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Burka Verbot an der Uni

Die Wissenschaft braucht kein Gesicht, sie braucht Argumente

Die Universität Gießen hat einer Studentin untersagt, mit Burka in den Hörsaal zu kommen. Mit einer Verschleierung sei ein wissenschaftlich-akademischer Diskurs nicht möglich. Denn Mimik und Gestik seien wichtige Aspekte der Kommunikation. Diesem Argument folgt auch Parvin Sadigh in "Die Zeit" – eine Replik von Sanjay Patel.

Von Freitag, 16.05.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.04.2015, 17:44 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

In ihrem Kommentar „Burka-Verbot an der Uni: Kommunikation braucht ein Gesicht“ folgt die Journalistin Parvin Sadigh von Zeit Online der Linie der Uni Gießen. Die wissenschaftliche Kommunikation braucht jedoch kein Gesicht, sie braucht schlüssige Argumente.

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Sadigh schreibt: „Eine Muslimin studiert in Gießen auf Lehramt. Sie trägt normalerweise eine Burka, einen Ganzkörperumhang, der nur ihre Augen freilässt. Damit wollte sie auch in den Hörsaal gehen. Aber die Uni-Leitung hat ihr mitgeteilt: Ein wissenschaftlicher und interaktiver Diskurs sei damit nicht möglich.

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In der Schule und erst recht an der Uni lernen Schüler und Studenten nicht nur Fakten. Sie lernen auch, indem sie argumentieren und mit anderen diskutieren. Kommunikation läuft aber nicht nur über Sprache. Wer sich mit anderen verständigen möchte, ist auf Zeichen angewiesen, die sich im Gesicht des anderen zeigen. Wer sich verbirgt, isoliert sich von den anderen und nimmt an einem wesentlichen Teil des Unterrichts entweder gar nicht mehr teil – oder irritiert Mitschüler und Kommilitonen ebenso wie Lehrer und Dozenten. Darauf hat auch die Uni Gießen die Studentin hingewiesen.

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Nach dem Hochschulrahmengesetz gilt: Lehre und Studium sollen den Studenten auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten und ihm die dafür erforderlichen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden dem jeweiligen Studiengang entsprechend so vermitteln, dass er zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit und zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat befähigt wird.

Wissenschaftliche Arbeit beruht in der Tat auf Fakten und schlüssigen Argumenten innerhalb der akzeptierten wissenschaftlichen Methoden, um neue Fakten und Erkenntnisse zu erzeugen. Die Rolle der Kommunikation besteht darin, Fakten, Argumente und Grundideen der Welt zugänglich zu machen. Allerdings abstrahiert die Wissenschaft von belanglosen Details, die nichts zur Plausibilität eines Arguments beitragen. Solche belanglosen Details sind zum Beispiel das Geschlecht, die sexuelle Neigung, die politische oder religiöse Einstellung derjenigen Person, die das Argument hervorbringt. Ebenso wenig interessiert sich die Wissenschaft dafür, ob das Argument aus dem Geiste einer Person stammt, die notorisch rote Socken, einen zu kurzen Minirock oder eine Burka trägt. Die Wissenschaft schert sich auch nicht sonderlich darum, ob das Argument spöttisch, sarkastisch, ironisch oder trocken abgehandelt wird. Die Wissenschaft interessiert sich nur für Erkenntnisgewinn. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn man in der Lage ist Argumente kritisch zu hinterfragen statt sich mit dem Gesichtsausdruck des Argumentierenden, seiner Kleidung, dem Zucken seiner Gesichtsmuskeln und der Modulation seiner Stimme aufzuhalten. Kurz, die Universität ist kein Schwatzklub ideologisch Gleichgesinnter, die nicht mehr zugänglich für Argumente sind, wenn diese von Personen außerhalb des eigenen weltanschaulichen Koordinatensystems hervorgebracht werden.

Aufmerksame Leser werden die Ziele des Studiums vielleicht dahingehend auslegen, dass die Burka unvereinbar mit den Aufgaben der Universität sei, die Studenten auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorzubereiten und zu verantwortlichen Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu befähigen. Dem ist zu entgegen, dass sich die Vorbereitung auf das Tätigkeitsfeld und das verantwortliche Handeln alleine auf die fachliche Seite beschränkt. Beispiel: Ein Informatiker aus dem Bereich Big Data Analytics soll auf der einen Seite die fachlichen Grundlagen beherrschen, die er in seinem zukünftigen Beruf benötigt, aber er soll sich auch über die möglichen negativen Begleiterscheinungen seiner Neuerungen bewusst sein und in diesem Sinne verantwortlich handeln. Eine solche negative Begleiterscheinung wäre die Entwicklung von Technologien, die auch für den flächendeckenden Missbrauch des Datenschutzes und der Privatsphäre eines Nutzers eingesetzt werden könnten. Eine ideologische Begleiterziehung neben dem eigentlichen Studiengang, wie beispielsweise im Iran oder in der ehemaligen DDR, ist in Deutschland bewusst nicht vorgesehen.

Ein weiterer Punkt ist, dass der von der Uni-Leitung Gießen hervorgebrachte und von Parvon Sadigh ausgebaute Einwand konsequenterweise Blinde vom Studium ausschließen müsste. Denn diese sind unfähig für die wissenschaftliche Argumentation. Sie sollen ja nicht nur Fakten lernen, sondern auch die Mimik von Nerds beim monologisieren über Backbones und Cloud Computing studieren. Das Argument der Uni Gießen und von Parvon Sadigh wirkt deswegen so an den Haaren herbeigezogen, weil auch Studierende der Physik, Chemie, Mathematik oder Informatik in faktisch nicht stattfindenden Debattierrunden zu Küchentischpsychologen ausgebildet werden sollen, um für die Wissenschaft überflüssige Körpersignale ihrer Kommilitonen korrekt deuten und einordnen zu können.

Endgültig bricht die Argumentation von Sadigh als auch der Uni Gießen in sich zusammen, wenn man die jüngsten Trends in der Lehre beobachtet. Das sind Online-Vorlesungen für Studenten und Nicht-Studenten weltweit, die überwiegend von  Top-Universitäten der USA angeboten werden. Prominente Plattformen sind beispielsweise Coursera oder Udacity. Die Online-Veranstaltungen bieten Video-Vorlesungen mit den üblichen Hausaufgaben zur Vertiefung des Lehrstoffes an. Zur Standardausrüstung dieser Online-Angebote gehört auch stets ein Forum zum Austausch über den Inhalt der Vorlesung, für Diskussionen oder Fragen. An den völlig gesichtslosen Diskussionen in den Foren beteiligen sich zahlreiche Studenten weltweit. Diese Form der Interaktionen bringt einen Mehrwert, der in der realen Welt alleine aus Zeitgründen überhaupt nicht möglich wäre. Die erfolgreiche Teilnahme an einer  solchen Vorlesung kann man sich übrigens zertifizieren lassen. Courseras Konzept ist recht erfolgreich. Innerhalb von nur zwei Jahren konnte Coursera bereits über 100 Partner, 500 Kurse und über 5 Millionen Teilnehmern aus aller Welt zählen.

Alleine an der Vorlesung “Machine Learning” von Andrew Ng nehmen regelmäßig über 100.000 Studenten weltweit teil. Aus Sicht von Sadigh und der Uni Gießen nehmen all diese gesichtslosen Studenten jedoch am “wesentlichen Teil des Unterrichts nicht mehr teil”, weil man deren Gesichter nicht sieht und man deswegen nicht vernünftig miteinander kommunizieren kann. Im Umkehrschluss bedeutet das, international renommierte Spitzenwissenschaftler wie Andrew Ng haben trotz der extrem hohen Nachfrage an ihren Kursen im Gegensatz zu den Regionalgrößen der Uni-Leitung Gießen und einer Journalistin einfach keine Ahnung, wie eine richtige Lehre aussieht. Die Argumentation der Universitätsleitung ist nicht nur unplausibel, sondern legt auch eine Ignoranz an dem Tag, die davon zeugt, dass man die jüngsten Entwicklungen in der Lehre völlig verschlafen hat. Aber immerhin hat die Unileitung Gießen ein Gesicht.

Der hessische CDU-Abgeordnete Ismail Tipi zeigte sich laut Frankfurter Rundschau zufrieden über die Reaktion der Behörden. Es sei richtig, dass die Gießener Uni-Leitung auf einer Teilnahme ohne Verschleierung bestehe. Hessen müsse „klare Kante zeigen“, betonte der CDU-Politiker. „Die Burka hat in unserer demokratischen Gesellschaft keinen Platz.“ Sie nehme Frauen ihr Gesicht weg. Man müsse dem gerade an Schulen und Universitäten „einen Riegel vorschieben“, forderte Tipi. Auch der SPD-Integrationspolitiker Gerhard Merz lobte, die Universität habe angemessen reagiert. In Lehrveranstaltungen müsse Kommunikation möglich sein.

Stellt sich die Frage, auf welche rechtliche Grundlage sich Tipi oder die Uni-Leitung berufen. Es ist eine Sache, etwas aus persönlichen Gründen abzulehnen aber eine völlig andere, seine persönlichen Vorlieben zum rechtlich verbindlichen Standard zu erheben, weil man so vermessen ist und glaubt, anderen damit helfen zu müssen. Es ist nicht der Auftrag einer Universität in gesellschaftlichen Fragen “klare Kanten” zu zeigen und an der Befreiung von angeblich unterdrückten Frauen mitzuarbeiten. Die Studentin hat sich bereit erklärt, die Burka abzulegen. Das bedeutet, sie hat sich offenbar freiwillig dazu entschieden, eine Burka zu tragen. Dazu gehört in dieser Gesellschaft eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, die nicht zum Klischeebild der unterdrückten und gesichtslosen Frau passt. Sie benötigt keine Hilfe oder Befreiung von wohlgesonnenen Professoren und Politikern, die sich eine Befreiung so vorstellen, dass sie mittels Druck ihr Opfer zu etwas zwingen, was in erster Linie eigenen Interessen und Vorstellungen dient.

Egal, wie ablehnend man zur Burka steht, man kann schlecht ohne jegliche Rechtsgrundlage erwachsene Frauen bevormunden und ihnen willkürlich den Zugang zur Universität verweigern, weil man seine private Weltanschauung für normativ und rechtlich bindend hält. Auch das damalige Weltbild diktierte den Herren vor über 100 Jahren, dass am besten keine Frau studieren sollte. Die Scheinargumente, damals wie heute, hatten mit der Sache, um die es eigentlich geht, nämlich der Wissenschaft selbst, überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil, hier werden gesellschaftliche Debatten unzulässig unter dem hervor geschobenen Vorwand der Wissenschaft ausgetragen. Man entmündigt eine Studentin, die man vor Entmündigung zu schützen vorgibt. Wissenschaftliche Kommunikation in der Lehre braucht kein Gesicht, sondern ein Argument. Die erfolgreiche Online-Plattform Coursera ist das lebendige Gegenargument, das die Verlautbarungen der Uni Gießen und der Journalistin Sadigh eindrucksvoll widerlegt. Aktuell Meinung

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  1. Sanjay Patel sagt:

    @Lionel

    Ihre Auslegung von Artikel 4 entspricht nicht der Rechtsprechung. Ein generelles Verbot der Burka verstößt gegen das Neutralitätsgebot und lässt sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Ein Verbot der Burka kann nur im Einzelfall ausgesprochen werden und zwar dann, wenn die Religionsfreiheit mit anderen Verfassungsgüter unverhältnismäßig kollidiert.

    Artikel 4 GG umfasst auch das öffentliche Bekenntnis zu der eigenen Religion. Absatz 2 betont ausdrücklich die Religionsausübung. Darunter versteht die Rechtsprechung religiöse Betätigung. Dazu zählen alle kultischen Handlungen wie Gottesdienst, Gebete, Feier von Sakramenten, aber auch das Tragen von besonderer Kleidung, um seine religiösen Überzeugungen kundzutun. Entscheidend hierbei ist alleine, was die jeweilige religiösen Vereinigung als Religionsausübung beschreibt.

    Ob das Tragen einer Burka durch die Religionsfreiheit geschützt ist, hängt somit nicht mehr von Artikel 4 ab, sondern nur noch von ihrer Bedeutung für den islamischen Glauben. Die deutsche Rechtsprechung erkennt an, dass eine Verschleierung ein religiöses Bekenntnis sein kann und bestätigt dies für das Kopftuch als Ausdruck der freien Religionsausübung. Folglich fällt die Burka ebenfalls in den Schutzbereich von Artikel 4, falls die Trägerin diese Form der Verschleierung als verbindlich von ihrer Religion vorgeschrieben empfindet.

    Um nicht verfassungswidrig zu sein, bedarf ein Eingriff in die Religionsfreiheit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Die Uni Gießen liefert diese Rechtfertigung nicht.

  2. Mathis sagt:

    Absolut innovativ und vielversprechend für die Ausgestaltung des Schulalltags: die Lehramtsstudentin wird ihren zukünftigen Arbeitsplatz bereits voll durch-imaginiert haben.Sie kam zu dem erschreckenden Ergebnis, dass das irgend was mit Menschen und mit Kommunikation zu tun hat.Nu hat sie sich aber mal entschieden und mag nicht mehr aussteigen.Also, Burka über und weiter! Da bleiben die Schüler einfach weg, und das Problem ist gelöst.
    Ich finde die Uni Gießen ist ein echter Spielverderber, nimmt sie doch der blitzgescheiten Zukunftsplanerin jede Chance, ganz ohne Arbeit durchs Leben zu kommen und sich dabei auch noch auf Diskriminierung berufen zu können.“Ich würde ja schon wollen, aber man lässt mich ja nicht“.

  3. Gülcan sagt:

    Eine Kleidervorschrift ist ein so minimaler Eingriff in unsere Freiheitsrechte, dass es eigentlich nicht erwähnenswert ist. Es stößt lediglich bei Menschen mit Anpassungsproblemen oder Menschen mit Ablehnung unserer Werte auf Widerstand (nicht nur bei Burkaträgerinnen).

    Das Argument der Religionsfreiheit ist eigentlich lächerlich, da jeder von uns weiß, wie das BVerfG in der Frage urteilen würde. Die Briten tragen doch größtenteils Schuluniformen ohne dass das großartig in Frage gestellt wird und es ist meiner Meinung nach sogar ein Kulturgut. Warum, also das Gesicht nicht zur Uniform erklären!? Das Gesicht ist doch DAS Identitätsmerkmal überhaupt und wie Hoppla schon erwähnt hat, die einzige Möglichkeit jemanden zu erkennen und als Person wahrzunehmen, als Individuum.

    Religionsfreiheit bedeutet nicht religiöse Anarchie, denn wenn man die Burka mit dem Islam begründen kann oder meinetwegen mit einer persönlichen Einstellung, dann will ich nicht wissen, was andere Menschen sich in Zukunft mit diesem Argument ausdenken werden. Bei solch einem Verständnis für unsere Religionsfreiheit überwiegen die Nachteile die sich daraus ergeben den Vorteilen bei weitem und sind deshalb abzulehnen. Religionsfreiheit ist kein Dogma und nicht Absolut, sondern wird wie alles in einem funktionierenden Staat diskutiert, reguliert und es werden Grenzen gesetzt!

  4. meisterallerklassen sagt:

    […]

    es gibt immer wieder querschläger und die müssen sie wohl oder übel ertragen ,aber hier geht es wie so oft nicht darum sondern um was anderes .
    es fängt ja bei burqa an , dann das kopftuch , und dann sieht man schon rot bei schwarzen haaren .

  5. Sanjay Patel sagt:

    @Mathis

    Blendet man die Ironie aus, so bleibt ein Argument, dass der Universität gestatten würde, auch Lehramtskandidatinnen mit Kopftuch den Zugang verweigern zu dürfen. Denn diese dürften kaum einen Job an einer staatlichen Schule in Deutschland erhalten.

    Ihr ironisches Argument appelliert recht plausibel an den gesunden Menschenverstand. Auch ich frage mich, wie sich eine Burkaträgerin ihren Job an einer deutschen Schule vorstellt. Verständnis habe ich dafür auch nicht. Vielleicht will sie auch gar nicht an eine staatliche Schule, sondern lieber an eine islamische Schule in Deutschland unterrichten, welche auch immer das sein soll.

    Eine Einschränkung von Grundrechten ist schwerwiegend und muss verfassungsrechtlich begründet werden. Ihr Argument, so plausibel es auf dem ersten Blick ist, rechtfertigt keine Einschränkung von Grundrechten. Es ist nicht Aufgabe der Universität zu prüfen, ob man überhaupt in dem Bereich arbeiten möchte, worin man ausgebildet wird, um dann ggfs. verfassungswidrige Hausverbote zu erteilen.

  6. Sanjay Patel sagt:

    @Gülcan

    *** Eine Kleidervorschrift ist ein so minimaler Eingriff in unsere Freiheitsrechte, dass es eigentlich nicht erwähnenswert ist. Es stößt lediglich bei Menschen mit Anpassungsproblemen oder Menschen mit Ablehnung unserer Werte auf Widerstand (nicht nur bei Burkaträgerinnen). Das Argument der Religionsfreiheit ist eigentlich lächerlich, da jeder von uns weiß, wie das BVerfG in der Frage urteilen würde. ***

    Unsere Freiheitsrechte sind auch die Freiheitsrechte der anderen, derjenigen, mit denen wir nicht sympathisieren. Sie sind universell. Gelten Grundrechte nur für uns aber nicht mehr für die anderen, weil sie nicht so sind wie wir, dann handelt es sich nicht mehr um ein Grundrecht, sondern um Prinzipienlosigkeit, Willkür und Diskriminierung. Eine solche Einschränkung der Grundrechte entspricht nicht „unseren Werten“. Im Gegenteil, Ihr Argument steht im Widerspruch zum Geist des Grundgesetzes. Zur Erinnerung, in der Vergangenheit wurden vor allem Muslime dazu verdonnert, sich ohne wenn und aber zum GG zu bekennen. Berufen sich Muslime dann auf ihre Grundrechte das GG, haben sie Anpassungsprobleme und ihre Berufung auf die Grundrechte werden für lächerlich erklärt.

    *** Die Briten tragen doch größtenteils Schuluniformen ohne dass das großartig in Frage gestellt wird und es ist meiner Meinung nach sogar ein Kulturgut. Warum, also das Gesicht nicht zur Uniform erklären!? Das Gesicht ist doch DAS Identitätsmerkmal überhaupt und wie Hoppla schon erwähnt hat, die einzige Möglichkeit jemanden zu erkennen und als Person wahrzunehmen, als Individuum.
    ***

    Das Kopftuch der Muslime und der Turban der Sikhs darf trotz Schuluniform getragen werden. In England ist die Kleiderordnung durch die „School Uniform Policy“ geregelt. Auf diese kann man sich dann berufen, wenn eine Schülerin mit Burka am Unterricht teilnehmen möchte.

    Etwas ähnliches könnte man auch in deutschen Universitäten einführen. Doch da es eine Kleiderregelung an deutschen Universitäten nicht gibt, kann sich die Uni nicht auf solche Vorschriften berufen und muss ein anderes Argument bemühen. Das Argument, was die Uni dann hervorbrachte, widerspricht dem akademischen Geist. Man kann schlecht die akademische Lehre und Wissenschaft dafür bemühen, keine Burka zu tragen.

    Eine Kleiderordnung an der Uni würde übrigens auch wegen des Gleichstellungsgrundsatz das Ende der politischen (weltanschaulichen) Bekenntnisse unter den Studenten bedeuten, was kaum durchsetzbar sein dürfte.

    *** Religionsfreiheit bedeutet nicht religiöse Anarchie, […] Religionsfreiheit ist kein Dogma und nicht Absolut, sondern wird wie alles in einem funktionierenden Staat diskutiert, reguliert und es werden Grenzen gesetzt!
    ***

    Wenn die Religionsfreiheit unverhältnismäßig mit anderen Verfassungsgütern kollidiert, dann kann die Religionsausübung im Einzelfall verboten werden, was auch häufig gemacht wird. Auf diese Weise verhindert man religiöse Anarchie und setzt Grenzen. Doch Grenzen, die Grundrechte einschränken, bedürfen immer einer verfassungsrechtlichen Begründung. Diese Begründung hat die Uni Gießen nicht gegeben.

  7. Sanjay Patel sagt:

    @XX

    Herzlichen Dank für Ihre Worte.

    @Slub

    *** Ich glaube, über die Burka wird, spätestens wenn dieses Phänomen sich stärker ausbreitet (was es im Moment ja noch nicht tut), einmal vom BVerfG eine Grundsatzentscheidung getroffen werden, dass es sich dabei um ein weltanschauliches Symbol handelt, welches nicht verfassungskonform ist, ähnlich wie völkisch-rassistische Symbole. Die Taliban fordern die Burka nicht umsonst unter Androhung von körperlicher Misshandlung oder Tod ein.
    *****

    Wichtig ist zunächst einmal, dass eine Burka, die unter Zwang getragen wird, nicht mehr unter dem Schutzbereich der Religionsfreiheit fällt.

    Ansonsten bezweifle ich, dass man mit dieser Argumentation durchkommt. Bei aller Kritik und allen Fehlern, der deutsche Rechtstaat und die deutsche Demokratie zählen mit zu den Besten der Welt und das nicht ohne Grund. Eine ähnlich gelagerte Diskussion im Zuge des Kopftuchstreit hatte damals gezeigt, dass ein Verbot auf Grundlage von ähnlichen Argumenten wegen des Gleichheitssatz (Artikel 3 GG) sehr problematisch werden könnte. Deswegen glaube ich auch nicht, dass man es mit dieser Linie bei der Burka versucht.

  8. Lionel sagt:

    @ Sanjay Patel

    Besten Dank für die persönliche Antwort!

    Laut des in der „FR“ geschilderten Sachverhalts wurde aber an der Uni Gießen weder ein allgemeines noch ein individuelles Burka-/Niqabverbot ausgesprochen.
    Die Hochschulleitung hat lediglich um ein Gespräch mit der Studentin nachgesucht und auf ihre Auffassung (Behinderung der Kommunikation) hingewiesen.
    Als Ergebnis erklärte sich die Studentin freiwillig dazu bereit, in Lehrveranstaltungen ihr Gesicht nicht mehr zu bedecken.
    Ein möglicher Eingriff in Grundrechte liegt daher nicht vor, denn der Zugang zu Lehrveranstaltungen ist ja nicht tatsächlich verwehrt worden.
    Zudem ist auch kein Zugangsverbot ausgesprochen worden.

    Sie schrieben ferner:
    „Artikel 4 GG umfasst auch das öffentliche Bekenntnis zu der eigenen Religion. Absatz 2 betont ausdrücklich die Religionsausübung. Darunter versteht die Rechtsprechung religiöse Betätigung. Dazu zählen (…) auch das Tragen von besonderer Kleidung, um seine religiösen Überzeugungen kundzutun. Entscheidend hierbei ist alleine, was die jeweilige religiösen Vereinigung als Religionsausübung beschreibt.

    Ob das Tragen einer Burka durch die Religionsfreiheit geschützt ist, hängt somit nicht mehr von Artikel 4 ab, sondern nur noch von ihrer Bedeutung für den islamischen Glauben.“

    Über die Grenzen dessen, was als Religionsausübung geschützt ist, befinden der Gesetzgeber und die Judikative.
    So hat das BVerfG den Landesgesetzgebern im Fall Ludin quasi aufgezeigt,
    welche rechtlichen Erfordernisse erfüllt sein müssen, um ein de facto KT-Verbot für Lehrpersonen durchzusetzen.
    Mindestens acht Bundesländer haben davon Gebrauch gemacht

  9. Donkey Kong sagt:

    Was jetzt ein duftes Signal gewesen wäre: wenn alle Schülerinnen und Studentinnen in der Burka gekommen wären! DAS wäre mal ein Zeichen gegen Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit gewesen. Aber darauf kann man hier ja lange warten.

  10. Mathis sagt:

    @Donkey Kong
    Wo keine Diskriminierung, wo keine Ausländerfeindlichkeit – da keine Solidaritätsbekundungen.

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