Arm durch Arbeit
Integrationskurse abschaffen
Vielleicht sollte man die Integrationskurse ganz abschaffen. Seit Jahren schleppt sich dahin, was eh nie besonders intelligent konzipiert war, und was von der Rot-Grünen Koalition mit einer einzigen Prämisse versehen war: der Staat wollte nichts damit zu tun haben. Zumindest nicht mit den Lehrkräften oder den TeilnehmerInnen der Integrationskurse.
Von Georg Niedermüller Freitag, 17.01.2014, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 21.01.2014, 0:22 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Um die hohe Qualität der Integrationskurse zu sichern“ gibt es die sogenannte Bewertungskommission, in der angeblich auch „Experten der Praxis“ und sogar „Wissenschaftler“ sitzen sollen. Zur Hälfte sitzen dort laut letztem Protokoll Beamte des Bundesinnenministeriums, dazu noch jemand vom Deutschen Volkshochschulverband und ein paar Professoren. Damit sind wahrscheinlich die „Experten der Praxis“ gemeint. Lehrkräfte oder gar echte Ausländer findet man da nicht.
Beim letzten Treffen durften tatsächlich zwei Lehrkräfte antreten und darauf hinweisen, dass Lehrkräfte in Integrationskursen „in der Regel als Honorarkräfte beschäftigt werden“. „Sie machten auf die fehlende soziale Absicherung (u.a. keine Übernahme von Sozialversicherungskosten, kein Mutterschutz, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall) aufmerksam und forderten höhere Honorare.“ Im Ergebnis hieß es im Protokoll lapidar: „Es wurde darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Durchführung der Integrationskurse zwischen dem Bundesamt und den Integrationskurslehrkräften keinerlei vertragliche Vereinbarung sowie keinerlei Rechtsbeziehung besteht.“ Richtig. Das BAMF weist immer gerne darauf hin, dass es mit der Frage, ob die Volkshochschulen Sozialversicherungsbeiträge an den Staat zahlen müssen, nichts zu tun hat. Der Deutsche Volkshochschulverband saß wie immer mit am Tisch, schaute aber betroffen weg. Die Frage der Sozialversicherungsbeiträge stellt man an deutschen Volkshochschulen besser nicht.
Die Volkshochschulen fahren eine doppelte Strategie: Zum einen heucheln sie Verständnis für die Lehrkräfte: „Wir zahlen den Dozenten mehr als 20 Euro, können so aber nicht alle Verwaltungskosten decken“, sagt Ulrich Bausch, Leiter der Reutlinger Volkshochschule. „Ich finde es unerträglich, Menschen mit Hochschulabschluss 15 Euro pro Stunde zu zahlen. Das ist ein Ausdruck von Geringschätzung.“ Richtig, aber die 20 €, die die Reutlinger VHS zahlt ist ebenfalls ein Ausdruck von Geringschätzung. Zum anderen schmeißen die Volkshochschulen jeden raus, der es wagt, auf Missstände hinzuweisen. Hier ein Zitat aus der Mail einer Kollegin: „Hallo, mir ist etwas Ähnliches passiert, und zwar habe ich meinen Chef (einer VHS) auf unsere prekären Beschäftigungsverhältnisse aufmerksam gemacht, worauf er ziemlich säuerlich und verständnislos reagierte. Er ließ meiner Argumentation keinen Spielraum, tat sie als unqualifiziert ab. Ich würde hier schließlich nicht zum Arbeiten gezwungen werden, wenn es mir nicht passe, könne ich ja woanders anfragen (das Übliche, was man von den Chefs in unserer Branche gesagt bekommt).“ So reagieren VHS-LeiterInnen, wenn man sie auf die prekären und rechtlich äußerst bedenklichen Arbeitsverhältnisse hinweist.
Ein anderes Beispiel: An der VHS Neustadt wurde Frau B. seit 22 Jahren mit befristeten Arbeitsverträgen von maximal einem Jahr beschäftigt, früher als Sprachdozentin, seit acht Jahren als pädagogische Mitarbeiterin. Als sie etwas mehr Arbeitssicherheit forderte, wurde sie vom Bürgermeister der Stadt Neustadt gefeuert. Ein offener Brief an den Oberbürgermeister Hans Georg Löffler half nicht.
VHSn und BAMF spielen den Lehrkräften seit Jahren eine Komödie vor. Das BAMF (genauer gesagt die Abgeordneten des Haushaltsausschusses) wirft zu wenig Geld in den Topf, hat aber rechtlich gesehen nichts mit den Lehrkräften zu tun. Die VHSn haben zwar die Arbeitsverträge mit den Lehrkräften, schieben den schwarzen Peter zum BAMF und üben Druck auf die Lehrkräfte aus, die Zustände nicht anzusprechen. Der Bedarf für die Integrationskurse wird für 2014 mit einem Finanzbedarf in Höhe von 219 Mio. € veranschlagt, vorgesehen sind nach dem ersten Haushaltsentwurf jedoch nur 204 Mio. „Bedarf“ bedeutet hier nicht etwa, dass irgendwelche Zahlen darüber vorliegen, wie viele Lehrkräfte davon bezahlt werden müssen. Diese Zahl ist der Bundesregierung nicht bekannt. Damit hat die Bundesregierung nichts zu tun, denn wieviel jede einzelne Lehrkraft verdient ist nur Ergebnis ihres „unternehmerischen“ Auftretens. So haben es sich die Freunde der freien Wirtschaft bei Rot-Grün damals vorgestellt.
Den Lehrkräften kann man nur dringend empfehlen, sich aus dem Integrationskursbereich zu verabschieden und die Integrationskurse vor die Wand fahren zu lassen. Wenn eine Tätigkeit so verachtet und gering geschätzt wird, dann sollte man es in einem anderen Arbeitsbereich versuchen. Aktuell Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- AfD beschließt „Remigration“ Abschiebung von „Personengruppen mit schwach…
- Fachkräftemangel vs. Abschiebung Pflegeheim wehrt sich gegen Ausweisung seiner Pfleger
- Verwaltungsgerichtshof Nürnberg muss Allianz gegen rechts verlassen
- Spurwechsel ermöglichen Migrationsexperte fordert Bleiberecht für arbeitende…
- Bundesverwaltungsgericht Geflüchtete dürfen nach Italien abgeschoben werden
- „Diskriminierend und rassistisch“ Thüringer Aktion will Bezahlkarte für Geflüchtete aushebeln
Die Situation der Integrationskurse ist ein Spiegelbild des desintegrierten Integrationsbemühungen.
Die Personen die integrieren sollen müssen fast so prekär leben, wie die Personen, welche es zu integrieren gilt.
Es wird immer mehr Desintegration geschaffen und das sogar mit „Integrationskursen“ … bravo Deutschland …
Josef Özcan (Diplom Psychologe)
http://www.koelnerappell.de
Bravo, Herr Özcan,
Sie sind der lebende Beweis, dass alles, was die Bundesregierung tut, um das Ein- und Zusammenleben von Zuwanderung zu erleichtern, gegen sie verwendet werden kann.
Ob Sprachlehrer an den vhs und sonstigen Instituten, die Integrationskuse (die zu 99% Deutschlernkurse sind) angemessen bezahlt werden, sei dahingestellt.
Bei Ihnen heißt das dann so: „…Situation der Integrationskurse ist ein Spiegelbild des desintegrierten Integrationsbemühungen…“
Also – Sprachkurse einfach „abschaffen“? Wissen Sie, was Sie da sagen? Deutschland ist eines der wenigen Länder auf diesem Planeten, die sich der Situation der sich hier Ankommenden annimmt.
Und ich dachte bisher, dass Konsens darüber herrscht, dass die Sprache der Schlüssel zur Teilhabe an der Gesellschaft sei… Sie offenbar nicht.
Zunächst einmal muss es heißen: … der desintegrierten Integrationsbemühungen … diese Fehlerhaftigkeit der Niederschrift bitte ich zu verzeihen lieber „Herr Gero“ …
Es geht nicht darum Deutschkurse abzuschaffen, sondern darum die Verhältnisse zu verändern in denen Integration stattfindet und darauf zu achten wie Integration stattfindet.
Was hilft es einem Migranten oder einer Migrantin, wenn er/sie die deutsche Sprache beherrscht aber dadurch keinen wirklichen Vorteil in seiner/ihrer Integration erfährt, weil die Strukturen ihn/sie auch mit
Deutschkenntnissen ausspeien.
Die „Integrationskurse“ sind ein Spiegelbild der oft unprofessionellen und vor allem kurzsichtigen Bemühungen um Integration.
Josef Özcan (Diplom Psychologe)
http://www.koelnerappell.de
Deutschkurse sind die Voraussetzung für Integration – aber keineswegs ein Garant. Sie ermöglichen Integration, sie sind ein möglicher Schritt in Richtung Integration, wenn man sie denn wahrnimmt und wenn sie sanktionsfrei als Möglichkeit angeboten werden.
Auch wenn jemand sehr gut Deutsch kann, sagt das noch nichts über den Status seiner Integration in die deutsche Gesellschaft aus. Auch „Deutsche“ mit guten Sprachkenntnissen sind nicht integriert, gehören zu Randgruppen der Gesellschaft, wenn sie für ihre Arbeit nicht das Geld verdienen, was sie zum ihrem selbst anspruchslosen Leben brauchen und mit Hartz IV aufstocken müssen. Das betrifft Migrantinnen und Migranten genauso wie Deutsche. Viele – egal welcher nationalen Herkunft – sprechen gut Deutsch, haben eine gute Ausbildung und sind seit Jahren arbeitslos – also nicht in das Gesellschaftsleben in Deutschland integriert. Wieder andere – egal welcher nationalen Herkunft – mit besten Deutschkenntnissen lehnen unser westliches Werte- und freiheitliches Demokratiesystem ab und wollen sich gar nicht darin integrieren, nutzen ihre guten deutschen Sprachkenntnisse, um gewissermaßen missionarisch für ihre ganz anderen Werte und Ideale auch Deutsche in Deutschland anzuwerben.
Integration hat nur bedingt etwas mit Deutschkenntnissen zu tun. Ohne Deutschkenntnisse ist Integration allerdings kaum möglich. Das zu erkennen, müsste eigentlich zu einer ganz anderen Integrationspolitik führen, als wir sie haben. Integration betrifft Deutsche wie Migrantinnen und Migranten und gehört zu Bildung, Arbeit und Soziales, befindet sich aber in der Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums – Ministerium für innere Sicherheit. Das sagt eigentlich alles. Naturgemäß, muss man schon sagen, taugt das Konzept für Integrations-, Alpha, und Orientierungskurse insgesamt nichts, ist nur eine Mogelpackung – ist nicht drin, was draufsteht, geschweige denn, eine Erfolgsgeschichte – was man nicht zuletzt auch an der Bezahlung der Lehrkräfte in nahezu illegalen Beschäftigungsverhältnissen sieht, die diese „Erfolgsidee“ umsetzen sollen..
Das Problem mit den Integrationskursen ist neben den teilweise auch schlecht qualifizierten Lehrenden (mitnichten immer dafür ausgebildete Sorachlehrer, kann schon mal ein BWLer sein, der keine guten Grammatikkenntnisse hat – bei kleineren Trägern) und deren Bezahlung ist auch, dass ganze unterschiedliche Lernniveaus in einer Gruppe sein können – von Analphabeten bis ambitionierten Fortgeschrittenen.
Ich habe 24 Jahre lang in den USA gelebt. Dort gibt es auch Integrationskurse und Kurse in Englisch als Zweitsprache für Migranten. Sie werden an staatlichen Community Colleges, also Fachschulen, unterrichtet. Die Lehrkräfte benötigen ein Master Studium, die Zusatzausbildung des TESL-Zertifikats nach dem Bachelor reicht schon lange nicht mehr aus, aufgrund steigender Konkurrenz. Dann steckt man erst einmal mit 40.000-60.000 Dollar Studienanleihen in der Kreide. Der Stundenlohn ist ungefähr das doppelte wie hier, aber viele Lehrkräfte hangeln sich von Kurzzeitvertrag (Quartal oder Semester) zu Kurzzeitvertrag durch. Auch übersteigt die Kursnachfrage das Angebot, weil die Gelder fehlen. Es ist genauso ein Trauerspiel. Ich wollte eigentlich Integrationskurse hier unterrichten, jetzt, wo ich wieder in Deutschland bin (habe DaF und ESL studiert), aber ich werde es mir vielleicht doch noch einmal überlegen.
Hallo Birgit,
von Integrationskursen ist abzuraten. Allerdings wird gerade erforscht, wie die SPD, die CDU, die Grünen und die Linken zu der Frage stehen. Bisheriges Ergebnis: SPD (Frau Özoğuz) und CDU (Herr de Maizière) haben bisher noch nicht geantwortet, bei den Grünen ist derzeit für Integrationspolitik keiner zuständig, und die Linken (Frau Dağdelen) fordern eine grundlegende Neustrukturierung der Integrationskurse. Der Rat für Migration fordert, dass die Integrationspolitik nicht mehr beim Bundesinnenministerium angeschlossen ist, sondern beim Ministerium für Arbeit und Soziales. Mal sehen, wer in der Politik was fordern wird, meine KiollegInnen und ich werden hier bei Migazin weiter darüber berichten. Auch wenn man nichts ändern kann, aber man kann zumindest herausfinden, welche Parteien die Integrationskurse so unattraktiv machen. Und das betrifft nicht nur die Situation der Lehrkräfte, sondern auch für die KursteilnehmerInnen sind die I-Kurse teilweise eine Zumutung. Susanne hat schon angesprochen, dass da B2-Leute neben Analphabeten sitzen, aber das BAMF interessiert sich nur dafür, dass die Listen ordentlich ausgefüllt sind. Es geht absolut nicht um Bildung, Ausbildung oder Berufsfindung, sondern nur darum, dass die Statistiken und Zahlen des BAMF in Ordnung sind.
Tja, habe selbst als Honorarkraft I.-, O.- und A.-Kurse sowie DaF unterrichtet und mir gefällt die Arbeit. Zwar mache ich dies erst gut zwei Jahre, aber sehe dennoch die schon ins Fatale gehende Finanzsituation.
Die ganzen freiberuflich abzuführenden Kosten sind horrend – allein rund 35% RV und KV – OHNE Steuer, Kirchensteuer, Soli, evtl. Berufsunfähigkeitsvers., Fahrkosten, Essen & Trinken, Kino oder Cappuccino im Cafe sowie Rücklagen.
Wie soll man das finanziell machen?? Selbst wenn man 12 Monate lang je 5 x pro Woche einen Kurs á 5 Std. und dann noch zu 20 € hätte, hätte man 2000 € brutto zur Verfügung. Klingt net schlecht. Minus besagte 35% RV/KV = 1300 € netto OHNE alles. Schlapp! Wehe man ist krank oder es ist Brückentag oder gar Ferien oder man wollte selbst in die Ferien. Und das sind 25 UE pro Woche, wo noch Vor- und Nachbereitung hinzukommen. Ganz schön anstrengend.
Der Gesetzgeber sollte bei diesen 2 Positionen unbedingt runtergehen. Sonst wüsste ich da nicht weiter… Blut- oder Plasma spenden, einen Nebenjob, meist für kleines Geld und zeitaufwändig oder was?
Hoffe, das ich verstanden werde, wenn ich diesen Kommentar allein auf die finanzielle Situation der Honorarkräfte abstelle. Inhaltlich wäre das ein neuer Aspekt.
Pingback: Migrationsbericht 2014 – Teil 4: Integrationskurse (2) – Lehrkräfte
Die Pflicht zum Integrationskurs sollte abgeschaft werden. Freiwillige teilnahme sollte unterstütz werden.
Gruß Dieter