Ehegattennachzug
Die Rettung des Schweizer Käses durch die Härteklausel
Die Sprachtest-Pflicht vor dem Ehegattennachzug verstößt bei Türken gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Für Prof. Kay Hailbronner kein Grund für Änderungen. „Der Sprachtest darf bleiben“, titelt er in der FAZ.
Von Mangold, Markard Freitag, 01.08.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.08.2014, 16:38 Uhr Lesedauer: 9 Minuten |
In der FAZ vom Donnerstag vergangener Woche findet sich ein erwiderungsbedürftiger Kommentar von Kay Hailbronner: Nur weil der EuGH entschieden hat, dass Sprachtests für nachzugswillige türkische Ehegatten unverhältnismäßig sind, müssen wir in Deutschland doch noch lange nichts ändern. Alles prima, wie es ist – eine Position, die der Prozessvertreter des Bundesinnenministeriums (BMI) den Richterinnen und Richtern in Karlsruhe seinerzeit schon in Sachen des menschenwürdewidrigen AsylbLG zu verkaufen versuchte, glücklicherweise ohne Erfolg.
Die Überschrift von Hailbronners Einlassung lautet: „Der Sprachtest darf bleiben“. Der EuGH, schreibt Hailbronner, habe das Spracherfordernis für den Ehegattennachzug bei türkischen Staatsangehörigen nicht „gekippt“; eventuellen Härtefällen könne „durch verfassungs- und völkerrechtskonforme Auslegung Rechnung getragen werden.“ Für den Nachzug zu deutschen Ehegatten habe das BVerwG das ja auch schon vorgemacht, als es erklärte, dass eine Verzögerung von über einem Jahr aufgrund von Schwierigkeiten beim Sprachtest nicht hinnehmbar sei. Davon habe aber der EuGH „offenbar keine Notiz genommen.“
Rechtsklarheit – wer braucht sowas schon? Die Leute können sich doch einfach bis zu den obersten Bundesgerichte durchklagen, dann bekommen sie am Ende ihr Verfassungs-Recht, auch wenn das vielleicht ein paar Jahre dauert. Immerhin macht Hailbronner dann doch drei gesetzgeberische Optionen aus, die sich nicht in bloßer Auslegung erschöpfen: (1.) eine Einzelfall-Unzumutbarkeitsklausel für Türken, oder (2.) eine für alle Ausländer, oder (3.) eine erweiterte Härtefallklausel für alle, was er als die einfachste Lösung ansieht. „Von der weiter gehenden Forderung, den Deutschtest völlig abzuschaffen“ aber, so Hailbronner, „sollte sich der Gesetzgeber nicht beeindrucken lassen: Es besteht kein Grund, eine als integrationspolitisch sinnvoll erkannte Maßnahme in vermutetem vorauseilendem Gehorsam aufzugeben.“
Was bisher geschah
Naime Doğan ist inzwischen 44 Jahre alt und türkische Staatsangehörige. Ihr langjähriger Ehemann, ebenfalls Türke, lebt seit 1998 in Deutschland, wo er als Geschäftsführer der GmbH arbeitet, deren Mehrheitsgesellschafter er ist. 2011 entschied sich Frau Doğan, mit zwei ihrer vier gemeinsamen Kinder, die zwischen 1988 und 1993 geboren wurden, zu ihrem Mann nach Deutschland zu ziehen. So weit, so einfach – wenn da nicht der Sprachtest wäre. Denn Ehegatten von Ausländern haben einen Anspruch auf ein Familiennachzugsvisum nur, wenn sie „sich zumindest auf einfache Weise in deutscher Sprache verständigen“ können, § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
Eingeführt wurde das Spracherfordernis, eine nach Art. 7 der Familiennachzugs-RL erlaubte Integrationsmaßnahme, 2008 aus Sicht des Gesetzgebers zum Schutz vor Zwangsehen, zusammen mit dem Mindestalter 18 für den Familiennachzug. Seien die jungen Frauen – es ging vor allem um Frauen – erst einmal in den Schwiegerfamilien angekommen, so das Argument, verschwänden sie dort für immer. Wenn sie wenigstens volljährig wären und deutsch sprächen, könnten sie sich besser gegen Zwangsehen wehren. Im Grunde eine gute Idee – wenn es in vielen Teilen der Welt nicht so schwierig und so teuer wäre, einen Sprachkurs Deutsch zu machen, z.B. in Afghanistan.
Gefordert ist nach § 2 Abs. 9 AufenthG das „Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen“. Der Test umfasst fünf Kompetenzen: Hörverständnis, Gesprächsteilnahme, zusammenhängendes Sprechen, Leseverständnis und Schreiben. Zum Leseverständnis heißt es: „Ich kann einzelne vertraute Namen, Wörter und ganz einfache Sätze verstehen, z. B. auf Schildern, Plakaten oder in Katalogen.“ Zum Schreiben: „Ich kann eine kurze einfache Postkarte schreiben, z. B. Feriengrüße. Ich kann auf Formularen, z. B. in Hotels, Namen, Adresse, Nationalität usw. eintragen.“ Frau Doğans Problem bestand allerdings darin, dass sie Analphabetin ist. Ausnahmen vom Spracherfordernis gibt es freilich nur bei Krankheit oder Behinderung, nicht bei unzureichender Beschulung.
Auf den Kopf gefallen ist Frau Doğan allerdings nicht: 2010 kreuzte sie im Multiple-Choice-Test des Goethe-Instituts die Fragen nach dem Zufallsprinzip an und lernte die geforderten Sätze auswendig. Sie bestand den Test mit „ausreichend“ (62 von 100 Punkten, im schriftlichen Teil mit 14,11 von 25 Punkten). Die Deutsche Botschaft aber machte das nicht mit: Zweimal lehnte sie den Visumsantrag von Frau Doğan ab; sie verfüge trotz der Testergebnisse nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse, weil sie Analphabetin sei.
Für den Ehegattennachzug zu Deutschen, denen eine Eheführung im Ausland nicht zugemutet werden kann, hat das BVerwG bereits 2012 in verfassungskonformer Reduktion mit Blick auf Art. 6 I GG eine Härteklausel eingeführt:
Sind zumutbare Bemühungen zum Erwerb der Sprachkenntnisse ein Jahr lang erfolglos geblieben, darf dem Visumbegehren des Ehegatten eines Deutschen das Spracherfordernis nicht mehr entgegen gehalten werden. Entsprechendes gilt, wenn dem ausländischen Ehepartner Bemühungen zum Spracherwerb von vornherein nicht zumutbar sind, etwa weil Sprachkurse in dem betreffenden Land nicht angeboten werden oder deren Besuch mit einem hohen Sicherheitsrisiko verbunden ist und auch sonstige erfolgversprechende Alternativen zum Spracherwerb nicht bestehen; in diesem Fall braucht die Jahresfrist nicht abgewartet zu werden. Bei der Zumutbarkeitsprüfung sind insbesondere die Verfügbarkeit von Lernangeboten, deren Kosten, ihre Erreichbarkeit sowie persönliche Umstände zu berücksichtigen, die der Wahrnehmung von Lernangeboten entgegenstehen können, etwa Krankheit oder Unabkömmlichkeit. Das erforderliche Bemühen zum Spracherwerb kann auch darin zum Ausdruck kommen, dass der Ausländer zwar die schriftlichen Anforderungen nicht erfüllt, wohl aber die mündlichen.
Frau Doğan, die zu einem Ausländer nachziehen wollte, konnte hiervon nicht profitieren. Inzwischen anwaltlich vertreten, erhob sie Klage beim VG Berlin, welches das Verfahren aussetzte und den EuGH anrief. Denn es hatte große Zweifel, ob die Einführung des Spracherfordernisses für türkische Staatsangehörige gegen das assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbot verstößt.
Stillhalteklausel: Vorwärts immer, rückwärts nimmer!
Das Assoziierungsabkommen der EU (damals EWG) mit der Türkei geht zurück ins Jahr 1963. Darin vereinbarten die Vertragsparteien, sich von den heutigen Art. 45-47 und den heutigen Art. 49-52 und 54 AEUV „leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen“ und „untereinander die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufzuheben.“ 1970 fügte Art. 41 I des Zusatzprotokolls (ZP) eine Stillhalteklausel hinzu: „Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen.“ Leitartikel Meinung Recht
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Gut geschriebener Artikel, der die juristischen Feinheiten auch gut wiedergibt. Fälscherlicherweise wird immer behauptet, der EUGH habe das Spracherfordernis für Türken komplett gekippt.
Tatsächlich hat er sich mit der Stillhalteklausel in Verbindung mit der Niederlassungsfreiheit (für Selbständige) beschäftigt.
Und die Begründung für die EInführung des Spracherfordernis wird von manchen „Autoren“ nur auf die Verhinderung von Zwangsehen zurück geführt, was aber inhaltlich nicht richtig ist. Es geht dabei eben (gleichberechtigt auch) um die Verbesserung der Integration. Ob das Sinn macht ist eine andere Frage, aber die Einführung des Spracherfordernisses wurde nicht einzig und allein mit der Verhinderung von Zwangsehen begründet.
Davon abgesehen hat das Wort von Hailbronner schon einiges an Gewicht. Immerhin ist es DER Herausgeber der Gesetzeskommentare zum Aufenthaltsrecht, an dessen Kommentaren sich die meisten Ausländerbehörden leiten lassen.
Ich sehe es auch ähnlich wie Herr Hailbronner. Der Gesetzgeber muss nun Klarheit in den Schweizer Käse bringen. Gibt es „einfach“ eine weitere Ausnahme für selbständige Türken, oder eine weitere bzw. neue gesetzliche Härtefallklausel.
Fest steht aber auch, dass der EUGH das Spracherfordernis im Ganzen NICHT gekippt hat, wie es gern behauptet wird. Er hat deutlich gemacht, dass eine pauschalierte Betrachtung bzw. Ablehnung nicht rechtens ist.
Das Wiederum geht konform mit den gesetzlichen Regelung zur Ausnahme vom Spracherfordernis bei Hochqualifizierten und anderen Persongruppen.
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