterschreiben, eröffnet er ihnen, dass er der größte Sarrazin-Fan aller Zeiten ist. Sie sagen, dass Sie sich unter diesen Umständen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit aber kaum vorstellen können. Am nächsten Tag kommt der Anwalt des Bewerbers und überreicht Ihnen eine Klage, dass Sie den Mann sofort einzustellen haben, weil Sie ihn aufgrund seiner Weltanschauung abgelehnt haben und damit gegen das GG (und zudem gegen die Menschenrechte verstoßen haben) und dies sei nunmal höher zu bewerten als ihr individuelles Recht. Dieser konstruierte Fall wäre sogar noch denkbar, weil Sie so frei gewesen wären, Ihren wahren Ablehnungsgrund zu offenbaren.
    Ich halte jedoch das Recht auf die Freiheit bei der Einstellung von Arbeitnehmern für unverzichtbar. In den meisten Fällen wird nach pragmatischen Gesichtspunkten ausgewählt, also ob jemand die nötigen Fähigkeiten aufweist, ob er oder sie zuverlässig ist etc. Realistischerweise muss man aber auch annehmen, dass gerade bei kleineren Unternehmen, der Gesichtspunkt Sympathie, die Frage, Passt die Person zum Unternehmen, oder auch das Aussehen eine Rolle spielen – und da eben Aspekte der Meinung oder Weltanschauung, sofern sie offen geäußert oder gezeigt werden, eine Rolle spielen.

    Äußere Elemente sind für mich Dinge, die Weltanschuungen oder Religiosität sichtbar machen, wie ein Kreuz-Anhänger, ein Che-Guevara-T-Shirt oder ein Kopftuch. Muslime haben immer wieder erklärt, dass das Kopftuch kein religiöser Zwang sei, da das Kopftuch-Gebot nicht im Koran stehe. Ich kann aber nachvollziehen (bzw. tolerieren), dass es für jemand persönlich unverzichtbar ist. Das wäre wie gesagt eine Sache, die – so bedauerlich es für die Person auch wäre – nicht zu dem Rechtsanspruch führen kann, in einem ganz bestimmten Unternehmen angestellt zu werden.

    Wo wir uns vielleicht einig sind, ist, dass es auch keinen Rechtsanspruch auf Neutralität – in privaten Unternehmen gibt. Wenn als ein Surfladen verlangt, dass alle Turban tragen, dann muss man das eben so akzeptieren. By the way, hätte ich einen Surfladen, würde ich liebend gerne einen Sihk einstellen. Cool. (Ich hoffe, ich damit keine religiösen Gefühle verletzt).