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Jenseits falscher Entgegensetzungen

Zuwanderung aus Bulgarien zu Rumänien zwischen Arbeits- und Armutszuwanderung

Handelt es sich bei den Einwanderern aus Bulgarien und Rumänien um Arbeits- oder Armutszuwanderer? Darüber streiten zwei Lager meist emotional und populistisch. Stefan Böckler fordert einen differenzierten Blick - anhand der Faktenlage.

Von Stefan Böckler Freitag, 30.05.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 05.06.2014, 0:07 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Die Diskussion über die Zuwanderung von bulgarischen und rumänischen Staatsbürgern nach Deutschland und vor allem in bestimmte Kommunen weist eine ausgeprägte Polarisierung zwischen auf beiden Seiten emotional hochaufgeladenen Sichtweisen auf.

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Auf der einen Seite werden im eher rechten Teil des politischen Spektrums Begriffe wie „Sozialtourismus“ (das Unwort des Jahres 2013) oder Bilder von Müllbergen vor sogenannten „Romahäusern“ beschworen – wie dies in jüngster Vergangenheit auf Duisburger Wahlplakaten geschehen ist. Bulgaren und Rumänen wandern demnach massenhaft in deutsche Kommunen ein, betreiben dort einen genauso massenhaften Missbrauch der Sozialsysteme und treiben die betroffenen Quartieren in die Verwahrlosung.

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Allerdings lassen sich bei genauerem Hinsehen die unterstellten Zustände nur schlecht belegen: Daten über die missbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen existieren kaum oder weisen, wo es sie gibt, bundesweite Fallzahlen im zweistelligen Bereich aus; die gezeigten Müllberge existieren schon lange nicht mehr, und in den besagten „Romahäusern“ wohnen inzwischen keine Bulgaren und Rumänen mehr.

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Auf der anderen Seite hat sich eine deutlich zuwandererfreundlichere Phalanx formiert, die sich mit ähnlicher Insistenz darin gefällt zu zeigen, dass nicht nur die von ersterer Position entworfenen Horrorszenarien jeglicher faktischer Grundlage entbehren, sondern im Gegenteil eher Anlass zum Entwurf eines idyllischen Zuwanderungsszenarios besteht. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels in Deutschland stellt die große Zahl an hochqualifizierten und bestens in den Arbeitsmarkt integrierten bulgarischen und rumänischen Zuwanderern keineswegs eine Belastung des deutschen Wirtschafts- und Sozialsystems dar, sondern im Gegenteil eine deutliche Bereicherung in einer schwierigen Mangelsituation auf dem Arbeitsmarkt. Von „Armutszuwanderung“ kann in dieser Sicht nur die Rede sein, wenn man Interessen an einer fremdenfeindlichen Instrumentalisierung dieser Zuwanderung besitzt.

Die Fakten: Arbeits- und Armutszuwanderung
Bedauerlich ist allerdings, dass auch letztere Fraktion es mit den Tatsachen nicht ganz so genau nimmt. Bis heute kursiert in den entsprechenden Verlautbarungen die abwegige Behauptung, 80 Prozent aller zwischen 2007 und 2011 nach Deutschland zugewanderten Bulgaren und Rumänen seien sozialversicherungspflichtig auf dem ersten Arbeitsmarkt beschäftigt. Wäre dies so, würde sich tatsächlich jede weitere Diskussion über eine mangelnde Arbeitsmarktintegration (und damit über eine Armutszuwanderung) beider Gruppen verbieten; eine vergleichbar günstige Integration in den Arbeitsmarkt weisen allerhöchstens männliche Deutsche ohne Migrationshintergrund mit akademischem Abschluss im Alter zwischen 25 und 45 Jahren auf – eine Gruppe, die vermutlich kaum mit Armutsproblemen zu kämpfen hat.

Ein Blick auf die Daten der Bundesanstalt für Arbeit zeigt den kontrafaktischen Charakter dieser Behauptung: Ende 2012 waren tatsächlich nur 32 Prozent der in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen zwischen 15 und 65 Jahren sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Daneben werden immer wieder Zahlen zu Argumenten gemacht, die aufgrund der spezifischen rechtlichen Situation der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien nur begrenzte Aussagekraft besitzen: Der geringe Anteil an SGB-II-Beziehern unter diesen Zuwanderern beispielsweise sagt wenig über deren gelungene Integration in den regulären Arbeitsmarkt (und zukünftige Belastungen des deutschen Sozialsystems) aus, sondern ist vielmehr Ausdruck der aktuell für beide Gruppen bestehenden rechtlichen Einschränkungen des Zugangs zu SGB-II-Leistungen: Ohne vorausgegangene selbstständige oder nicht-selbstständige Tätigkeit besteht im Regelfall kein Anspruch auf SGB-II-Leistungen – und finden die damit betroffenen Personen keine Berücksichtigung in den entsprechenden Statistiken.

Und da wo dann doch mehr oder weniger aussagekräftige Daten ins Feld geführt werden, wird selbstverständlich nur die Seite der Medaille präsentiert, die mit dem eigenen Weltbild zusammenpasst.

Zwar zeigen Sonderauswertungen des Mikrozensus, die renommierte deutsche Forschungsinstitute durchgeführt haben, tatsächlich, dass ein nicht geringer Anteil der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer gut- bis hochqualifiziert ist (die Schätzungen bewegen sich zwischen 20 und 30 Prozent). Allerdings weisen dieselben Untersuchungen einen deutlich höheren Anteil an Bulgaren und Rumänen ohne jeglichen Berufsabschluss auf (je nach Studie zwischen 39,5 und 46 Prozent).

Wenn man berücksichtigt, dass im Mikrozensus aufgrund seiner Erhebungsmethodik sprachlich und bildungsmäßig benachteiligte Angehörige dieser Zuwanderergruppen systematisch unterrepräsentiert sind, ist von einem durchaus noch höheren Anteil an beruflich Unqualifizierten auszugehen. Wenn man darüber hinaus weiß, dass die entsprechenden Werte bei der deutschen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund bei unter 10 Prozent liegen, stehen diese Zahlen für eine enorme bildungs- und beschäftigungspolitische Herausforderung.

Diese Daten für Deutschland insgesamt zeigen, dass auch die sich inzwischen in der öffentlichen Debatte durchsetzende Sicht einer qualifizierten und insofern arbeitsmarktpolitisch unproblematischen Zuwanderung auf Bundesebene auf der einen, einer Konzentration in dieser Hinsicht problematischer Zuwanderergruppe auf einige wenige Kommunen auf der anderen Seite so nicht der Wirklichkeit entspricht. Auch auf Bundesebene stammen große Teil der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien aus armen Verhältnissen und laufen ein hohes Risiko, auch in Deutschland in solchen Verhältnissen zu verbleiben. Gesellschaft Leitartikel

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  1. Gero sagt:

    Eine der wenigen Berichte zum Thema „Armutszuwanderung“ hier auf Migazin, der sich unaufgeregt und vor allem ausgewogen zum Thema äußert.

    Das lässst hoffen, dass es manche vielleicht begriffen haben, wie wenig es bringt, diejenigen, die auf Mißstände in der Zuwanderungapolitik hinweisen, als „Populisten“ oder gar als „Rechte“ zu diffamieren.

  2. Pingback: Bulgaren und Rumänen auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialsystem

  3. Akademikerin sagt:

    „eine vergleichbar günstige Integration in den Arbeitsmarkt weisen allerhöchstens männliche Deutsche ohne Migrationshintergrund mit akademischem Abschluss im Alter zwischen 25 und 45 Jahren auf – eine Gruppe, die vermutlich kaum mit Armutsproblemen zu kämpfen hat.“

    Derartige Äußerungen bringen mich auf die Palme. Sie veranlassen mich,
    d e f e n i t i v bei rechtskonservativen Parteien mein Kreuzchen zu machen. Ich habe die Umverteilung langsam satt, Betteln um befristete Verträge, Katzbuckeln zum Niedriglohn, um dann als akademischer Schmarotzer dazustehen. Warum glauben Sie wohl, dass gerade Akademiker wenig Kinder haben? Nur wegen des Berufs? Nein, auch wegen des Geldes! Papa Staat ist nämlich zu meiner Sorte von Mensch nicht sehr großzügig.

  4. Lionel sagt:

    Ich kann es nur wiederholen: Ein ausnehmend sachlicher und ausgewogener Beitrag.

    In der Tat sind es die Kommunen, die die Lasten der Zuwanderung von unter- oder nichtqualifizierten Menschen zu tragen haben.
    Es sind Städte wie etwa Duisburg, die keinen überschüssigen „Sozialkuchen“ zu verteilen haben, sondern der Haushaltssicherung unterstehen.
    Das bedeutet, sie müssen diese Mehraufwendungen dem eigenen Sozialetat abringen.
    Was bedeutet, dass Jugendzentren geschlossen, Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose gestrichen, oder Stellen für Sozialarbeiter an anderer Stelle eingespart werden müssen.

  5. H.P.Barkam sagt:

    Immer wieder erstaunlich, mit welch abenteuerlichen Argumenten Kreuzchen bei ‚rechtskonservativen Parteien‘, also für Rassisten und Faschisten begründet werden.

  6. Stefan sagt:

    Als Autor des besagten Zitats tut es mir leid, wenn ich mit ihm einzelnen Personen und ihrer Lebens- und Berufssituation nicht gerecht worden bin. Ich habe selbst bis in mein 6. Lebensjahrzehnt in ähnlich prekären Verhältnissen gearbeitet und gelebt und habe von daher Verständnis für die damit verbundenen Probleme und Enttäuschungen. (Das hat mich aber nie auf die Idee gebracht, rechtskonservative Parteien zu wählen – und das auch deshalb, weil ich nie geglaubt habe, dass der wachsende Einfluss solcher Parteien irgendetwas zur Lösung meiner Probleme beigetragen hätte.)

    Allerdings zeigen die Daten zur Beschäftigungssituation in verschiedenen Bevölkerungsgruppen eindeutig, dass die Beschäftigungsquote bei Hochschulabsolventen mit den genannten Merkmalen (Geschlecht, Alter und Staatsangehörigkeit) sehr hoch ist (und die Arbeitslosenquote umgekehrt sehr niedrig ist) – und mehr wollte ich als Statistiker in meinem Text auch dazu nicht sagen.

  7. Duisburgerin sagt:

    Was helfen Beschäftigungsquoten, wenn man sich 50jährige Opas vor Augen hält? Entscheidend sind die jungen Leute und da sieht es leider sehr dürftig aus. Viele Akademiker leben unter dem Hartz IV-Niveau. Beschäftigung an sich sagt noch gar nichts über die Qualität des Verdienstes aus. Nein, ich stimme Ihnen nicht zu, Deutschland hat seine klugen Köpfe noch nie gut behandelt. Wenn man erst mit 35 bis 40 wirklich zu verdienen beginnt, läuft etwas falsch. Warum glauben Sie, dass diese Gruppe so wenige Kinder hat? Rein biologisch und menschlich betrachtet ist das schon ein Horror. Denn eine wissenschaftliche Karriere setzt Verzicht auf Jugend, Freundin, Ferien, Familie, Anerkennung und Lebensfreude voraus. Vollblutakademiker sind eben wie ihre Kutten tragenden Vorgänger aus dem Mittelalter. Da wäre etwas mehr Respekt von gesellschaftlicher Seite angebracht.

  8. walter sagt:

    Darf ich fragen, was genau bzw. welche Verbesserungen, Sie, Frau Akademikerin, Sie sich denn bitte konkret von den „rechtskonservativen“ Parteien erhoffen ?

  9. Akademikerin sagt:

    Die Verbesserungen, die ich mir erhoffe, liegen darin, dass solche Parteien mehr auf die individuelle Leistung sehen, als auf das persönliche „Profil“ oder die soziale „Gerechtigkeit“ (lauter hohle Phrasen). Ein Staat muss denjenigen fördern, der einen Beitrag leisten will, nicht denjenigen, der nur halt mal so arbeitet, weil er arbeiten muss. Belohnt muss werden, wer verzichtet, langfristig plant und ein grundsätzlich positives Verhältnis zu seiner Nation hat. Solche Leute wie ich sind bis jetzt unerwünscht, weil sie der Ansicht sind, dass der einzelne für den Staat da zu sein hat und nicht umgekehrt. Was mich am linken Mainstream stört, sind der Hang zu schlechten Manieren, zum Konformismus, die Gleichmacherei, die Gier von Reichen und Armen, die „softe“ Moral, die verlogene Sprache, die pseudosoziale Haltung, der Hang zu unüberlegten Ideen, zur Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gegenwart und Zukunft (die Vergangenheit bewältigen können die Linken und die Pseudokonservativen!). Vielleicht sehe ich es falsch, aber ich bin durchaus der Ansicht, dass diejenigen, die nicht mal nur so Dienst nach Vorschrift machen, in diesem Land die gelackmeierten sind. Die typischen Linken von heute sind für mich so von vorgestern wie die Adenauer-Generation für die 68er. Wir Deutschen müssen wieder lernen zu dienen, sonst geht unser Land kaputt. Wenn wir das nicht wollen, müssen wir uns ändern und das ablehnen, was uns schadet. Der Slogan ALLES FÜR DEUTSCHLAND trifft den Kern der Sache.

  10. Stefan sagt:

    Ich wollte mit meinem Artikel wirklich keine Debatte über die Beschäftigungssituation von Akademiker/innen auslösen und hätte für die Zwecke des Artikels auch eine ganz andere Vergleichsgruppe wählen können.
    Ich frage mich aber auch wie mein Vorschreiber, was dieses Thema überhaupt mit der Wahl bzw. Nicht-Wahl von ‚rechtskonservativen‘ Parteien zu tun hat.
    Außerdem hätte der Schreiberin auffallen sollen, dass im Artikel von 25-45-jährigen männlichen Akademikern die Rede ist – 50-jährige Opas (?; heutzutage hat man diesen Status im Regelfall in diesem Alter noch nicht) von daher gar nicht berücksichtigt waren.