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Reisefreiheit für Türken

Trotz EuGH-Entscheidung: Abschaffung der Visapflicht ist immer noch möglich

Mit dem EuGH-Urteil ist die Reisefreiheit für Türken nicht vom Tisch. Was über die Justiz nicht erreicht wurde, kann immer noch politisch auf den Weg gebracht werden.

Von Donnerstag, 26.09.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 09.03.2016, 21:18 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Das EuGH-Urteil hat viele Türken enttäuscht: Die Luxemburger Richter entschieden, dass die Visapflicht für Türken nicht gegen gültiges Recht verstößt. Die passive Dienstleistungsfreiheit, also die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, falle nicht unter den Begriff des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne des Zusatzprotokolls zwischen der EU und der Türkei von 1970, so das Gericht. Doch nachdem der juristische Weg gescheitert ist, bleibt immer noch die Möglichkeit einer politischen Lösung. Allerdings kommt es jetzt darauf an, dass Ankara sich ernsthaft darum bemüht, die im Juni 2012 vereinbarten Visaliberalisierungsgespräche mit der EU-Kommission mit Leben zu füllen.

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Per Ratsbeschluss erhielt die EU-Kommission am 1 Juni 2012 das politische Mandat, mit der Türkei über die Bedingungen für die Aufhebung der Visaflicht zu sprechen. Als Gegenleistung sollte die Türkei ein Rücksendeabkommen unterzeichnen, das sie verpflichtet, irreguläre Einwanderer in die EU, die über die Türkei eingereist sind, wieder aufzunehmen. Die Türkei hatte diese Kopplung mit Blick auf die Balkanstaaten lange gefordert, denen ebenfalls Visaliberalisierungsgespräche im Gegenzug für ein Rücksendeabkommen angeboten wurden. Nach langem Zögern ließen sich Regierungen mit Vorbehalten im Hinblick auf eine Aufhebung der Visapflicht, allen voran die deutsche, auf diesen Deal ein. Nicht zuletzt, weil sie von der EU-Kommission und der dänischen Ratspräsidentschaft unter Druck gesetzt wurden, der Türkei das gleiche Prozedere wie den Balkanstaaten anzubieten. Ferner haben die EU-Staaten ein großes Interesse an einem Rücksendeabkommen, da die Türkei mittlerweile Haupttransitland für irreguläre Einwanderer in die EU ist.

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Der türkische Europaminister Egemen Bağış frohlockte damals, dass die visumsfreie Einreise von Türken in die EU nun innerhalb der nächsten drei bis vier Jahren realisiert werden könne. Jedoch: Die Gespräche stagnierten, bevor sie richtig angefangen hatten. Beim EU-Türkei-Assoziierungsrat am 22. Juni 2012 machte die Türkei deutlich, dass die Umsetzung des Rücksendeabkommens parallel zur Visaliberalisierung erfolgen solle. EU-Staaten wie etwa Deutschland gehen dagegen davon aus, dass mit dem Ratsbeschluss die Türkei nun am Zug sei und das Rücksendeabkommen unterzeichnen solle. Mag sein, dass Ankaras zögerliche Haltung durch das Misstrauen begründet ist, mit einem Rücksendeabkommen in Vorleistung zu gehen, ohne dann tatsächlich mit einer Abschaffung der Visapflicht belohnt zu werden. Es erscheint aber auch plausibel, dass die abwartende Haltung damit zu tun hatte, dass man in Ankara darauf hoffte, durch die Luxemburger Richter die Reisefreiheit für Türken durchzusetzen – ohne dafür der EU Gegenleistungen anbieten zu müssen.

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Diese Hoffnung ist nun gestorben. Wenn die türkische Regierung sich nach wie vor für die Reisefreiheit ihrer Bürger einsetzen möchte, sollte sie nun in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission die Punkte der so genannten Roadmap, also den Fahrplan zur Abschaffung der Visapflicht, abarbeiten. Das wird zwar nicht einfach, doch falls die EU-Kommission am Ende des Prozesses der Türkei bescheinigt, ihre Hausaufgaben gemacht zu haben, wird es für die EU-Staaten ganz schwierig, die visafreie Einreise für Türken weiter auf die lange Bank zu schieben. Einzelne EU-Staaten können eine solche Entscheidung auch nicht blockieren, weil im Rat mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird.

Der Fahrplan zur Abschaffung der Visapflicht gliedert sich in vier Bereiche: Dokumentensicherheit, Grenzmanagement, öffentliche Ordnung und Minderheitenschutz. In einigen Bereichen kann die Türkei auf Fortschritte verweisen, in anderen sind noch einige Stolpersteine zu überwinden. So hat die Türkei im Bereich Dokumentensicherheit mit der Einführung biometrischer Pässe im Juni 2010 einen wichtigen Schritt getan, um die EU-Bedingungen zu erfüllen. Im Bereich Grenz- und Migrationsmanagement kommt es zunächst auf die Umsetzung des Rücksendeabkommens an. Deren Kosten lassen sich nur schwer abschätzen. Denn der Effekt eines solchen Abkommens auf die Transitmigration ist unklar. Es ist denkbar, dass viele potenzielle irreguläre Einwanderer durch ein solches Abkommen entmutigt werden, über die Türkei in die EU zu gelangen. Allerdings könnte das auch dazu führen, dass die Türkei stärker als bisher zum Zielland irregulärer Migranten wird, zumal die Türkei sich wirtschaftlich enorm entwickelt hat und sich daher auch irregulären Einwanderern Möglichkeiten auftun, Geld zu verdienen. Ferner hängen die Kosten eines Rücksendeabkommens davon ab, ob – und wie schnell – die rücküberführten Personen in ihre Herkunftsländer geschickt werden können, was von der dortigen politischen Lage und dem Kooperationswillen der dortigen Regierungen abhängt. Außerdem werden die Kosten maßgeblich davon beeinflusst, ob es der Türkei künftig effizienter gelingt, irreguläre Migration in ihr Staatsgebiet zu verhindern.

Dazu ist vor allem eine Modernisierung der Grenzsicherung notwendig, die ebenfalls sehr kostspielig ist. Die Probleme beim Grenzmanagement resultieren zum einen aus der Topographie, die geprägt ist durch schwer überwachbare Landesgrenzen in den Bergen Süd- und Südostanatoliens und Seegrenzen an den langen Küsten im Süden, Norden und Westen. Zum anderen sind die Defizite aber auch strukturell bedingt. Die Verantwortlichkeiten sind verteilt auf verschiedene Akteure, die sich untereinander bisher nur unzureichend koordinieren. So ist Zuständigkeit für die Überwachung der Landgrenzen zwischen der Gendarmerie und der Armee aufgeteilt. Die Küstenwache überwacht die Seegrenzen. Für die Kontrollen beim Grenzübertritt ist die Polizei verantwortlich. Die EU fordert daher eine bessere Koordinierung der am Grenzmanagement beteiligten Akteure auf nationaler und internationaler Ebene. Ferner fordert die EU, dass eine federführende Grenzschutzbehörde unter ziviler Leitung zu errichten ist, was die Kompetenzen der türkischen Streitkräfte im Grenzmanagement beschneiden würde. Um die Türkei an die Standards des Grenzmanagement der EU heranzuführen, erarbeitete das türkische Innenministerium im November 2010 einen Gesetzesentwurf, der die Kompetenzen und Zusammensetzung der neuen Grenzschutzbehörde regelt. Demnach soll die Behörde 70.000 Mitarbeiter umfassen, die vor allem aus der Polizei, aber auch aus anderen bisher in das Grenzmanagement involvierten Akteuren rekrutiert werden sollen. Der Entwurf wurde bisher noch nicht ins Parlament eingebracht. Gleichwohl hat die Regierung damit begonnen, Polizeibeamte für die neuen Aufgaben in der Grenzbehörde zu schulen oder weiterzubilden. Die EU unterstützt die Türkei bei der Modernisierung des Grenzmanagements durch eine Reihe von Twinning-Projekten, unter anderem auch mit der deutschen Bundespolizei.

In den Bereich Grenz- und Migrationsmanagement gehört auch ein funktionierendes und den EU-Standards entsprechendes Asylsystem. Auch dies wird der Türkei große Anstrengungen abverlangen, schließlich sind die Asylbewerberzahlen in den letzten Jahren stark gestiegen. Lag die Zahl der Asylbewerber im Durchschnitt der Jahre 2008-2010 bei 9.000, stieg sie im Jahr 2011 auf 16.000, was einem Anstieg von 74 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Bei der Zahl der Asylbewerber gemessen am Bruttosozialprodukt per Einwohner liegt die Türkei damit hinter Frankreich, den USA und Deutschland auf Platz vier. Noch ist die Türkei nicht in der Lage, die Nachfrage nach Asyl gemäß EU-Standards zu bearbeiten. Doch wichtige Schritte dahin sind getan. Seit April 2013 gibt es einen Gesetzesrahmen, der den Schutz von Asylbewerbern und Flüchtlingen deutlich verbessert. Jedoch: Der EU-Forderung, die geografische Einschränkung der Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951 aufzuheben, kam Ankara nicht nach. Das heißt: Die Türkei gewährt nur Flüchtlingen aus europäischen Ländern Asyl – für alle anderen anerkannten Flüchtlinge muss das UNHCR ein Land finden, das sie aufnimmt – in der Türkei bleiben dürfen sie nicht. Die Türkei rechtfertigte die Beibehaltung der Einschränkung bislang mit ihrer besonderen geografischen Lage und war zu einer Aufhebung nur bereit, wenn die EU Mitgliedschaft in greifbarer Nähe ist. Aktuell Meinung

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  1. Leo sagt:

    Ich sehe nicht ein warum die EU der aktuellen repressiven Türkei bei der Visafrage entgegenkommen sollte. Vor allem wenn doch die Entscheidung der luxemburger Richter, laut Migazin, von der Politik beeinflusst wurde, soll jetzt die Politik die Visafreiheit retten?

    Ich versteh den Sinn dahinter nicht, den Türken ständig mit solchen Artikeln Hoffnung zu machen, obwohl die Chancen eigentlich schlechter stehen als je zuvor!? Die Türkei hat seit einiger Zeit den Rückwärtgang eingelegt, auch wenn es nicht wahr haben will, aber die Türkei wird mit jedem weniger europäisch.

  2. Matthias sagt:

    Ich stimme Leo zu.

    Ich sehe nicht den politischen Wunsch der EU – Staaten der Türkei Visafreiheit zu gewähren.

    Und solange diese Republik nicht in der Lage ist die eigenen, türkisch – kurdischen oder armenischen Minderheiten zu respektieren und zu schützen, wird dieser Teil der Roadmap – Asylsystem nach europäischen Maßstäben – wohl nicht erfüllt werden.

    Guter Artikel, aber Hoffnungen auf baldige Visafreiheit würde ich mir nicht machen.