Gegen den Mainstream
Warum das Kopftuch moderner ist denn je
Sind Kopftuch tragende Frauen unterdrückt, wie es seit Jahren heißt, oder sind sie doch eher selbstbewusst - so sehr, dass sie sogar eine klare Haltung gegen den Mainstream einnehmen und sich der Topmodel-Prinzessinnen-Glitzer-Welt entziehen? Von Khola Maryam Hübsch.
Von Khola Maryam Hübsch Montag, 17.03.2014, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 20.03.2014, 9:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Das Kopftuch sei heutzutage obsolet und nur historisch bedingt im Koran erwähnt, heißt es. Ich behaupte, dass das „Prinzip Kopftuch“ gerade heutzutage eine wichtige Rolle spielt und womöglich eine weitaus wesentlichere Funktion hat, als zur Zeit der Offenbarung des Koran. Ich behaupte, dass es eine Vielzahl an rationalen Gründen dafür gibt, das Kopftuch und die dahinter stehende Philosophie im 21. Jahrhundert mitzutragen.
Der Grund für das Tragen eines Kopftuches wird immer eine Herzensentscheidung bleiben, die auf der Liebe zu Gott basiert. Aber Liebe beißt sich nicht mit Vernunft und Glaube, steht nicht im Widerspruch zur Ratio und einem aufgeklärten Denken. Im Gegenteil. Mir geht es darum, aufzuzeigen, warum die muslimische Haltung des „Kopftuches“, die für Männer und Frauen gleichermaßen gilt, moderner ist denn je. Freiheit und Emanzipation können da verborgen sein, wo der erste Blick nicht hinlangt. Es mag Liebe auf den zweiten Blick werden.
Nach jahrelangem Kopftuchbashing dürfte es ziemlich schwierig sein, diesem Kleidungsstück etwas Positives abzugewinnen. Denn kopftuchtragende Frauen gelten als unterdrückt und fremdbestimmt. Die Islamkritikerin Seyran Ateş erklärt: „Ich finde es besorgniserregend, wenn immer mehr Mädchen das Kopftuch anlegen. Angeblich freiwillig. So einfach ist das aber nicht. Werden diese Mädchen dazu angehalten, einen freien Willen zu entwickeln? Oder wird ihnen gesagt, was sie wollen sollen?“. Kritisiert wird dabei, dass das Kopftuch Frauen auf ihr Geschlecht und ihre Sexualität beschränke.
Die eklatante Schwachstelle solcher Argumente besteht darin, dass unsere gesamte Gesellschaft durchzogen ist von Postulaten, die die Frau zu einem sexualisierten Wesen degradieren. Es ist eine vom Kapitalismus und Patriarchat befeuerte Vermarktung von Frauenkörpern, die permanente sexuelle Verfügbarkeit suggeriert. Und diese Form der Sozialisierung fängt schon früh an. Mädchen lernen von klein auf, sich über äußerliche Optimierung Aufmerksamkeit zu verschaffen. Sie lernen, dass das Ziel einer Frau sein soll, äußerlich zu gefallen, schön wie eine Prinzessin und Barbie zu sein. Es gibt klare Konventionen hinsichtlich des Spielzeugs sowie der Farbe, der Symbole und Form der Kleidung für Mädchen. Mädchen werden durch die Werbeindustrie, die Millionen von Dollar in die Vermarktung der pinkfarbenen Topmodel-Prinzessinnen-Glitzer-Welt steckt, und durch ihre Sozialisation darin bestärkt, einem weiblichen Schönheitsideal zu entsprechen und gefallen zu wollen. Eine ganze Generation junger Frauen und Mädchen hat nicht zuletzt dank frauenverachtender Sendeformate wie „Germany´s next Topmodel“ den männlichen Blick internalisiert. Die oberste Maxime lautet: Gefallen wollen.
Dabei habe ich keine Schwierigkeiten, die Tatsache zu akzeptieren, dass muslimische Mädchen von einer islamischen Erziehung beeinflusst sind. Schwierig wird es, wenn diese einseitig problematisiert wird und verkannt wird, dass die Sozialisierungseffekte der massenmedial verbreiteten Mehrheitskultur viel dominanter sind. Wir sollten uns überlegen, warum die popkulturellen Vorbilder für das Verweigern einer sexuellen Verfügbarkeit kaum existieren. Eine Frau, die das Kopftuch trägt, widersetzt sich möglicherweise allen kapitalistischen Interessen und torpediert die Bemühungen der Werbeindustrie, die sie mit einem Schlag ins Gesicht quittiert. Vielleicht ist das der Grund, warum sich kaum jemand noch über die Enthüllung der Frau empört, bei der Verhüllung der Frau jedoch die Emotionen kochen.
Es verwundert schon, dass auf die offensichtliche Doppelmoral nicht hingewiesen wird. Schon die kleinsten Mädchen werden mit aller Macht gesellschaftlicher Normen zu einer Identifikation mit ihrem Geschlecht erzogen. Der wesentliche Unterschied hinsichtlich dieser Identifikation ist, dass eine junge Frau, die ein Kopftuch trägt, dazu angehalten wird, sich nicht über ihre äußerliche Attraktivität zu definieren. Ihre Persönlichkeit, humane Werte und ihr Charakter stehen im Vordergrund.
Neclak Keleks Forderung, muslimischen Mädchen ihre Kindheit zu lassen, muss diese Realität entgegen gehalten werden. Mädchen in Deutschland sind weitaus weniger davon bedroht, von fundamentalistischen Eltern dazu genötigt zu werden, ein Kopftuch zu tragen, als von der zunehmenden Sexualisierung der Kinderzimmer, die Kindern und Jugendlichen tatsächlich immer häufiger eine unbeschwerte Kindheit nimmt.
Dass die Konsumenten und Nutznießer der physischen Attraktivität einer zur Schau gestellten, suggerierten Verfügbarkeit von Frauenkörpern in erster Linie Männer sind, liegt auf der Hand. Eine Frau, die ihren Körper nicht öffentlich sichtbar macht, die ihren Körper zum Privateigentum und zur nicht verfügbaren Intimsphäre erklärt, entzieht sich selbstbestimmt dem männlichen Blick. Und bedient damit ganz sicher keine männlichen Interessen.
Es ist eine Massenkultur, die sämtliche Bemühungen um mehr Geschlechtergerechtigkeit torpediert und nicht das Kopftuch, das für einen respektvollen Umgang der Geschlechter steht.
Eine verschleierte Frau, die gerade in einer Kultur, in der das durch Medien und Werbung omnipräsent gewordene Bild der Frau das eines zur Perfektion retuschierten Objektes geworden ist, dem viele Frauen unbewusst folgen, macht deutlich: „Nein, ich mach nicht mit.“ Es bedarf innerer Überzeugung und einer starken Persönlichkeit, sonst ist eine solch klare Haltung gegen den Mainstream kaum möglich. Aber wie soll jemand verstehen, woher diese Stärke kommt, woher die Ablehnung kommt, sich über Äußeres Anerkennung zu verschaffen, wenn Gott keine Prämisse mehr ist und man dem materiellem Denken verhaftet ist?
Das ist der Grund, warum sogenannte Islamkritiker immer noch die Endlosschleife von der Unterdrückung der Frau durch das Kopftuch abspielen. Sie sind blind dafür, dass das Kopftuch frei macht von jeglicher Form der Abhängigkeit, die sich etwa über das Streben nach Gefallen wollen ergibt. Eine Freiheit jenseits zwanghafter Diesseitigkeiten. Wer innen Wahrheit erkennt, wird nicht außen nach einer Form der Selbstbestätigung suchen. Aktuell Meinung
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@Tai-Fei: Mir scheint die „Politisierung“ wird hier eindeutig von Frau Hübsch inszeniert.Wobei die Frage ist, wem ihr Antrag, das Kopftuch als modern zu verstehen, eigentlich gelten soll.Nichtmuslimen wird es auch nach dem Artikel nicht moderner scheinen, und Muslimas, die bereits ein Kopftuch tragen, brauchen dazu wohl keine weitere Einladung.
Bliebe noch die „Stilfrage“.Als Wüstenprinzessin gestylt ist Frau Hübsch allerdings nicht weit von der so verpönten Barbie entfernt, die sie in der Fauengesellschaft ja wohl überrepräsentiert sieht.Und, wie gesagt: den „Betuchten“ wider Willen ist auch mit einer Stilberatung nicht geholfen.Aber für diese hat Frau Hübsch nichts auf Lager.Es sind aber diese Frauen, die mit gesenktem Blick, hängenden Schultern und schlurfendem Schritt ihren „Glauben“ mit sich herum schleppen, denen das stylische Wüstengirly mal ein paar Antworten liefern sollte, wenn es schon sonst niemand tut.
@Mathis
Die Politisierung des Kopftuchs begann 1998 mit der Kopftuchdebatte, als Baden Württemberg der muslimischen Lehrerin Fereshta Ludin die Einstellung in den Schuldienst verweigerte, weil sie im Unterricht ihr Kopftuch nicht ablegen wollte. Seither läuft diese politische Debatte weiter und zwar mit einer Unsachlichkeit, über deren Folgen kaum berichtet wird: Muslimische Frauen, denen auf der Straße das Kopftuch vom Kopf gerissen wird und die deswegen bespuckt werden.
Der Artikel von Hübsch ist lediglich ein weiterer Beitrag zu dieser Debatte. Ihre Behauptung, dass Hübsch die Politisierung des Kopftuchs inszenieren würde, ignoriert die gesamte Vorgeschichte um den Kopftuchstreit.
…Mir scheint die “Politisierung” wird hier eindeutig von Frau Hübsch inszeniert….
Frau Hübsch schreibt einen wohl durchdachten Artikel mit einem gelungenen roten faden über Ihre Sicht der Dinge, und nun raten Sie mal, wer hier den Thread politisiert? Ihnen würde es gut tun, mal anderen Leuten, ihre Ansichten zu lassen, vor allem, wenn Sie schon bereits das xte Mal ein Thema totgeritten haben, und einen Erkenntnisgewinn weiterhin stur verweigern.. Legen Sie Ihr Parolenbuch mal beiseite und seien Sie mal kreativ, Sie spammen nur den Forenstrang zu..
Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie radikale Atheisten es nicht fertig bringen die Welt aus anderen Augen zu sehen, und anderen Ihren „Glauben“ aufzwingen versuchen.. Der Duktus von extremistischen ATheisten hat sich bereits rum gesprochen.. Also, erstrebenswert und ideal ist es in keinster Weise, wie sich die radikalen Forumsatheisten gebärden.. Sowas nennt man übrigens schon „flamen“ und entspricht nirrgendwo der Etiquette in Internetgemeinden.. Falls eine Diskussion für das Migazin so aussieht, kann man/frau die Diskussionen auch ebenso schließen, weil es findet de facto keine statt. Keiner der hiesigen radikalatheistischen Selbstverleugner hat zusatande gebracht, Frau Hübschs Argumente zu widerlegen, aber das indoktrinierte Eindreschen auf religiöse Menschen, das wird sofort ritualhaft zelebriert.. Radikalatheisten halt.. Arrogantes Gehabe, anstatt wohlformulierter und schlüssiger Argumente, sind doch eines fortschrittlichen Menschen nicht würdig.. Auf türkisch würde das:heissen: „Gefällst Du Dir selbst?“, nicht wahr Herr Özcan? Das üben wir gleich noch mal, liebe Extrematheisten.. Es ist nämlich schade, weil Frau Hübsch wirklich Punkte anführt, die auch für Nicht-Muslime wert wären, zu reflektieren, imho..
Mathis sagt: 19. März 2014 um 17:06
„Und, wie gesagt: den “Betuchten” wider Willen ist auch mit einer Stilberatung nicht geholfen.Aber für diese hat Frau Hübsch nichts auf Lager.Es sind aber diese Frauen, die mit gesenktem Blick, hängenden Schultern und schlurfendem Schritt ihren “Glauben” mit sich herum schleppen, denen das stylische Wüstengirly mal ein paar Antworten liefern sollte, wenn es schon sonst niemand tut.“
Wie sollte Frau Hübsch hier auch etwas auf Lager haben? Vertritt sie die dt. Judikative? Wider Willen „Betuchte“ können in Deutschland problemlos rechtliche Schritte einreichen. Mir ist zumindest nicht bekannt, dass dt. Gerichte hier archaiche, islamische Standpunkte teilen.
zu Cengiz:
Lieber Cengiz … ob sie es glauben oder nicht ich bin kein Atheist … ich bin nicht so dumm zu meinen, dass es jenseits der schnöden Materialität nichts gibt, sogar die Physik ist inzwischen weiter… aber ich bin auch nicht so dumm zu meinen, dass sich „Gott“ um die Betuchung der Frauen kümmert (das ist Männersache) … so etwas Absurdes kann ich nicht denken und auch nicht fühlen, das macht mich aber noch nicht zu einem „Atheisten“ … vielleicht bin ich ein „aufgeklärter Theist“ …
by the way; Kendimi begenmiyorum …
Josef Özcan
(Diplom Psychologe)
Özcan beruft sich auf seinen Gott und Hübsch auf ihren. Der Unterschied? Özcan will seine Glauben anderen aufzwingen, Hübsch will ihren Glauben leben.
Im Winter, wenn meine Kinder mit Strumpfhose, Hose und Schneeanzug draußen sind und noch immer sagen es ist kalt und ich seh wieder ein kleines Mädchen (angefangen wenn Kinder laufem können) nur mit Strumpfhose und Mantel der knapp den po bedeckt würde ich am liebsten der Mutter sagen was das soll?? das Kind frieren zu lassen ? Erwachsene können doch machen was sie wollen, von mir aus können sie kindern anziehen was sie wollen solange die kinder nicht leiden oder schaden nehmen…. da soll mir mal jemand sagen wenn meine kinder mit drei schichten frieren, dass das Kind nur mit strumpfhose nicht friert….
So werden Kinder von klein auf trainiert zu leiden um schön zu sein… um möglichst viel von ihrem, körper zu präsentieren.
Wie ich schon in meinem Buch schrieb: Der Wert einer Frau definiert sich über ihren Körper. Keiner würde sich freiwillig entwerten. Darum denkt man im Westen, dass muslimsiche Frauen gezwungen werden, weil sie in ihren Augen sich entwerten indem sie ihren Körper verstecken.
Dürfte ich diesen Artikel in der geplanten Neuauflage meines Buches veröffentlichen???
@aloo masala:
Ich sehe den Unterschied anders:Hübsch glaubt an einen Gott mit Styling-Präferenzen, Özcan an einen Gott ohne Geschmacksvorlieben bei der Bekleidung : Es steht jedem völlig frei, das Gottesbild von Hübsch oder Özcan zu wählen.
@openyourmind
Ich stimme Ihnen weder zu, was das Gottesbild von Hübsch angeht noch darin, dass Özcan hier jemanden eine freie Wahl lässt.
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Es steht jedem völlig frei, das Gottesbild von Hübsch oder Özcan zu wählen.
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Genau um den Punkt geht es Hübsch und genau diese Freiheit will Özcan den Frauen nicht zugestehen.
Hübsch selbst sagt, dass das Kopftuch eine Herzensentscheidung ist. Özcan sagt, dass das Kopftuch ein Zwang ist und deswegen Frauen gezwungen werden müssen, kein Kopftuch zu tragen. Hübsch lässt das Herz des Einzelnen entscheiden. Özcan gesteht den Frauen diese Entscheidung aufgrund seines „Gottesbild“ nicht zu. Das heißt nach Özcan kann man nicht das Gottesbild von Hübsch wählen.