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Arm durch Arbeit

Statt Deutschkurse für Ausländer: „auf Dauer eine andere Tätigkeit suchen“

Der plötzliche Förderstopp der berufsbezogenen Deutschkurse hat zu der Frage geführt, ob es für die Lehrkräfte nicht sinnvoller ist, sich auf Dauer einen anderen Job zu suchen - Gedanken eines Lehrers von einem Integrationskurs.

Von Georg Niedermüller Freitag, 09.05.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 12.05.2014, 23:39 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

So sehr man die Arbeit in den Deutschkursen für Erwachsene auch mögen mag, die meisten Lehrkräfte müssen von ihren Einnahmen leben, ihre Miete zahlen und ihre Kinder versorgen. Bisher gab es die Hoffnung, dass die Situation sich mit einer schwarz-roten Bundesregierung verbessern könnte, nun scheint der Förderstopp der berufsbezogenen Deutschkurse das Gegenteil zu beweisen. Auch wenn nun doch noch 34 Mio. Euro gefunden wurden, ist noch völlig unklar, wie die Situation bei den einzelnen Trägern aussieht und wann es mit den Kursen weitergehen kann.

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Unsere Initiative Bildung Prekär hat dazu eine Umfrage unter den Lehrkräften gestartet. In einer Antwort heißt es: „Sollte die Euro-Schule (siehe unten) an der Ausschreibung teilnehmen und den Zuschlag gewinnen, dann wird sie auch wieder ESF Kurse anbieten. Ich schau noch mal nach, wann die Zuschläge vergeben werden. Das kann wohl in den Herbst rein gehen.“ Es könnte also sein, dass die Unterbrechung bis zum Herbst dauert. Eine Lehrkraft schreibt, „dass die Kurse in abgespeckter Version (Vielleicht Zahlung durch das Jobcenter?) weitergeführt werden sollen. Die Entscheidung darüber sollte vielleicht am 02.05. gefällt worden sein. Aber auf alle Fälle bedeutet das (mal wieder) verschärfte Bedingungen für die freiberuflichen Lehrkräfte. Zwar bin ich festangestellt, werde mir aber auf Dauer eine andere Tätigkeit suchen.“ Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales schreibt: „Allerdings ist das zur Verfügung stehende Mittelvolumen begrenzt. Nicht alle Wünsche werden bedient werden können. Um sicherzustellen, dass die zusätzlichen Finanzmittel für Kursdurchführungen bis Ende 2014 reichen, ist eine finanztechnische Steuerung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) notwendig.“

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Als Lehrkraft sollte man sich überlegen, welche alternativen Berufsmöglichkeiten es im Bereich der Sprachvermittlung gibt. Wer in staatlich geförderten Deutschkursen arbeitet und mit Hartz IV aufstocken muss, ist sogar per Gesetz dazu verpflichtet, sich aus seiner Notlage zu befreien, und dafür ist jeder Job nach dem Gesetz zumutbar. Der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, droht jedes Jahr damit, den freiberuflich arbeitenden Aufstockern das Hartz IV zu streichen: „Hartz IV ist nun mal nicht dafür erfunden worden, unrentable Geschäftsmodelle dauerhaft durch die Allgemeinheit zu stützen“.  

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Die GEW nimmt zu der Frage der alternativen Arbeitsmöglichkeiten eine unverständliche Haltung ein: Sie schreibt, dass es eine „Verhöhnung“ der Lehrkräfte sei, wenn man ihnen empfehlen würde, sich nach anderen Arbeitsmöglichkeiten umzusehen, weil der Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler angeblich so schlecht sei. Ein kritischer Kommentar auf den Beitrag der GEW findet sich hier: Der schwierige Umgang mit der GEW. Von der Bildungsgewerkschaft darf man einen noch viel kritischeren Umgang mit der schlechten Integrationspolitik erwarten. Die Bildungsangebote für MigrantInnen sind drittklassig. Diesem Thema hat die GEW bisher noch viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.

Der Sinn von Deutschkursen besteht nicht darin, Bildungsträger reich zu machen oder Lehrkräfte glücklich zu machen, sondern darin, Bildungsmöglichkeiten für MigrantInnen zu schaffen, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Außerdem ist Bildung mehr als eine „Magd der Wirtschaftspolitik“, sondern ein Bürgerrecht, das zur Emanzipation der Bürger beitragen soll, wie Ralf Dahrendorf es schon 1965 formulierte. Leider trägt das deutsche Bildungssystem nicht dazu bei, dass berufliche Positionen und Einkommen nach Verdienst vergeben werden, sondern besonders stark nach der sozialen Herkunft. Die Integrationskurse stellt so gesehen das untere Ende einer hierarchischen Bildungspolitik dar. Wie sieht aber mit der Integrationsarbeit in den Schulen aus? Der Sachverständigenrat stellt in seinem Jahresgutachten fest, dass es „(kaum) Fortschritte auf der `Baustelle Bildung´“ gebe (S. 97). So ist „der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund an Hauptschulen immer noch doppelt so hoch wie der von Schülern ohne Migrationshintergrund“ (S. 100). Die Zahl der Abiturienten ohne Migrationshintergrund ist zwischen 2004 und 2011 um 12,8 Prozentpunkte gestiegen, die Zahl der Abiturienten mit Migrationshintergrund jedoch nur um 7,3 Prozentpunkte (S. 101). Der Anteil derer, die die Schule ohne Schulabschluss verlassen haben, war 2009 bei den ausländischen Jugendlichen mehr als doppelt so hoch (12,8 %) wie bei den deutschen Jugendlichen (5,4 %) (S. 102). Besonders alarmierend sei die hohe Zahl der sogenannten „Risikoschüler“, die am Ende des vierten Schuljahres große Probleme im Lesen, in Mathematik und in den Naturwissenschaften haben. Der SVR nennt Zahlen von 25 %, 33 % und 40 % und betont, dass sich die Zahlen im Vergleich zu den Vorjahren schon reduziert haben. Trotzdem liege ein Leistungsrückstand vor, „der zwischen einem halben und eineinhalb Jahren liegt“ (S. 104). Die Folgen für die Wahl der weiterführenden Schule und für die berufliche Entwicklung kann man sich leicht vorstellen.

Wie man sieht gibt es einen sehr hohen Bedarf an Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Schulen schreiben regelmäßig Vertretungsstellen für DaZ- und DaF-Lehrkräfte aus. Das Berufskolleg Leverkusen-Opladen sucht mit heutigem Datum eine Lehrkraft für „Deutsch ausschließlich Deutsch als Fremdsprache, Deutsch als Zweitsprache. Unterrichtserfahrung in Internationalen Förderklassen ist zwingende Voraussetzung“. Solche Angebote finden sich auf der Webseite des Schulministeriums NRW. Man fragt sich, wo es in den Schulen einen regelmäßigen DaZ- und DaF-Unterricht gibt, der sich speziell an den Bedürfnissen von Kindern mit Migrationshintergrund orientiert. Während die Kinder aus mancher Einwandererfamilie in der Schule sitzen und kein Wort verstehen, weil es keinen Deutsch-Intensivkurs für sie gibt, sitzen ihre Eltern im Integrationskurs eines Privatanbieters und „büffeln“ unregelmäßige Verben. Ein gemeinsames Lernen oder die Idee, dass Sprache auch in einer Familie gelernt werden kann, ist im deutschen Schubladendenken eher unüblich. Gerade deshalb ist das Hamburger Integrationsprojekt „Fly“ (Family Literacy) so interessant. Hier werden Eltern und Kinder gemeinsam in der Schule unterrichtet (alle zwei Wochen eine Doppelstunde), wodurch die Kommunikation zwischen Eltern, Lehrern und Schülern verbessert wird.

Die UNESCO schreibt über das Fly-Projekt: „Es soll vor allem die Fähigkeiten der Eltern stärken, den Schriftspracherwerb ihrer Kinder zuhause zu unterstützen und sie dadurch besser auf die Schule vorzubereiten. Eltern gehören zu den ersten „Lehrern“ ihrer Kinder. Gleichzeitig beeinflussen Kinder auch den Bildungsstand ihrer Eltern.“ Die Idee der Integration durch Bildung wird hier also ganzheitlicher gefasst: Es geht nicht nur darum irgendwelche „Qualifikationen“ zu erreichen, die jemanden durch Spracherwerb dazu befähigen, eine schlecht bezahlte Putzstelle zu bekommen, sondern es geht um die Integration der ganzen Familie. Dazu gehört auch, dass man den Eltern erklärt, wie sie in der Bücherei Bücher ausleihen, oder wie sie Nachhilfeunterricht über das „Bildungspaket“ beantragen können. Noch besser als Nachhilfe bei einem Privatanbieter wäre natürlich eine Schule, in der nachmittags von qualifiziertem Personal Deutsch-Intensivunterricht und eine Hausaufgabenbetreuung angeboten würde. Aber damit würden die Interessen einer privaten Weiterbildungsindustrie und auch Nachhilfeindustrie unterlaufen, der sich die Politik anscheinend verpflichtet fühlt. Von den vier größten Franchise-Unternehmen in Deutschland gehören zwei der Nachhilfe-Industrie an, deren Umsatz auf ca. 1 Mrd. € geschätzt wird.Man beachte dagegen den Kleckerbetrag von 34 Mio. €, den das BMAS für die berufsbezogenen Deutschkurse nun zur Verfügung stellen will!

Mit heutigem Datum wurde von der migrationspolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Frau Dağdelen, berichtet, dass Forderungen nach einer Erhöhung der Haushaltsmittel für die Integrationskurse von der Regierung abgelehnt wurden: „Nach Berechnungen des Innenministeriums fehlen allein für Integrationskurse knapp 46 Mio. und für Integrationsprojekte 9 Mio. Euro. Es ist skandalös, dass die Finanzierung der notwendigen Integrationsmaßnahmen entsprechend gestiegener Einwanderungszahlen dabei völlig sachfremd von der Bereitschaft der Länder abhängig gemacht werden sollen, Mittel für Bildungsaufgaben abzugeben“, erklärt Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.“ Nun wird die Verantwortung für die bundesweiten Integrationskurse plötzlich auf die Länder abgeschoben. Erst vor zwei Wochen berichtete die Frankfurter Rundschau unter der Überschrift „Müttern droht Ausschluss von Sprachkursen“, dass die Fördergelder für die Kinderbetreuung bei Integrationskursen gestrichen werden sollen. Bei einem so volatilen Bildungsmarkt, aus dem der Staat sich so weit wie möglich raushält, ist es für eine Lehrkraft nur sinnvoll, nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten Ausschau zu halten. Selbst in einem Call-Center hat man ein besseres und sichereres Einkommen als in den staatlichen Deutschkursen. Aktuell Meinung

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  1. Susanne Nadas sagt:

    Ganz so einfach ist das alles nicht. Wenn der deutsche Staat integrations- und erwerbsbereiten zugezogenen Menschen beim Erwerb der deutschen Sprache unterstützt, finde ich das begrüßenswert. Es ist aber keine Bringschuld, aus meiner Sicht.
    Das Dilemma ist ja nur dass nicht nur Neuzugereiste sondern auch zu viele schon lange hier Lebende nicht gut Deutsch sprechen. Die werden teilweise verpflichtet, sitze teils überfordert, teils demotiviert in den Kursen, beenden diese nicht oder fehlen sehr viel. Bezahlt werden muss trotzdem. Mittlerweile würde ich auch eher dazu tendieren, den Zuzug an bestimmte Bedingungen zu knüpfen. Die schlechten Sprachkenntnisse werden ja auch an die nächste Generation weitergegeben. Als Folge sinkt das Niveau in Schulen mut hohem Ausländeranteil, worunter auch die Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund leiden, die ambitionierter sind.