Fasten und Feiern
Der Ramadan prägt das öffentliche Leben in Frankreich
Eine Frau mit Kopftuch lässt einen Teigfladen auf das heiße Backblech gleiten, das Öl brutzelt, leckerer Duft steigt auf. Vor dem Stand auf dem Pariser Boulevard Belleville, der die marokkanischen Melaoui anbietet, hat sich bereits eine Schlange gebildet.
Von Ulrike Koltermann Mittwoch, 23.07.2014, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 23.07.2014, 21:23 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Es ist kurz nach acht, viele Franzosen essen jetzt zu Abend. Doch die praktizierenden Muslime unter ihnen müssen noch warten. In diesem Jahr fällt der Fastenmonat Ramadan, in dem Muslime nur nach Sonnenuntergang essen und trinken dürfen, ausgerechnet in die Wochen mit den längsten Tagen.
Gegen 22 Uhr sind die arabischen Restaurants von Paris rappelvoll. Plakate preisen das „Ramadan-Menü“ an. Auf den Tischen stehen Teller mit Datteln und Gläser mit Buttermilch. Die Kellner servieren Harira, eine herzhafte Suppe. Aber niemand greift zu. Der Chef des Restaurants hat einen muslimischen Sender im Radio eingestellt und wartet auf den Ruf zum Gebet, der das abendliche Fastenbrechen einleitet. Pünktlich um 22:01 gibt er den Gästen das ersehnte Signal: „Es ist soweit. Guten Appetit!“
„Wir beginnen das Fastenbrechen immer mit Datteln, weil der Prophet Mohammed das auch so gemacht hat“, sagt Zaier Ameur, einer der Kellner. „Es ist nicht so schlimm, den ganzen Tag nichts zu essen und zu trinken“, meint er. Der Ramadan sei die beste Zeit des Jahres, die Stimmung sei gut, es gebe ein tolles Gemeinschaftsgefühl. „Die Menschen reden mehr miteinander, sie haben etwas zu teilen.“
Während des muslimischen Fastenmonats Ramadan sind die Gläubigen aufgerufen, von der Morgendämmerung bis Sonnenuntergang auf Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr zu verzichten. Befreit vom Fasten sind Alte und Kranke, Kinder, Schwangere und Reisende. Der Ramadan ist auch der Monat der guten Taten und der Läuterung von Körper und Seele. Mitmenschlichkeit und Versöhnung werden großgeschrieben, die Gläubigen entrichten die Armensteuer Zakat oder unterstützen Bedürftige.
In Frankreich lebt eine große muslimische Gemeinde, schätzungsweise zwischen fünf und acht Millionen Menschen. Genaue Zahlen gibt es nicht, da Religion in Frankreich strikt Privatsache ist und keine Statistiken über die Religionszugehörigkeit erhoben werden dürfen.
Der Islam hat seit langem seinen Platz in der französischen Öffentlichkeit: Die Große Moschee von Paris mit ihrem Minarett besteht seit 1926. Es gibt ein Pendant zum deutschen Zentralrat der Muslime. Seit einigen Jahren bieten Hochschulen in Paris und Straßburg die Ausbildung zum Imam an. Allerdings sind Gesichtsschleier in der Öffentlichkeit verboten, und in staatlichen Schulen und Universitäten müssen auch Kopftücher abgenommen werden.
Den Ramadan befolgen nach Umfragen derzeit etwa 70 Prozent aller Muslime in Frankreich. Das sind deutlich mehr als etwa in den 90er Jahren. Von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang verzichten sie auf Essen, Trinken, Rauchen und Sex.
Sobald die Sonne untergegangen sind, wird dafür umso ausgiebiger festlich gespeist. Deswegen haben die Straßenstände im Viertel Belleville vom späten Nachmittag an auch zahlreiche Spezialitäten aus dem Maghreb im Angebot: gefüllte Blätterteigtaschen, Couscous mit Rosinen, fritiertes Gebäck und kleine Kalorienbomben mit Pistazien, Mandeln und viel Zucker.
Der Ramadan prägt das öffentliche Leben in Frankreich aber auch außerhalb der traditionell muslimischen Viertel: Ähnlich wie zu Ostern und Weihnachten bauen viele Supermärkte eigene Verkaufstische auf und verkaufen etwa Großpackungen Datteln zum Sonderpreis.
In der Pariser Metro hängt derzeit Werbung für Telefonkarten, mit denen man während des Ramadans besonders billig nach Tunesien oder Algerien anrufen kann. Die Plakate haben heftige Kritik hervorgerufen, weil sie eine Frau mit Kopftuch zeigen.
Auch die Unternehmen stellen sich auf den Fastenmonat ein: Der Stromanbieter „Eléctricité de France“ hat einen Leitfaden für den Umgang mit religiösen Praktiken herausgegeben. Demnach darf ein Mitarbeiter, der den Ramadan einhält, zwar kein Geschäftsessen absagen. Aber er könne durchaus darauf verzichten, Essen zu bestellen, heißt es darin. Und zahlreiche Baufirmen haben die Arbeitszeit während des Ramadans verschoben, damit die muslimischen Bauarbeiter früher Feierabend machen können. (epd) Aktuell Feuilleton
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