Nach Volksentscheid gegen Zuwanderung
Innenminister will keine Schweizer Verhältnisse, redet sie aber herbei
Bundesinnenminister de Maizière nimmt den Schweizer Volksentscheid zum Anlass, um vor Armutseinwanderung und Gettobildung zu warnen. Dabei geht er von Annahmen aus, die sich statistisch wie praktisch nicht belegen lassen. Welche das sind, fasst Ekrem Şenol zusammen.
Von Ekrem Şenol Dienstag, 11.02.2014, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 16.02.2014, 22:47 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Kaum haben sich 50,3 Prozent der an der Volksabstimmung beteiligten 55,8 Prozent gegen die „Masseneinwanderung“ in die Schweiz ausgesprochen, schwappt die Diskussion auf Deutschland über und rutsch aus dem Ressort „Ausland“ ins „Innere“. Das liegt mitunter an unseren Politikern.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble etwa meinte in der ARD, das Schweizer Votum zeige ein zunehmendes Unbehagen gegenüber einer unbegrenzten Freizügigkeit. „Ich glaube, das müssen wir alle ernst nehmen“, so der CDU-Politiker. Ein anderer Christdemokrat, Wolfgang Bosbach, meint laut Handelsblatt sogar: „Wir müssen die anhaltende Zuwanderung in die Sozialsysteme deutlich begrenzen, sonst wird uns diese Debatte immer wieder begegnen.“
De Maizière: Wer nicht willkommen ist
Nicht anders äußerte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Montag bei einem Gespräch über Integration – Thema: „Willkommen in Deutschland!“ Zwar habe sich de Maizière ein anderes Ergebnis gewünscht, doch zeige die Schweizer Volksabstimmung, „wie dünn die Schicht“ sei, wenn hierzulande von Integration oder Willkommenskultur die Rede sei. Die Bevölkerung könne man für Zuwanderung nur gewinnen, „wenn wir uns darüber im Klaren sind, welche Zuwanderer nicht willkommen sind“ – etwa jene, die nur wegen der Sozialleistungen kommen.
Den politischen Eliten fällt laut de Maizière das Bekenntnis zur Integration jedenfalls leichter als in weiten Teilen der Bevölkerung. Das sei auch verständlich. „In Dahlem können sie toleranter sein, als in bestimmten Gegenden von Neukölln. In Blankenese können sie toleranter sein, als anderswo in Hamburg. Und in Essen am Baldeneysee können sie toleranter sein als in Duisburg“, so der Bundesinnenminister weiter.
Falsche Annahmen
Eine Annahme, die sich schnell widerlegen lässt. Ein Blick auf die Deutschlandkarte zeigt: Die NPD hat bei den letzten Bundestagswahlen die meisten Stimmen dort bekommen, wo die Ausländerquote am niedrigsten ist. In der Schweiz sieht es nicht anders aus, wie das Statistische Bundesamt zeigt: Gebiete mit geringem Ausländeranteil haben überdurchschnittlich häufig gegen die „Masseneinwanderung“ votiert. Die Begründung für dieses Phänomen geben zahlreiche Studien: Gegen Zuwanderung sind vor allem Menschen, die wegen mangelndem Kontakt zu Einwanderern Angst haben. Woher die kommt? Schaun mer mal, was unser Innenminister sonst noch gesagt hat.
Statistisch lässt sich de Maizières Annahme jedenfalls nicht begründen. Es scheint, als habe sich der Bundesinnenminister vor der Panikmache einiger Bürgermeister und von Protesten vor Asylbewerberheimen blenden lassen, die von den Behörden zufälligerweise immer in den sozialen Brennpunkten errichtet werden – in Schrottimmobilien. Stellen wir uns nur einige dieser Abrissgebäude einfach mal in Dahlem, Blankenese oder am Baldeneysee vor!
Nein, wir haben kein Toleranzproblem in Vierteln mit hohem Migrantenanteil, sondern ein Planungs- und Finanzierungsproblem in den Städten. Wer das Gegenteil behauptet, wälzt die Schuld auf die Bürger ab.
Angstmache und Rechtspopulismus
Wie das Ergebnis einer Volksabstimmung über Zuwanderung in Deutschland ausgefallen wäre? De Maizière wollte sich nicht festlegen. Das Schweizer Ergebnis sei auf Deutschland nicht übertragbar, „auch nicht in der Stimmung“.
Möglicherweise. Aber mit etwas Angstmache und einer Brise Rechtspopulismus könnte ihm das gelingen. „Wir dürfen nicht zulassen, dass es Gettobildung gibt. Wir dürfen nicht zulassen, dass es Bereiche gibt, wo die Polizei sich nicht reintraut oder dass Straßenzüge von bestimmten Gruppen beherrscht werden“, sagte de Maizière und meinte sicher nicht eines der vielen No-Go-Areas – insbesondere – im östlichen Teil der Republik. Dabei fällt die Polizei gerade in diesen Gegenden gerne in Ohnmacht, während sie sich in Duisburg, Neukölln oder in den Hamburger Straßen ganz gut durchzuschlagen weiß. Leitartikel Meinung
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