Der Triebtäter
Die normative Kraft des Faktischen
Es ist noch nicht allzu lange her, da kam mir eine Geschichte zu Ohren, die mir zwar immer irgendwie selbstverständlich vorkam, die aber doch plötzlich sehr eindringlich wirkte, als sie dann aus der anonymen Selbstverständlichkeit herausgerissen wurde in die Subjektivität eines Einzelfalls.
Von Sven Bensmann Dienstag, 19.11.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 24.11.2013, 17:55 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Konkret geht es um die Frage danach, was uns eigentlich ausmacht, wer wir sind – und ob wir ändern können, wer wir sind. In den sogenannten „Integrationsdebatten“ wird ja gern gefordert, dass sich sich die Migranten anpassen, gern bis zur Selbstaufgabe, nämlich so, dass sie nicht mehr als Migranten erkennbar sind. So betonen das nur wenige, dennoch ist es die gelebte Realität für die Objekte dieser Diskussion. Festgemacht wird die Aufgabe der eigenen Identität, gerade in nationalistischen Kreisen, gern an der Aufgabe des Passes, konkret an der Verweigerung des sich im Nationalsport Fußball bereits großer Beliebtheit erfreuenden Doppelpasses.
Da es beim Doppelpass insbesondere um junge Türken geht – keine Gruppe, die sich in der Restbevölkerung besonderer Beliebtheit erfreute – möchte ich den Blick also gern ein wenig verlagern:
Reden wir daher über eine junge Frau – über die Frau, von der mir erst kürzlich erzählt wurde – und nennen wir sie Judith; weil sie Jüdin ist, nicht weil sie wirklich so heißt. Judith wächst zu Beginn des letzten Jahrhunderts in Deutschland auf, sie bekommt Kinder, versucht ein normales Leben zu leben – und sie erlebt, wie sich die Stimmung gegenüber Juden im Lande langsam vom jahrhundertealten schlecht hin zu mörderisch wandelt. Und da es also bald bereits gefährlich ist, Jude zu sein, beschließt Judith, dann eben keine Jüdin mehr zu sein. Sie legt alles Jüdische ab, verschweigt ihren Kindern deren und ihre eigene Herkunft – und schafft es, zu überleben.
Dennoch geht die Shoah nicht spurlos an ihr vorbei: Vielleicht erlebt sie den Schrecken und distanziert sich so weit, dass sie sich von ihrer eigenen Identität entfremdet, verdrängt, bis sie selbst sich nicht mehr erinnern kann; vielleicht auch erinnert sie sich bestens, fühlt sich schuldig, zu überleben, indem sie ihre Identität verleugnet – und schweigt deshalb: Es liegt in der Natur dieser Geschichte, dass die Frage danach nicht beantwortet werden kann. Es ist auch nicht wichtig für die Geschichte.
Wichtig ist aber die folgende Frage: Macht es eigentlich einen Unterschied, ob jemand Muslim oder Jude ist, und ist es für eine moralische Bewertung wichtig, ob einem Juden oder einem Muslim eine spezifische Form kultureller Identität verweigert wird?
Würde vielleicht ein Hans-Peter Friedrich einem Dieter Graumann raten, diese Schnapsidee mit dem Zentralrat aufzugeben, um sich endlich vernünftig zu integrieren, wie er von Muslimen fordert, auf den Pass ihrer Eltern zu verzichten?
Da sag noch einer, Deutschland habe kein weitverbreitetes Rassismus-Problem… Aktuell Meinung
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Juden und Moslems sind nicht vergleichbar. Bei dem einen handelt es sich nach eigenem Selbstverständnis um ein Volk, dem man per Geburt angehört, bei dem anderen um eine Religion, zu der sich alle Menschen – gleich welcher Hautfrabe, sprache oder Volkszugehörigkeit – bekennen können. Muslim zu sein, stellte amit keine spezifische Form kultureller Identität dar. Deshalb sollte es eigentlich kein Problem sein, wenn sich Deutsch zum Islam bekennen.