Rezension zum Wochenende
Zigeuner. Begegnungen mit einem ungeliebten Volk – ein Buch von Rolf Bauerdick
Seit der der EU-Osterweiterung 2007 schießen „Roma-Experten“ wie Pilze aus dem Boden. So auch Rolf Bauerdick. Er brachte ein Buch heraus, das schwerlich dazu führen wird, antiziganistische Einstellung der deutschen Bevölkerung zu senken.
Von Dr. Michael Lausberg Freitag, 20.09.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 27.09.2013, 14:18 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Im Zuge der EU-Osterweiterung 2007 siedelten sich Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien, darunter auch Roma, in bundesdeutschen Städten an. Seitdem schießen „Roma-Experten“ innerhalb der autochthonen Dominanzgesellschaft wie Pilze aus dem Boden: In drittklassigen Talkshows, in Kolumnen von Printmedien oder in politischen Kreisen finden sich Stellungnahmen von Personen, die schon immer alles wahlweise über „die Roma“, „das Volk der Roma“ oder schlimmer noch über „die Zigeuner“ wussten. Dazu gehört auch der Journalist Rolf Bauerdick, der im DVA-Verlag Anfang 2013 ein Buch mit dem vielsagenden Titel „Zigeuner. Begegnung mit einem ungeliebten Volk“ herausbrachte.
Schon der Gebrauch des Wortes „Zigeuner“ ist eine Provokation und eine Hommage an diejenigen Leser, die aus den jahrhundertelangen Verfolgungen von Sinti und Roma in Deutschland nichts gelernt haben oder lernen wollen. Der „unerschrockene Polemiker“ 1 Bauerdick sieht die Wortschöpfung „Zigeuner“ als „ehrenwerten Begriff“ (166) und liefert einige Beispielen, wo Roma selbst den Begriff „Zigeuner“ akzeptieren. Laut Bauerdick hätten nicht näher genannte „Meinungsbildner in den Medien die Ächtung des Begriffs ‚Zigeuner‘“ durch den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma „weitgehend zu ihrer eigenen Sache“ gemacht und damit „die Sichtweise der Funktionäre zur Norm erhoben“ (175). Wahrscheinlich meint Bauerdick damit bekannte Antiziganismusforscher wie Markus End, Wolfgang Wippermann, Klaus-Michael Bogdal, Wilhelm Solms usw. Bauerdick selbst bekundet seine „Abneigung gegen die stereotype Verwendung des Begriffspaares ,Sinti und Roma‘“.
Dass eine kleine Minderheit den Begriff „Zigeuner“ als Selbstbezeichnung wählt, ist unbestritten. Von der großen Mehrheit wird der Begriff „Zigeuner“ jedoch als diskriminierendes Konstrukt der Dominanzgesellschaft unter anderem von Zentralrat Deutscher Sinti und Roma abgelehnt. Die Sinti Allianz Deutschland aus Köln akzeptiert die Bezeichnung auch nur dann, wenn das Wort wohlmeinend gebraucht wird.
Bauerdick, der „weit mehr als einhundert Reisen zu Zigeunern in zwölf europäischen Ländern unternommen“ (17) haben will, beklagt ein „intellektuelles Klima, in dem sich politisch Korrekte Meinungen gegen jedes Erfahrungswissen behaupten wollen“. (15) Er will durch sein „Erfahrungswissen“ die „Akademiker“ widerlegen. (71) Damit verfolgt er die Absicht, als zuverlässiger Insider zu erscheinen, um seine Glaubwürdigkeit zu untermauern. Dabei ist sein Blickwinkel, wie sich seinem Untersuchungsgegenstand Roma annähert, höchst fragwürdig und unseriös. Bauerdick schafft es nicht, sich von den Normalitätsvostellungen seiner eigenen westlichen Kultur zu distanzieren und eine andere aus dessen eigenem Kontext zu begreifen. Das, was Bauerdick als Realität vorgibt, ist lediglich eine individuelle Interpretation seiner Begegnungen mit Roma. Seine Herangehensweise erinnert stark an Erfahrungsberichte a la Scholl-Latour, die nur die gesammelten subjektiven Erfahrungen wiedergeben und niemals (wissenschaftliche) Objektivität widerspiegeln können. Von einer multiperspektivischen Reflexion ist Bauerdick weit entfernt; sein Blickwinkel könnte eher als Nostrismus bezeichnet werden, wo das Eigene zum Maßstab mit der Begegnung mit dem Anderen wird.
Bauerdick geht es darum, die These zu entkräften, dass die Mehrheitsgesellschaft immer nur die Täter stellt und die Minderheit immer die Opfer. Auf die Fragen, wer diese These überhaupt aufgestellt hat und warum sie angeblich hegemonialen Charakter besitzt, geht er nicht ein. Aus einer essenzialistischen Sicht kritisiert die angeblich fehlende Eigenverantwortung zur Verbesserung ihrer Situation: „Nach ungezählten Begegnungen in über zwanzig Jahren erinnere ich kaum einen Rom, der für die Wurzel seiner Misere ein Stück Verantwortung bei sich selber gesucht, geschweige denn gefunden hatte.“ (14) Bauerdick fordert von den Roma ein, „den Opferstatus aufzugeben und endlich einmal die Ursachen des Dauerelends nicht bei der (…) Mehrheit zu suchen, sondern bei sich selbst.“ (151) Nicht die zum Teil jahrhundertelange Sklaverei wie in Rumänien, die politische und rechtliche Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaften sind also schuld an der Situation der Roma, sondern ihre angeblich fehlende Eigeninitiative. Diese Standpunkte sind typisch für viele Angehörige der Mehrheitsgesellschaft: mit der Verweis auf die Schuld der Roma müssen eigene Schuldanteile und das eigene antiziganistische Weltbild nicht hinterfragt werden.
Seine Polemik wendet sich besonders gegen den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und so genannte „Anti-Antiziganisten“. Er beschimpft die Mitglieder des Zentralrats als „Kongreß-Roma“, die „die Diskriminierung ihres Volkes und das Elend in jenen Siedlungen beklagen, die sie selbst nur dann betreten, wenn sie von Reportern und Kameras begleitet werden.“ (205) Außerdem unterstellt er Antiziganismusforschern, dass sie „im Elfenbeinturm ihrer Bibliotheken nicht wissen, wovon sie reden.“ (242f) Dieser „selbstgerechte(n) Empörungsclique“ unterstellt Bauerdick sogar Rassismus. Er bemerkt: „Der subtile Rassismus der Sinti-und Roma-Freunde besteht darin, dass sie der Gesellschaft alles, den Zigeunern indes nichts abverlangen. So verhält man sich gewöhnlich gegenüber Menschen, denen man nichts zutraut.“ (206)
Bauerdick zementiert jahrhundertelang tradierte Stereotype über Sinti und Roma innerhalb der deutschen Bevölkerung. Er schreibt Roma spezifisch deviante Eigenschaften zu: „Dass sie nicht arbeiten und in den Tag hineinleben, dass sie auf eine kärgliche Fürsorge spekulieren und immer neue Kinder zur Welt bringen, das alles ist gewiß ein Problem.“ (84) Dabei redet Bauerdick lange und gerne über die Kriminalität der Roma, da „seriöse Debatten über die Kriminalität (…) aus dem öffentlichen Raum verbannt werden“ (216) Einzelne spektakuläre Fälle von Mord und Vergewaltigung nehmen großen Raum ein, genauso wie „organisierte Bettelnetzwerke und Diebesbanden in Westeuropa“. (261) Roma werden von Bauerdick im Gegensatz zu westlichen Gesellschaften als vormodern und primitiv dargestellt. In der Unterüberschrift des 4. Kapitels heißt es: „Bulgarien. Mit einem Bein im Mittelalter.“ (77) Unter den „Menschen, die noch nicht einmal im 20. Jahrhundert angekommen schienen“, herrsche „eine rückständige Armut“. (78). Damit wird implizit suggeriert, dass eine kulturelle Integration in westliche Industriegesellschaften nicht möglich sei. Die alte Zuschreibung der Wahrsagerei darf auch nicht fehlen: angeblich soll es in Rumänien noch 4.000-20.000 „Hexen“ geben. (68)
Eine entscheidende Schwäche des Buches liegt darin, dass Bauerdick zwar häufig Personen zitiert und manchmal Hintergründe zu bestimmten Themenbereichen beleuchtet, ohne jedoch Nachweise in Form von Literaturangaben zu liefern.
Aus einer 2011 durchgeführten Studie zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit geht hervor, dass über 40% der deutschen Bevölkerung antiziganistisch eingestellt sind. Bauerdicks Buch wird schwerlich dazu führen, diesen für einen demokratischen Staat desaströsen Wert zu senken. Im Gegenteil: Das Buch von Bauerdick ist eine weitere Bestätigung für bildungsbürgerliche Teile der Mehrheitsgesellschaft, die jahrhundertelang tradierte Stereotype über „Zigeuner“ verinnerlicht haben und nicht bereit sind, jedes Individuum fern von einem essenzialistischem Kontext zu beurteilen.
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Herbert Heuss, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentralrats, sprach von einem „Amoklauf der politischen Unkorrektheit“. Die Tatsache, dass Bauerdick die Verbrechen einzelner Roma mit ihrer Ethnie in Zusammenhang bringe, erinnere ihn an die Parolen extrem rechter Parteien.
Bauerdicks Buch steht sogar in der Kritik „Im Netz gegen Nazis“
http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/eine-semantik-der-gefahr-8974
Herr Aloo wie bereits gesagt, habe ich keinen Einwand wenn sich vier bis fünf Leute der Sinti Allianz, obwohl sie nicht „Zigeunerallianz“ heissen, als „Zigeuner“ bezeichnen.
Mit dieser Meinung stehen aber diese 5 Leute der Sintiallianz alleine dar.
Bürgerrechtsorganisationen in Deutschland wie zb. der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma, die Rom und Cinti Union aus Hamburg, die Roma-Union aus Frankfurt am Main, der Rom e.V. aus Köln, der Verband Amaro Drom aus Berlin, Terno Drom aus Düsseldorf und viele andere mehr wiedersprechen und verwenden die Eigenbezeichnung Sinti oder Roma.
Die Sinti Allianz ist in Deutschland eine kleine mehr unbedeutende Organisation ohne Vereinsprofil. In der Öffentlichkeit ist die Sinti Allianz allein bekannt durch ihre Zustimmung zum umgangssprachlichen “Zigeuner”. Sonstige politische Programme oder Errungenschaften sind bisher völlig unbekannt, aber bitte, man grenzt sich durch die Fremdbezeichnung “Zigeuner” zu den anderen Sinti und Roma Bürgerrechtsorganisationen ab und erhält so eine Wichtigkeit, die anders schwer zu haben wäre.
Die Sinti Allianz vertritt eine besonders rigide Haltung in der Frage des Sinti-Sprachtabus (siehe ihre HP), die es verbietet, Nichtsinti die Eigenbezeichnung Sinti oder Roma zu verwenden, so daß Nichtsinti gezwungen werden zum “Zigeuner” auzuweichen.
Seien es nun menschenverachtende Plakate der NPD, aufgebrachte Diskussionen bei Facebook oder Demonstrationen von Neonazis: Sinti und Roma stehen im Fokus rassistischer Anfeindungen. Befeuert werden diese noch durch Publikationen selbsternannter Experten wie Rolf Bauerdick. Mit dessen breit besprochenem Buch „Zigeuner. Begegnungen mit einem ungeliebten Volk“ setzt sich Michael Lausberg in einem Gastbeitrag für Netz-gegen-Nazis.de auseinander.
Von Michael Lausberg
Quelle: netz gegen nazis
Das ist die logische Konsequenz dieses unsäglichen Buchs, dass Antifaschisten das thematisieren, was der Bauerdick unter dem Deckmaentelchen des angeblichen „Zigeunerfreundes“ an Unsaeglichkeiten von sich gibt. NICHT nur Heuss erinnern die Auffassungen an die extreme Rechte , mich auch und genau deshalb wird dieser Autor in der rechten Szene auch begeistert gefeiert. Auch wenn es nur am Rande zum Thema gehört – heute berichtet die FR über diverse Register der schwedischen Polizei, in denen viele Tausende Roma vom Säugling bis zum Greise ALLEIN aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit mit Ahnentafel bis ins 19. Jahrhundert registriert sind. Die Dateien tragen Namen wie Umherreisende oder Z fuer Zigeuner, einziges Bindeglied ist die ethnische Herkunft. „Erst registriert man uns, dann vertreibt man uns“, so einer der Betroffenen, „so begann es auch in Nazideutschland“. Rassistische Übergriffe gegen Roma und Sinti sind auch heute immer noch an der Tagesordnung und dazu gehört auch die Verwendung des stigmatisierende Begriffs Zigeuner
Dabei ist völlig unerheblich, ob eine Minderheit nichts dagegen hat, derartig genannt zu werden. Massgeblich ist allein, dass die meisten Roma und Sinti mit diesem stigmatisierende Begriff, unter dem über Jahrhunderte diese Menschen verfolgt, diskriminiert und stigmatisiert wurden, bis hin zur planmäßigen Vernichtung, diesen Begriff völlig zu Recht als einen Angriff auf ihre Menschenwürde betrachten. Bauerdick benutzt diesen Begriff in höchst provokanter Art fortwährend. Mit seinen penetranten ethniebezogenen Kriminalitaetsbetrachtungen steht er auf einer Ebene mit rechten Kreisen und leistet rassistischen Vorurteilen Vorschub. Genau deshalb wird er bei Rechten auch gefeiert und von Antifaschisten scharf kritisiert.
Der verlinkte Artikel im „Netz gegen Nazis“ stammt ebenfalls von Michael Lausberg und ist in weiten Teilen mit dessen hier erschienener Rezension identisch.
Zwar habe ich das Buch von Rolf Bauerdick nicht gelesen, allerdings hat er im DLF seine Erfahrungen ausführlich darlegen können.
Bauerdick beansprucht überhaupt nicht, eine wissenschaftliche Arbeit vorzulegen.
Es geht ihm nicht darum, dem Leser ein vorgefertigtes Urteil zu präsentieren,
sondern Verständnis für die Situation der Roma in Südosteuropa zu wecken,.
Und das ohne erhobenen moralischen Zeigefinger. Der Leser kann sich selbst ein Bild von den Hintergründen machen, weshalb die Zuwanderung von Roma aus Rumänien und Bulgarien zu manchen Konflikten führt.
Bauerdicks Buch könnte man dem Genre der Reiseliteratur zuordnen.
Auch die hat ihre Berechtigung und sie war oft erklärender und hilfreicher, als so manche wissenschaftliche Facharbeit
@ Lionel … aber weshalb wird Bauerdick in den Nazi Kreisen so extrem gefeiert? Viele Sinti in Deutschland haben Angst und machen sich aufgrund dieser Reiseliteratur enorme sorgen ums sich und ihre Kinder. Ein schlagkräftiger Beweis für die antiziganistische Einstellung des Herrn Bauerdick liefert das Forschungszentrum für Antiziganismus in Marburg.
Zum Thema Sinti und Roma gibt es aber auch empfehlenswerte Literatur:
Europa erfindet die Zigeuner: Eine Geschichte von Faszination und Verachtung von Klaus Michael Bogdal
Arme Roma, böse Zigeuner: Was an den Vorurteilen über die Zuwanderer stimmt (Ein Faktencheck) von Norbert Mappes-Niediek
Der Kölner Sinti Markus Reinhard scheint eine sehr entspannte Haltung zum Zigeuner-Begriff zu haben.Er lehnt die Bezeichnungen „Sinti“ und „Roma“ sogar ab,weil es weit mehr Gruppierungen gebe und „Zigeuner“ für alle Gruppen stehe.
Diese entspannte Haltung teilt er mit etwa 48% der Roma und Sinti, wie der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma in einer Untersuchung herausfand.Allerdings verwenden ca.95% die Eigenbezeichnung „Sinti“ und „Roma“.Details können bei Wiki nachgelesen werden.
Es scheint mir sehr verwegen, einen Buchautor nur darum zum Rassisten zu küren, weile er von „Zigeunern“ spricht.Das Lesen des Buches scheint unumgänglich,um dessen „Geist“ zu erfassen und natürlich ein gewisses Maß an Unvoreingenommenheit.
@Max
Könnten Sie die Nazi-Kreise in denen Bauerdick extrem gefeiert wird benennen?
Ich muss gestehen, dass ist mir bisher entgangen.
Bauerdick schreibt – so erinnere ich den Rundfunkbeitrag – nicht über Sinti in Deutschland, sondern über Begegnungen mit Roma in Ost- und Südosteuropa.
Weshalb sich deswegen deutsche Sinti Sorgen müssen, erschließt sich mir nicht direkt
Der Verweis auf ein Forschungsinstitut (sicher, so etwas klingt gewichtig)
allein, ist kein Beleg für Antiziganismus.