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Bildung

Impliziter Rassismus im Schulbuch?

Seit über einem Jahr wird eine Diskussion über Rassismus in Kinder- und Jugendbüchern geführt. Im Fokus dieser Debatte steht insbesondere die Benutzung kolonialer Begriffe (‚N-Wort’) und rassistischer Gruppenkonstruktionen. Doch auch im Schulbuch ist Rassismus, zumeist in einer unauffälligeren Form, zu finden. Ein Exempel.

Von Donnerstag, 20.02.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 23.02.2014, 22:29 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Neben der Weitergabe materialen Wissens fungiert die ‚Institution Schule‘ als zentrale Instanz zur Vermittlung von kulturellen und sozialen Werten. Dem Unterricht liegen Schulbücher als Medientyp zugrunde, die in Abgleich mit den Lehrplänen der Bundesländer und für bestimmte Alters- und Lerngruppen konzipiert sind. Über spezifische Lerninhalte einzelner Fächer hinaus, enthalten sie auf einer tieferen Ebene zugleich Vorstellungen bestimmter Macht- und Wertstrukturen. Schulbuchwissen beeinflusst somit die Auffassung von der Welt der Schüler_innen.

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Rassismus als symbolische Ordnung
Der Artikel 3 des Grundgesetzes besagt, dass „niemand […] wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, […] seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ dürfe. Die Zulassung von Lehr- und Lernmitteln sieht eine rechtliche Prüfung vor, so dass diese nicht im Widerspruch zu geltendem Recht stehen. Daraus lässt sich schließen, dass direkte Diskriminierungen im Medium Schulbuch nicht zu erwarten sind. Mecheril und Melter konstatieren, dass Rassismus gesellschaftlich hergestellt sei und soziale Ungleichheit legitimiere. Durch Hierarchisierung und Bewertung von Menschen, aufgrund von zugeschriebenen biologischen (bspw. Hautfarbe) oder sozialen Merkmalen, wird er sichtbar. Beachtet man die Allgegenwärtigkeit dieser symbolischen Ordnung, so lässt sich fragen: Inwiefern lässt sich Rassismus auch im Schulbuch finden?

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Eine deutsche Türkin?
Im Schulbuch ‚Anstöße 10‘ zum gymnasialen Unterricht im Fach Sozialkunde wird die Abbildung der von der Bundesregierung durchgeführten Kampagne ‚Einbürgerung: Fair. Gerecht. Tolerant‘ (2000) als Zugang zum Thema ‚Migration in Bayern‘ verwendet. Hier wird eine Frau vorgestellt, die in der Türkei geboren ist und seit 29 Jahren in Deutschland lebt. Sie wird als ‚Inländerin mit ausländischem Pass‘ sowie durch die Kategorien Alter, Beruf und Aufenthaltsdauer charakterisiert. Die Abbildung repräsentiert eine reduzierte Vorstellung von gesellschaftlicher Zugehörigkeit, indem Partizipation an rechtliche Faktoren gekoppelt wird. Primär wird die Intention verfolgt, dass Migrant_innen, um aktiv am gesellschaftlichen Geschehen teilnehmen zu können, die deutsche Staatsbürger-schaft annehmen sollten. Allerdings wird an die Assimilation ein nicht weiter expliziertes ‚deutsch-sein‘ gekoppelt. Auch wenn die Frage gestellt werden muss: „Was ist deutsch?“, wird hier die Vorstellung einer hegemonial-orientierten Mehrheit deutlich. Durch die The-matisierung der Einbürgerungs-Kampagne im Schulbuch wird den Schüler_innen implizit vermittelt, dass sowohl die deutsche Staatsbürgerschaft als auch ein ‚deutsches Bewusstsein‘ für die gesellschaftliche Integration vorausgesetzt werden. Es wird eine reduzierte Sicht von Wanderungsbewegungen dargestellt, die die Realität multipler Identitäten und Perspektiven verschweigt. Auf diese Weise werden Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (‚Ausländer‘) sowohl in eine einzelne Gruppe typisiert als auch hierarchisch abgewertet.

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Impliziter Rassismus im Schulbuch
Da es sich in dieser Ausführung um ein Beispiel aus einem rechtlich zugelassenen Schulbuch handelt, sollte davon ausgegangen werden, dass es frei von Rassismus sei. Hier wird vielmehr eine vereinfachte Typologie der Teilhabe von Migrant_innen an der deutschen Gesellschaft abgebildet. Sollte im Schulunterricht nicht kritisch darauf eingegangen werden, würde es den Schüler_innen die Normalität einer Einteilung von Welt in Inländer und Ausländer vermitteln. Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft würden infolgedessen nicht als vollwertiger Teil der Gesellschaft und innerhalb einer symbolischen Ordnung bewertet werden. Aktuell Feuilleton Meinung

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  1. Agata sagt:

    Ein lesenswerter Artikel. Rassismus findet sich, wie der Autor schreibt, trotz rechtlicher Prüfung in Schulbüchern. Gerade in impliziter Gestalt, ist er für Lehrkräfte nur schwer zu identifizieren, wenn sie nicht entsprechend darauf sensibilisiert worden sind. Vorurteile und Stereotype werden so reproduziert und unhinterfragt an Schüler_innen weitergegeben. Ein kritischer Umgang mit Lehrmaterialien sowie Aufklärung der Lehrkräfte über Diversität und Diskriminierung ist so unumgänglich. Schade nur, dass die Abbildung, die hier als Beispiel fungiert, in dem Artikel nicht zu sehen ist.

  2. aloo masala sagt:

    Die Benutzung kolonialer Begriffe wie das N-Wort steht zur Debatte. Vorurteilsexperten lehnen das N-Wort strikt ab und begeben sich damit direkt in die Euphemismus-Tretmühle.

    Nicht zur Debatte steht dagegen ein Wort, das als Begründung für die schlimmsten Verbrechen während der Kolonialzeit und auch für den Holocaust herhalten musste. Wer den Stiefel im Nacken der Unterdrückten hat, braucht dafür einen guten Grund. Wer Millionen von Menschen am Fließband vergast, braucht eine noch bessere Rechtfertigung. Die Sklaverei, der Holocaust und der Genozid an den Indianern waren Menschenverbrechen der krassesten Form. Die Rechtfertigung war stets die gleiche: Die Verdorbenheit und Minderwertigkeit derjenigen, die man schlachtete zum Nutzen des höherwertigen Geschlechts. Rassismus war der Mechanismus, mit dem man die größten Verbrechen in der Menschengeschichte rechtfertigte.

    Vor dem Hintergrund, dass Rassismus dazu diente, die größten Menschenrechtsverbrechen zu legitimieren, stellt sich die Frage, ob Rassismusvorwürfe, wie sie in diesem Artikel oder generell bei Migazin erhoben werden überhaupt gerechtfertigt sind. Historiker sind in diesem Punkt weiter als Vorurteilsexperten. Sie tun Vergleiche von eher alltäglichen Verbrechen mit singuläre Verbrechen wie den Holocaust als unseriös und bedenklich ab. Bedenklich deswegen, weil derartige Vergleiche dazu führen, dass man alles irgendwie schlimm findet und die wirklich krassen Verbrechen nicht mehr von den eher alltäglichen Verbrechen unterscheiden kann. Bedenklich auch deswegen, weil solche Vergleiche zu einer Verharmlosung der singulären Verbrechen, etwa nach dem Motto, in Kosovo fand ein Holocaust statt? Ach dann kann Hitler ja nicht so schlimm gewesen sein.

    Vorurteilsexperten beharren dagegen weiterhin auf ihr R-Wort und entwickelten parallel dazu haufenweise theoretische Konzeptionen, Dogmen und Erklärungen, die für einfache gesellschaftliche Tatsachen und Zusammenhänge unnötig kompliziert daher kommen. Aus Gründen der eigenen Selbstbeweihräucherung wird ein akademischen Kult hervorgebracht, dem nur noch ein eingeweihte Geisteswissenschaftler oder Jünger folgen können, jedoch nicht mehr der einfache Mann von der Straße.

    Für mich ist dieser Rassismus-Artikel nicht anderes als ein weiterer Beitrag zu einem irrationalen Kult ohne gesellschaftlichen Nutzen. Der erste Schritt weg von diesem Kult wäre, das Wort Rassismus aus dem Vokabular zu streichen.

  3. Soli sagt:

    DAs Wort „Ausländer“ ist nicht eindeutig konsistent. Insofern ist es durchaus üblich Menschen ohne Deutsche Staatsangehörigkeit als „Ausländer“ zu bezeichnen. Eine Abwertung, wie sie der Autor erkennt, sehe ich darin aber nicht. Der Begriff ist vollkommen Wertfrei.

    Zudem geht das Buch ja doruchaus den richtigen Weg. Für die vollkommen Teilhabe an unserem System ist die Annahme der Staatsbürgerschaft nun mal faktisch notwendig. Warum sollte das Lehrbuch also etwas anderes vermitteln, etwas was nicht der Realität entspricht?