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Bundestagswahl 2013

Der Kampf um „russische“ Stimmen

„Tschto delat?“ Wer das verstehen kann, gehört höchstwahrscheinlich zu den mehr als drei Millionen russischsprachigen Wählern in Deutschland. Doch wie geht die Politik mit dieser Gruppe um? Fühlt sie sich in Deutschland repräsentiert? Antworten dazu gibt es vom Historiker Dmitri Stratievski.

Von Montag, 16.09.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.10.2015, 14:47 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

An einem Freitagabend versammelten sich mehrere Menschen in der Berliner Jugendbegegnungsstätte „Schalasch“. An diesem Tag fand eine Veranstaltung der neugegründeten „Aussiedler und Migranten Partei Deutschland“ (EINHEIT) statt, deren Bundesvorsitzender extra aus Köln eingereist war. Die ganze Diskussion erfolgte auf Russisch. Die Kernidee der Partei ist simpel: Die Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion seien in der deutschen Politik völlig unterrepräsentiert. Die etablierten Parteien hätten sich um die russischsprachigen Migrantinnen und Migranten nicht gekümmert und würden das auch künftig kaum tun.

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Auf der Leinwand lief eine Präsentation mit Angaben zum Anteil der Abgeordneten mit Migrationshintergrund auf Landes- und Bundesebene. Fazit: Wir seien dazu verpflichtet, mit einer eigenen poltischen Kraft unsere Interessen zu verteidigen. Teil des Publikums fand eine solche Auffassung richtig. Diplom-Erzieherinnen, Naturwissenschaftler und Ingenieure, die bereits seit über 15 Jahren im Land leben und den deutschen Pass besitzen, erzählten aufgeregt über eigene Karrieredramen, Dauerarbeitslosigkeit und demütigende Behördengänge.

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Ein gut situierter Geschäftsmann schilderte bürokratische Hindernisse für Existenzgründer. Über alle im Parlament vertretenen Parteien wurde geschimpft. Ein älterer Russlanddeutscher hätte einen Bundestagsabgeordneten aus seinem Wahlkreis mehrmals angeschrieben. Das Anliegen schien für den Herrn sehr wichtig zu sein. Der Abgeordnete hätte allerdings die Briefe nie beantwortet.

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Von der Politik ignoriert?
Ist es wahr? Werden die Bedürfnisse der russischsprachigen Menschen von der Politik ignoriert? So scheint es zumindest auf dem erten Blick. Oder können wir die Stimmen aus der russischsprachigen Versammlung nur als bedauerliche Einzelschicksale betrachten? Jein. Längst gibt es in etablierten Parteien spezielle Gremien für Migration und Integration – im Übrigen auch Gremien, die speziell die russischsprachigen Menschen hierzulande ansprechen. Meine Gesprächspartner zeigten Interesse. Viele kannten die verschiedenen Parteiprogramme nur oberflächlich. Wir vereinbarten Termine.

Ein bitterer Nachgeschmack blieb. In einigen Teilen unserer Bevölkerung sind Absonderungstendenzen vorhanden, da sie sich nicht zur gesamtdeutschen Gesellschaft zugehörig fühlen. Das ist ein Warnzeichen für die etablierte Parteien. Den Kleinparteien ist das dagegen eine willkommene Entwicklung.

Kleinparteien im Kampf um Stimmen der Russischsprachigen
Die besagte „Aussiedler und Migranten Partei Deutschland“ versucht, eher die linksorientierte russischsprachige Wählerschaft für sich zu gewinnen. Die Konservativen haben eigene Angebote erstellt. Alexander Gauland, stellvertretender Bundessprecher der „Alternative für Deutschland“ und früherer CDU-Staatssekretär, hat vor Kurzem das außenpolitische Positionspapier seiner Partei vorgelegt. Das Verhältnis zu Moskau nimmt dabei einen zentralen Platz ein. Offensichtlich verfolgt die AfD mit ihrem Appel um mehr Verständnis für die russischen Interessen im postsowjetischen Raum in erster Linie nicht außenpolitische Ziele – sofern AfD-Äußerungen in Moskau überhaupt gehört werden, sondern hat innenpolitische Beweggründe. Sie bemüht sich, von der Nostalgie und der verbreiteten Meinung im Kreis der Russischsprechenden, Russland sei vom Westen zu hart behandelt, zu profitieren. Die Partei rekrutiert derzeit russischsprachige Menschen sehr aktiv, so sind bereits mehrere Austritte aus der CDU und Eintritte in die AfD zu verzeichnen.

Eine Idee, die Politik nach dem Prinzip des Herkunftslandes zu gestalten, kann demnächst eine mächtige finanzielle Spritze bekommen. Nikolaus Werner, der aus Moldawien stammende Medienmogul und Inhaber einer deutschen Unternehmergruppe mit einem zehnstelligen Jahresumsatz, kritisiert in seinem Blog die deutsche politische Landschaft scharf und kommt zum Schluss, dass „Russischsprachigen sich vereinen und eigene Parteien gründen müssen, um auf allen Ebenen ihre Rechte zu verteidigen“. Eine Mischung aus Frustration und Geld birgt eine klare Gefahr: Populismus. Denn jede Ethnisierung der Politik in einer Einwanderungsgesellschaft führt zur Polarisierung der Parteienlandschaft, zerstört Programmatik und bringt Allheil-Versprechungen als Folge mit sich.

„Tschto delat?“
1863 schrieb der russische Schriftsteller Nikolaj Tschernyschewskij das Buch unter dem Titel „Tschto delat?“ (Was tun?) Seitdem beschäftigt sich die russische Intelligenz permanent mit dieser Frage. Was können die etablierten Parteien im Hinblick auf gegenwärtige Situation tun? Wie können sie dieser Herausforderung entgegenhalten? Eine einfache Antwort wäre: Mehr Migranten in politische Ämter zu bringen, darunter Russischsprechende.

Laut Handelsblatt fühlen sich zwei Drittel der Migranten in Deutschland politisch nicht gut genug vertreten. Das ist aber nur eine Teilantwort. Dafür braucht man mehr Nachwuchs. Die Parteiangebote sind auf Bedürfnisse der Menschen mit Migrationshintergrund bei weitem nicht zugeschnitten. Unseren Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationsgeschichte fällt es schwer, durch den Dschungel der innerparteilichen Bürokratie zu kommen, sich in der Partei einzuleben und ein inhaltliches Profil in der Parteiarbeit zu finden. Je mehr Aufklärung von den Parteien und in den Parteien geleistet wird, die Fachgruppen mit dem Belange der (hier) Russischsprachigen gezielt arbeiten werden und diese Vorschläge in der Community in Deutsch und Russisch bekannt werden, desto weniger werden in Moskau, Kiew oder Astana geborene Menschen in eine Populismus-Falle geraten. Leitartikel Meinung

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