Ecopop
Sind die Grenzen der Belastbarkeit bei der Einwanderung erreicht?
Die Initiative Ecopop in der Schweiz möchte einen weiteren Volksentscheid gegen Einwanderung durchsetzen. Jeder Zugezogene verstärke den Druck auf die Ressourcen, lautet ihre Botschaft. Sabine Beppler-Spahl hält dagegen - mit simplen Rechenbeispielen und guten Argumenten.
Von Sabine Beppler-Spahl Mittwoch, 25.06.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.07.2014, 2:12 Uhr Lesedauer: 10 Minuten |
Nach dem Volksentscheid in der Schweiz gegen Masseneinwanderung wurde Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gefragt, ob in Deutschland das gleiche Ergebnis zu erwarten wäre, wenn hier abgestimmt würde. Bei dieser Gelegenheit sagte der Minister, auch bei uns falle es der politischen Elite leichter, sich zur Integration zu bekennen, als großen Teilen der Bevölkerung. „In Dahlem können sie toleranter sein als in bestimmten Gegenden von Neukölln. In Blankenese können sie toleranter sein als anderswo in Hamburg“, fügte er hinzu. 1 Das klingt, als stünde in der Frage der Immigration eine weltoffene Elite dem ablehnenden Volk gegenüber.
„Einheimische sind deutlich zufriedener mit ihrem Wohnort und ihrem Leben, wenn sie in Gegenden mit hohem Ausländeranteil wohnen.“
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Mit der Realität passt eine solche Aussage freilich nicht zusammen. Wie die Bürger von Villenvierteln wie Dahlem oder Blankenese abgestimmt hätten, wissen wir nicht. Andererseits hat die Schweizer Abstimmung gezeigt, dass in den städtischen Gebieten, also dort, wo viele, oft weniger wohlhabende Menschen wohnen, die Einstellung zur Immigration durchaus positiv ist. Für Deutschland kam im Jahr 2012 eine Studie des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) zu dem Ergebnis, dass Einheimische „deutlich zufriedener“ mit ihrem Wohnort und ihrem Leben seien, wenn sie in Gegenden mit hohem Ausländeranteil wohnten, also gerade nicht in Dahlem oder Blankenese. 2 Die Vorstellung, Ballungsgebiete mit hohem Zuzug und hoher Bevölkerungsdichte produziere zwangsläufig Spannungen lässt sich also nicht aufrechterhalten.
Trotzdem ist das, was der Innenminister über Toleranz und die sonnigen Vororte gesagt hat interessant. Wer reich ist, kann großzügiger sein, meinte er wohl. Dahinter steckt aber eine Vorstellung, die nicht kritiklos stehen bleiben kann. Es ist das alte Lied der Verdrängungs- und Verteilungskämpfe, das mit der Debatte über Einwanderung eng verbunden ist. Wer in Dahlem wohnt, so die Botschaft, braucht sich keine Sorgen zu machen, dass ihm ein Bulgare den Arbeitsplatz wegschnappt oder dass billige Wohnungen knapp werden. Die Verdrängung der einheimischen Bevölkerung durch Immigration ist eines der beliebtesten Argumente der Antieinwanderungslobby. Es hat den rechtslastigen Parteien, die bei der Europawahl große Zuwächse erzielen konnten, zahlreiche Unterstützer gebracht. Marine Le Pen z.B. verdankt diesem Argument einen Großteil ihrer Popularität. Es ginge nicht, sagte sie z.B. in einer Rede, dass die kurdische Familie mit fünf Kindern und drei Euro in der Tasche Vorrang vor der französischen Witwe habe, die nicht mehr ein noch aus wisse. Ihre Rolle sei es, so die Politikerin, erst einmal an ihre Mitbürger zu denken. 3 Schuld an der Misere der Witwe ist aber nicht die kurdische Familie, sondern die wirtschaftliche Stagnation des Landes.
Leider hat das Argument der Verdrängung auch weit über rechte Kreise hinaus Unterstützer. Gewerkschaftsnahe Gruppen z.B., die ihren Einfluss schwinden sehen, und sich von ihren ehemaligen Verbündeten in der Politik enttäuscht fühlen, sind nicht immun dagegen. Sie beschwören das Bedrohungsszenario in Form des „Lohndumpings“. Das kritische Jahrbuch 20011/2012 der Nachdenkseiten z.B. enthält einen Artikel, der gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Polen, Letten, Esten, Slowaken usw. wettert (die Freizügigkeit für diese EU-Mitgliedsländer gilt seit Mai 2011). In einem Beitrag mit der Überschrift „Lolek und Bolek ante Portas“ (will heißen, die polnische Bedrohung vor unseren Toren – vermutlich in Anspielung an Hannibals Überfall auf Rom) wird behauptet, der deutsche Arbeitsmarkt verkrafte keine so hohe Zuwanderung. Indem so getan wird, als profitieren nur die böse Wirtschaft von der Freizügigkeit, erhält das Ganze einen scheinbar radikalen Glanz: „Warum trommeln die neoliberalen Mietfedern (..) derart euphorisch für die Öffnung des Arbeitsmarktes? Natürlich erhoffen sich die Arbeitgeber durch eine Ausweitung des deutschen Arbeitsmarktes von Tallinn bis nach Szeged eine weitere Senkung des Lohnniveaus“, heißt es. 4 Sollte so die Verantwortung der Gewerkschaft, die die Lohnzurückhaltung in der Dekade seit 2000 mitgetragen hatte, heruntergespielt werden? Einwanderer werden zu Sündenböcken für eine Gewerkschaftspolitik, die ihre Mitglieder nicht selten enttäuscht hat.
„Es wäre schlecht, wenn die Debatte für und wider Einwanderung zu einer Art Kulturkampf verkommt, bei der rationale Argumente wenig zählen und jeder, der seine Meinung sagt, von der jeweils anderen Seite als unverbesserlicher Spinner beschimpft wird.“
Es ist wichtig, die Behauptung, Einwanderung stelle eine Bedrohung für die ansässige Bevölkerung dar, zu widerlegen. Dazu gehört zum einen der Hinweis, dass sich die negativen Vorhersagen bezüglich sinkender Löhne oder einer drohenden Rezession aufgrund von Einwanderung immer wieder als falsch erwiesen haben. In dem Zeitraum nach der Öffnung der Grenzen im Mai 2011 sank die Arbeitslosigkeit, während die Reallöhne ab 2010 zum ersten Mal wieder stiegen. 5 Ähnlich sah es in Großbritannien aus, das schon 2004, lange vor Deutschland, eine Politik der offenen Türen für die neuen EU Mitgliedsländer verfolgte. Weit über eine halbe Million Polen kamen innerhalb kürzester Zeit, ohne dass es einen wahrnehmbaren Verdrängungseffekt gab.
Noch entscheidender aber ist, den pessimistischen Grundgedanken aufzugreifen, dass die Lösung unserer Probleme allein in der Umverteilung liegt. Es gibt zahlreiche Gründe, weshalb viele Bundesbürger gegen offene Grenzen sind. Es wäre schlecht, wenn die Debatte für und wider Einwanderung zu einer Art Kulturkampf verkommt, bei der rationale Argumente wenig zählen und jeder, der seine Meinung sagt, von der jeweils anderen Seite als unverbesserlicher Spinner beschimpft wird. Erstaunlich ist, dass die Vorstellung, wir müssten unsere Erwartungen zurückschrauben, in allen Lagern zu finden ist. Auch für viele Einwanderungsbefürworter sind Wirtschaftswachstum und Wohlstand zu Schimpfwörtern geworden. Dort, wo der Blick auf Verzicht und knappe Ressourcen gelenkt wird, gedeiht kein offenes, liberales Klima. Die Frage, wie wir die Welt und unsere Zukunft sehen, bestimmt auch unsere Haltung zur Immigration.
- „De Maizière: Toleranz bei Integrationsdebatte“, N24, 20.09.2010. Vgl.: Ekrem Şenol: „Innenminister will keine Schweizer Verhältnisse, redet sie aber herbei“, MiGAZIN, 11.02.2014.
- Vgl. Patrick Bernau: „Zuwanderung macht die Deutschen glücklicher“, FAZ.NET, 03.08.2012.
- Ursula Welter: „Ausländer raus, Rentner rein und Schluss mit der Großzügigkeit“, deutschlandfunk.de, 24.10.2013.
- Jens Berger: „Lolek und Bolek ante portas“, NachDenkSeiten.
- vgl. Handelsblatt vom 07.02.2013.
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Ich würde nicht vom „Rassismus“ gegenüber Deutschen sprechen, weil das unsinnig ist, sondern von der Ablehnung von Fremden. Schon in Bayern wird nicht jeder Norddeutsche von vornherein akzeptiert.
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20000 Menschen pro Quadratkilometer. Das ist verdammt eng.