Angekommen in der Realität?
Gauck redet wieder über den Islam
Wir erleben ein wichtiges Kapitel deutscher Gegenwartsgeschichte: Denn Bundespräsident Joachim Gauck hat nur wenige Tage zuvor in Münster gezeigt, dass er in der gesellschaftlichen Realität angekommen ist.
Von Jakob Roßa Montag, 02.12.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.12.2013, 0:20 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Seit seiner Wahl zum Bundespräsidenten lassen Gaucks Handlungen und Äußerungen immer wieder Fragen nach seiner Einstellung zum Islam und Muslimen in Deutschland aufkommen. So distanzierte sich Gauck gleich zu Beginn seiner Amtszeit von dem Ausspruch seines Vorgängers Wulff, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Exemplarisch steht auch sein Umgang mit der rassistischen Mordserie des „NSU“. Gauck verweigerte sich dem Wunsch der Hinterbliebenen um ein Treffen zum Jahrestag der Aufdeckung der Mordserie. Erst nach Kritik an dieser Entscheidung lud er einige Monate später zu einem Treffen unter bestimmten Bedingungen ein. Ebenso lehnte Gauck den noch von seinem Vorgänger durchgesetzten Trauer–Staatsakt für die Opfer der Mordserie ab.
Auch sonstige Äußerungen von Gauck zum Islam ließen immer wieder aufhorchen. So bezeichnete er bei dem Besuch einer Berliner Moschee im Oktober 2012 den Iman der Moschee als „Häuptling“ und erklärte lediglich einmal, aus „architektonischen Gründen“, als Tourist in einer Moschee gewesen zu sein.
Genügend Anlässe, um Gaucks Darstellung des Islam einmal näher zu betrachten. Was zeigt uns die Analyse von Äußerungen, Interviews und Reden seit seiner ersten Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten im Jahr 2010?
Der Islam als Kultur
Lange Zeit dominierte in Gaucks Äußerungen das Bild des Islam als das einer „fremden Kultur“. Islam und Westen werden in diesem als von einander unterschiedliche und abgeschlossene Kulturen mit spezifischen Wesensmerkmalen verstanden. Anknüpfend an dieses essenzialistische Verständnis von „unterschiedlichen Kulturen“, wird der Islam als einhergehend mit wesenhaften kulturellen Werten und Normen dargestellt. Diesen „islamischen Traditionen“ werden dabei die „deutschen“ Werte gegenüber gestellt. Der Islam wird als eine homogene und monolithische Kultur portraitiert, die das soziale Handeln von Muslimen prägt.
Der Islam als das Andere
Diese diskursive Konstruktion des Islam als eine „andere Kultur“ findet sich in Gaucks Diskurs besonders häufig zusammen mit dem Verweis auf den religiös und kulturell „nicht-aufgeklärten“ Islam. In zahlreichen Reden und Interviews verweist Gauck auf dieses Argument, um eine Unterschiedlichkeit und Andersartigkeit des Islam zu begründen. Mit der Berufung auf die „europäische Aufklärung“ wird dabei der Islam im Gegensatz zum „christlich-abendländischen“ Europa gesetzt. Damit wird jedoch nicht nur eine religiös-kulturelle Differenz markiert, sondern ebenfalls der Islam als rückschrittlich, defizitär und entwicklungsbedürftig konstruiert. Christentum und Europa werden als fortschrittlich und damit als höherwertig positioniert. Auf diese Weise rückt der Theologe Gauck, anstatt die Nähe und die gemeinsamen Bezüge zwischen Christentum, Judentum und Islam hervorzuheben, eine religiös-kulturelle Differenz in den Mittelpunkt.
Die Konsequenzen dieses Islambildes werden in Gaucks Position zu der Diskussion über die gesellschaftliche Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland anschaulich. Nach Gaucks Auffassung ist die Zugehörigkeit zu Deutschland immer weniger durch den nationalen Status seiner Bürger definiert, sondern durch ihre kulturelle Zugehörigkeit und ihrem Bekenntnis zu den in Deutschland geltenden Normen und Werten. In diesem Zusammenhang stellt Gauck jedoch mit dem Verweis auf die Aufklärung, die kulturelle Übereinstimmung mit dem Islam infrage. In der Konsequenz wird der Eindruck erweckt, dass der „nicht-aufgeklärte“ Islam mit anderen, gegensätzlichen Werten und Normen einhergehe und dass er nicht mit den Rechten und Freiheiten, „die in Deutschland gelten“, übereinstimme. Mit dem Verweis auf diese Unterschiedlichkeit wird der Islam daraufhin als anders und nicht zu Europa zugehörig ausgegrenzt. Der Islam wird zu „dem Anderen“ von Europa gemacht.
Der Islam als Fremde
Die Rolle des Islam als „das Andere“ des Westens findet sich an zahlreichen Stellen in Gaucks Diskurs. Besonders prägnant und in einer zugespitzten Form in einem Interview aus dem Oktober 2010. In diesem verwendet Gauck Begriffe wie „Fremdheit“ und die Argumentationsfigur der „Überfremdung“, um die nach seiner Meinung bestehende grundsätzliche Fremdheit zwischen Islam und Europa zu beschreiben. Dabei zeichnet er nicht nur das Bild einer kulturellen Unterschiedlichkeit, sondern hebt eine fundamentale Fremdheit des Islam hervor:
[…] Denn wir würden uns eigentlich nicht helfen, wenn wir Fremdheit und Distanziertheit übersehen würden in der guten Absicht, ein einladendes Land zu sein. Diese gute Absicht ist ja lobenswert, aber wir haben doch ganz andere Traditionen, und die Menschen in Europa […] sind allergisch, wenn sie das Gefühl haben, dass was auf dem Boden der europäischen Aufklärung und auch auf dem religiösen Boden Europas gewachsen ist, wenn das überfremdet wird […].
Besonders mit der Verwendung des Begriffs der „Überfremdung“ wird das Bild eines expansiven und bedrohlichen Islam konstruiert und damit an populistische und islamfeindliche Diskurse über die „Islamisierung“ Europas angeknüpft. Dabei werden sogar Parallelen zwischen Islam und Kommunismus gezogen. Entsprechend der „Feindschaft“ zwischen westlichem und kommunistischen System im Kalten Krieg, müsse Europa die bestehende fundamentale „Fremdheit“ des Islam erkennen. Mit dieser Gleichsetzung erscheint der Islam in Gaucks Worten wie der Kommunismus als ein gegensätzliches und bedrohliches „System“. Die angenommene Unterschiedlichkeit von Islam und Europa erhält einen fundamentalen Charakter. Dieses Bild vom Islam als einem Gegenpol zu Europa zeigt sich immer wieder in Gaucks Diskurs. Beispielsweise in der Gegenüberstellung „fanatisch-islamistischer“ Staaten mit dem demokratischen und freiheitlichen Europa in Gaucks 2012 veröffentlichtem Buch.
Die Konfrontation mit der Realität in Münster
Als Bundespräsident zeigt Gauck sich aber entwicklungsfähig. Nach einigen Monaten Stille äußert er sich nun wieder zum Islam. Seien wir ehrlich, eurozentrisch ist er immer noch, aber zunehmend tauchen bei ihm differenzierende Perspektiven auf den Islam auf. Gauck beginnt in seinen öffentlichen Auftritten, die pauschalen gesellschaftlichen Sichtweisen auf den Islam infrage zu stellen. So hebt er vor allem in seiner Rede vor der Jungen Islamkonferenz die Vielschichtigkeit religiöser, politischer und kultureller Dimensionen hervor, die unter dem gegenwärtigen Islambegriff subsumiert werden. Die für weite Strecken seiner Äußerungen charakteristischen Töne, wie die Darstellung des Islam als grundsätzlich fremd von Europa, finden sich nicht mehr. Dies mag vor allem der Tatsache geschuldet sein, dass Gauck seit seinem Amtsantritt mit der pluralen und vielfältigen Realität einer deutschen Einwanderungsgesellschaft konfrontiert wird. In seinem Amt als Bundespräsident begegnet Gauck dieser Realität. Er trifft bei seinen Reisen und Begegnungen auf deutsche Muslime, die sich nach seinen eigenen Worten „ihre Butter nicht vom Brot nehmen lassen“. Sie geben ihm die Botschaft mit auf den Weg: „Das ist auch unser Land“.
Besonders auffällig ist der Auftritt des Bundespräsidenten in Münster. Dieser steht im Schatten der Auseinandersetzungen über die Ausrichtung des dortigen Zentrums für Islamische Theologie – der ersten institutionellen Verankerung des Faches der islamischen Theologie an einer deutschen Universität. Im Kontext dieser Debatte soll Gaucks Besuch dem Leiter und der liberalen Ausrichtung des Zentrums den Rücken stärken. Dementsprechend wählt der Bundespräsident anerkennende Worte über den Islam als Bestandteil der gesellschaftlichen Realität in Deutschland. Inwiefern die Rede ein weiterer Schritt auf dem (zu langen) Weg des Bundespräsidenten in die vielfältige deutsche Gegenwart ist, lässt sich an Gaucks Islambildern ablesen.
An der Stelle, an der Gauck noch vor einem Jahr die Architektur der Berliner Şehitlik-Moschee als „nicht nach Berlin gehörend“ bezeichnete, begrüßt er nun die „immer mehr schönen innerstädtischen Moscheen“. Dort wo über lange Zeit das Bild einer fremden und monolithischen islamischen Kultur dominierte, wird nun die Pluralität, Vielschichtigkeit und der kulturelle und spirituelle Reichtum des Islam hervorgehoben. An den Stellen, an denen vorher der Eindruck erweckt wurde, dass der Islam all um fassend das gesellschaftliche Leben von Muslimen präge, steht nun die Botschaft, dass Menschen nicht allein aufgrund ihrer Religion beurteilt werden dürfen. Anstatt der Darstellung des Islam als nicht-aufgeklärt und anders, wird Neugier auf die Auseinandersetzung mit muslimischen Leben in Deutschland bekundet.
Es ist zu hoffen, dass Gauck den eingeschlagenen Weg fortschreitet. Aktuell Meinung Politik
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@ Wolfgang Meinem
„Der Islam gehört zu jedem Land, zu jeder Nation und zu jedem Menschen – wenn er angenommen wird.“
Der Islam wird in Deutschland angekommen sein, wenn er zu denjenigen Menschen gehört, die ihn angenommen haben. Weder ein Land, noch eine Nation, geschweige denn ein Rechtssystem haben damit etwas zu tun.