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Vergabepraxis von Ausbildungsplätzen

Jeder dritte Arbeitgeber lehnt Frauen mit Kopftuch ab

Dass Frauen mit Kopftuch es schwer haben, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden, war bekannt. Dass diesen Frauen aber mehr als jeder dritte Betrieb verschlossen bleibt ist neu und geht aus einer aktuellen Studie der Pädagogischen Hochschule Freiburg hervor.

Donnerstag, 15.08.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Sie sind hoch motiviert und bringen beste Voraussetzungen mit für einen Ausbildungsplatz – junge Frauen mit Kopftuch. Dennoch bleiben ihnen die Türen von mehr als ein Drittel (35,1 Prozent) aller Ausbildungsbetriebe verschlossen. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Erhebung an der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

Für die Untersuchung wurden exemplarisch kleine, mittlere und große Betriebe im Breisgau-Hochschwarzwald angeschrieben und nach der Vergabepraxis ihrer Ausbildungsplätze befragt. Mehr als 700 haben geantwortet – mit erstaunlicher Offenheit. Danach würden viele Betriebe (12,4 Prozent) eine Bewerberin nicht nur wegen dem Kopftuch ablehnen, sondern auch dann, wenn sie oder er den Islam praktiziert. Einen Homosexuellen würden der Erhebung zufolge 4,5 Prozent der befragten Betriebe ablehnen.

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Massive Einschränkung der Ausbildungschancen
Studienautor Prof. Albert Scherr sieht darin eine „massive einschränkung“. Im SWR-Fernsehen erklärte er, dass viele dieser Jugendlichen oft doppelt eingeschränkt seien in ihren Ausbildungschancen. Für Hartmut Möller von der Industrie- und Handelskammer Freiburg ist das nichts Neues. Er kennt die Gründe für die ablehnende Haltung der Betriebe: es sind Vorurteile und Ängste.

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Vor allem im Dienstleistungsbereich würden viele wegen des Kundenkontakts keine Musliminnen mit Kopftuch einstellen. „Wir können die Betriebe nicht zwingen, ihr Verhalten zu ändern. Wir können nur appellieren. Das Damoklesschwert des Fachkräftemangels hängt über den Betrieben und die müssten das jetzt endlich mal begreifen“, so Möller.

Politik in der Pflicht
Bereits am Dienstag hatte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) eine Studie vorgelegt, die die Ergebnisse der Freiburger Erhebung stützt. Danach ist die Benachteiligung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Migrationshintergrund im Bildungssektor oder auf dem Arbeitsmarkt weit verbreitet. Dass Frauen mit Kopftuch viel häufiger diskriminiert werden, ging auch schon aus der ADS-Erhebung hervor.

Vertreter türkischer und muslimischer Organisationen sehen die Politik in der Pflicht. „Es ist nicht mehr hinnehmbar, dass Menschen mit Migrationshintergrund in der Bildung oder auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden und die Politik immer noch keine Konsequenzen daraus zieht und Schritte zur Behebung von Diskriminierung verweigert, und das, obwohl immer wieder auch die Diskriminierung von staatlicher Seite belegt wird“, erklärte etwa Ayşe Demir, stellvertretende Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Diese Diskriminierungserfahrungen führten bei den Betroffenen zu Resignation und Frust mit negativen Auswirkungen auf Leistungen und Motivation.

Forderung nach AGG in Bundesländern
Demir fordert Allgemeine Gleichbehandlungsgesetze (AGG) in den Bundesländern und unabhängige Beratungs – und Beschwerdestellen damit Betroffene Anlaufstellen haben. „Solange Vorbehalten, Vorurteilen und Diskriminierungen nicht mit konsequenten Maßnahmen von staatlicher Seite entgegengewirkt wird, wird sich an dieser Situation kaum etwas ändern“, erklärte Demir.

Der Vorsitzende des Islamrats, Ali Kızılkaya, zeigte sich von den aktuellen Untersuchungen nicht überrascht. Die Ergebnisse bestätigten, was muslimische Religionsgemeinschaften schon lange kritisieren: „Von Kindesalter an sehen sich Muslime aufgrund ihrer Religion oder ihrer ethnischen Herkunft Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt“, so Kızılkaya.

Arbeiten am Kern des Problems
Das Bild des Islam und der Muslime in Deutschland werde durch die mediale Berichterstattung, aber auch durch teilweise islamfeindliche Rhetorik von Politikern mit Vorurteilen versehen. Es sei nicht verwunderlich, dass diese Darstellungsweise einen negativen Einfluss auf die Gesellschaft und alle Lebensbereiche habe. „Von Vorurteilen gegenüber Muslimen sind weder Lehrer an Schulen, Erzieher an Kindergärten noch Arbeitgeber in Unternehmen ausgeschlossen. Dadurch wird dann auch deren Handeln gegenüber Muslimen negativ geprägt“, erklärte Kızılkaya weiter. Er fordert nicht nur die Einrichtung von Beschwerdestellen, sondern auch ein Arbeiten am Kern des Problems, „nämlich dort, wo diskriminierende Einstellungen entstehen“. Sonst werde nur am Symptom gearbeitet, nicht aber an der Ursache.

Beunruhigt von den Studienergebnissen zeigte sich auch Ali Ataullah Demirezen, Präsident des Verbandes der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). „Dass Menschen aufgrund ihres Andersseins in dieser Gesellschaft benachteiligt und ausgegrenzt werden, ist inakzeptabel. Jeder Bürger dieses Landes, unabhängig seiner Herkunft, Hautfarbe oder Religion muss gleich behandelt werden“, so Demirezen. Der VIKZ-Präsident appelliert ebenfalls an Politik und Gesellschaft, Diskriminierung und Ungerechtigkeit stärker zu bekämpfen und Hilfsangebote für Betroffene zu fördern. Sonst würden unnötig Potenziale verschwendet und das gesellschaftliche Klima negativ beeinflusst.

Bereits in der Vergangenheit kritisierte der Dachverband der vier größten islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland, Koordinationsrat der Muslime (KRM), dem auch Islamrat und VIKZ angehören, staatliche Kopftuchverbote als schlechte Vorbilder für die freie Marktwirtschaft. Wenn schon der Staat Benachteiligung per Gesetz legitimiere, seien Nachahmer aus der Privatwirtschaft die selbstverständliche Folge, so der Vorwurf. (etb/sb) Gesellschaft Studien Wirtschaft

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  1. deix sagt:

    Höchst bedauerlich würde ich es finden, wenn wirklich 12,4 % der Firmen keinen Arbeitnehmer wegen seiner privaten islamischen Religionsausübung einstellen würden und 4,5 % keinen Homosexuellen. Das widerspricht klar den Werten des AGG und da ist wirklich die Politik gefordert. Mit den 35,1 % der Unternehmen, die keine Kopftuchträgerin wollen, sollte sich die islamische Glaubensgemeinschaft hingegen abfinden. Kruzifixe in Schulklassen sind ja nicht schwindender sondern zu Recht wachsender Kritik ausgesetzt. Es entspricht dem Wesen einer pluralistischer werdenden Gesellschaft, dass jedes religiöse (und auch weltanschauliche) Zeichen außerhalb des ganz privaten Bereichs nicht nur auf einhellige Zustimmung sondern aus den verschiedensten Gründen auch auf Ablehnung stoßen darf. Staaten haben ein Recht auf optische Neutralität in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht, private Unternehmen haben es auch. Dieser Grundsatz betrifft alle gleich und diskriminiert niemanden. Muhammad Sayyid Tantawi, einmal oberste religiöse sunnitische Autorität, hat die muslimischen Schülerinnen in Frankreich ausdrücklich aufgefordert das 2004 eingeführte optische Neutralitätsprinzip zu respektieren und auf das Kopftuch zu verzichten. Ich hoffe bald ähnlich Verantwortungsvolles von islamischen Religionsvertretern im deutschsprachigen Raum zu hören.

  2. Mathis sagt:

    Alle muslimischen Frauen, die ich persönlich kenne, tragen ihr Kopftuch aus voller Überzeugung oder sie tragen es aus voller Überzeugung nicht.
    Alle sind mir gleich sympathisch, weil ich alle als authentisch und mit sich im Reinen wahrnehme.Entspannung wird es in der Einstellungspraxis erst dann geben, wenn alle Beteiligten das in den Blick nehmen könnten, was im Berufsleben als erstes wichtig ist: die Fähigkeit, seine Arbeit möglichst gut zu machen.Mir erscheint zudem die „Vorschrift“, Kopftuch zu tragen unzulässig.
    Die verantwortlichen Verbände und Moscheevereine sollten sich klar machen, dass die Freiheit der Entscheidung Entscheidungsmöglichkeiten der Frauen zur Voraussetzung hat.Das könnte schon mal mit dem Verdacht aufräumen, Frauen würden zur Verschleierung genötigt.

  3. Cengiz K sagt:

    …Meiner Meinung nach gibt es vier Hauptgründe, warum aus abendländischer Sicht Kopftuch und Co. abgelehnt werden…
    Die punkte 2-4 können Sie ebenso unter Punkt 1 subsumieren.. Was auch immer der faktisch angegebene Grund sein mag, Ihr Punkt 1 ist der große gemeinsame Nenner..
    Und was die türkischen Communities betrifft, was die zu sagen hätten (plötzlich, wenn’s der Agenda passen sollte, könnte man/frau diese ja mal fragen *lach*), ist in der Sache zweitrangig.. Warum nicht die Bteroffenen selbst fragen.. Auf die Idee müsste man/frau erst mal kommen..

    …Das Halskreuz ist im Gegensatz zum muslimischen Kopftuch eher nicht wahrzunehmen, es sei denn,es soll ein modisches Statement sein, das dekorativ aufgepeppt gut sichtbar ist….
    Schikanieren, bis der Arzt kommt, aber wenn’s dem Herren gefällt, so ist Selbstbestimmung nicht mehr so wichtig? Netter Versuch..

    ..Mit den 35,1 % der Unternehmen, die keine Kopftuchträgerin wollen, sollte sich die islamische Glaubensgemeinschaft hingegen abfinden….
    Das ist so, als würde man/frau sagen: Wir sind gegen Diskriminierungen aber bei einem Drittel der betreffenden Unternehmen, drücken mer ma ahn Aug zu.. Das ist glaube ich noch nicht mal als Witz gemeint.. Bürgerpflichten ja, aber Rechte nein? Nein das kann kein aufgeklärterer Mensch tatsächlich erwarten..

    ..Staaten haben ein Recht auf optische Neutralität in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht, private Unternehmen haben es auch…
    Der Staat ist ein „Spiegelbild“ der Gesellschaft, sollte es zumindest sein.. Aber in der momentanen Lage (siehe Artikel) liegt eine Verzerrung vor.. Das könnte darauf hin deuten, dass der Staat und das politische Establishment nicht mehr imstande sind, die Bevölkerung, also das Volk, akkurat zu repräsentieren, sonst wären die angeführten Fakten nicht dermaßen drastisch.. Das Gleiche sehen wir beim Lohngefälle, Schulsystem, Arm-und-Reich-Schere, Ghettobildung, Fremdenhass, Mobbing (psychologisch kranke Gesellschaft), Kinderarmut, allg. gesellschaftliche Kälte usw.. Das ist der gelebte Sozialdarwinismus.. Insofern ist das mit der optischen Neutralität ein Hirngespinst..
    Die staatlichen Stellen machen entsprechend auch die ökonomischen Rahmenbedingungen.. Kriegen sie das nicht mehr hin , müssen die Sachwalter und Verantwortlichen ausgetauscht werden.. Besteht der Mangel der gesellschaftlichen Kongruenz weiterhin, so muss das System selbst irgendwann auf den Prüfstand.. Wie sagte unsere Kanzlerin in spe einmal: „Ein weiter so kann und darf es nicht geben!“ (osä) Und wie so oft lag sie auch damit falsch. Dass ein korrupter Systemfehler sie weiterhin nach oben spült, weil das „weiter-so“ sie weiterhin weiter so machen lässt.. Da ist es klar, dass auch die Privatwirtschaft keine Probleme damit hat, dass ein rassistischer Volksduktus weiterhin (weiter so) honoriert wird..

    ..Muhammad Sayyid Tantawi, einmal oberste religiöse sunnitische Autorität,..
    Was Tantawi zu lebzeiten gesagt hat oder nicht gesagt hat ist für viele MuslimA erst einmal unwesentlich.. Seine oberste Autorität ist für gläubige Muslime ohnehin nicht weiter von bedeutung.. Seine Scheihheit wird hier im Prinzip ganz gut erklärt:

    http://blogs.nd.edu/contendingmodernities/2011/03/01/al-azhar-beyond-the-politics-of-state-patronage/

    Ein Auszug:
    Nasser believed that creating a state-controlled monopoly on religion would be useful for buttressing his regime against both internal and external enemies. This policy of state manipulation of religion was scrupulously pursued by both of his successors, Anwar Sadat (1970-1981) and Hosni Mubarak (1981-2011), for the past forty years.

    Netter Versuch, gibt es da noch einen Anderen, einen, der kein Mubarak-Parteigänger war, den Sie, ob seiner Autorität zitieren möchten?
    Irgendwie wird doch Einem klar, warum ein paar besonders islamophobe Internetrevolutionäre dem Militär in Ägypten Beifall heischen, wenn dort Anhänger der MB zu Tausenden massakriert werden, und dem Sieg des Säkularismus frönen..

  4. Marie sagt:

    „Irgendwie wird doch Einem klar, warum ein paar besonders islamophobe Internetrevolutionäre dem Militär in Ägypten Beifall heischen, wenn dort Anhänger der MB zu Tausenden massakriert werden, und dem Sieg des Säkularismus frönen..“

    Das ist mir schon lange klar, haben die „Demokratieverteidiger“ hier doch von angeblicher Demokratie durch Militärputsch gesprochen. Kein Rassist sagt frei von der Leber weg; Schaut her, ich bin ein Rassist, und ich find das toll – alle verbrämen ihre Einstellungen in theoretisierendes Geschwätz und ganz besonders gerne schwatzen sie von angeblichen „Werten“. Das kommt hier zwar etwas „gehobener“ daher, als bei PI, der Sinngehalt ist allerdings genau derselbe.

    “ Mit den 35,1 % der Unternehmen, die keine Kopftuchträgerin wollen, sollte sich die islamische Glaubensgemeinschaft hingegen abfinden….“ – ne, das war ganz sicher nicht als Witz gemeint, Menschen mit diskriminierender Grundeinstellung sind der Meinung, eine Dritteldiskriminierung ist voll in Ordnung und die Diskriminierten sollen gefälligst dankbar sein, wenn sie nicht von 100% diskriminiert werden, sie verbrämen Ihre Einstellung in wohlfeile Worte von der Verfassung und der Pluralität, aber an ihren Gedankeninhalten sind sie leicht zu erkennen.

  5. southernrebell sagt:

    Interessant zu lesen,ob Kopftuch oder nicht. Hier sollte erwähnt werden,welcher Berufsweg eingeschlagen wird. Im öffentlichen Dienst wie bei der Polizei,Bundespolizei oder Zoll ist ein Kopftuch fehl am Platz,weil diese Berufe gegenüber dem Bürger(egal welche Nationalität oder Religion)neutral sein sollte.Aber nicht nur das Kopftuch sondern auch sichtbare Piercings,Tattoos oder Kreuz ist in diesen Berufen fehl am Platz. Aber in Allen anderen Berufen dürfte das Kopftuch kein Hindernis sein,solang die Sicherheit am Arbeitsplatz gewährleistet ist. Skeptischer sehe ich das eher bei einer Burka oder Vollverschleierung,wo man nur noch die Augen sieht.Da kann ich dann aber auch den Arbeitgeber verstehen, wenn er nein sagt.Ansonsten sollte es doch möglich sein,das man friedlich miteinander lebt.Jeder mus sich klar sein,egal welcher Nationalität oder Religion: Man hat nicht nur Rechte sondern auch Pflichten.

  6. posteo sagt:

    Also ein entsprechendes Präzedenz-Urteil wurde bereits im Jahr 2002 gefällt. Ich konnte leider nicht mehr den Artikel mit der genauen Aktennummer finden, aber inhaltlich gibt der folgende Artikel die juristische Entscheidung ebenfalls wieder:
    http://www.focus.de/finanzen/karriere/arbeitsrecht/tid-21202/burka-verbot-kopftuch-turban-burka-wann-der-chef-sie-verbieten-darf_aid_596075.html.

    Dieses Gerichtsurteil kann natürlich auch nicht verhindern, dass ein Arbeitgeber Träger/innen von religiösen Kopfbedeckungen unter anderen Vorwänden ablehnt, aber es schützt Arbeitnehmer zumindest davor, gekündigt zu werden, weil sie sich zu einem späteren Zeitpunkt für solch eine Kopfbedeckung entscheiden, oder, weil sich ein Kunde beschwert.

    PS: Gemäß dem AGG müssen auch Frauen-Fitness-Studios ihre Stellenangebote geschlechtsneutral formulieren, kurios, aber wahr.

  7. Deix sagt:

    @ posteo

    Es ist richtig, dass es eine Entscheidung des deutschen Bundesarbeitsgerichts zur Kündigung einer kopftuchtragenden Verkäuferin gibt, welche im Jahr 2002 veröffentlicht wurde. Damals war zu prüfen, ob die Kündigung im konkreten Fall den Kriterien des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) entpreche, was verneint wurde. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist erst im Jahr 2006 in Kraft getreten. Zu dieser antidiskriminierungsrechtichen Norm gibt es leider noch immer keine einzige Entscheidung eines Höchstgerichts, was sichtbare religiöse und weltanschauliche Zeichen in der privaten Arbeiswelt betrifft.

  8. Songül sagt:

    Lutheros schreibt:
    „Wer mit religösen Symbolen und offensiver religös gepräger Erscheinung am Arbeitsplatz auftritt, muss sich fragen lassen: was für Werte lebt jener? Ist dieser fähig, die beruflichen Anforderungen zu erfüllen? Oder sind Menschen, die ihre Religion so dominant vor sich hertragen, religöse Handlungen wie Gebete, Waschungen, aber auch Begrüßungen, wichtiger als die Regeln am Arbeitsplatz?“

    aloo masala kann die Argumentation nicht nachvollziehen und fragt:
    „Worauf stützen Sie Ihre Überlegungen, dass was sich auf dem Kopf befindet mehr über die berufliche Qualifikation aussagt, als das was sich im Kopf befindet?“

    saadiya schließt sich aloo masala an und argumentiert:
    „Es gibt keinerlei Zusammenhang zwischen Kopftuch und der Fähigkeit, berufliche Anforderungen zu erfüllen.“

    Ich wiederum kann die Argumentation bzw. Frage von aloo masala und saadiya nicht nachvollziehen und fasse lutheros (übrigens nicht Lynx! – dieser würde wahrscheinlich nie derart argumentieren, eher in die komplett gegensätzliche Richtung) Argumentation ganz anders auf:

    lutheros stellt die Qualifikation der augenscheinlich religiös auftretenden Personen überhaupt nicht in Frage. Er stellt lediglich die mE durchaus berechtigte Frage, ob die in diesem Fall augenscheinlich praktizierende Muslima auch bereit ist, alle beruflichen Anforderungen, wie z.B. dem anderen Geschlecht die Hand zur Begrüßung zu reichen, zu erfüllen, auch wenn diese, wie in angeführtem Beispiel, mit gewissen religiösen Geboten nicht zu vereinen sind.
    Selbstverständlich wird der typisch westlichen Begrüßungsform nicht in jedem Job eine grundlegende Bedeutung beigemessen, dafür in einigen wenigen Branchen wohl dafür mehr.

    Ob die praktizierende Muslima möglicherweise Zeit und Raum zur Verfügung gestellt wissen möchte, um ihren Gebeten nachkommen zu können ist die andere Überlegung, die lutheros anführt. Auch dies ist eine Frage, die durchaus in einem Vorstellungsgespräch gestellt werden kann.

    Nun kann man als Gegenargument aufführen, dass damit wieder mal nur die Frauen diskriminiert werden, weil den männlichen praktizierenden Muslimen sieht man in den seltensten Fällen ihre Religiösität an.
    Außerdem besteht die Wahrscheinlichkeit, dass derartige Fragen, wie z.B. die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft, von den Frauen falsch beantwortet werden dürfen. Laut Rechtsprechung dürfen Frauen in solchen Fällen lügen, dass sich die Balken biegen.

    Man muss auch nicht lange debattieren, das Kopftuch stellt eine religiöse Pflicht dar und hat mit Politik rein gar nichts am Hut. Nur zur Info: Das Kopfuch gab es schon viele, viele Jahre vor Gül und Erdogan. Von daher finde ich das von deix angeführte Beispiel von dem Arzt und seiner Praxis irrelevant, wenn nicht sogar fast lächerlich.
    Jedoch sollte man beachten, dass diese religiöse Pflicht bei Nichteinhaltung nicht zu einer Art islamischen Exkommunion führen würde. So etwas gibt es in der islamischen Religionslehre nämlich nicht. Nun gibt es Menschen, die geben gerne 100% und es gibt Menschen , die sind auch mit 80% zufrieden. Damit einhergehend ist es für viele Muslima vielleicht ein zu großes Opfer, dass sie nicht bereit sind einzugehen. Das muss jede für sich entscheiden.

    Überdies finde ich ist deix mit seinen Forderungen in seiner dogmatischen Art den muslimischen Extremisten sehr ähnlich.
    So wie sich die Extremen auf beiden Seiten eh in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich sind, aber das ist wieder ein anderes Thema ..

    WIr haben diese und ähnliche Diskussionen alle schon geführt. Mal ging es um Piercings, mal um Tattoos. Nur wer dem Schubladendenken verfallen ist, hält an überholten Klischeevorstellungen und Stereotypen fest, die der realen Vielfalt in keiner Weise gerecht werden.

    P.S.: Für meinen Surfladen kommt selbstverständlich nur ein hochgewachsener blonder Surfboy mit blauen Augen in Frage ;-)

  9. aloo masala sagt:

    @Songül

    Ich denke, die Frage von Lutheros führt zu nichts. Denn umgekehrt könnte man auch die ebenso berechtigte Frage stellen, ob jemand die beruflichen Anforderungen erfüllt, der anderen Personen in unverhältnismäßiger Weise elementare Grundrechte absprechen würde.

    Da die Debatte normativ ist, gilt sie ebenso für Männer, wie zum Beispiel für Sikhs, die nicht 5-mal am Tag beten gehen. Unklar ist mir auch, inwieweit Tattoos und Piercing geschützt sind. Die Religionsfreiheit ist ein universelles Menschenrecht, dazu zählt auch das Tragen eines Kopftuchs (z.B. laut UN).

    Die Frage, die als erstes zu klären wäre, ist für welche Werte wir stehen wollen und was wir letztlich unter der Unantastbarkeit der Würde des Menschen verstehen, aus der sich die Religionsfreiheit ableitet.

  10. Saadiya sagt:

    @Songül: „Ob die praktizierende Muslima möglicherweise Zeit und Raum zur Verfügung gestellt wissen möchte, um ihren Gebeten nachkommen zu können ist die andere Überlegung, die lutheros anführt. Auch dies ist eine Frage, die durchaus in einem Vorstellungsgespräch gestellt werden kann.“

    Diese Frage stellt sich nicht, denn jeder Arbeitnehmer hat normalerweise Pausen / oder wenigstens eine (je nach tägl. Arbeitszeit). Wie er diese verbringt – ob rauchend draußend vor der Tür, eine Möhre knabbernd oder auch betend – ist die Entscheidung des Arbeitnehmers. Die islamischen Gebetszeiten summieren sich eher am späten Nachmittag bis in den Abend hinein. In Berufen ohne Schichtdienst kommt es daher also nur zu maximal einer einzigen Gebetszeit während der Arbeit: Dauer ca. 5 min. Raucher sind da wesentlich öfter und in der Summe deutlich länger fern von ihrem Arbeitsplatz.

    Westliche Begrüßungsformeln sind für die Mehrheit der Muslime geläufig und werden von diesen selbst genutzt. Lediglich eine kleine Minderheit hält an der Tradition fest, dem anderen Geschlecht nicht die Hand zu reichen. Es gibt KEIN religiöses Gebot, dass es Muslimen grundsätzlich verbietet, das andere Geschlecht auf die hier übliche Art zu begrüßen. Auch wenn dies von extremen Gruppierungen der Muslime oft so dargestellt wird: Es gibt dazu keine Ableitung aus dem Koran.

    Übrigens: Auch für Japaner ist das hiesige Händeschütteln gewohnungsbedürftig, denn als höflich gilt hier die Verbeugung. Berühren gilt als unschicklich! In einigen Teilen Indiens ist es ebenso unschicklich. Wenn das Händeschütteln im Unternehmen unverzichtbar ist, dann merkt man meist bereits beim Vorstellungsgespräch einer potenziellen Bewerberin, wie diese es mit dieser Form der Begrüßung hält.