Interview mit Navi Pillay
Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen in Konflikten beispiellos
Die scheidende Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, verlangt von Konfliktparteien den unbedingten Schutz von Zivilisten. Auch Rebellengruppen müssten das Völkerrecht achten, anderenfalls drohe ihnen eine strafrechtliche Verfolgung. Pillay fordert eine sofortige Waffenruhe zwischen Palästinensern und Israelis.
Von Jan Dirk Herbermann Dienstag, 29.07.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 31.07.2014, 0:31 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Am Ende ihrer Amtszeit wird die Welt von brutalen Konflikten erschüttert. Im Nahen Osten, in der Ukraine, in Syrien, im Irak und in den vielen bewaffneten Auseinandersetzungen in Afrika leiden vor allem die Zivilisten. Welche Bedeutung haben da noch die Menschenrechte?
Navi Pillay: Ich habe niemals zuvor dieses Ausmaß an Menschenrechtsverletzungen in Konflikten gesehen wie heute. Zivilisten verlieren ihr Leben, es gibt Massaker, die Rekrutierung von Kindern als Soldaten, Zwangsheiraten von Flüchtlingen, sexuelle Gewalt etwa in der Demokratischen Republik Kongo oder im Südsudan. Auch geraten humanitäre Helfer und Journalisten mehr und mehr in Gefahr, werden entführt und getötet. Hinzu kommen die gescheiterten Staaten, wo die Menschenrechte in großer Gefahr sind oder überhaupt nicht existent sind. Die Vereinten Nationen müssen sehr viele Flüchtlinge versorgen. Das ist in der Tat alles sehr besorgniserregend.
Im aktuellen Nahost-Konflikt sind in den vergangenen Wochen Hunderte Menschen getötet worden und mehr als 100.000 Männer, Frauen und Kinder sind vor der Gewalt geflohen. Wie beurteilen Sie die Situation?
Ich bin sehr alarmiert. Das ist das dritte Mal in meinen sechs Jahren als UN-Hochkommissar, dass es in Nahost zu einer Eskalation der Gewalt kommt. Jetzt, während wir sprechen, werden Menschen zu Opfern, darunter viele Kinder. Das Völkerrecht wird verletzt. Ich verlange eine sofortige Waffenruhe.
Welche Verletzungen des Völkerrechts durch Israel und die Palästinenser können Sie konkret benennen?
Bei den israelischen Angriffen wurden Hunderte Wohnhäuser im Gazastreifen zerstört. Häuser dürfen grundsätzlich nicht beschossen werden, es sei denn, sie dienen militärischen Zwecken. Falls Zweifel an der militärischen Nutzung bestehen, muss der Beschuss unterbleiben. Der Beschuss wurde auf Krankenhäuser ausgeweitet. Ein Heim mit behinderten Menschen wurde attackiert. Es scheint so, dass auch Kinder am Strand von Gaza unter Feuer kamen. Auf der anderen Seite ist der willkürliche Beschuss israelischer Wohngebiete mit Raketen durch die Hamas nicht zu rechtfertigen. Ich habe solche Angriffe immer verurteilt und tue das wieder.
In vielen Konflikten spielen Rebellen und nichtstaatliche Akteure wie der „Islamische Staat“ im Irak, Boko Haram in Nigeria oder die prorussischen Separatisten in der Ukraine eine immer unheilvollere Rolle.
Diese Gruppen sind verpflichtet, das Völkerrecht zu achten, auch sie müssen Zivilisten schützen. Wenn sie das nicht machen, kann die Weltgemeinschaft sie zur Rechenschaft ziehen. Wir haben den Internationalen Strafgerichtshof, der auch gegen diese Gruppen vorgeht.
Welche anderen Mittel hat die internationale Gemeinschaft gegen diese Akteure?
Natürlich müssen alle Regierungen, die Einfluss auf Rebellen haben, die Rebellen zur Räson bringen. Zudem warnt mein UN-Hochkommissariat für Menschenrechte viele Rebellenführer, dass völkerrechtswidriges Verhalten Konsequenzen hat. Wir haben etwa Rebellen im Südsudan gewarnt, und einige Kommandeure zügelten tatsächlich ihre Einheiten.
Navi Pillay übernahm das Amt der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte im September 2008. Ende August geht die 72-jährige Südafrikanerin in den Ruhestand. Die Juristin leitete sechs Jahre lang das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte mit 1.200 Mitarbeitern und überwachte die Einhaltung der Menschenrechte weltweit. Die Mutter zweier Töchter hat tamilische Vorfahren, ihr Vater war Busfahrer. Pillay will nach ihrer Amtszeit als UN-Hochkommissarin in ihre Heimatstadt Durban zurückkehren.
Was haben Sie als UN-Hochkommissarin für die Menschenrechte erreicht?
Das UN-Hochkommissariat reagiert bei Menschenrechtsverletzungen sehr schnell. Nachdem die Konflikte in der östlichen Ukraine und der Zentralafrikanischen Republik ausbrachen, waren unsere Teams in kurzer Zeit vor Ort, um Ermittlungen aufzunehmen. In der Ukraine haben wir umfangreiche Verletzungen der Menschenrechte dokumentiert. Die Menschen in den Konfliktsituationen können sich direkt an uns wenden und ihre Fälle vorbringen. Aber auch viele Regierungen nehmen die Menschenrechte ernster als bislang. So lassen alle UN-Mitgliedsländer ihre Menschenrechtslage von den UN überprüfen. Experten des UN-Menschenrechtsrates kontrollieren die Lage und geben Empfehlungen ab.
Gibt es in ihrer Amtszeit etwas, das sie bereuen?
Die Vereinten Nationen hätten mehr zur Vorbeugung gegen Menschenrechtsverletzungen machen können. Das ist ein Scheitern. Die UN treten oft erst nach dem Ausbruch von Konflikten und Gewalt auf den Plan, das scheint das Muster zu sein. (epd) Aktuell Interview Politik
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