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Sarrazin bei Cicero

Protest ist demokratischer Ausdruck

Thilo Sarrazin war zu Gast im Berliner Ensemble. Cicero hatte eingeladen zu einem Foyergespräch. Dazu kam es nicht. Die Debatte wurde wegen Protesten abgebrochen. Laut Lagebericht des Cicero war das ein Angriff auf die Demokratie und Meinungsfreiheit. Marie Güsewell sieht das anders.

Von Marie Güsewell Donnerstag, 06.03.2014, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.03.2014, 21:13 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Am vergangenen Sonntag war Thilo Sarrazin zum Cicero-Foyergespräch ins Berliner Ensemble geladen. Der stellvertretende Cicero Chefredakteur Alexander Marguier und der Journalist und Kolumnist Frank A. Meyer forderten ihn zu einer kritischen Debatte heraus. Die Debatte wurde verhindert – gestört und abgebrochen. Das ist spätestens seit der Berichterstattung am Montag weithin bekannt. Bemerkenswerterweise, wird dieser Protest – im Einklang mit der Argumentation Sarrazins – als Angriff auf Demokratie und Meinungsfreiheit dargestellt.

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Was ist passiert? Vor dem Berliner Ensemble gab es eine angemeldete Protestkundgebung. Der Protest richtete sich vor allem dagegen, dass das Berliner Ensemble – das Brecht Theater – Thilo Sarrazin ein Forum gibt. Einem Autoren, das darf nicht vergessen werden, der in seinen Büchern Hartz IV Empfänger, Migranten, Muslime herabwürdigt, entwertet und ausgrenzt, der mit rassistischen Argumenten operiert und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einen fruchtbaren Boden bereitet. In einem offenen Protestbrief hieß es im Vorfeld der Veranstaltung: „Wo Sarrazin gegeben wird, hat Brecht keine Heimat mehr.“

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Was im Theater passierte, kann ich nur basierend auf Aussagen der Protestierenden, auf einem Lagebericht des Cicero sowie einer kurzen Filmaufnahme zu finden auf youtube rekonstruieren. Einige Protestierende haben sich regulär Eintrittskarten für das Foyer-Gespräch gekauft. Weitere gingen ohne Eintrittskarten in das Berliner Ensemble, empfingen Herrn Sarrazin mit einem Pfeif-Konzert und riefen durch geschlossene Türen in den Saal hinein. Als die Veranstaltung beginnen sollte, stimmten die Protestierenden im Saal Parolen an, hielten Plakate hoch, auf denen sie diverse Zuschreibungen Sarrazins annahmen: „Wir sind der Tugendterror“ „Wir schaffen Deutschland ab“ „Wir sind die Kopftuchmädchen“ „Wir sind die Gemüsehändler“ „Unsere Gene machen dumm und gewalttätig“. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den Protestierenden und anderen Gästen. Im Video sind Rufe wie „gehen Sie nach Hause“, „Demokratie“ „Faschisten“ „Meinungsterror“ zu hören. Die Dramaturgin des Berliner Ensembles Jutta Ferbers versuchte zu moderieren und zu verhandeln. Im Saal herrschte Durcheinander. Schließlich brach Frau Ferbers die Veranstaltung ab.

Zunächst aber forderte Frau Ferbers laut Cicero die Protestierenden mit folgenden Worten auf, den Saal zu verlassen: „Es gibt in unserem Land etwas, das ist Demokratie. Ich schlage Ihnen vor, diese hier zuzulassen.“ Ferbers Worte mögen sich schlüssig anhören. Doch bergen sie meines Erachtens einen grundlegenden Irrtum. Demokratie ist kein Raum, aus dem Menschen herausgebeten werden können. Frei nach: ‚Wir machen hier Demokratie, die Sie zu stören versuchen.‘ Was ist gemeint, wenn gegen den Protest die Demokratie angerufen wird und der Protest als Bedrohung, gar als „Terror“ gegen Demokratie behauptet wird? Von welcher Art Demokratie ist hier die Rede? Von einer exklusiven Demokratie, für die man sich Eintrittskarten zu kaufen hat, um sich dann ein ‚zivilisiertes‘ Streitgespräch anzuhören. Von einer Demokratie, die ordnet, wer auf dem Podium sitzt, und mit welcher Sprache gesprochen wird. Von einer Demokratie, die die Sprache des Protests nicht als Sprache anerkennt, mehr noch, sie als „Meinungsterror“ disqualifiziert. (Wobei es in dieser Demokratie natürlich stark darauf ankommt, wer gegen was protestiert, damit Protest auch als demokratisches Mittel definiert wird) Von einer Demokratie, die den einen mehr zu gehören scheint als den anderen.

Frau Ferbers setzte dann eine scheinbar demokratische Form ein: Sie ließ darüber abstimmen, ob das Gespräch fortgesetzt (bzw. begonnen) werden solle und die Protestierenden den Saal gegebenenfalls mithilfe von Polizeigewalt verlassen sollten. Die Mehrheit der Anwesenden stimmte dafür. Frau Ferbers entschied sich dann doch dagegen: „Weder möchten wir uns dem Meinungsterror beugen noch das Berliner Ensemble räumen lassen“ und unterbrach die Veranstaltung. Wenig später kündigte sie an, das Foyer-Gespräch abzubrechen. Das Bild, das hier bemüht wurde: sich „dem Meinungsterror beugen“ (buckeln, den Rücken krumm machen, klein werden) ist zwar stark, aber nur stimmig innerhalb einer sarrazinschen Argumentation in der Widerspruch und Protest zu ‚Meinungs- und Tugendterror‘ werden können. Wie schnell und bedenkenlos sich das Wort Terror in neuem Kontext und in neuen Kombinationsmöglichkeiten etabliert hat. Ich zitiere bloß den Duden, um zu verdeutlichen, wie unangemessen und demagogisch die Nutzung dieses Wortes hier ist. Terror: „1. (systematische) Verbreitung von Angst und Schrecken durch Gewaltaktionen (besonders zur Erreichung politischer Ziele) 2. Zwang, Druck (durch Gewaltanwendung) 3. große Angst.“

Die Protestierenden hätten „mit ihrem Verhalten die Tugendterror-These von Thilo Sarrazin bestätigt“, heißt es von Alexander Marguier. Am Folgetag schreibt er einen ausführlichen Artikel über den Protest und das verhinderte Cicero-Foyergespräch und betitelt ihn mit: „Wie man Demokratie ruiniert“. Und wieder wird Demokratie gegen Protest ausgespielt. Die Protestierenden wurden unter seiner Feder nicht nur zu Randalierern, sondern sogar zu Meinungsdiktatoren. Welche Meinung sie dabei vermeintlich diktierten, wird nicht weiter ausgeführt. Und gegen welche Meinung protestierten sie? Gegen eine, die, wenn man es genau nimmt, keine Meinung ist, sondern eine volksverhetzende Ideologie. (Vielleicht sollte also vielmehr Ideologiefreiheit diskutiert werden. Das würde auch ganz neue Perspektiven auf diverse andere Diskurse eröffnen).

Protest ist ein demokratisches Artikulationsmittel – und keines, das die Demokratie stört, bedroht oder gar „ruiniert“. Indem Protestierende, die auch zu jenen Menschengruppen gehörten, die Sarrazin in seinem Bestseller Deutschland schafft sich ab entwertet, disqualifiziert, und denen er Zugehörigkeit (zu Deutschland) aberkennt, sicht- und hörbar wurden, griffen sie Demokratie nicht an, sondern praktizierten sie.

Ich glaube nicht, dass Herr Sarrazin um Plattformen für sich und seine ‚Meinung‘ fürchten muss, dass er zukünftig zu wenig sichtbar oder hörbar sein und in seiner Redefreiheit beschnitten wird. Kritik, Widerspruch, Unmut und Protest muss er aushalten. Das geplante Gespräch am Sonntag wurde nicht verboten oder zensiert, es wurde im wahrsten (und lauten) Sinne des Wortes überstimmt. Und was passiert durch die Ereignisse am Sonntag? Infolge der Reibung, des Konflikts, des Einbruchs unerwünschter Artikulationen? Es gibt Diskurs. Nicht im kalkulierten, exklusiven (Foyer-)Rahmen. Aber er findet statt.

Dass der Protest die Podiumsdiskussion verhinderte, ist sicher missliebig für Redner, Veranstalter und einen Großteil der Besucher. Aber ein antidemokratischer Akt war es nicht! Aktuell Meinung

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  1. Sarrazin hat sich in ungeheuerlichster Weise gegen demokratisches Gedankengut vergangen.

    Das ein solcher Mensch soviel, teilweise sogar positive Aufmerksamkeit in Deutschland bekommt ist ein Alarmzeichen.

    Wer sich in einer Demokratie demokratisches Gehör verschaffen möchte, der muss seine Gedanken auch demokratisch verfassen und legitimieren, wer dies nicht leistet darf und muss von einer Demokratie gemaßregelt werden, was jedoch nicht durch positive Aufmerksamkeit geschehen kann und auch nicht dadurch dass die Demokratie dem in Sarrazin personalisierten Strukturalfaschismus Tür und Tor öffnet … Demokratie muss nun einmal verteidigt werden …

    Josef Özcan (Diplom Psychologe)
    http://www.mig-gesundheit.com

  2. aloo masala sagt:

    @Achmed

    Das ist Meinungsfreiheit. Diese Meinungsfreiheit gestattet es Ihnen undemokratische Maßnahmen zu fordern, wie beispielsweise die Meinungsfreiheit für Typen wie Sarrazin einzuschränken. Das ist ihr gutes Recht, wenn es auch etwas widersprüchlich ist, dass Sie für sich selbst die Meinungsfreiheit gerne in Anspruch nehmen, um sich undemokratisch zu verhalten, aber anderen wie Sarrazin das gleiche nicht zugestehen.

    Ich weiß nicht welche Typen giftiger für diese Gesellschaft sind. Sarrazin, der mit seinem rassistischen Ungeist die Gesellschaft spaltet, oder Typen, die in ihrem faschistoiden Ungeist nur das zulassen wollen, was ihnen in ihrer Weltsicht in den Kram passt.

  3. Kritika sagt:

    Lieber Herr oder Frau masala,

    das ist ja wohl unterstes Niveau, mit den Eintrittskarten zu argumenieren. Sarrazin ist nicht irgendein Typ, der einfach mal seine Meinung vertreten will. Dieser Mensch ist ein Hetzer und Rassist der übelsten Sorte, der mit seinen Büchern eigene (finanzielle) Interessen verfolgt. Aber auch das ist nicht das allerschlimmste, soll er doch. Das schlimmste an der Sache ist, was er in Deutschland ausgelöst hat, nämlich Rassismus salonfähig zu machen, nach dem Motto: „Das wird man doch mal sagen dürfen. Gehört zur freien Meinungsäußerung.“. Deutschland wurde bereits mehrfach wegen dem Umgang in dieser Sache international gerügt. All die Hintergründe der berechtigten Beweggründe der Demonstranten als Zirkus und Kasperletheater usw abzutun, zeugt für mich davon, daß Sie nichts begriffen haben. Und bitte, ersparen Sie mir Ihre Rechtfertigung Ihrer Meinung, die interessiert mich eh nicht.

  4. Henri sagt:

    […]

    Man stelle sich vor jeder würde sich so benehmen: Linke, Rechte, extreme Linke, extreme Rechte und die Mitte unserer Gesellschaft. Sobald etwas einer Gruppe nicht in den Kram passt, dann brüllt man es einfach nieder.

    Nein, ich glaube nicht, dass der Demokratie-Begriff so dehnbar ist, dass solch ein Verhalten auch nur irgendwie zu rechtfertigen wäre geschweige denn als demokratischen Gewinn verkauft werden kann. Diesen „Protestierenden“ ging es nur um Aufmerksamkeit. Es gibt genug Naziveranstaltungen, wo man das gleiche Theater veranstalten könnte, bei schlimmeren Menschen mit gefährlichereren Theorien, aber da scheint man dann doch die Hosen ein bisschen zu voll zu haben. Beim Rentner Sarrazin hat man da schon weniger zu befürchten. Man wusste, dass das Publikum zu harmlos ist, als dass es sich wehren würde.

    Die Menschheit ist immer auf die Vernunft eines jeden Individuums angewiesen, da so ziemlich jeder von uns rein theoretisch die Macht hat eine Vielzahl von Menschen zu schädigen und sogar umzubringen. Gut, dass die ganzen Menschen die sich für die Veranstaltung Karten gekauft haben, den Protestierenden gegenüber nicht so unvernünftig gegenüber verhalten haben wie es die Protestierenden getan haben.

  5. Achmed sagt:

    Kritika, es gibt leider Menschen hier, die jedem Rassisten und Faschisten gerne ein Forum bieten. Was sagt das über diese Menschen aus? Hören sie vielleicht einfach gere was diese Leute sagen? Oder interessiert es sie? Hier sagt ma immer, Meinungsfreiheit, Demokratie, und so weiter. Aber was kommt dabei raus, wenn in Deutshland Meinungsfreiheit herrscht? Richtig, zwei Weltkriege und Holokcaust! Deshalb sollte man die Meinungsfreiheit hier schon im Vorfeld beschneiden!

  6. Gerade die Sarrazins dieser Welt sind gefährlich, denn sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft, deshalb ist es schon richtig gerade gegen solche Menschen zu protestieren und wenn notwendig auch zu Felde zu ziehen.

    Ein perfider Strukturalfaschist wie Sarrazin ist viel gefährlicher als ein irrer Neonazi, der von kaum jemandem wirklich ernst genommen wird.

    Josef Özcan (Diplom Psychologe)
    http://www.mig-gesundheit.com

  7. Gero sagt:

    @ achmed – Aber was kommt dabei raus, wenn in Deutshland Meinungsfreiheit herrscht? Richtig, zwei Weltkriege und Holokcaust! Deshalb sollte man die Meinungsfreiheit hier schon im Vorfeld beschneiden!
    ___

    Irgendwas müssen Sie aber gar nicht verstanden haben, Achmed. Die NS-Zeit in Deutschland war eben nicht gerade durch Meinungsfreiheit gekennzeichnet. Es ist eine Schande, Meinungsfreiheit in Zusammenhang mit mit Krieg und Vernichtung zu bringen.

    Was Sie wohl wollen, Achmed, ist wohl eher eine Diktatur. Nein, danke, sage ich!

  8. Henri sagt:

    @Achmed
    „Aber was kommt dabei raus, wenn in Deutshland Meinungsfreiheit herrscht? Richtig, zwei Weltkriege und Holokcaust! Deshalb sollte man die Meinungsfreiheit hier schon im Vorfeld beschneiden!“

    Zwei Weltkriege und der Holocaust haben wir also der Meinungsfreiheit zu verdanken? Diese pöse pöse Meinungsfreiheit!

    Sorry Achmed, aber Sie haben nicht verstanden, was Meinungsfreiheit bedeutet, oder Sie haben einen sehr seltsamen Humor!

  9. kcy sagt:

    Dieser biedere, spießige, anscheinend über nur mittelmäßig bis schlechte Rechenfähigkeiten verfügende und sehr begrenzt bis gar nicht Zusammenhänge erkennen könnende Vogel bekommt einfach zu viel Aufmerksamkeit.
    Mich wundert es schon sehr, dass hunderttausende Menschen sich die Bücher dieses ständig nach Aufmerksamkeit haschenden Durchschnittsdenkers kaufen bzw. Eintritt dafür zahlen ihn zu erleben. Ein Zeichen für die geistige Abstumpfung der deutschen Gesellschaft?
    Die totale Mittelmäßigkeit scheint durch Herrn S. aus B. den Gipfel ihrer Einflußnahme erreicht zu haben….na super… schnarch…schnarch…
    lieber migazin statt sarazzin…

  10. Henri sagt:

    @Josef Özcan
    „Ein perfider Strukturalfaschist wie Sarrazin ist viel gefährlicher als ein irrer Neonazi, der von kaum jemandem wirklich ernst genommen wird.“

    Ich kenne Autoren von Büchern (wie zum Beipiel Udo Ulfkotte) der viel radikalere Anischten gegenüber den Muslimen und dem Islam vertritt. Der unternimmt nicht mal die Anstrengung seine Thesen zu beweisen und deshalb ist es auch nicht ganz nachvollziehbar, dass sich jetzt alle selbsternannten Gutmenschen auf Sarrazin stürzen. Es ist eine Art Mobbing die hier stattfindet! Übrigens wollten, die Protestierenden nicht Rassismus im Keim ersticken sondern eine Debatte bzw. Diskussion über ein Thema. Das ist schon ein Unterschied und wahrscheinlich faschistoider, als ein Sarrazin es jemals sein könnte!

    Und übrigens auch wenn es immer mal wieder vergessen wird, aber Sarrazin ist ein Mensch und auch er macht Fehler. Außerdem hat er keine Partei gegründet, sondern ein Buch geschrieben, das übrigens nur durch die muslimische Empörung darüber so bekannt und erfolgreich wurde!

    Man muß extreme Meinungen nunmal zulassen, auch wenn einem das überhaupt nicht passt. Dialog, Debatten und Diskussionen sind immer die beste Art und Weise Theorien zu überprüfen und nicht Redeverbote.