Beratung in der Praxis 4/5
„Ich stelle Sie ein, wenn Sie das Kopftuch ablegen“
Diskriminierung hat viele Formen und ist kein Einzelfall. Aber nur die wenigsten werden medial bekannt, die meisten bleiben im Dunkeln und nur wenige werden zumindest dokumentiert. MiGAZIN veröffentlicht Fallbeispiele aus der Beratungspraxis des Antidiskriminierungsnetzwerks Berlin in einer Reihe. Heute: Arbeitgeber ohne Unrechtsbewusstsein
Mittwoch, 21.05.2014, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.05.2014, 17:24 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Eine junge Muslima bewirbt sich um einen Ausbildungsplatz in einer Zahnarztpraxis. Im Bewerbungsgespräch teilt der Zahnarzt ihr mit, sie könne nur ohne Kopftuch in der Praxis arbeiten, was sie ablehnt. Zwei Tage später bekräftigt der Zahnarzt in einer E-Mail, dass er sie gerne nehmen würde, wenn sie es sich anders überlegen würde.
Die Frau informiert sich beim Muslimischen Seelsorgetelefon und erfährt so vom „Netzwerk gegen Diskriminierung von Muslimen“. Sie wendet sich schließlich an das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADNB) des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (TBB).
In einem ersten Beratungsgespräch wird mit der Klientin geklärt, was ihre Ziele sind. Die Klientin macht deutlich, dass sie rechtlich gegen den Zahnarzt vorgehen möchte. Sie hat sich bereits vor ihrer Bewerbung mit dem Thema Diskriminierung beschäftigt und weiß, dass rechtliche Schritte möglich sind.
Das ADNB schreibt einen Beschwerdebrief und macht für die Klientin die Entschädigungsansprüche aus dem AGG gegenüber dem Zahnarzt geltend. Da sie unmittelbar nach dem Vorfall Unterstützung gesucht hat, stellt die Einhaltung der Zwei-Monats-Frist des AGG kein Problem dar. Gemeinsam werden zunächst alle Beweise und Indizien gesichert, indem ein Gedächtnisprotokoll erstellt und alle E-Mails gespeichert werden.
Der Zahnarzt erwidert in einem Antwortschreiben, dass er die Klientin nicht diskriminiert habe. Das ADNB rät der Klientin sich an einen Rechtsanwalt zu wenden, um ihre Ansprüche im Wege der Klage geltend zu machen. Die Klientin wendet sich an eine Rechtsanwältin aus dem Netzwerk des ADNB und bespricht mit ihr das Prozess- und Kostenrisiko.
Da die Diskriminierung in einem Vier-Augen-Gespräch stattfand, kann der Vorfall nur durch Indizien nachgewiesen werden. Es besteht die Möglichkeit, dass der Zahnarzt leugnet, die Frau wegen des Kopftuchs abgelehnt zu haben. In diesem Fall kommt es vor allem auf die Überzeugung des Gerichts an. Die Klientin möchte aber in jedem Fall klagen, um dem Zahnarzt zu zeigen, dass sie sich ein solches Unrecht nicht gefallen lässt. Um erfolgreich gegen Diskriminierungen klagen zu können, braucht es ausreichende Indizien, die die Wahrscheinlichkeit der erfolgten Diskriminierung aufzeigen.
In diesem Fall war die E-Mail des Zahnarztes ein solches Indiz, dass eine Diskriminierung vorgelegen hatte. Die Klientin erhebt Klage beim Arbeitsgericht mit der Begründung, der Zahnarzt habe sie aufgrund ihrer Religion diskriminiert. Der Zahnarzt und sein Rechtsanwalt bestreiten nicht, die Klientin aufgrund des Kopftuchs abgelehnt zu haben, sehen aber in diesem Verhalten keine Diskriminierung.
Info: Das Antidiskriminierungs- netzwerk Berlin (ADNB) ist ein Projekt unter der Trägerschaft des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg (TBB) und wird durch das Landesprog- ramm gegen Rechtsextremis- mus, Rassismus und Antisemitismus des Senats von Berlin gefördert. Zu den Zielen und Aufgaben des ADNB gehören: die Förderung von Gleichbehandlung, die Sensibilisierung der Öffentlich- keit, die Beratung der von Diskriminierung Betroffenen und deren Unterstützung. Mehr unter www.adnb.de
Im Gütetermin des Arbeitsgerichts wird keine Einigung erzielt, so dass es zur mündlichen Verhandlung kommt. In dem Gerichtsverfahren wird die Klientin von ihrer Rechtsanwältin und der Beraterin des ADNB als Beistand unterstützt. Die Beraterin kann dabei die Klientin vor Gericht begleiten und bekommt ebenfalls Gelegenheit, sich zu dem Fall zu äußern. Das Arbeitsgericht gibt der Frau recht und spricht ihr als Entschädigung drei Monatsgehälter zu.
Das Gericht stellt fest, dass das Tragen des Kopftuchs einen Akt der Religionsausübung und somit einen Teil des Glaubensbekenntnisses der Klientin darstelle. Deshalb könne von ihr nicht verlangt werden, das Kopftuch abzulegen. Nach einer Pressemitteilung des ADNB reagieren die Medien mit vielen Anfragen und Berichterstattungen zu diesem Fall. Durch die Pressearbeit kann das ADNB seine erfahrungen aus der Beratungspraxis öffentlich machen und schildern, dass dies kein Einzelfall ist, sondern für viele Muslima alltägliche Realität. Die Klägerin selbst möchte anonym bleiben, aber dennoch ein Interview geben. Das ADNB vermittelt sie an eine Journalistin.
In ihrem Interview bringt sie zum Ausdruck, dass es ihr nicht nur um Einzelfallgerechtigkeit gegangen sei, sondern dass sie damit auch für andere Betroffene ein Zeichen gegen Diskriminierung setzen wollte. Aktuell Gesellschaft
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