Optionspflicht
Don’t blame the player, blame the Wähler
Die SPD versprach die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit, erreichte aber nur die Abschaffung der Optionspflicht mit Wenn und Aber. Ist das gut oder nicht und wenn nicht, was wäre die Alternative gewesen? - von Aziz Bozkurt
Von Aziz Bozkurt Montag, 14.04.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.04.2014, 22:39 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Beispiele aus dem Fußball sind in der Politik immer sehr beliebt. Dabei unterscheiden sich das Spiel mit dem Ball und das Spiel mit der Macht eklatant. Gewinnt bei einem Fußballspiel eine Mannschaft mit einem Tor in der 90. Minute knapp, dann ist der Sieg für die Fans meist süßer als sonst. Auch wenn das Versprechen der Mannschaft zuvor war, den Gegner vom Platz zu fegen.
In der Politik ist das anders. Verspricht eine Partei den ideologischen Müllberg des Gegners vom Platz zu fegen und erreicht dann nur die mühsame Entsorgung der Grundpfeiler einer überfälligen geistigen Barriere, dann entsteht Unzufriedenheit. Unzufriedenheit über den restlichen Müll, der dem einen oder der anderen als Stolperfalle vor die Füße gelegt wird.
So geschehen beim Thema Staatsbürgerschaft. Die politische Linke ist bei den Bundestagswahlen angetreten, um die generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit durchzusetzen. Das Resultat ist die Abschaffung der Optionspflicht MIT Wenn und Aber. Der Spieler, der das Tor in der 90. Minute geschossen hat: die SPD. Dieser ist jetzt schuld daran, dass es doch kein überragender Sieg war.
Bei aller Liebe zum kritischen Umgang mit der alten Tante SPD und dem persönlichen Ärger, dass es nicht mehr geworden ist, fehlt mir das Verständnis dafür, dass die Zielscheibe der Kritik am falschen Spieler klebt. Nicht, weil ich der SPD angehöre und das Resultat toll finde – ganz im Gegenteil, nicht umsonst war der Koalitionsvertrag für mich ein rotes Tuch –, sondern weil es meinem Gerechtigkeitssinn widerspricht und strategisch fraglich ist.
Die Alternativen
Die Frage, ob das Erreichte ausreicht, muss man auch vor dem Hintergrund beantworten, wo die Alternativen liegen. Ob diese mehr gebracht hätten.
Alternative 1: Abwarten und diskutieren. Bei einer Diskussion in der vergangenen Woche fragte ich einen Vertreter der Türkischen Gemeinde Deutschlands, was die Alternative zu dem Gesetzesentwurf sei. Verkürzt: man solle nochmal abwarten und die Diskussionen neu führen. Der Bundesrat solle aktiv werden. Lieber keine Lösung, als dieses „Optionspflichtverlängerungsgesetz“. Erhofft hatte ich mir eine Antwort, die mich auch aus der politischen Ratlosigkeit bringen sollte. Leider war ich danach ratloser.
Alternative 2: Schwarz-Grün im Bund. Hand aufs Herz. Dafür hätte ich jedem Grünen die Füße geküsst, als wir über den Koalitionsvertrag in der SPD gestritten haben. Als Berliner weiß ich, dass der ideologische Ballast der Union beim Thema Teilhabe und Vielfalt riesig ist. Man kann mittlerweile mit der Union Rekommunalisieren, aber einen Schritt vor in der Flüchtlingspolitik oder in der Antidiskriminierungspolitik? No way! Beton wäre noch zu harmlos, wenn man über ideologische Betonköpfe reden wollte. Und wer glaubt da, dass die Grünen mit um die 10% mehr rausgeholt hätten!? Falls es doch die eine oder andere Stimme gibt, der schaue mal nach Hessen.
Wenn es doch mehr Alternativen geben sollte, dann tobe man sich im Kommentarbereich aus. Ich bin dankbar über jeden Hinweis. Und versprochen: sollte es einen politischen Ausweg geben, dann bin ich der letzte der die Schnauze hält!
Der politische Erfolg
Natürlich gucke ich als Sozialdemokrat trotzdem zurück und frage mich, was man hätte anders machen können. Und ob das Erreichte wirklich ein Schritt nach vorne ist.
Ja, es ist wirklich mehr als Unglücklich innerhalb von wenigen Wochen vom „kein Koalitionsvertrag ohne generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit“ bei einem Koalitionsvertrag ohne generelle Hinnahme zu landen. Ja, es ist auch wirklich eine grobe kommunikative Fehlleistung innerhalb von wenigen Wochen von „Abschaffung der Optionspflicht ohne Wenn und Aber“ zu einigen Brocken von Wenns und Abers zu kommen. Kommunikativ mehr als unglücklich und vom Erwartungsmanagement her keine Glanzleistung.
Wenn ich aber bei der zuvor genannten Veranstaltung den innenpolitischen Sprecher der Union höre, dann wird mir deutlich, welch geistige Beschränktheit mit dem aktuellen Gesetzesentwurf überwunden werden konnte. Herr Meyer von der Union redete davon, dass es ein Unding sei, dass Jugendliche, die sich den Arsch 6 Jahre in der Schule plattsitzen und dies vielleicht auch nicht durchgängig, weil sie die Schule schwänzen, dem Optionszwang entkommen. Wie könne es sein, dass Jugendlich ohne Integrationsleistung „mehr“ Rechte bekommen. Fragt sich, wo der Leistungsgedanke bei der Frage der gesellschaftlichen Integrationsleitung bei bayrischen Fußballvereinspräsidenten oder bei anderweitigem bayrischem „Amigoverhalten“ bleibt. Aber das führt zu weit.
Das Horrorszenario der Unionsleute sind die tausenden kleinen Mädchen und Jungen, die in Deutschland geboren, in die Türkei nach der Geburt geschleppt und dann auch noch mit der Mehrstaatigkeit belohnt werden. Das geistige Geheimnis der Union, was der Sinn und Unsinn der Wenns und Abers mit diesen Jugendlichen zu haben könnte, blieb aber auch in der letzten Woche ungelöst. Schließlich können diese Jugendlichen „ohne Bezug zu Deutschland“ sich ohne Probleme für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheiden. Wieso deshalb die bis zu 97% geschätzten Jugendlichen „drangsalieren“? Man wolle das aber von Seiten der Union noch in den aktuellen Entwurf mit einbauen.
Der aktuelle politische Erfolg liegt genau darin, dass die 97% dank beherzten Diskussionen jetzt doch nicht drangsaliert werden können. Denn sie müssen in fast allen Fällen keinen Finger krümmen, wenn sie die Mehrstaatigkeit behalten wollen. Die Arbeit hat, dank der Union, die Verwaltung. Und hoffen wir mal, dass die Arbeit so unnötig und aufwändig ist, dass der Druck aus der Verwaltung die Politik erreicht.
Der rote Faden
In 20 Jahren werden wir wahrscheinlich auf die Diskussionen zurückblicken und denken, welch kleingeistige Diskussionen, die wir führen mussten. Ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht wird uns dann wahrscheinlich so selbstverständlich sein, wie das Amen in der Kirche. Wir werden uns an 1998 erinnern, wo Rot-Grün unter dem Druck großer gesellschaftlicher Debatten um Unterschriftsaktionen, wo man „gegen die Ausländer unterschreiben“ konnte, das Modell „Deutsch per Abstammung“ zum Rütteln brachte. Wir werden uns an 2014 erinnern, als die Mehrstaatigkeit für viele deutsche Kinder zur Selbstverständlichkeit wurde. Und hoffentlich werden wir uns an 2017 erinnern, als eine parlamentarische linke Mehrheit das Werk eines modernen Staatsbürgerschaftsrechts vollbringen konnte.
Am Ende bleibt auch ein Sozialdemokrat, der für das Thema brennt und diese Union für die SPD für so passend hält, wie Kristina Schröder zur Gleichstellungspolitik, etwas ratlos zurück. Und er mag auch sicher nicht mit wehenden Fahnen den Erfolg der SPD ohne Wenn und Aber an die Frau und an den Mann bringen. Es bleibt aber der Wunsch, dass man das Tor in der 90. Minute zu schätzen weiß. Dass man es als erstes Spiel vor der Rückrunde 2017 begreift. Und dass man den politischen Gegner richtig verortet. Und am Ende entscheidet auch wieder der Wähler, wenn er der politischen Linken (k)eine tragfähige Mehrheit beschert. Wie heißt es so schön: Don’t blame the player, blame the Wähler. Aktuell Meinung
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Der Wähler hat der politischen Linken in den letzten drei Bundestagswahlen eine Mehrheit beschert. Es lag hauptsächlich an der Verweigerungshaltung der SPD dass diese nicht genutzt wurde. Ob es noch einmal zu einer solchen Mehrheit kommt ist angesichts der Entscheidung in eine Großen Koalition zu gehen allerdings fraglich.
Alternative 3: Rot-Rot-Grün
Ich muss mich den Kommentaren anschließen. Die Linke ist nicht regierungserfahren, aber tatsächlich hätte eine unter einer SPD geführten Regierung, der linke Flügel schon längst Einfluss auf die gesellschaftlichen Umstände nehmen können. Eine große Koalition unter Merkel ist meistens eine Milchmädchenrechnung.
Der Appell (don’t blame the player) kann nur an die Medien gehen. Den (einzelnen) Wähler trifft keine Schuld. Als Wähler bin ich ja nur für meine eigene Stimme verantwortlich, nicht für die meines Nachbarn.