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Buchtipp zum Wochenende

„Der überflüssige Mensch“ von Ilija Trojanow

Ilija Trojanow - Debattenfürst und Leistungsträger der Empörungskultur - spricht im Prenzlauer Berg über den überflüssigen Menschen und fragt: „Wer entscheidet, wer überflüssig ist?“ Klar, überflüssig sind immer die anderen.

Von Freitag, 14.02.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.08.2016, 10:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Der überflüssige Mensch“ ist eine russische Spielfigur. Er fällt ins Fach des lamentierenden Selbstmörders. Beispielhaft ist ein von der Provinz verfluchter Lehrer. Auf dem Theater reißt sich der überflüssige Mensch das Hemd auf, nachdem er seine Familie und den Hof ins Unglück gestoßen hat. Nun muss er möchten. Er möchte selbst daran glauben.

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Ilija Trojanow zieht komplette Kontinente auf die Waage seiner Betrachtungen des „überflüssigen Menschen“. Er unterstellt seine Überlegungen einem Stalin-Satz: „Kein Mensch, kein Problem.“ Er dringt zum Kern der Spätmoderne. Zu einem vollwertigen Bürger befördert das Eigentum. Kein Eigentum bedeutet Ausschluss und Ausschuss. Zugleich nehme „die Zahl gesicherter Arbeitsplätze ab“.

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Trojanow liest aus seiner Recherche in der Georg-Büchner-Buchhandlung am Berliner Kollwitzplatz. Der Kollwitz-Kiez leistet sich noch den gut sortierten Einzelhandel. Gentrifizierung macht mit Kultur gemeinsame Sache.

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Trojanow ist ein Debattenfürst und Leistungsträger der Empörungskultur. Als er einmal in die USA nicht einreisen konnte, suggerierte der Autor ein Interesse geheimer Dienste an seiner Person. Die Klandestinen könnten unangenehm berührt sein von Trojanows mit Juli Zeh 2009 publizierten Titel „Angriff auf die Freiheit“. Auch eine Unterschrift bot Trojanow als Grund für das Verbot auf. Er hat einen Brief an die Bundeskanzlerin in NSA-Angelegenheiten unterschrieben.

In seiner Streitschrift „Der überflüssige Mensch“ erzählt der Autor unter der Überschrift „Aufbruch in die Vergangenheit“, wie CNN-Ted „Buffalo“ Turner und Bill Gates „das Überbevölkerungsproblem“ in den Griff bekommen wollen. Turner, der Bisonherden aufkauft und sie auf die freie Wildbahn (in seinem Besitz) verlegen lässt, will Nahrungsmittel am liebsten nur noch an Seinesgleichen und die Subalternen von Seinesgleichen ausgeben. Nach seinen Berechnungen, so sagt Trojanow, schließt „die überflüssige Bevölkerung 107 Staaten und fünf Milliarden Menschen ein“.

Trojanow fragt: „Wer entscheidet, wer überflüssig ist?“ Klar, überflüssig sind immer die anderen. Der Autor wechselt den Griff. Nun hat er das Thema in der stabilen Seitenlage. Zwei- bis dreitausend Werbebotschaften nähme der Städter täglich auf. Trojanow spricht von „einem Konsumspießrutenlauf“. Der Konsumzwang schicke die allgemeine Fürsorge in den Keller der Gesellschaft. Im Kampf um „die eigene Konsumbefähigung“ mutiere der Selbstoptimierer zu einem Zwischenwesen, das seine Blutwerte meint, wenn es von „inneren Werten“ spricht.

Trojanow erläutert den Zusammenhang „von Mensch und Müll“. In Südbulgarien beobachtete er „Roma, die auf einer Müllhalde leben. Was sie konsumieren, ist der Abfall der anderen.“ Er erwähnt „die explosionsartig wachsenden Tafeln in Deutschland“. Sie ernähren dem Vernehmen nach 1.5 Millionen Menschen mit Produkten, deren Haltbarkeitsdatum so erlebnisintensiv wie ein Breitengrad überschritten wurde.

Trojanow spielt Indien ein, da bringen sich massenhaft Kleinbauern um, als Antwort auf ihre Verelendung. Denen konnte die IT-Branche nicht helfen. Trojanow ruft zu mehr Empathie und weniger „Ökonomisierung“ auf, während vor der Tür die Musik eines Leergutspezialisten spielt. Schwanensee klingelt anders. Wenn der Tag vorüber ist, kommen die alten Armen und leuchten in die Mülleimer. Ich glaube, sie sind gern im Prenzlauer Berg, die Jungen, die Kräftigen und die Banden haben ihre Reviere in tieferen Lagen. Die Gegend ist sicher, das ist viel wert.

Ilija Trojanow: „Der überflüssige Mensch“, Residenz Verlag, St. Pölten-Salzburg-Wien 2013, 90 Seiten Aktuell Feuilleton

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