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Pointiert gefragt

Die angezweifelte Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland

Wie sollen sich Muslime/innen mit den zentralen Zielen der deutschen Mehrheitsgesellschaft identifizieren, wenn ihnen eine soziale Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft aberkannt wird, möchte Nurcan Akbulut zum Auftakt ihrer MiGAZIN Kolumne wissen.

Von Nurcan Akbulut Donnerstag, 22.08.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.08.2013, 12:15 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Der Islam ist ein Teil von Deutschland“, das ist ein Faktum, das sich anhand der ca. vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime/innen festmachen lässt, dennoch lautet das mehrheitsgesellschaftliche Diktum nach wie vor: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland!“ Wie können wir uns diese Divergenz erklären?

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Die schwelende Abneigung gegenüber dem Islam entspringt der beharrlichen Tendenz zur Fremdmarkierung von unterschiedlichen Kulturen und Religionen sowie der darauf basierenden Grenzziehung. Die Zuschreibung von Fremdheit anhand von wahrnehmbaren z.B. kulturell-religiösen Unterschieden geschieht nicht völlig unbedacht und dient nach Stuart Hall vorrangig dem Anliegen, „Identität zu produzieren und Identifikationen abzusichern“. Dies führt unweigerlich zu einer Stereotypisierung des als fremd deklarierten Anderen und offenbart sich in diversen – teilweise sehr widersinnigen – Vorstellungen über den Islam.

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Deutlich wird dies besonders daran, dass beispielsweise aufgrund des Bedeckungsgebots alle Musliminnen – ungeachtet dessen, dass der Islam den Frauen darüber hinaus weitreichende Rechte einräumt – zu Unterdrückten stilisiert werden und infolgedessen die Unterdrückung der Frau als Signum der islamischen Religion interpretiert wird. Auf diese Weise entsteht ein universell gedachter Rahmen quasi als Gegenstück zur europäischen Leitkultur, in den unter anderem aber insbesondere Muslime/innen hinein vermutet bzw. diskutiert werden, und dessen Konturen in regelmäßigen Abständen von Medienverantwortlichen gerne nachgezogen bzw. verschärft werden.

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Bereits der Literaturwissenschaftler Edward Said machte in seinen Orientalismus-analysen im Allgemeinen auf die Praxis der Fremdzuschreibung – Othering – und im Besonderen auf die machtdurchzogenen Strukturen der Orient-Okzident-Beziehung aufmerksam und konnte in verschiedenen Disziplinen der Orientalistik anhand der reduktionistischen Orient-Darstellung sowie der – häufig in simplifizierender Weise –inszenierten Orient-Okzident Gegenüberstellung die vom Westen beanspruchte Überlegenheitsposition gegenüber dem Orient offenlegen. (Mit reduktionistischer Orient-Darstellung ist die überwiegende Fokussierung auf arabisch-islamisch geprägte Kulturen gemeint.)

Diese Vorgehensweise verhalf zu einer ebenso undifferenzierten Selbstdarstellung, die sich besonders dadurch kennzeichnete, dass die dem Orient zugeschriebenen – zumeist negativ konnotierten – Attribute in ihr inhaltliches Gegenteil verkehrt wurden, wodurch wiederum eine westliche Identität maßgeblich begründet wurde. Zu diesem Zweck produzierte Orientbilder finden ihren erkennbaren Niederschlag beispielsweise im Karl Mays Orientzyklus sowie in den Märchen aus 1001 Nacht.

Heute leben viele Menschen aus dem imaginierten islamischen Orient in Deutschland und mir drängt sich förmlich die Frage auf, welchen Einfluss memorierte Orientbilder auf das hiesige interkulturelle, -religiöse sowie -ethnische Zusammenleben haben. Die mehrheitliche Ablehnung der Zugehörigkeit des Islam zur Bundesrepublik Deutschland lässt annehmen, dass die (un-)bewusste Anhäufung von verzerrten Orientvorstellungen, Fremdbildern, Vorstellungen über Muslime etc. einen fortwirkenden Einfluss auf die Gegenwart haben. Sie scheinen sich zu einer unüberwindbaren Fremdheit aufgetürmt zu haben, welche durch die ständige mediale Hervorhebung der Andersartigkeit der islamischen Religion aufrechterhalten wird.

Dabei dienen vor allem medienwirksame Diskurse über Muslime/innen als Ressource für die Bestätigung und Bekräftigung der Geltung von überlieferten Vorstellungen über den islamischen Orient, was darauf hinweist, dass viele Menschen in Deutschland gemessen an ihren überkommenen Fremdheitsängsten in ihren binären Denk- und Wahrnehmungsstrukturen verhaftet geblieben sind.

Info: Dieser Text ist eine kurze Zusammenfassung des Artikels „Die Kontinuität und Wirkmächtigkeit von Fremdheitskonstruktionen in antiislamischen Diskursen“, die hier zu finden ist.

Die tragische Tragweite der Angst vor Identitätsverlust und Unterminierung zivilisatorischer Gewissheiten bemisst sich an dem vorurteilsbelasteten Umgang mit Muslimen/innen, der häufig schnell in einen distanzierten, degradierenden und – leider auch – diskriminierenden Umgang mit rassistischen Zügen umschlägt.

Und es schließen sich weitere Fragen an, die ich gerne zur Diskussion freigeben möchte: Können Fremdheitsängste durch Assimilation verringert bzw. beseitigt werden? Wie sind öffentlich eingeforderte Integrationspostulate in diesem Zusammenhang einzuordnen und inwieweit sind sie vor dem dargestellten Hintergrund annehmbar? Und schließlich pointiert gefragt:

Wie sollen sich Muslime/innen mit den zentralen Zielen der deutschen Mehrheitsgesellschaft identifizieren, eine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, gesellschaftliche Chancen und Möglichkeiten wahrnehmen sowie eine intakte emotionale Bindung zu Deutschland herstellen, wenn ihnen aufgrund ihres zugeschriebenen Fremdheitsstatus eine soziale Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft aberkannt wird? Aktuell Meinung

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  1. Lillian sagt:

    Das Dilemma besteht meines Erachtens primär darin, dass die Gesamtgesellschaft vorurteilsbeladen ist. (es reicht ja schon hier einige Kommentare zu lesen).
    Unsere Gesellschaft ist (kulutur-)rassistisch, antiislamisch, sexistisch, antiziganistisch, antisemitisch. Nicht alle Menschen. Viele Menschen sind es. Mir persönlich ist es völlig egal, welche Hautfarbe oder Kleidung ein Mensch trägt. In der Diskussion mit meinen Mitenschen dringen die identitätsbezogenen Vorurteile und Ressentiments immer wieder an die Oberfläche. Oft kann ich mit Fakten kontern, dennoch ist das schwer, wenn ein Vorurteil zu einer gefestigten Meinung verwachsen ist. Und das ist in meinen Augen das eigentliche Problem. Ein nicht „bio-Deutscher nicht Christ“ kann so assimiliert sein, wie es nur geht. Bis zur völligen Selbtsaufgabe. Er/Sie wird für die Mehrheit nur eine Ausnahme sein. Mich macht das traurig. Es ist ein fundamentales Menschenrecht sein Leben nach eigenen Idealen zu gestalten. Egal, ob dieser Mensch jüdisch, chritlich, muslimisch, buddisthisch, oder einer anderen Relidionsgemeinschaft angehört. Für mich ist eine Grenze überschritten, wenn versucht wird zu missionieren. Aber das nervt mich bei allen Glaubensrichtungen!

  2. aloo masala sagt:

    ——
    Wie sollen sich Muslime/innen mit den zentralen Zielen der deutschen Mehrheitsgesellschaft identifizieren, eine gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, gesellschaftliche Chancen und Möglichkeiten wahrnehmen sowie eine intakte emotionale Bindung zu Deutschland herstellen, wenn ihnen aufgrund ihres zugeschriebenen Fremdheitsstatus eine soziale Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft aberkannt wird?
    ——-

    Wir gehören zu Deutschland. Punkt. Ich verstehe nicht, warum wir unsere Identität von anderen Menschen abhängig machen und in Frage stellen lassen. Hebt euren Kopf hoch und stellt nicht euch selbst in Frage, sondern stellt die Menschen in Frage, die abseits humanitärerer Prinzipen in der Gosse suhlen.

  3. Fayssal sagt:

    Das heutige Problem in Deutschland lässt sich nicht mit der Frage „Der Islam gehört oder gehört nicht zu Deutschland?“ simplifiziert. In den letzten Jahren hat es niemandem gestört, wenn eine islamische Gemeinde ein Platz im Industriegebiet findet, wo die Mitglieder ihre Religion ausüben können. Heute und mit dem steigenden selbstbewussten Auftritt von vielen „deutschen“ Muslimen werden massive Proteste gegen Aufbau von Moscheen und andere Dinge organisiert. Eine Wiederstand, die sowohl in der Schweiz als auch in Frankreich zu beobachten ist.
    Ich denke, im Kern geht es um mehr als die Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland, es geht um Rechte und Pflichte, die die „deutsche“ Muslime im Anspruch nehmen, die islamischen Institutionen wie alle anderen monotheistischen Religionen aufzubauen!

  4. Hassan sagt:

    Ein sehr interessanter Artikel. Das Thema hat mehr Aufmerksamkeit verdient.

  5. Wolfram Obermanns sagt:

    @ Ulfat
    Wer da ist, und bleibt gehört dazu.
    Welche Rolle der Islam bereichernd für D spielen kann ist noch offen. Dafür muß sich erstmal sowas wie eine muslimische Community etablieren, die heute noch zu sehr zersplittert ist. Bevor nicht der intrareligiöse Dialog auf Vordermann gebracht worden ist, kann der interreligiöse Dialog nicht die Früchte tragen, die der numerischen Bedeutung der Muslimen in unserer Gesellschaft entspricht.
    Immerhin reicht innermuslimische Zusammenarbeit schon so weit, daß Atheisten aufheulen, sie wollen auch mal bei den Feiertagen bedacht werden. Das läßt für den Islam in D stark hoffen.

    Äpfel und Ananas gehören in den Bauch.

  6. deix sagt:

    Der Islam gehört zu Deutschland – genauso wie die lange Liste weiterer Religionsgemeinschaften und die 37 % Konfessionslosen.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Religionen_in_Deutschland

    Ich bin dafür von den derzeit bestehenden datumsmäßig für alle fix gebundenen gesetzlichen Feiertagen einmal einen in einen variabel festlegbaren umzuwandeln. Das wäre ein Schritt, welcher der zunehmenden gesellschaftlichen Pluralität Rechnung trägt.

    In Österreich haben wir ein solches Modell gewissermaßen schon. Evangelische, die hierzulande eine Minderheit unter 5 % sind, müssen am Karfreitag nicht arbeiten und bekommen trotzdem bezahlt. Das läuft schon seit über 50 Jahren sehr gut. Es merkt gar niemand, dass die paar Prozent am Karfreitag fehlen. Es ist aber unfair und auch verfassungsrechtlich bedenklich ein solches Vorrecht nur einer ausgewählten Religionsgemeinschaft zukommen zu lassen. Deshalb kann ich auch nicht für zusätzliche Feiertage für Moslems – in welcher Form auch immer – sein, weil sich dadurch zu Recht die vielen anderen religiösen und weltanschaulichen Richtungen benachteiligt fühlen würden.

    Für ein sehr zukunftsträchtiges und diskriminierungsfreieres Modell halte ich es hingegen für alle Arbeitenden – unabhängig von Religion oder nichtreligiöser Weltanschauung – einen solchen individuell bestimmbaren Feiertag einzuführen. Was für die Evangelischen in Österreich schon lange klappt, funktioniert für alle!

  7. Die Emotionale sagt:

    Die meisten christlichen Feiertage in Deutschland sind religiös gebundene Feiertage. Sollten die beiden Grosskirchen wie Katholiken oder die evang. Kirche diese Feiertage wieder abschaffen (wie z.B. Ostern, Weihnachten usw.), bleiben nur noch wenige weltliche Feiertage wie zum Beispiel der 3. Oktober. Dann können z.B. am Karfreitag Jugendliche tanzen soviel sie wollen, voher „müssen“ sie aber Arbeiten oder sich an diesem Tag frei nehmen ;-)

    Resümee: Wir haben nicht zu wenige Feiertage, wir haben zu viele!