Interview
„Deutschland neigt dazu, Migrationsgeschichten zu vergessen“
Der Sammelband „InderKinder – über das Aufwachsen und Leben in Deutschland“ erzählt erstmals die Geschichte indischer Migranten. Herausgeberin und Migrationsforscherin Urmila Goel und Menschenrechtsaktivistin Nivedita Prasad im Gespräch.
Von Thembi Wolfram Freitag, 04.10.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.10.2013, 1:53 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Urmila Goel, sie sind in Deutschland aufgewachsen. War Identität für sie ein Thema?
Goel: Ich habe mich lange nicht besonders mit Indern beschäftigt. Aber wir wachsen in einer Welt auf, in der man auf Wurzelsuche getrieben wird. Ich glaube, dass das auch in der nächsten Generation so bleibt. Einige Autoren des Buchs haben Kinder, die seit zwei Generationen in Deutschland leben und trotzdem als die „Anderen“ ausgemacht werden. Aber ich glaube, wir haben dieses Buch gerade für unsere Töchter und Söhne gemacht.
Prasad: Mir als junge Frau hätte das geholfen. Ich war immer heimlich auf der Suche nach anderen InderKindern.
Goel: Ja, es ist gut, wenn man dann etwas lesen kann, was den Begriff füllt und gleich wieder dekonstruiert.
Die ersten indischen Migranten kamen schon in den 50er Jahren in die BRD. „Heimat in der Fremde“ und „InderKinder“ erzählen zum ersten Mal ihre Geschichten. Warum so spät?
Urmila Goel (43) ist Kultur- und Sozialanthropologin, Trainerin mit den Schwerpunkten Migration, Rassismus, Postkolonialismus und Heteronormativität in Berlin und bloggt unter andersdeutsch.blogger.de. Nivedita Prasad (46) ist Professorin an der Alice-Salomon Hochschule Berlin und Trägerin des „Anne-Klein -Frauenpreises“ für ihr Engagement in der Beratungsstelle des „Ban Ying e.V.“ gegen Menschenhandel
Goel: Es wird einfach wenig über Migrationsgeschichten gesprochen. Auch in den Familien. Mein Vater zum Beispiel erzählt nicht gern. Vieles über meine indische Familie weiß ich von meiner deutschen Mutter.
Prasad: Es geht eher darum, die Hochkultur zu vermitteln.
Hochkultur?
Prasad: Ja. Bei uns lag immer die „Times of India“ zu Hause herum. Es gab indisches Fernsehen, klassische indische Musik. Das fand ich als Kind natürlich furchtbar. Ich glaube mein Vater hat gedacht: Ich bin zum Studieren hergekommen und geblieben. Ist doch nichts dabei.
Goel: Ich forsche seit Ende der neunziger zu Migration aus Südasien. Dass das Eigene, das Persönliche, eine gesellschaftliche Bedeutung haben kann, glauben viele nicht. Dabei haben diese Geschichten ja auch die nächste Generation geprägt.
Was sind das für Geschichten?
Prasad: Mein Vater ist in den 50ern als Student gekommen. Letztens hat er meiner Tochter erzählt, dass er das Schachspiel vom ägyptischen Meister gelernt hat. Die beiden haben sich auf der Überfahrt von Indien nach Deutschland eine Kabine geteilt und hatten Langeweile. Er ist damals drei Wochen lang mit dem Schiff gefahren und hat kiloweise Linsen und Gewürze mitgebracht, weil es in der BRD noch keine indischen Lebensmittelläden gab. Solche Geschichten haben wir als Kinder nie gehört.
Worum geht es in „InderKinder“?
Goel: Deutschland neigt dazu, Migrationsgeschichten zu vergessen. Wir wollen sie dokumentieren. In „Heimat in der Fremde“ geht es um die erste Generation. Für InderKinder haben wir die zweite Generation Migranten zusammengetrommelt. Ihre Autobiografien werden diesmal durch rassismuskritische Essays ergänzt.
Ist „InderKinder“ nicht auch ein rassistischer Begriff?
Prasad: Also wenn eine Weiße auf mich zugekommen wäre und gesagt hätte: „Ich mache ein Buch über InderKinder“, hätte ich mich schnell verabschiedet. Bei Urmila fand ich es witzig. Solche Begriffe müssen von innen kommen.
Goel: „Inder“ ist eine Konstruktion. Das schreibt auch Paul Mecheril in seinem Beitrag für „InderKinder“.
Inwiefern?
Prasad: Indien ist ein riesiges, diverses Land. Wenn man in Europa über Inder spricht, sind häufig die Nordinder gemeint. Das ist auch eine Frage der Hautfarbe: Südinder sind viel dunkler. Auch in Indien spielt das eine große Rolle.
Goel: Eigentlich hätten wir „als indisch markierte“ als Kategorie nehmen müssen. Das können Sri Lankis und Bangladeshis oder Menschen aus Kenia sein. Eben alle, die so aussehen, wie man sich hier einen Inder ausmalt.
Prasad: Die Familie einer Mitautorin kommt aus Südindien, spricht Malayalam, ist christlich. Wir beide haben keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsame Religion und auch unsere Essensangewohnheiten sind doch deutlich unterschiedlich. Trotzdem werden wir beide unter der Kategorie „Inderinnen“ zusammengefasst.
Was ist euch als AutorInnen denn dann gemeinsam?
Goel: Die Migrationsgeschichten. Es gibt zum Beispiel die große Gruppe derjenigen, deren Mütter als Krankenschwestern angeworben wurden und bei denen später die Männer nachkamen.
Prasad: Alle denken immer: Migration, da kommen erst die Männer und dann die Feminisierung. Aber es gibt Migrationsströme bei denen es komplett anders läuft. Bei den Phillipinas, den Koreanerinnen, den Südinderinnen. Das weiß hier keiner. Dabei stellt es auch infrage, was wir über Geschlechterverhältnisse in Indien annehmen.
Warum?
Goel: Weil das Konzept, dass erst die Frauen reisen dürfen und die Männer nachkommen, für eine ganze Generation normal war und sehr gut funktioniert hat. Das zeigt auch unser Buch.
Nivedita Prasad, Sie sind als Kind mit ihren Eltern migriert.
Prasad: Genau. In meiner indischen Schule hat man uns erzählt die Deutschen wären wohlerzogene, Goethe lesende Menschen. Und dann kam ich mit 13 nach Deutschland, in eine Berliner Realschule und war entsetzt. Wirklich.
Warum?
Prasad: In Indien war es so: wer einigermaßen gebildet war, sprach Englisch. Die Vorstellung, dass Lehrer kein Englisch sprechen, war absurd. Dann kam ich nach Berlin und kaum jemand konnte Englisch.
Haben Sie sich als Inderin gefühlt?
Prasad: Ich fand es ja schlimm genug, dass alle anderen sagten: das ist die Inderin. Ich habe eher einen emotionalen Hintergrund: die Sprache, das Essen, ich schaue auch die Filme und so. Aber ich definiere mich damit nicht nach außen. Man hat mich zur Inderin gemacht als ich nach Deutschland kam.
Was war denn Ihre Identität?
Prasad: Die der Migrantin. Ob Südafrikanerin oder Türkin war mir egal. Ich habe mit Kommilitoninnen die erste schwarzfeministische Gruppe gegründet. Da war eine Frau iranischer Herkunft, eine ecuadorianischer Herkunft, May Ayim, also eine afrodeutsche Frau. Und unsere Erfahrungen ähnelten sich, obwohl unsere Herkunft so unterschiedlich war. Da habe ich gedacht: das hat ja mit Indien gar nichts zu tun. Das sind koloniale Bilder, die es hier gibt. Aktuell Feuilleton Interview
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Ja schade, dass keine Geschichte ohne Rassismus einfällt. Skurrile Geschichten erlebte man, wenn man in den 80ern als Inder durch Deutschland trampte. Damals gab es noch Überreste von freundlichen Kiffern und Hippies in alten Citroen-Enten, die einen gelegentlich mitgenommen hatten. Das Muster der Gespräche verlief so (F = Fahrer, T = Tramper):
F: „Studierst Du?“
T: „Nein, ich bin 15, geh noch zur Schule“ (später war ich 16, 17, oder auch 18)
F: „Ah so, Du siehst älter aus“
T: „Danke“ (würde ich heute nicht mehr sagen)
F: „Woher kommst Du?“
T: „Indien“
F: „Ah, das dachte ich mir.“
Pause
F: „An Deiner Stelle wäre ich stolz Inder zu sein“
T: „Warum das denn?“
Pause
F: „Die Inder sind so ruhig, so gelassen und ruhen in sich. Sie sind so gewaltlos“
T: „Hm“ (Ashram-Arschloch, was weißt Du schon über Indien, ich wäre lieber ein black man, die sehen gut aus, können beim Basketball höher springen und sind cool. Inder sind so extrem uncool, und ziehen sich immer so oberpeinlich an, vor allem, wenn sie cool sein wollen)
F: „Also ich wäre stolz Inder zu sein“
Da saßen wir dann, zwei Typen, voll mir falschen Klischees und Bildern und fuhren die Straße runter. Wie auch immer, unterm Strich, bei allen negativen Erlebnissen und es waren viele: Die Deutschen waren größtenteils sehr freundlich zu mir.
Die kritische Diskursanalyse ist ziemlich verzweifelt mit den Autobiographien und autobiographischen Narrativen unserer indischen Migranten. Hier einmal die Reszension von Biplab Basu, der als Inder von kritisch-lesen darum gebeten wurde.
http://kritisch-lesen.de/rezension/autobiografische-erzahlungen-und-analysen
Das Gender Budgeting ist auch ziemlich verzweifelt mit den autobiographischen Familienerzählungen. Das Bildungsmonopol verdummt, wir brauchen dringend frühkindlichen Englisch-Unterricht für die Migranten-Kids, um den globalen Diskussionsstand vermitteln zu können, ohne aufwendig alles ins Deutsche zu übersetzen, oder zu warten bis das deutsche Bildungssystem die Themen-Konjunktur mitmacht.
„Das Private ist politisch.“ war eines der Losungen der beiden ersten Wellen des Feminismus. Inzwischen lassen wir den Third Wave Feminismus hinter uns.
Die Transnationalisierung des Feminismus ist halbwegs gar und nur noch die letzten gallischen Dörfer sind zu besetzen.
Global zieht das Gender Budgeting ein. Gender Budgeting zeigt, wie man die Konsequenzen auf die Gender-Rollen mit in den Haushalt einbezieht. Schweden und Tansania praktizieren das sehr erfolgreich, und beweisen das sowohl sehr reiche als auch sehr arme Länder den Gender Gap schließen können.
Für transnationale Haushalte entsteht nun das Problem, wie sie sich in den globalen Diskurs um das Gender Budgeting einschreiben wollen. Wir haben z.B. in der BRD ukrainische Lehrerinnen, die als Haushaltshilfe arbeiten und drei Haushalte führen. Erstens den der Arbeitgeber, zweitens ihren eigenen im Einwanderungsland und drittens einen Haushalt, wo sie ihre Kinder zurück gelassen haben.
Wir sehen hier ganz klar, dass diese ukrainischen Haushaltshilfen nicht den gerechten Anteil am Gender Budgeting erhalten. Gender Budgeting denkt sich nämlich immer dazu, dass im Land nur mono-nationale Haushalte leben. Das gilt übrigens für alle transnationalen Diaspora Familien.