Burka Verbot an der Uni
Die Wissenschaft braucht kein Gesicht, sie braucht Argumente
Die Universität Gießen hat einer Studentin untersagt, mit Burka in den Hörsaal zu kommen. Mit einer Verschleierung sei ein wissenschaftlich-akademischer Diskurs nicht möglich. Denn Mimik und Gestik seien wichtige Aspekte der Kommunikation. Diesem Argument folgt auch Parvin Sadigh in "Die Zeit" – eine Replik von Sanjay Patel.
Von Sanjay Patel Freitag, 16.05.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.04.2015, 17:44 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
In ihrem Kommentar „Burka-Verbot an der Uni: Kommunikation braucht ein Gesicht“ folgt die Journalistin Parvin Sadigh von Zeit Online der Linie der Uni Gießen. Die wissenschaftliche Kommunikation braucht jedoch kein Gesicht, sie braucht schlüssige Argumente.
Sadigh schreibt: „Eine Muslimin studiert in Gießen auf Lehramt. Sie trägt normalerweise eine Burka, einen Ganzkörperumhang, der nur ihre Augen freilässt. Damit wollte sie auch in den Hörsaal gehen. Aber die Uni-Leitung hat ihr mitgeteilt: Ein wissenschaftlicher und interaktiver Diskurs sei damit nicht möglich.
___STEADY_PAYWALL___In der Schule und erst recht an der Uni lernen Schüler und Studenten nicht nur Fakten. Sie lernen auch, indem sie argumentieren und mit anderen diskutieren. Kommunikation läuft aber nicht nur über Sprache. Wer sich mit anderen verständigen möchte, ist auf Zeichen angewiesen, die sich im Gesicht des anderen zeigen. Wer sich verbirgt, isoliert sich von den anderen und nimmt an einem wesentlichen Teil des Unterrichts entweder gar nicht mehr teil – oder irritiert Mitschüler und Kommilitonen ebenso wie Lehrer und Dozenten. Darauf hat auch die Uni Gießen die Studentin hingewiesen.“
Nach dem Hochschulrahmengesetz gilt: Lehre und Studium sollen den Studenten auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorbereiten und ihm die dafür erforderlichen fachlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Methoden dem jeweiligen Studiengang entsprechend so vermitteln, dass er zu wissenschaftlicher oder künstlerischer Arbeit und zu verantwortlichem Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat befähigt wird.
Wissenschaftliche Arbeit beruht in der Tat auf Fakten und schlüssigen Argumenten innerhalb der akzeptierten wissenschaftlichen Methoden, um neue Fakten und Erkenntnisse zu erzeugen. Die Rolle der Kommunikation besteht darin, Fakten, Argumente und Grundideen der Welt zugänglich zu machen. Allerdings abstrahiert die Wissenschaft von belanglosen Details, die nichts zur Plausibilität eines Arguments beitragen. Solche belanglosen Details sind zum Beispiel das Geschlecht, die sexuelle Neigung, die politische oder religiöse Einstellung derjenigen Person, die das Argument hervorbringt. Ebenso wenig interessiert sich die Wissenschaft dafür, ob das Argument aus dem Geiste einer Person stammt, die notorisch rote Socken, einen zu kurzen Minirock oder eine Burka trägt. Die Wissenschaft schert sich auch nicht sonderlich darum, ob das Argument spöttisch, sarkastisch, ironisch oder trocken abgehandelt wird. Die Wissenschaft interessiert sich nur für Erkenntnisgewinn. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn man in der Lage ist Argumente kritisch zu hinterfragen statt sich mit dem Gesichtsausdruck des Argumentierenden, seiner Kleidung, dem Zucken seiner Gesichtsmuskeln und der Modulation seiner Stimme aufzuhalten. Kurz, die Universität ist kein Schwatzklub ideologisch Gleichgesinnter, die nicht mehr zugänglich für Argumente sind, wenn diese von Personen außerhalb des eigenen weltanschaulichen Koordinatensystems hervorgebracht werden.
Aufmerksame Leser werden die Ziele des Studiums vielleicht dahingehend auslegen, dass die Burka unvereinbar mit den Aufgaben der Universität sei, die Studenten auf ein berufliches Tätigkeitsfeld vorzubereiten und zu verantwortlichen Handeln in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat zu befähigen. Dem ist zu entgegen, dass sich die Vorbereitung auf das Tätigkeitsfeld und das verantwortliche Handeln alleine auf die fachliche Seite beschränkt. Beispiel: Ein Informatiker aus dem Bereich Big Data Analytics soll auf der einen Seite die fachlichen Grundlagen beherrschen, die er in seinem zukünftigen Beruf benötigt, aber er soll sich auch über die möglichen negativen Begleiterscheinungen seiner Neuerungen bewusst sein und in diesem Sinne verantwortlich handeln. Eine solche negative Begleiterscheinung wäre die Entwicklung von Technologien, die auch für den flächendeckenden Missbrauch des Datenschutzes und der Privatsphäre eines Nutzers eingesetzt werden könnten. Eine ideologische Begleiterziehung neben dem eigentlichen Studiengang, wie beispielsweise im Iran oder in der ehemaligen DDR, ist in Deutschland bewusst nicht vorgesehen.
Ein weiterer Punkt ist, dass der von der Uni-Leitung Gießen hervorgebrachte und von Parvon Sadigh ausgebaute Einwand konsequenterweise Blinde vom Studium ausschließen müsste. Denn diese sind unfähig für die wissenschaftliche Argumentation. Sie sollen ja nicht nur Fakten lernen, sondern auch die Mimik von Nerds beim monologisieren über Backbones und Cloud Computing studieren. Das Argument der Uni Gießen und von Parvon Sadigh wirkt deswegen so an den Haaren herbeigezogen, weil auch Studierende der Physik, Chemie, Mathematik oder Informatik in faktisch nicht stattfindenden Debattierrunden zu Küchentischpsychologen ausgebildet werden sollen, um für die Wissenschaft überflüssige Körpersignale ihrer Kommilitonen korrekt deuten und einordnen zu können.
Endgültig bricht die Argumentation von Sadigh als auch der Uni Gießen in sich zusammen, wenn man die jüngsten Trends in der Lehre beobachtet. Das sind Online-Vorlesungen für Studenten und Nicht-Studenten weltweit, die überwiegend von Top-Universitäten der USA angeboten werden. Prominente Plattformen sind beispielsweise Coursera oder Udacity. Die Online-Veranstaltungen bieten Video-Vorlesungen mit den üblichen Hausaufgaben zur Vertiefung des Lehrstoffes an. Zur Standardausrüstung dieser Online-Angebote gehört auch stets ein Forum zum Austausch über den Inhalt der Vorlesung, für Diskussionen oder Fragen. An den völlig gesichtslosen Diskussionen in den Foren beteiligen sich zahlreiche Studenten weltweit. Diese Form der Interaktionen bringt einen Mehrwert, der in der realen Welt alleine aus Zeitgründen überhaupt nicht möglich wäre. Die erfolgreiche Teilnahme an einer solchen Vorlesung kann man sich übrigens zertifizieren lassen. Courseras Konzept ist recht erfolgreich. Innerhalb von nur zwei Jahren konnte Coursera bereits über 100 Partner, 500 Kurse und über 5 Millionen Teilnehmern aus aller Welt zählen.
Alleine an der Vorlesung “Machine Learning” von Andrew Ng nehmen regelmäßig über 100.000 Studenten weltweit teil. Aus Sicht von Sadigh und der Uni Gießen nehmen all diese gesichtslosen Studenten jedoch am “wesentlichen Teil des Unterrichts nicht mehr teil”, weil man deren Gesichter nicht sieht und man deswegen nicht vernünftig miteinander kommunizieren kann. Im Umkehrschluss bedeutet das, international renommierte Spitzenwissenschaftler wie Andrew Ng haben trotz der extrem hohen Nachfrage an ihren Kursen im Gegensatz zu den Regionalgrößen der Uni-Leitung Gießen und einer Journalistin einfach keine Ahnung, wie eine richtige Lehre aussieht. Die Argumentation der Universitätsleitung ist nicht nur unplausibel, sondern legt auch eine Ignoranz an dem Tag, die davon zeugt, dass man die jüngsten Entwicklungen in der Lehre völlig verschlafen hat. Aber immerhin hat die Unileitung Gießen ein Gesicht.
Der hessische CDU-Abgeordnete Ismail Tipi zeigte sich laut Frankfurter Rundschau zufrieden über die Reaktion der Behörden. Es sei richtig, dass die Gießener Uni-Leitung auf einer Teilnahme ohne Verschleierung bestehe. Hessen müsse „klare Kante zeigen“, betonte der CDU-Politiker. „Die Burka hat in unserer demokratischen Gesellschaft keinen Platz.“ Sie nehme Frauen ihr Gesicht weg. Man müsse dem gerade an Schulen und Universitäten „einen Riegel vorschieben“, forderte Tipi. Auch der SPD-Integrationspolitiker Gerhard Merz lobte, die Universität habe angemessen reagiert. In Lehrveranstaltungen müsse Kommunikation möglich sein.
Stellt sich die Frage, auf welche rechtliche Grundlage sich Tipi oder die Uni-Leitung berufen. Es ist eine Sache, etwas aus persönlichen Gründen abzulehnen aber eine völlig andere, seine persönlichen Vorlieben zum rechtlich verbindlichen Standard zu erheben, weil man so vermessen ist und glaubt, anderen damit helfen zu müssen. Es ist nicht der Auftrag einer Universität in gesellschaftlichen Fragen “klare Kanten” zu zeigen und an der Befreiung von angeblich unterdrückten Frauen mitzuarbeiten. Die Studentin hat sich bereit erklärt, die Burka abzulegen. Das bedeutet, sie hat sich offenbar freiwillig dazu entschieden, eine Burka zu tragen. Dazu gehört in dieser Gesellschaft eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, die nicht zum Klischeebild der unterdrückten und gesichtslosen Frau passt. Sie benötigt keine Hilfe oder Befreiung von wohlgesonnenen Professoren und Politikern, die sich eine Befreiung so vorstellen, dass sie mittels Druck ihr Opfer zu etwas zwingen, was in erster Linie eigenen Interessen und Vorstellungen dient.
Egal, wie ablehnend man zur Burka steht, man kann schlecht ohne jegliche Rechtsgrundlage erwachsene Frauen bevormunden und ihnen willkürlich den Zugang zur Universität verweigern, weil man seine private Weltanschauung für normativ und rechtlich bindend hält. Auch das damalige Weltbild diktierte den Herren vor über 100 Jahren, dass am besten keine Frau studieren sollte. Die Scheinargumente, damals wie heute, hatten mit der Sache, um die es eigentlich geht, nämlich der Wissenschaft selbst, überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil, hier werden gesellschaftliche Debatten unzulässig unter dem hervor geschobenen Vorwand der Wissenschaft ausgetragen. Man entmündigt eine Studentin, die man vor Entmündigung zu schützen vorgibt. Wissenschaftliche Kommunikation in der Lehre braucht kein Gesicht, sondern ein Argument. Die erfolgreiche Online-Plattform Coursera ist das lebendige Gegenargument, das die Verlautbarungen der Uni Gießen und der Journalistin Sadigh eindrucksvoll widerlegt. Aktuell Meinung
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Ich glaube die Autorin wird auf jedes Argument ein Gegenargument finden, aber richtiger wird es dafür nicht. Ich habe schon oft genug miterlebt, dass man Menschen so überzeugt sind das GG so gut zu kennen, dass sie nicht mal das Urteil des BVerfG akzeptieren und am liebsten noch den Richter belehren wollten. Vor allem hier im Migazin!
Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass die Burka niemals Einzug in die Unis finden wird. Spätestens, wenn sich die Fälle häufen, dann wird von der Politik ein Gesetz herausgebracht, das dieses verbietet. Ich sehe bei der Burka ein Missbrauch unserer Freiheitsrechte und kann weder für die Burkatragende Frau noch für unsere Gesellschaft etwas positives erkennen, wenn irgendjemand ständig verhüllt herum laufen kann. Auf solch ein Verständnis von Vielfalt lege ich kein Wert.
Übrigens würde ich den Burka-Sympathisanten gerne mal die Frage stellen, ob sie denn auch gegenüber Nazis so tolerant wären. Warum sollten diese denn ihre Hakenkreuze nicht öffentlich tragen dürfen?
Unser Land ist kein Traditions-, Erfahrungs- und Geschichtsfreier Raum, wo alleine das GG die Grenzen setzt. Und ich sehe beim Tragen einer Burka einen extrem starken Widerspruch gegenüber unsere aufklärerischen Werte. Teilweise stell ich mir die Frage, ob wir das Mittelalter hätten überwinden können, wenn wir gegenüber Religionen und deren Anhänger so unkritisch gewesen wären, wie manche (u.a. die Autorin) es von uns heutzutage erwarten.
Mal ganz davon abgesehen, dass der Islam sein Ruf in Deutschland nicht gerade verbessern würde, wären Burkas nur Wasser auf den Mühlen, derjenigen, die den Islam als primitiv und rückstandig ansehen. Und das nicht ganz zu unrecht! Mich erschreckt schon alleine die Anzahl an Personen, die sich hier für die Burka stark machen. Genauso hat es nämlich auch angefangen um das Kopftuch überall zu etablieren.
Hoppla, die Burka ist doch nur ein Kleidungsstück! Jeder sollte das anziehen, was er anziehen will. Sie ziehen doch auch Ihren Lieblingspulli an. Ich verstehe diese verkrampfte Haltung nicht. Ich frage mich, ob wir das Mittelalter hätten überwinden können, wenn überall so eine verkrampfte, weltfremde Haltung vorgeherrscht hätte. Sei’n Sie mal ein bisschen weltoffen!
Eine sehr elaborierte Replik Herr Patel!
Ich muss irgendwie schmunzeln, wenn die Uni und Frau Sadigh von „vernünftiger Kommunikation“ reden. Ich kann mich erinnern, dass wir teilweise auf den Treppen oder hinter den Bänken am Ende des Hörsaals sitzen mussten. Da hat einen weder der Professor gesehen, noch wäre auch nur ein vernünftiger Diskurs möglich gewesen. Manche glauben offenbar, dass die Freiheit im GG nur für die Mehrheit gilt, dass der Islam dauernd seinen Kritikern zu gefallen versuchen müsse und dass eine Handlung nur dann unter den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, wenn sie der Mehrheit auch subjektiv zusagt. Die Freiheit des einen endet dort, wo die des anderen beginnt. Und wer wird schon ernsthaft durch eine Frau mit Burka eingeschränkt fühlen, die – wider dem ihr aufgezwungenen Stigma der Rückständigkeit – friedlich nach Bildung strebt.
@Muslim
„Und wer wird sich schon ernsthaft durch eine Frau mit Burka eingeschränkt fühlen, die – wider dem ihr aufgezwungenen Stigma der Rückständigkeit – friedlich nach Bildung strebt.“
Ja, Bildung sollte der Studentin helfen, ihren angestrebten Beruf in Beziehung zu setzen zu ihrem religiösen Anspruch, in Vollverschleierung aufzutreten.
Sie sollte dabei zur Erkenntnis gelangen, dass es da gewisse Unvereinbarkeiten gibt. Nun bin ich persönlich aber skeptisch, dass „Bildung“,d.h. ein Studium alleine noch keine Erkenntnisprozesse befördert, die Ignoranz zu Reflexionsvermögen wandeln würde. Da hilft manchmal nur, die Tür nach draußen zu finden.
@donkey Kongo
Wenn die Burka nur ein Kleidungsstük ist, warum sehe ich denn dann das Gesicht der Trägerin nicht. Übrigens schränkt die Burka auch meine Freiheit ein, schließlich wird meinem Auge etwas vorenthalten. Ein Bikini ist auch kein normales Kleidungsstück und Leggingshosen sind mittlerweile auf meiner Schule auch verboten worden. Sorry, aber blöd bin ich nicht!
@ muslim
„Und wer wird schon ernsthaft durch eine Frau mit Burka eingeschränkt fühlen, die – wider dem ihr aufgezwungenen Stigma der Rückständigkeit – friedlich nach Bildung strebt.“
Natürlich schränkt die Burka nicht nur die Trägerin ein, sondern es nimmt den anderen Menschen ebenfalls die Freiheit die Frau unter diesem Tuch zu sehen und zu erkennen, obwohl alle anderen für Sie sichtbar sind. Und so friedlich strebt diese Frau nun offenbar nicht nach Bildung, sonst würde sie wohl kaum mit ihrer Burka provozieren, denn es ist ja wohl kein Geheimnis, dass dieses Kleidungsstück in Deutschland für die Unterdrückung des Individuums steht und für alles was weiblich aussieht! Und es wird den meisten wohl auch kein Geheimnis sein, dass das GG das Individuum mit ihren Freiheitsrechten schützen will und keine ausgearteten religiösen Kleidungsvorschriften!
Es ist teilweise schon peinlich wie versucht wird hier mit Verdrehung der Tatsachen, die Burka, als Ausdruck von Freiheit zu feiern.
@Lionel
*** Laut des in der “FR” geschilderten Sachverhalts wurde aber an der Uni Gießen weder ein allgemeines noch ein individuelles Burka-/Niqabverbot ausgesprochen.***
Da haben Sie vollkommen Recht.
Zunächst einmal wissen wir nicht, was tatsächlich geschehen ist. Die FR titelt „Studentin muss Schleier lüften“. Ob es nun so abgelaufen ist, wie Sie den Sachverhalt zitieren und die Medien die Geschichte reißerisch aufblähen oder aber ob die Uni-Leitung auf die Studentin unzulässig Druck ausübte, kann ich nicht beurteilen.
Entscheidend ist für mich, dass die Universität ihre Kompetenzen überschritten hat. Die Universität ist keine Institution, der eine Erziehungsfunktion zuteil kommt und ihr gestattet in die persönlichen Bereiche von Studentinnen einzugreifen, um die Kommunikation zu fördern.
In der Regel interessieren sich Universitäten nicht für Kommunikation. Die Universität überlässt im Grunde die Studenten sich selbst, weil sie davon ausgeht, dass es sich um mündige Bürger handelt, die wissen, was sie tun. So stößt sich keine Unileitung daran, dass Studenten während einer Veranstaltung schlafen, Zeitung lesen, mit dem Handy sozial netzwerken, zu spät kommen usw.. Legendär ist die Bitte eines Professors, der während einer Vorlesung einen Studenten bat, beim Umblättern seiner Zeitung bitte nicht so laut zu rascheln, damit er seine schlafenden Kommilitionen nicht weckt. Selbst in Tutorien mit etwa 10-20 Teilnehmern trifft man auf solche „Kommunikaitonsverweigerer“.
Mit solchen Studenten ist eine akademische Diskussion — zumindest punktuell — weniger möglich, als mit einer etwaigen Burkaträgerin, die den Ausführungen aufmerksam folgt. Mit Förderung der akademischen Kommunikation lässt sich somit kaum erklären, dass die Unileitung bisher nur eine Burkaträgerin ansprach.
**** Ein möglicher Eingriff in Grundrechte liegt daher nicht vor, denn der Zugang zu Lehrveranstaltungen ist ja nicht tatsächlich verwehrt worden.
Zudem ist auch kein Zugangsverbot ausgesprochen worden.
****
Unter der Vorraussetztung, dass beispielsweise die Titelzeile der FR korrekt ist, könnte ein Eingriff in die Grundrechte vorliegen. Eine solche Einschränkung bedarf dann aber eine anderen Begründung, als die von der Universität hervorgebrachte.
*** Über die Grenzen dessen, was als Religionsausübung geschützt ist, befinden der Gesetzgeber und die Judikative. So hat das BVerfG den Landesgesetzgebern im Fall Ludin quasi aufgezeigt, welche rechtlichen Erfordernisse erfüllt sein müssen, um ein de facto KT-Verbot für Lehrpersonen durchzusetzen. Mindestens acht Bundesländer haben davon Gebrauch gemachtin
***
Der Fall Ludin ist kaum vergleichbar, weil es hier Verfassungsgüter zwischen Arbeitgeber und Religionsfreiheit kollidierten. Für den öffentlichen Raum bestätigte die Rechtsprechung, dass die Verschleierung Ausdruck der Religionsausübung ist. Ein generelles Verschleierungsverbot wäre also verfassungswidrig. Inwieweit das auch für die Burka gilt, hängt davon ab, ob deutsche Gerichte anerkennen, dass die Burka aus religiöser Pflicht getragen wird.
Will die Universität für ihre Studentinnen eine ähnliche Regelung in Anspruch nehmen, wie die staatlichen Schulen für muslimische Lehrerinnen, dann kann sie sich auf jeden Fall nicht mit einer derart fasdenscheinigen Begründung berufen.
Zusammenfassend: Im Zentrum meiner Kritik steht die Argumentation der Unileitung. Wer ein Burka-Verbot möchte, sollte das auch vernünftig begründen.
@Patel
Ich verstehe nicht so recht was Ihr Ziel mit diesem Artikel ist!? Wollen Sie uns auf Schwächen im GG aufmerksam machen, die von anderen ausgenutzt werden können oder wollen Sie hier in Deutschland die Burka als „normales“ und akzeptiertes Kleidungsstück etablieren? Oder fordern Sie toleranz gegenüber Menschen, die sich uns gegenüber intolerant benehmen? Ich versteh es nicht!
Also man sollte sich nicht dumm stellen und einfach ignorieren, dass eigentlich alle Länder in Europa Religionsfreiheit in ihrer Verfassung stehen haben und trotzdem gibt es in England Schuluniformen, in Italien ein Vermummungsverbot und in Frankreich ein Burkaverbot, die auch durchgesetzt werden. Oder geht bei diesem Artikel mal wieder darum, den Islam schon mal präventiv, als Opfer zu stilisieren?
„Inwieweit das auch für die Burka gilt, hängt davon ab, ob deutsche Gerichte anerkennen, dass die Burka aus religiöser Pflicht getragen wird.“
Wie soll das Gericht denn feststellen ob es eine Pflicht dazu gibt? Da sagt doch jede islamische Gemeinde was anderes zu. Außerdem ist es ja auf der Straße ersichtlich, dass es dazu keine Pflicht gibt, sonst wären die Hälfte der Musliminnen keine Muslime!?
@ Sanjay Patel
Ich denke, es herrscht Einigkeit darüber, dass eine Hochschulleitung grundsätzlich befugt ist, eine Studentin, die sich sehr ungewöhnlich verhält, oder sehr ungewöhnliche Kleidung trägt, zu einem informellen Gespräch zu bitten.
In der Tat kann man darüber streiten, ob die vorgebrachte Begründung für mögliche Sanktionen ausreichend ist.
Einschlägig wäre hier zunächst die Satzung der Uni Gießen – die wir leider nicht kennen.
Einmal unterstellt, es wären tatsächlich Sanktionen ausgesprochen worden und die Studentin hätte sich mit Erfolg vor Gericht dagegen gewehrt, da die Satzung der Uni keine ausreichende Begründung darstellen würde, kann es als sicher gelten, dass der Landtag in Hessen umgehend eine gesetzliche Grundlage schafft.
Persönlich meine ich, dass gerade in einem pädagogischen Fach eine weitgehend störungsfreie Kommunikation gewährleistet sein sollte
Eine weite Auslegung der persönlichen Freiheit ist mir schon sympathisch.
Dennoch ist Freiheit nur innerhalb gewisser Schranken möglich.
Karl R. Popper nannte dies das Paradoxon der Freiheit..
@Gülcan
*** Ich verstehe nicht so recht was Ihr Ziel mit diesem Artikel ist!?
*****
Mein Ziel ist es, eine Diskussion darüber zu führen, ob die Argumentation der Universität Gießen gerechtfertigt ist.
Meine Annahme ist, dass die Burka von der Mehrheit oder zumindest von Teilen der Gesellschaft strikt abgelehnt wird. Selbst zahlreiche Muslime sprechen sich gegen die Burka aus. Wer die Burka trägt, ist also ein krasser Außenseiter der Gesellschaft, eine Art Kastenloser, der selbst schuld an seinem Schicksal ist. Einige Kommentare zeigen, dass man Burkaträgerinnen auf einer Stufe mit Menschenfeinden wie Nazis stellt. Schlimmer kann man sich wohl nicht ins gesellschaftliche Abseits katapuliteren.
Wir haben das Recht unsere persönliche Ablehnung der Burka öffentlich zum Ausdruck zu bringen. Es ist aber etwas völlig anderes; wenn man seine Ablehnung der Burka in den Stand eines normativen Gesetzes erhebt, an dem sich alle zu halten haben. Salopp formuliert, mir passen Burka und Glatzen nicht, also gehört beides verboten, weil beide demokratischen Prinzipien widersprechen.
Das einzige was jedoch demokratischen Prinzipien widerspricht, ist die Auffassung, dass die eigene Ablehnung und Privatinterpretationen eine Einschränkung bzw. Uminterpretation von Grundrechten rechtfertigt. Das GG schützt jedoch ausdrücklich auch die Grundrechte von Minderheiten.
Wir können und dürfen die Burka ablehnen. Wir dürfen jedoch nicht alleine deswegen die Burka verbieten und schon gar nicht mit fadenscheinigen Argumenten. Das ist worum es mir in dieser Diskussion geht.