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Neukölln ist überall

Rassismus im „Volkstheater“

Drei Monate nach der Veröffentlichung des offenen Briefes „Wir sind keine Schlitzaugen!“, der die Ausstellung eines rassistischen Bildes im Berliner Heimathafen Neukölln problematisiert, lässt der Mitinitiator Kien Nghi Ha diese Kampagne Revue passieren und zieht eine Zwischenbilanz.

Von Mittwoch, 07.05.2014, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.05.2016, 13:50 Uhr Lesedauer: 17 Minuten  |  

Ende Januar 2014 machte die junge Musikerin Suki Osman im Berliner „Heimathafen Neukölln“ eine verstörende Entdeckung: In dem Theater, das sich seiner programmatischen Auseinandersetzung mit Migration und multikulturellen Leben rühmt, wurde in der Ausstellung „I love NK – Neukölln wird in die Welt getragen“ ein merkwürdiges Foto präsentiert:

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Eine blonde weiße Frau ist in einem weißen T-Shirt mit dem Aufdruck „I love NK“ aus dem Heimathafen-Fanshop in einem ostasiatisch wirkenden Park zu sehen. Ihre Augen hat sie mit ihren Fingern schlitzartig hochgezogen. Diese denunziatorische Geste macht ihr Spaß, sie fühlt sich sichtlich wohl dabei und lächelt in die Kamera.

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Suki Osman empfindet etwas anderes und schreibt einige Tage später einen Beschwerdebrief: „Dieses Foto aber scheitert auf verschiedene, peinliche Ebenen: Dass die Person im Foto auf die Idee gekommen ist; dass der Fotograf gern das Foto aufgenommen hat, und die Entscheidung das Foto abzuschicken sind wohl problematisch, aber dass der Heimathafen das Foto ausgestellt hat und niemand dieser Entscheidung widergesprochen hat, ist verächtlich.“ (28.1.2014). 1

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Alltagsrassistische Entgleisung der künstlerischen Leitung
Was die Musikerin zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt, ist die Tatsache, dass ihr eben jene Darstellerin dieser taktlosen Chinoiserie in Gestalt von Stefanie Aehnelt, der künstlerischen Leiterin und Geschäftsführerin des Heimathafen Neukölln, antworten wird. Nicht zufällig unterlässt Stefanie Aehnelt in ihrer Replik jeglichen Hinweis, der über ihre eigene Rolle bei der Produktion und Ausstellung des rassistischen Bildes informiert. Auf diese Weise kann aber kein Mindestmaß an Transparenz, Aufklärung und Verantwortungsübernahme hergestellt werden. Mit dieser Verschleierungs- und Vertuschungstaktik sind die weiteren Schritte auf Seiten des Heimathafens vorgezeichnet, denn eine Offenlegung und aufrichtige Auseinandersetzung hätte von Anfang an das wahre Ausmaß des Schlamassels aufgezeigt. Auch die holprige Rechtfertigungsstrategie wäre durch eine respektvollere und ehrlichere Umgangsweise gefährdet, so dass der Heimathafen sich dazu entscheidet, die bereits angeschlagene Glaubwürdigkeit mit der gebotenen Professionalität vollends zu ruinieren.

Wie so häufig nehmen Rassismus und die damit einhergehenden Abwiegelungsversuche absurde Züge an, die immer absurder werden, je banaler die dahinterstehende Realität ist. Mit der vorweggenommenen Auflösung nimmt das Lehrstück über Rassismus in einem deutschen Schauspielhaus eine irrsinnige Wendung an, die über den konkreten Einzelfall hinaus bedeutsame Probleme im hiesigen Kulturbetrieb offenbaren. Damit beginnt der nächste Akt in dieser Neuköllner Posse.

In der kurzen Antwort von Stefanie Aehnelt gelingt ihr das Kunststück, rassistisch Sensibilisierte erneut vor den Kopf zu stoßen. Anstatt sich ohne einschränkenden Relativierungen konsequent zu entschuldigen und aufzuklären, spricht sie sich ausgerechnet im Kontext dieser Beschwerde für das vermeintlich demokratische Recht auf kulturelle Verspottung aus einer dominanten Position aus: „Wir legen Wert auf inhaltlichen Idealismus und wollen uns nicht an oberflächlicher political correctness oder Dogmen aufhalten. Wir begegnen allen Kulturen mit Respekt und Humor – einschließlich unserer eigenen. Das ist Volkstheater im besten Sinne. Und das ist Neukölln.“ 2 (29.01.2014)

Mit dieser Durchhalteparole wird die fadenscheinige Bekundung des eigenen Bedauerns nachhaltig hintertrieben und in eine uneinsichtige Apologie überführt, die seitens der Beschwerdeführerinnen als weiteren Schlag ins Gesicht empfunden wird. Eine deutsch-japanische Rechtsanwältin, die lange Zeit in Neukölln gelebt hat, reagiert fassungslos auf das Antwortschreiben der Verantwortlichen im Heimathafen:

„Als eine aus Asien stammende Mitbürgerin trifft mich das Foto sehr. Sowohl in meiner Schulzeit als auch später als junge Erwachsene wurde ich in Deutschland – auf dem Schulhof, auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln, am Arbeitsplatz – auf Grund meines asiatischen Aussehens nicht selten gehänselt und schikaniert. Und ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die das durchmachen muss. […] Sie sind offenbar der Auffassung, dass das Nachstellen von ‚Schlitzaugen‘ Humor sei und dass Sie dadurch ‚Respekt vor anderen Kulturen‘ zum Ausdruck bringen und ‚inhaltlichen Idealismus‘ verfolgen, ohne sich an ‚oberflächlicher Political Correctness oder Dogmen‘ aufzuhalten. Was für einen ‚inhaltlichen Idealismus‘ Sie verfolgen, ist mir nicht ganz klar. Selbst wenn Sie dies mit Ihrem Programm tatsächlich täten, wäre es kein Freibrief dafür, sich öffentlich über Andersaussehende lustig zu machen. Vielleicht finden Sie es lustig – ich finde es nicht lustig. Für mich ist das kein Humor, es ist einfach eine Respektlosigkeit und ein Alltagsrassismus: Rassismus deshalb, weil Sie Menschen mit anderer Hautfarbe und anderem Aussehen herabsetzen. Alltag deshalb, weil diese Art von Rassismus in Deutschland alltäglich vorkommt.“ (1.2.2014)

Neuköllner Parallelwelt: Buschkowskys Heimathafen
Obwohl die begründete Kritik gut nachvollziehbar ist und niemanden intellektuell überfordern dürfte, ist der Heimathafen außerstande, sich aus den engen Begrenzungen seines monokulturellen Bildungshorizonts zu befreien. Die unverständliche Reaktionsweise hängt auch mit der Struktur des Theaters zusammen, das in einem Bezirk beheimatet ist, der auch im bundesweiten Vergleich zu den Orten mit hohem Migrantenanteil zählt. Diese interkulturelle Lebensrealität spiegelt sich aber in keiner Weise im Personaltableau des vermeintlichen Volkstheaters wider, das in den eigenen Räumen auf verschiedenen Ebenen die migrantische Bevölkerung wie Deutsche of Color ausschließt. Interkulturelle Öffnung ist im gegenwärtigen Leitungsteam ein Fremdwort: Dem Frauenkollektiv gehören mit Stefanie Aehnelt, Carolin Huder, Julia von Schacky, Nicole Oder, Inka Löwendorf und Lucia Jay von Seldeneck ausschließlich Angehörige der Mehrheitsgesellschaft an. Gnädigerweise wurde eine Auszubildende mit Migrationshintergrund eingestellt. Es ist kein Zufall: Das diskriminierende Bild, das nach Aussage der Ausstellerin zwei jahrelang unbehelligt im Heimathafen ein zu Hause fand, 3 zeigt welche Art von Volkstheater in diesen Strukturen möglich ist.

In der seltsamen Welt des Neuköllner Volkstheaters gelten künstlerische Freiheit und Diskriminierungsfreiheit als Gegensätze, so dass nach dieser Logik die wahrhaftige Kulturarbeit der deutschen Mehrheitsgesellschaft offensichtlich nur auf Kosten marginalisierter Minderheiten möglich erscheint. Ob dieses Kulturkonzept besonders clever ist, sei dahingestellt. Ebenso sind Zweifel an der politischen Zukunftsfähigkeit und an den Fairplay-Qualitäten dieser Arbeitsweise erlaubt. Die Positionierung als deutsches Heimattheater passt jedenfalls gut zur Regentschaft des umstrittenen Neuköllner Bezirkspatriarchen Heinz Buschkowsky. Der urige Lokalpatriot hat bundesweit die polarisierenden Thesen seines Buches „Neukölln ist überall“ (2012) in unzähligen Fernsehauftritten und Interviews an ein Millionenpublikum verkauft. Mit seinen islamophoben Warnungen vor der angeblich grassierenden „Überfremdung“ und „Deutschenfeindlichkeit“ macht er seinem Parteifreund Sarrazin ernsthaft Konkurrenz. Als Hardcore-Integrationspolitiker mobilisiert er vor allem die rassistischen Ressentiments des abstiegsbedrohten Kleinbürgertums und der weißen Mittelschicht. 4 Der Heimathafen fühlt sich anscheinend diesem ideologischen Biotop durchaus verpflichtet und dankt Buschkowsky als Schutzherrn des Hauses ganz besonders für „Entgegenkommen und moralische Unterstützung“. 5 Mit diesem Selbstverständnis ist auch eine mehrheitsdeutsche Deutung von postmigrantischem Theater verbunden: Anstatt in erster Linie dominante Sehgewohnheiten zu brechen und minoritäre Perspektiven zu fördern, hat der Heimathafen es sich wiederholt zur Aufgabe gemacht, die vorurteilsbelasteten Bilder der Mehrheitsgesellschaft zu bedienen. Wie bei den frenetisch gefeierten Bühnenstücken „Madame Butterfly“ und „Miss Saigon“ stellt sich auch hier die Frage, ob der Mainstream in der westlichen Theaterkritik tatsächlich macht- und rassismuskritisch arbeitet. Zu den Aushängestücken des Heimathafens gehören insbesondere die klischeebeladenen und Rassismus entthematisierenden Arbeiten „Arabboy“ und „ArabQueen“ von Güner Balcı, 6 die wie Ayaan Hirsi Ali und Necla Kelek mit dieser fortgeschrittenen Form des Migrantenbashing Karriere macht 7 und öffentlich Sarazzin in Schutz nimmt. 8

  1. Die individuellen Beschwerdebriefe wurden als private E-Mail verschickt. Mit Zustimmung der Beschwerdeführerinnen wurde sie in einer Dokumentation veröffentlicht (4.5.2014).
  2. Alle hier zitierten Erklärungen des Heimathafen Neuköllns wurden als E-Mail an die Beschwerdeführerinnen bzw. dem Aktionsbündnis verschickt. Der vollständige Wortlaut wurde in einer Dokumentation veröffentlicht. Siehe Anmerkung 1.
  3. Vgl. Teresa Dapp: Asiaten in Deutschland: Wir sind keine Schlitzaugen!, Zeit-Online, 21.02.2014. (4.5.2014).
  4. Vgl. Alke Wierth: Multikulti mit dem Kleinbürger. die tageszeitung. 21.09.2012. (4.5.2014).
  5. Siehe Heimathafen Neukölln (3.5.2014)
  6. Vgl. etwa Anjana Shrivastava: Milieu-Roman „Arabboy“: Berliner Elendsgesichter. Der Spiegel. 27.09.2008. (4.5.2014).
  7. Siehe auch Patrick Bahners: Fanatismus der Aufklärung. Zur Kritik der Islamkritik. Blätter für deutsche und internationale Politik. 9/2010, Seite 105-118. (4.5.2014).
  8. Güner Balci: Sarrazin ist in Kreuzberg nicht willkommen. Die Welt. 15.07.11. (4.5.2014).
Gesellschaft Leitartikel

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