"Staat & Nazis Hand in Hand"
Polizei zensiert NSU Plakat wegen Verunglimpfung des Staates
Ein Plakat sollte an den NSU-Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße vor 10 Jahren erinnern. Doch die Berliner Polizei griff ein und zerstörte das Plakat. Begründung: Die Aufschrift „NSU: Staat und Nazis Hand in Hand“ verunglimpfe den Staat. Die Initiatoren sprechen von Zensur.
Mittwoch, 04.06.2014, 0:40 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 10.06.2014, 23:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Am Nachmittag des 9. Juni 2004 explodierte in der stark belebten Kölner Keupstraße eine Bombe, gefüllt mit über 5 kg Sprengstoff und 800 Zimmermannsnägeln, die auf einem Fahrrad deponiert war. Sie sollte in der hauptsächlich von türkeistämmigen Menschen bewohnten Straße ein brutales Blutbad anrichten. Nur durch Glück starb niemand. Mehr als 22 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
Den Anwohnern und Geschäftstreibenden war sofort klar: Das war ein gezielt rassistischer Terroranschlag. Die Ermittlungsbehörden schlossen jedoch noch am selben Tag sowohl einen rechtsextremen als auch einen terroristischen Hintergrund aus. Stattdessen wurden die Anwohner und die Opfer über viele Jahre wie Verdächtige mit Ermittlungen überzogen. Sie wurden mit permanenten Verhören und verdeckten Ermittlern ausgespäht.
Blockaden und dubiose Todesfälle
Erst nach der Selbstbekanntmachung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im November 2011 trat das Ausmaß des Versagens der Sicherheitsbehörden zutage. Die Empörung war groß. Allen voran die Politik mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze versprachen lückenlose Aufklärung.
Von diesem Versprechen ist nicht mehr viel übrig. Heute begnügen sich Politiker damit, auf den laufenden NSU Prozess vor dem OLG München zu verweisen, die Bundesanwaltschaft wiederum ist fixiert auf die Beschuldigten auf der Anklagebank und nicht gewillt, darüber hinauszuschauen. Und lädt das Gericht einen V-Mann als Zeugen ein, blockiert der Verfassungsschutz. Hinzu kommen plötzliche und dubiose Todesfälle von zwei wichtigen NSU-Zeugen kurz vor ihren Vernehmungen – offizielle Todesursache: Selbstmord und Diabetes.
Staat und Nazis Hand in Hand?
So vielfältig die Ungereimtheiten und offenen Fragen mittlerweile auch sind, haben sie alle eines gemeinsam: Sie verhärten den Eindruck, als gingen staatliche Stellen und Nazis Hand in Hand und die Sicherheitsbehörden versuchten nun mit allen erdenklichen Mitteln, dies zu vertuschen.
Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und sich anlässlich des zehnten Jahrestages des Nagelbombenanschlags auf der Keupstraße mit den Opfern zu solidarisieren, hängten das Bündnis gegen Rassismus und Allmende e.V. am gestrigen Dienstag in Berlin ein Wandbild auf eine Hauswand an der Ecke Manteuffelstraße/Oranienstraße. Darauf ist das Fahrrad der Täter zu sehen sowie der Schriftzug: „Ermittlungsterror gegen die Betroffenen. Die Mehrheit schweigt. NSU: Staat & Nazis Hand in Hand. Das Problem heißt Rassismus.“
Verunglimpfung des Staates?
Was folgte, verschlug den Initiatoren der Plakataktion den Atem. Kurz nachdem das Wandbild angebracht war, rückte die Polizei an und stellte die Personalien von Anwesenden fest. Zunächst behauptete die Polizei, das Bild sei ohne Erlaubnis der Hauseigentümer angebracht worden. Die herbeigerufene Vertreterin der Wohnungsbaugenossenschaft bestätigte die ausdrückliche Genehmigung.
Daraufhin begründete die Polizei ihre Maßnahmen mit dem Strafgesetzbuch. Die Zeile „NSU: Staat & Nazis Hand in Hand“ verunglimpfe laut § 90a den Staat. Entsprechende Ermittlungen würden eingeleitet. Zugleich wurden die Initiatoren der Plakataktion aufgefordert, die strittige Passage zu übermalen, „sonst wird es teuer“. Als keiner der polizeilichen Aufforderung nachkam, konnte auch ein herbeigeeilter Anwalt nicht verhindern, dass die Polizei eine Drehleiter der Berliner Feuerwehr anforderte.
Zensur – Plakat zerstört
Unter Missfallensäußerungen von Anwohner fuhr ein Feuerwehrmann zum Bild hinauf und riss großflächig Teile des Bildes ab. Ein anwesender Presse-Fotograf fotografierte diese Aktion und wurde daraufhin von der Polizei umstellt: Er solle seine Bilder zur Kontrolle vorzeigen. Als er sich weigerte, wurden auch seine Personalien festgestellt.
„Wir verstehen die Zensur des Wandbildes als eine weitere Kriminalisierung politischer antirassistischer Arbeit. Die Benennung der Rolle des Staates innerhalb des NSU-Komplexes soll unterbunden werden. Allein dieses Vorgehen der Polizei gegen kritische Stimmen zeigt, dass die zensierte Aussage aktueller und berechtigter ist denn je“, kritisieren die Initiatoren in einer Erklärung das polizeiliche Vorgehen.
Nicht kritikfähig
Gerade angesichts der Ungeheuerlichkeiten der Ermittlungsarbeit zum NSU müssten staatliche Strukturen auch Kritik zulassen, ohne diejenigen, die diese Kritik äußern, einzuschüchtern, zu überwachen und zu verfolgen. „Mit dieser Kriminalisierung wird versucht, den Standpunkt von Menschen, die Rassismus erfahren, aus dem öffentlichen Raum zu entfernen und unsichtbar zu machen“, so das Bündnis weiter.
Unterstützt werden das Bündnis gegen Rassismus und Allmende e.V. von der Initiative Keupstraße ist überall: „Der kriminalisierte Satz spitzt zu, was wir uns in dieser Affäre alle fragen: wo hört der NSU auf und wo fängt der Staat an?“ so ein Sprecher der Initiative „Keupstraße ist überall“.
Kein Einzelfall
Besonders brisant am Vorgehen der Polizei ist, dass dieselbe Polizeieinheit im Auftrag derselben Abteilung des Landeskriminalamtes schon einmal versucht hat, die strittige Passage zu kriminalisieren. Eine Demonstration im November 2013 stand unter dem Motto: „NSU-Terror: Nazis und Staat Hand in Hand“. Damals beschlagnahmte die Polizei eine Lautsprecheranlage und leitete ein Verfahren gegen die Organisatoren ein wegen Verunglimpfung des Staates. Allerdings wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt und die Rechtswidrigkeit der Beschlagnahmung gerichtlich festgestellt.
Ein Sprecher des Bündnisses sagte dem MiGAZIN: „Die Polizei wusste also, dass der strittige Satz nicht gegen das Strafgesetzbuch verstößt.“ Die Passage ist dennoch weg, heruntergerissen von der Feuerwehr im Auftrag der Polizei. Dabei ist direkt unter dem Plakat in schwarzer Farbe folgender Hinweis zu lesen: „Eine Zensur findet nicht statt (Art. 5 GG)“. (es) Leitartikel Politik
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„Alle Gewalt geht vom Volke aus“. Ein Deutscher Bürger darf selbstverständlich seine gewählten Volksvertreter in jeder Beziehung kritisieren und ggf. abwählen.
@aloo masala
**Ich wiederhole noch einmal meine Frage: Darf in einer Demokratie der Bürger den Staat kritisieren, wenn er tatsächlich Hand in Hand mit den Nazis geht?**
Er darf es nicht nur, er sollte es auch tun.
@aloo masala
“ Darf in einer Demokratie der Bürger den Staat kritisieren, wenn er tatsächlich Hand in Hand mit den Nazis geht?“
Ja, klar man muss sogar! Aber man muss auch noch eine gewisse Glaubwürdigkeit besitzen, damit man ernst genommen wird. Bei mir ist es mittlerweile soweit, dass ich die Nazivorwürfe aus einer bestimmten Ecke gar nicht mehr hören will, weil sie sich zu oft als Maulkorb heraus gestellt haben oder mit einer Forderung verknüpft war.
@Pragmatikerin
Erst unterstellen Sie mir ein Verständnis vom Staat, den ich mit keinem Wort geäußert habe. Dann kreiden sie mir einen Fehler an, den Sie mir untergeschoben haben und zwar mit den Worten: „Lernen Sie erst einmal die Begrifflichkeiten eines Staates richtig zu verwenden!!!“
Was in dieser Diskussion unter „Staat“ zu verstehen ist, ergibt sich aus §90a, auf den sich die Polizei laut Artikel beruft.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell hier geschossen wird. Ob die Aktion der Polizei rechtens war, kann ich nicht beurteilen, ich kenne mich im Strafrecht nicht so gut aus wie meine Vorredner scheinbar.
Aber gleich die ganze Polizei, gar den ganzen Staat als Nazistaat zu bezeichnen ist nicht besser als die braune Propaganda, nach der ja auch jeder Ausländer ein Problem darstellen soll.
Aber die Nazikeule rauszuholen und bei jeder Gelegenheit gleich eine komplette Personengruppe wie Polizisten oder Staatsbediensteten zu verurteilen scheint ja hier populär zu sein.
Natürlich ist so etwas von der grundrechtlich gesicherten Meinungsfreiheit geschützt, das Grundgesetz unterscheidet ja nicht zwischen qualifizierten und unqualifizierten Aussagen.
@ aloo masala
Sie berufen sich auf den §90a.
Unter Abs. 1 heisst es:
„Die verfassungsmäßige Ordnung ist ein Begriff aus dem Verfassungsrecht. Nach dem Wortlaut ist damit eine Ordnung gemeint, die der geltenden Verfassung entspricht. Die genaue juristische Bedeutung des Begriffs weicht aber in verschiedenen Rechtsordnungen und teilweise auch innerhalb einer Rechtsordnung je nach Zusammenhang voneinander ab.“
Es wird in diesem § nicht darauf Bezug genommen wer Staat ist.
Der Deutsche Statt defniert sich so:
„Der Deutsche Staat ist die rechtmässige Vereinigung von Menschen (Staatsvolk) innerhalb eines bestimmten Gebietes (Staatsgebiet) unter höchster Gewalt (Staatsgewalt) in einer festen Rechtsordnung (Staatsverfassung).
Pragmatikerin
@Mathias
„Natürlich ist so etwas von der grundrechtlich gesicherten Meinungsfreiheit geschützt, das Grundgesetz unterscheidet ja nicht zwischen qualifizierten und unqualifizierten Aussagen.“
Naja, es grenzt ja schon irgendwie an Volksverhetzung, wenn der ganze Staat als Nazistaat bezeichnet wird.
@Lionel / @Erik
Wir sind uns also alle drei einig, dass wir den Staat kritisieren sollten, wenn er tatsächlich Hand in Hand mit irgendwelchen Schurken geht. Wir können uns hier auf die Meinungsfreiheit berufen. Daraus folgt, dass in diesem Fall die Kritik keine Verunglimpfung wäre.
Wer legt nun fest, ob die Meinung falsch ist oder nicht?
@aloo masala
Vielleicht denken und recherchieren Sie nochmal darüber nach, was die Nazis für Verbechen begangen haben und überlegen dann nochmal, ob die Geschehnisse tatsächlich auch nur im geringsten Vergleichbar sind. Denn ich finde das überhaupt nicht! Es ist eine unzulässige Verharmlosung der Naziverbrechen!
„Wer legt nun fest, ob die Meinung falsch ist oder nicht?“
Die Realität und unwiderlegbare Fakten!