Brückenbauer
Von Mücken, Burkinis und Elefanten im Schwimmbad
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hält Roman Lietz zwar für einen weisen Kompromiss. Die Art und Weise, wie es medial aufbereitet wird, suggeriere jedoch wieder einmal das übliche Bild der integrationsunwilligen Muslima.
Von Roman Lietz Montag, 16.09.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 15.07.2015, 14:03 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Ohne Andersdenkende müssten wir auch nicht über Freiheit reden. Jeder von uns ist aber ein Andersdenkender, der Freiheit für eigene Standpunkte, Sichtweisen und Lebensentwürfen sucht. Das Streben nach Freiheit verbindet uns, schafft aber keine Verbindlichkeit. Verbindlichkeit gelingt durch andere Werte, Rechte, Pflichten. Der Spagat zwischen Freiheit und Verpflichtung ist nur über Kompromisse lösbar.
In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht in dieser Woche einen Kompromiss zwischen Schulpflicht und individueller Freiheit gesucht: Eine muslimische Schülerin wurde verpflichtet am Schwimmunterricht teilzunehmen. Die Schul- und Schwimmpflicht schlägt in diesen (und anderen) Fällen das Freiheitsrecht. Die Schülerin behält die Freiheit ihren Körper mit einem Ganzkörperbadeanzug vor Blicken zu schützen. Ihr Wunsch, andere Badegäste nicht leicht bekleidet sehen zu müssen, wurde jedoch abgewiesen. Wer für sich Freiheit in Anspruch nehmen möchte, muss sich mit ungewöhnlichen Lebensentwürfen anderer arrangieren. Das gilt für die Bikini-Trägerin ebenso wie für die „Burkini“-Trägerin. Freiheit ist eben immer die Freiheit des Andersdenkenden.
Das waren jetzt schon wieder 150 Wörter über das „Burkini-Urteil“. Nahezu jede Zeitung berichtet an hervorgehobener Stelle über diesen Rechtsstreit. Nur selten wird dabei erwähnt, dass die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Urteils eher marginal ist. Laut der Studie Muslimisches Leben in Deutschland (S.184) verzichten nur rund zwei Prozent der muslimischen Schülerinnen aus religiösen Gründen auf den koedukativen Schwimmunterricht. Rund 53 % der muslimischen Mädchen springen zusammen mit ihren Klassenkameraden ins Schwimmbecken. In den meisten übrigen Fällen wird getrennter oder gar kein Schwimmunterricht angeboten.
Bildlich gesprochen hat das Thema also die Relevanz eines Mückenschwarms, der sich ins Hallenbad verirrt: Für die unmittelbar betroffenen Personen einschränkend, frustrierend aber mit etwas Aufwand ist ein Arrangement möglich. Die Art und Weise, wie das jüngste Urteil medial aufbereitet wird, suggeriert jedoch wieder das übliche Bild der integrationsunwilligen Muslima, deren Wertekanon vermeintlich nicht zur „abendländischen“ Kultur passt. Präsentiert wird uns ein Elefant im Schwimmbad: Sensationell, extravagant und bedrohlich. Aktuell Meinung
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Kulturrassismus ist es, wenn man christlichen Bundesländern getrennten Schwimmunterricht flächendeckend! zugesteht und gegen auch jüdische Traditionen, die in Körperverletzung von männlichen Babies und Kleinkindern bestehen, nichts einzuwenden hat. Kulturrassismus ist es, wenn man muslimische Mädchen in einen gemischten Schwimmunterricht zwingt, ihre Eltern als „Aggressoren“ übelst beschimpft, die „Kinderkörper sexualisieren“ würden und für Zwangsbehandlung plädiert, getarnt unter dem Deckmantel einer angeblichen „Befreiung“, von der die angeblich zu „Befreienden“ nichts wissen wollen, während man die Geschlechtertrennung im Falle der christlichen „Tradition“ für nicht bekämpfenswert erachtet und die flächendeckend im Schwimm- und Sportunterricht getrennten Geschlechter weder zwangsbefreien, noch zwangsbehandeln will und in diesem christlichen Falle auch keine angeblichen „Aggressoren“ entlarvt und lauthals attackiert, die „Kinderkörper sexualisieren.“
Besonders perfide ist es, wenn man den Kulturrassismus unter dem Deckmäntelchen angeblich behandlungsbedürftiger Krankheitszustände auslebt und die Menschenrechte bemüht, um missliebigen Kulturen die Menschenrechte zu verweigern und dabei gar die Chuzpe besitzt, die Hetze mit dem Schild „Appell gegen Rassismus“ zu versehen.
Deshalb kann Herr Özcan auch nicht die einfachen Fragen bezüglich seiner Einstellung zu Körperverletziung an unschuldigen, nicht einwilligungsfähigen Babies und Kleinkindern beantworten, ebensowenig Auskunft geben zu der Frage, was er gegen die durch christliche „Aggressoren“ verursachte flächendeckende „Sexualisierung von Kinderkörpern“ in christlichen Bundesländern an Zwangsmaßnahmen anwenden gedenkt.
Er liegt m.E. auf einer Linie mit Hetzern vom Schlage Kelek und vielen anderen, die nicht müde werden, Kopftücher, die Nichtteilnahme am gemischten Schwimmunterricht und andere Lappalien zum Untergang des christlichen Abendlandes und Beleg für „Integrationsverweigerung“ zu stilisieren, um die Minderwertigkeit der deshalb zu bekämpfenden muslimischen Kultur gegenüber der christlichen Kultur zu beschwören und so die Vorlage und das Gedankengerüst für PI und andere Muslimhasserseiten und den Rassismus in breiten Teilen der Gesellschaft zu liefern.
@Bettina W.
Die Idee, den Lehrplan mittels Religion außer Kraft zu setzen, dürfte nicht von 10 bis 11-jährigen muslimischen Mädchen stammen, sondern von ihren Eltern kommen, wie diese Sportlehrerin bestätigt:
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2248288/
Die Mädchen selbst würden in der Regel gerne am Schwimmunterricht teilnehmen, wenn man sie ließe.
@ Josef Özcan: „… es ist hier auch das Argument des Schamgefühls abwegig, weil sowohl die Badehose als auch der Bikini die einzig relevanten “Schambereiche” bedecken … “
Das ist so aus ihrer persönlichen Perspektive. Muslime haben aber eine andere Perspektive, dort sind die Schambereiche des menschlichen Körpers anders begrenzt als in unserer westlichen Sicht.
@ Marie Ich kann Ihnen nur zustimmen. Sie haben völlig Recht!
@Bettina W. : „ssimilieren heißt, dass man sich komplett dem Mainstream anpasst, ein teilweises anpassen nennt man immer noch “integrieren” und das zu forden ist ja wohl mehr als legitim. “
Liebe Frau W. Integration ist keine Einbahnstraße, die nur von den Zugewanderten zu erbringen wäre. Integration ist vielmehr ein beidseitiger Prozess. Es ist daher legetim, dass hier lebende Muslime, die sich als Teil unserer Gesellschaft sehen (und sich damit eigentlich schon integriert haben), inzwischen auch freiheitliche Rechte für sich einfordern, die auch anderen Individuen in unserer Gesellschaft zustehen, als da wären: freie Religionsausübung, Meinungsfreiheit, Selbstbestimmungsrechte (wie führe ich mein Leben, wie kleide ich mich, was mache ich in meiner Freizeit, in welchem Beruf lasse ich mich ausbilden usw.). Man kann also durchaus von der deutsche Gesellschaft verlangen, dass sie sich den geänderten Bedingungen in der Zusammensetzung der Bevölkerungsstruktur im Lande „teilweise anpasst“ und Menschen muslimischen Glaubens, die eben auch Bestandteil der hiesigen Gesellschaft sind, nicht die abendländische Lebensweise aufzuzwingen versucht.
@Lionel
Gestolpert bin ich über folgenden Satz: „Muslimische Mädchen dürfen nicht, durften nie irgendwo übernachten. Da wurde es den Vätern oder älteren Geschwistern erlaubt, die Kinder am Abend abzuholen, die schlafen zu Hause, und am Morgen wieder hinzubringen.“
Was denken denn diese Väter über ihre Töchter? Oder wahlweise über Schulen und Lehrer? Oder stimmt das vielleicht gar nicht?
@Bettina W. : “ solange religiöse Menschen glauben sich über weltiche Kompromisse mit hilfe von Gerichten hinwegsetzen zu können.“
Solange „weltliche Kompromisse“ meinen, sie seinen die einzig lebbare Alternative, solange werden „religiöse Menschen“ mit Hilfe von Gerichten versuchen, deutlich zu machen, dass es in Deutschland die Freiheit zur Wahl und Ausübung einer Religion gibt. Es ist im übrigen kein Kompromiss, wenn ich auch von anderen verlange, so zu leben, wie ich es für richtig halte.
Bettina W. : “ Und es tut mir leid ich kenne kein muslimisches Land in dem der dort gelebte Islam mit unserem Religionsverständnis überein zu bringen ist.“
ich kenne auch keine muslimischen Länder. Im allgemeinen haben Länder und Staaten keine Religion. Zum anderen: Es geht in Deutschland nicht um das religiöse Leben von Menschen in anderen Staaten, sondern um die Tatsache, dass der Islam eine Religion ist, die auch in Deutschland gelebt werden darf. „Unser juristisches Religionsverständnis“ ist es, dass eben jeder seine Religion haben darf und die Religionsgemeinschaften darüber entscheiden, wie sie ihr religiöses Leben gestalten. Muslime verstoßen mit ihrer Religionsausübung nicht gegen Gesetze, sondern sie nutzen die hier bestehenden Gesetze, um deutlich zu machen, dass sie auch Bestandteil des Lebens hier sind und der Gesetzgeber seine Gesetze für alle im Land lebenden Bürger gestaltet und nicht nur für die Urdeutschen. Vielleicht haben Sie die Entwicklung im Lande verpasst, aber „der Islam ist inzwischen auch Deutscher. „
@Saadiya
Es lässt sich nicht alles mit dem Argument Religion oder Kulturunterschiede stummschalten. Wenn Väter ihre Töchter bei Klassenfahrten jeden Abend abholen kann mich persönlich das kalt lassen, aber wäre ich Lehrer, würde ich da schon was zu sagen. Ich kann nicht nur, weil es sich um Muslime handelt, schweigen oder andere Maßstäbe anlegen als bei anderen. Oder sind muslimische Mädchen einfach kulturell mehr zur Unterordnung „befähigt“? Sollen wir wirklich, wenn es um ein Verhalten geht, was wir bei jedem Westler kritisieren, nur aus „kulturellen Gründen“ Augen, Mund und Ohren zuhalten? DAS wäre rassistisch. Wir machen uns also über piefige Christen lustig, kritisieren die katholische Kirche wegen ihrer krankmachenden Tabuisierung von allem, was mit Körper zu tun hat, finden das aber okay, wenn es Muslime sind? Das ist Rassismus pur.
Sehr richtig, dass Muslime Bestandteil des Landes, in dem sie leben, sind. Aber dann sollen sie sich auch am kulturellen Diskurs beteiligen. Bitte, warum dürfen muslimische Mädchen nicht bei Klassenfahrten wie alle anderen in Landschulheimen übernachten? Was steckt da für ein Bild hinter? Vom Westen? Von Frauen?
@mo
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Ich kann nicht nur, weil es sich um Muslime handelt, schweigen oder andere Maßstäbe anlegen als bei anderen. Oder sind muslimische Mädchen einfach kulturell mehr zur Unterordnung “befähigt”?
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In prinzipiellen Dingen kann man sich keine Doppelstandards leisten. Doch in solchen Fragen,wie den oben genannten, sollte man unterschiedliche Maßstäbe anlegen. Man kann das auch Verständnis oder Entgegenkommen nennen. Oder auch leben und leben lassen. Es tut niemanden weh und stören tun sich nur die daran, denen es egal sein kann.
Sie bewerten den Fall mit Ihrem kulturellen Maßstab und kommen zu einem hypothetisch negativen Ergebnis (kulturell bedingte Unterordnung).
Werfen wir einen Blick nach Indien. Dort würde die Mehrheit der Hindus, Muslime, Sikhs, Jains oder Christen ihren Töchtern kaum Übernachtungen dieser Art gestatten. Das ist also völlig unabhängig von der Religion.
Erzählt man nun einem durchschnittlichen Inder in Indien über westliche Verhältnisse, dann urteilt er natürlich nach seinen eigenen Maßstäben: „Kümmern sich die deutschen Väter denn überhaupt nicht um ihre Töchter?“ Diesen Vorwurf würden die meisten deutschen Väter mit Entrüstung und auch völlig zu Recht weit von sich weisen.
Manche Dinge lassen sich einfach nicht mit den eigenen Maßstäben beurteilen. Diese Dinge haben auch nichts mit Integration zu tun. Das sind Dinge die den privaten Lebensentwurf von Menschen betreffen. Das sollte man respektieren, statt ähnlich wie unser Durchschnittsinder gleich etwas Negatives unterstellen. Der Vater will aus seinem kulturellen Verständnis das beste für seine Tochter. Deutsche Väter wollen das auch. Man kann nicht von einem Auswanderer verlangen, dass er seine Identität über Bord wirft. Dazu hat Neşe Tüfekçiler von Migazin ein nettes und passendes Gedicht geschrieben:
http://www.migazin.de/2013/09/13/nicht-sein/