Critical und Incorrect
„Fachkräftemangel“ – gibt es den überhaupt?
Die Rechenaufgabe – Fachkräftenachfrage minus Fachkräfteangebot ist gleich Fachkräftemangel – mutet einfach an. Sabine Schiffer meint hingegen, dass es eine Gleichung mit vielen Unbekannten ist.
Von Prof. Dr. Sabine Schiffer Mittwoch, 15.01.2014, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 06.02.2020, 13:57 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Er ist in aller Munde und allein durch die Anzahl der Wiederholungen des Begriffs glauben viele an seinen Wahrheitsgehalt. Manchmal noch mit direktem Artikel versehen, wird „der Fachkräftemangel“ zu unhinterfragten Realität. Dabei wäre es dringend geboten, seinen Realitätsgehalt und somit seine Existenz zu hinterfragen.
So sagte der Referent für Konjunkturanalyse und -prognose am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Karl Brenke, 2012 in einem Interview mit Echo-online, dass er die Zahlen vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) für eine falsche Hochrechnung halte. Er stellt den angeblich 110.000 offenen Ingenieursstellen 30.000 selbst berechnete gegenüber und belegte marktanalytisch, dass die Stagnation in der Lohnentwicklung bei Ingenieuren nicht dafür spreche, dass zu wenig Angebot und eine zu hohe Nachfrage vorhanden wäre. Hingegen vermutete er, dass man durch die Öffnung des Arbeitsmarktes für gut Ausgebildete aus Schwellenländern lediglich das Lohnniveau weiter niedrig halten wolle. Dafür spreche auch, dass man das jährliche Mindestgehalt für gut ausgebildete Arbeitsmigranten auf 35.000 Euro festgelegt habe – wohlgemerkt in Berufen, die angeblich nach Arbeitskräften ringen und deshalb rein marktwirtschaftlich gedacht viel höhere Preise/Löhne erzielen müssten.
Ältere Fachkräfte, die nun arbeitslos sind oder auf Lohnsteigerungen verzichten, weil sie teuer sind und durch den Lohndruck dank der Billigkräfte Konkurrenz auf einem künstlich vergrößerten Anbietermarkt erfahren, beklagen genau diese Entwicklung. Auch im Gesundheitsbereich ist dieser Trend im Zusammenhang mit der Privatisierung von Krankenhäusern und Pflegestätten zu verzeichnen. Gerade in der Pflege ist die Nachfrage besonders hoch, die Löhne steigen aber nicht – sondern es werden aus fernen Ländern Menschen eingeladen, die bereit sind, Tag- und Nachtschichten in Vollzeit + Überstunden für 2400 Euro brutto im monatlich zu leisten. Die Bereitschaft, für diesen Lohn die schwere und qualifizierte Arbeit zu verrichten verhindert, dass die Umlage der Kosten auf alle Bürger ausgeweitet wird. Kranken- und pflegeversicherungspflichtig sind nach wie vor nur ein Bruchteil von Arbeitnehmern. Reformen müssten hier ansetzen, nicht bei der Senkung von Pflegestandards und Zuwendungszeiten.
Wer profitiert von der Debatte?
Das Gerede vom Fachkräftemangel dient den sog. Arbeitgebern und ist in vielen Fällen nichts anderes als Lohndumping. Aber nicht nur Lohnkosten will man offensichtlich einsparen, auch Ausbildungs- und Fortbildungsangebote können durch den Zukauf billiger, gut ausgebildeter Kräfte aus dem Ausland, reduziert werden – alles Kosten, die bei Nichtanfallen die Gewinne der Unternehmen steigern. Hierin könnte ein Teil der Erklärung liegen, warum die Wirtschaft in Deutschland wächst, der Export steigt, aber die Konsumnachfrage stagniert und gleichzeitig das soziale Sicherheitsgefühl abnimmt. Die Diskrepanz zwischen Arm und Reich nimmt zu, der Mittelstand schmilzt. Diese kurzsichtige Unternehmensstrategie führt zu kurzfristigem wirtschaftlichem Erfolg, bis die Nachfolger in den Aufsichtsratspöstchen die Scherben der ehemals Profitbeteiligten auflesen können. Nachhaltig ist unser Wirtschaften nicht, wie man in der leidigen Diskussion um das Aufschieben einer langfristig gar nicht zu umgehenden Energiewende ebenfalls sehen kann.
Die zunehmende Technisierung in allen Berufssparten macht es zudem unkalkulierbar, ob in Zukunft überhaupt noch in einem gewohnten Maße bestimmte Berufe gebraucht werden. Caterina Lobenstein schreibt dazu in der Zeit am 14. Oktober 2012: „Keiner weiß, wie viele Ingenieurstellen in Deutschland frei sind […]. Es gibt zwar ein Verzeichnis bei der Agentur für Arbeit, aber das taugt nichts. Denn viele Unternehmer melden ihre freien Stellen nicht, deshalb kann man nur vermuten, wie groß die Nachfrage nach Ingenieuren tatsächlich ist. Auch das Angebot an Personal lässt sich schwer berechnen: Wie viele Ingenieure sind arbeitslos? Wie viele gehen ins Ausland? Wie viele gehen demnächst in Rente? So wird aus der einfachen Rechenaufgabe – Fachkräftenachfrage minus Fachkräfteangebot gleich Fachkräftemangel – eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Noch komplizierter wird sie, wenn man wissen will, wie viele Ingenieure nicht jetzt, sondern in zwanzig Jahren fehlen: Werden dann mehr Schulabgänger studieren? Wird es bessere Maschinen geben, sodass man für dieselbe Arbeit weniger Menschen braucht? Werden mehr Frauen einen Beruf ergreifen? Marktwirtschaften verändern sich mit der Zeit. Wie genau die deutsche Wirtschaft in zwanzig Jahren aussieht, kann heute niemand sagen.“
Der „Schweinezyklus“
Die hier gemachten Überlegungen ergänzen noch das, was als „Schweinezyklus“ in den Wirtschaftswissenschaften bekannt ist: Erhöhte Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt etwa führt zu entsprechenden Ausbildungsentscheidungen. Wenn nach absolvierter Ausbildung oder Studium, die Arbeitskräfte dann zur Verfügung stehen, kann sich die Nachfrage längst geändert haben. Generationen von Lehrkräften können ein Lied davon singen, dass in bestimmten Phasen der Sättigung auch die bestbenoteten Abschlüsse keine Anstellungsgarantie bedeuteten. Arbeitsämter rieten zu der Zeit fehlender Arbeitsplätze genau die nicht mehr nachgefragten Fächer zu studieren, damit man antizyklisch mit der Ausbildung fertig werde. Erstaunlich, dass in der aktuellen Debatte um einen angeblichen Fachkräftemangel Marktzyklen als Thema so gut wie nicht vorkommen.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung sieht keinen Mangel aufscheinen, jedenfalls nicht bis 2030. Die Forschenden des Instituts sehen gar ein Überangebot an Fachkräften mit Hochschulabschluss auf uns zukommen, die nicht die versprochenen Meriten für ihre Ausbildungsanstrengungen erhalten werden. Wer also einen „Fachkräftemangel“ unhinterfragt beschwört, kann einem Missverständnis aufgesessen sein oder aber gezielt Menschengruppen gegeneinander ausspielen wollen – zum eigenen Nutzen und Profit. Aktuell Meinung
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Und noch eins, Herr oder Frau Kea:
Bei der Studie geht es nicht um die Armut von Jugendlichen, die angeblich zu viel Abitur machen, und deshalb arm sind, wie Sie unrichtigerweise behaupten, sondern um Kinderarmut. Um Kinder, die in armen Haushalten leben, weil ihre Eltern kein ausreichendes Einkommen haben und keineswegs, weil die zu viel Abitur verheißen bekommen. Es ist nämlich so, dass in der Regel die von Armut betroffenen Kinder keineswegs ein Abitur „verheißen“ bekommen, weil deutschlandweit die Kinder aus armen Haushalten eben überwiegend nicht auf dem Gymnasium landen. Das belegen alle Studie. Wenn die Armut der Kinder also an der „Abiturverheißung“ liegen würde, müssten auf dem Gymnasium ganz besonders viele arme Jugendliche und Kinder zu finden sein. Das Gegenteil ist aber der Fall, die Kinder aus sozial schwachen Familien, die durchaus auch in der Oberpfalz zu finden sind, gehen eben gerade nicht aufs Gymnasium und kriegen auch nichts diesbezügliches verheißen. Und die Kinder, die auf das Gymnasium gehen, sind auch im späteren Leben signifikant weniger von Armut betroffen, auch in der Oberpfalz ist die Absolvierung des Abiturs nun keineswegs ein Armutsrisiko. Sondern exakt das Gegenteil. Die Armutsrate ist unter der Bevölkerung mit Abitur niedriger, als bei dem Bevölkerungsteil, der kein Abitur hat.
Schon krass, wie Sie die Aussagen über Ursachen der Kinderarmut (Migrationshintergrund, beispielsweise, alleinerziehend, u.a.m.) der Studienautoren, die in dem Bericht wiedergegeben sind, nach ihrem Gusto verdrehen, indem Sie das Abitur als armutserhöhendes Risiko darstellen. In der Oberpfalz leben übrigens im Vergleich sehr wenige Menschen mit Migrationshintergund und auch viel weniger Alleinerziehende als beispielsweise in den neuen Bundesländern. .
Sehr geehrte Frau Demmer (?),
zunächst vielen Dank für Ihre Richtigstellungen zur Begrifflichkeit (1:0 für Sie, das hätten wir eher klären sollen), aus denen ich allerdings nach wie vor die Präferenz erkenne, dass Sie den Bildungsweg über das Abitur dem der dualen Berufsausbildung vorziehen. Natürlich gibt es dafür auch gute Gründe, allerdings werden Sie mir sicherlich zustimmen, dass das Abitur als einziger Weg in die Berufswelt nicht hinreichend sein kann und sich zum Abbau sozialer Ungleichheit beide aufeinander beziehen sollten.
Die von Ihnen erkannte Gehaltsdiskrepanz innerhalb der Facharbeit trifft unumwunden zu, allerdings sollten Sie hier differenzieren. So gibt es unter Anderem einen Zusammenhang zwischen ‚wissensintensiven‘ Berufen und der Gehalts- und Beschäftigungsentwicklung. Wissensintensive Berufe zeichnen sich durch ein hohes Maß an regelbasiertem Wissen aus, was konkret heißt, dass sie insbesondere hohe Ansprüche an mathematische Fähigkeiten und modellhaftes Verständnis stellen. Da das Arbeiten mit abstrakten Regeln im Vergleich zum erfahrungsbasierten Handeln eine Fähigkeit ist, die in der Regel recht mühsam antrainiert werden muss, könnte dies eine von sicherlich vielen möglichen Erklärungen zum Gehaltsgefälle resp. dem Armutsrisiko in der Facharbeit sein. Gerade die Eigenschaft, abstrakte und nicht rein erfahrungsbasierte Regeln zum beruflichen Handeln zu verwenden, mit denen sich sehr vielfältige und unterschiedliche Fälle bearbeiten, Phänomene erklären oder Probleme lösen lassen, ist für weite Teile der Gehaltsdiskrepanzen in unserer Gesellschaft verantwortlich, hierfür werden Sie in der Literatur hinreichend Belege finden. Somit ist diese Eigenschaft auch eine bedeutende Quelle für soziale Ungleichheit in technologisch entwickelten Gesellschaften.
Meine These ist, dass gerade Berufliche Bildung diese Ungleichheit durch die Anwendung von (betrieblichem) Erfahrungslernen zum Erwerb von abstraktem Regelwissen als „Fördermaßnahme“ abbauen kann und dadurch einen Weg zu weiterem Aufstieg, der über das Gymnasium nicht möglich gewesen wäre, ebnen kann. Dies hat damit zu tun, dass sich abstraktes, regelbasiertes Wissen auf zweierlei Arten erlernen lässt:
1) Lernen durch Instruktion- der klassische, mühsame Weg des Gymnasiums mit viel Kopfschmerzen, weil sich für SchülerInnen abstrakte Strukturen selten aus sich heraus als nützlich erweisen. Vorteil: Innerhalb kurzer Zeit werden viele Regeln vermittelt und eingepaukt. Nachteil: Die Herkunft der Regeln bzw. ihre Ableitung aus Beobachtungen in der Realität, wird angesichts des hohen Lernpensums bzw. knapper Zeit oft nur unzureichend thematisiert. Dadurch wird später in der Praxis oft nicht richtig erkannt, wann welche Regeln zum Einsatz kommen sollten (vgl. ‚träges Wissen‘).
2) Lernen durch Erfahrung und Erkennen von Regelmäßigkeiten mit anschließender Abstraktion: Der (etwas längere, aber solide) Weg in der beruflichen Bildung.
Hierbei hat sich gezeigt, dass sich komplexe Regeln insbesondere dann gut lernen lassen, wenn sich ihre Herleitung aus der Erfahrungswelt der Lernenden halbwegs erschließt. So wird jemand z.B. eine physikalische Gesetzmäßigkeit insbesondere dann gut verstehen, wenn er ihre Effekte in der Praxis bereits erlebt hat oder die Regelmäßigkeiten und Fragezeichen, die zu ihrer Entstehung führten, selbst schon einmal durchmachen musste und sie dadurch für sich als nützliches Werkzeug begreift. Vorteil also: Regeln können durch die Verknüpfung zum Erfahrungslernen oft besser verstanden werden und werden in der Praxis aufgrund ihrer Notwendigkeiten direkt zur Lösung von Problemen angewendet. Außerdem können sie in dieser Form gut als Grundlage für spätere mathematisch-naturwissenschaftliche Studien dienen. Durch die Eingänglichkeit des Lernens durch Erfahrung mit späterer Abstraktion können die Regeln außerdem insbesondere an diejenigen vermittelt werden, die auf dem Gymnasium keine Chance gehabt hätten, dieses Wissen aber auf diesem Lernweg in ihrem späteren Beruf gewinnbringend einsetzen können. Nachteil: Dieses Lernverfahren dauert länger. Dadurch ist der Regelfundus zwar nicht so groß und das Abstraktionsniveau nicht so hoch wie auf dem Gymnasium, dafür aber oftmals viel lebendiger und nachhaltiger (und es bieten sich im System weitere Möglichkeiten, um diese Wissenslücke zu überwinden).
Summa summarum: Gerade im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich ist die berufliche Bildung durch ihre Verschränkung von Erfahrungs- und Theorielernen eine wichtige Ergänzung zum allgemeinbildenden Gymnasium und somit ein wichtiges Werkzeug zum Abbau von sozialer Ungleichheit durch Wissens- und Chancenvermittlung im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Natürlich ließe sich diese Ungleichheit auch dadurch abbauen, dass man den gesamten Mat.-Nat.-Bereich durch Verlagerung von Anreizen schrumpfen ließe, so insgesamt weniger ausbildete und stattdessen auf andere Bereiche (z.B. den künstlerisch-gestalterischen Bereich) als Quelle von Wohlstand setzte, sofern sich hier auf dem Weltmarkt gute Absatzchancen verhießen. Dadurch würde sich allerdings in diesem neuen Bereich selbstverständlich widerum eine neue Form von sozialer Ungleichheit aufbauen und der vormals sozial ungleiche Bereich fiele zur Bildung von Wohlstand gänzlich weg.
So, nun sind wir sehr weit weg vom eigentlichen Thema, allerdings würde ich mich sehr freuen, wenn Sie meinen Ausführungen zumindest etwas an Glaubhaftigkeit abgewinnen könnten.
Vielen Dank fürs Lesen und die intensive Diskussion. Ihre Ausführungen zur sozialen Gerechtigkeit und zur Zuwanderung finde ich sehr richtig und achtenswert!
Der Artikel von Dr. Schiffer sollte genau darauf aufmerksam machen, dass die Interessen der Entscheider woanders liegen – und um diese durchzusetzen werden die einzelnen gegeneinander ausgespielt: Akademiker gegen sog. wenig Qualifizierte, Frauen gegen Männer, sog. In- gegen sog. Ausländer, Junge gegen Alte usw. (Ein Blick in die Zukunft: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/74795/umfrage/jugendarbeitslosigkeit-in-europa/).
Ziel ist die maximale Gewinnabschöpfung… und tatsächlich hilft Ausbildung nicht, um Prekariat zu umgehen (http://dtj-online.de/studium-uni-akademiker-lehramt-18486) – Ausbildung zu unterlassen, ist hingegen ebenso fahrlässig und führt dazu, dass noch mehr Menschen die reine Unterwerfung pflegen werden (schlicht, weil sie die Zusammenhänge nicht mehr nachvollziehen können – wobei man natürlich darüber diskutieren kann und sollte, ob die aktuelle Schulsituation überhaupt geeignet ist, um kritische Geister und Fantasie zu fördern, sich die Machenschaften hinter den verlautbarten Medienstatements ausmalen zu können).
Pingback: Fachkräftemangel: Was wir lernen müssen und worauf es heute ankommt - Arbeitsmarkt, Einwanderung, Fachkräftemangel, Meinung - MiGAZIN
@IMV: Das gegenseitige Ausspielen ist ein bedenklicher Trend, den auch ich bemerke. Nochmals eindeutige Zustimmung!
Ich habe beim Stöbern in den VDI-Nachrichten eben übrigens noch ein interessantes Statement von Herrn Esser, dem Chef des BIBB gefunden. In den VDI-Nachrichten Nr. 48 vom 29.11.2013 sagte er unter der Überschrift „Verzicht auf duale Ausbildung schwächt den Standort Deutschland“:
„Gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben wir aufgezeigt, dass gerade auf der mittleren Qualifikationsebene die Engpässe am größten sein werden. Was fehlt, sind [weitergebildete] Fachkräfte, die eine duale Ausbildung absolviert haben. Diese Lücke kann nur über eine kontinuierliche betriebliche Ausbildung klein gehalten werden. Zudem zieht jeder akademische Beruf Tätigkeiten auf der mittleren Qualifikationsebene nach sich. Hier brauchen wir gut ausgebildete und qualifizierte Fachkräfte.“
Weiterhin spricht er in dem Artikel von einem „Passungsproblem“, welches sich insbesondere für kleine Betriebe ergäbe, die mit der Ausbildung von Jugendlichen mit niedrigen Schulabschlüssen „häufig überfordert“ seien (Segregationseffekt durch Abwanderung guter SchülerInnen in höhere Schulformen..). Hierdurch würden viele Ausbildungsbetriebe schließlich resignieren, auch wenn ihnen dadurch keine gute Zukunft mehr beschieden ist (es dürfte dann naheliegenderweise kein Generationenwechsel in der Geschäftsführung mehr erfolgen).
In den VDI-Nachrichten finden Sie über die Suche des Stichworts „Berufsbildung“ gute Belege dafür, dass es offensichtlich gerade die praktische Erfahrung ist, die das Theoriewissen von Informatikern, Ingenieuren oder auch Naturwissenschaftlern lebendig werden lässt. Und somit für den Nachwuchs in wichtigen, wirtschaftsstarken Innovationsbereichen unserer Gesellschaft unverzichtbar ist.
Der Weg über das Abitur in die Berufsausbildung (sofern er denn überhaupt noch stattfindet) ist also ein unnötiger Umweg, denn durch das berufsbildende System selbst bieten sich vielfältige, hervorragende (im Weiterbildungsbereich durch BAFöG abgesicherte) Möglichkeiten, berufliche Abschlüsse sowie Weiterbildungs- und hochschulqualifizierende Abschlüssen zu erwerben, denen eines gemeinsam ist: Wertvolles Erfahrungswissen als lebendige Grundlage der Theorie.
Verstehen Sie jetzt, warum ich die Grafiken von den Firmenpleiten und vom Armutsrisiko für Kinder verlinkt habe, auch wenn dies auf den ersten Blick nicht plausibel erscheint? Der Tribut, den Bundesländer dafür zahlen dürften, dass sie stärker auf das akademische Modell setzen als andere, scheint allem Anschein nach eine Krise in der unteren bis mittleren unternehmerischen Führungsebene zu sein, die für den Fortbestand von Unternehmen (und damit für das Steueraufkommen eines Bundeslandes) essentiell ist.
Die Antwort auf die Frage: Gibt es einen Fachkräftemangel? Dürfte also lauten: Ja und Jein.
Ja, weil viele (kleine!) Betriebe mit den Schwierigkeiten bei der Ausbildung nicht zurechtkommen und dadurch die Ausbildungsquoten seit Jahren rückläufig sind. Daraus muss sich früher oder später ein Fachkräftemangel ergeben- insbesondere in wissensintensiven Bereichen, die am wenigsten nachgefragt werden.
Jein, weil es darüber hinaus ein indirekter Mangel in den Firmenhierarchien ist, die in ihren strategischen und operativen Entscheidungen nachvollziehbarer Weise auf unternehmensspezifisches Wissen angewiesen sind. Dieser Mangel geht klar von den Wurzeln der Facharbeit aus, ist zwingend auf betriebliche Erfahrung angewiesen und beitet darüber hinaus wichtige Aufstiegsmöglichkeiten für Fachkräfte.
Und dies wäre mit ein bisschen politischem Willen leicht zu beheben!