Ohnmacht menschlicher Vernunft
Wie deutsche Medien den Israel-Krieg legitimieren
Verrückt und abartig, abartig und verrückt – diese Worte beschreiben treffend die derzeit durch die vorherrschenden Medienanstalten in Deutschland geführte Debatte bezüglich des Israel-Kriegs.
Von Ramadan, Akbulut Dienstag, 12.08.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.08.2014, 21:51 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Insbesondere die wachsende Zunahme von Beiträgen zum Thema Israel-Krieg, in denen Parallelen zu einem vermeintlich „muslimischen Antisemitismus“ gezogen werden, verdeutlicht die gegenwärtige gewaltige Unfähigkeit einer rationalen Beschäftigung mit den derzeitigen Ereignissen in Gaza, die sich vor allem durch das bisherige Ausbleiben einer detaillierten Hintergrundanalyse des als „Selbstverteidigungskrieg“ legitimierten Israel-Kriegs, einer umfassenden Darstellung der faktischen Verhältnisse sowie einer ernsthaften politischen Thematisierung bzw. juristischen Prüfung der israelischen Militäroperationen im Hinblick auf ein vorsätzliches Kriegsverbrechen ausdrückt.
Das verbreitete mediale Interesse an diesem „Kriegsverbrechen“ seitens der israelischen Regierung bot die Möglichkeit, die breite Öffentlichkeit zu informieren und aufzuklären. Information und Aufklärung – Forderungen die auch in den westlichen Gesellschaften bezüglich der Situation im Nahen Osten von großer Bedeutung sind. Die räumliche Entfernung allein kann nicht als Erklärung von Ignoranz und Zurückhaltung herhalten. Allgemein bekannt ist die finanzielle, militärische und politische Unterstützung Israels seitens führender westlicher Staaten. Die Mittäterschaft in Form einer utilitaristischen – unaufrichtigen – Unterwürfigkeit gegenüber Israel oder in Form einer apathischen Tatenlosigkeit der zuständigen Politiker (in den USA, aber auch in Deutschland) an den Morden mehrerer tausender unbeteiligter Menschen im Gaza-Streifen, ist nicht abzustreiten. Durch die repräsentative Funktion der Volksvertreter hat aber jeder Bürger durch sein Wahlrecht innerhalb einer Demokratie die Pflicht, seine Kritik, seine Ablehnung, seine Verurteilung dieses Krieges und der befürwortenden Haltung unserer Politiker Ausdruck zu verleihen.
Vor dem Hintergrund der Schwere der Tat erscheint der Aufschrei in der deutschen Bevölkerung, noch viel zu gering zu sein. In einer Gesellschaft, in der Menschenrechte, Freiheit und Gerechtigkeit leitende Prinzipien darstellen sollen, verwundert die geringe Empörung des Volkes sehr.
Ein kollektives Abgestumpft-sein und die kollektive Unfähigkeit, Mitgefühl zu entwickeln, erscheinen als Begründungsversuche unzureichend und unpassend. Die verzerrte Berichterstattung hinsichtlich des Israel-Kriegs und die direkte Verbindung zu antisemitischen Übergriffen durch muslimische Jugendliche oder junge Erwachsene in der deutschen Migrationsgesellschaft sowie die derzeit beobachtbare mediale Überrepräsentanz des konstruierten Phänomens „Islamismus“ insbesondere in den öffentlich-rechtlichen Medien, liefern differenziertere Erklärungsmodelle des ausbleibenden einheitlichen Eintretens für das Ende der Bombardierung einer Zivilbevölkerung und für die zur Rechenschaft zu ziehenden Kriegsverantwortlichen.
Auffällig ist in diesem Zusammenhang die starke Zunahme des medialen Interesses am „Islamismus-Thema“, deren Hintergründe es genauer zu hinterfragen gilt. Durch die Eingabe des Begriffs „Islam“ beispielsweise in die Suchleiste der ARD-Mediathek, wird man eine Reihe von Videobeiträgen fast ausschließlich über sogenannte „Islamisten“ erhalten. Hierbei lässt sich feststellen, dass das „Islamismus-Thema“ nach einer kurzen Pause (seit April 2014) am 1. Juni wieder in den Tagesthemen aufgegriffen wurde und sich seitdem mit immer kürzer werdenden Zeitspannen zwischen den Beiträgen bis dato wie folgt fortsetzt:
„Islamistischer Terror im Nordwesten Irak“ 1, „Kampf gegen Islamisten im Irak“ 2, „Nigeria: Kampf gegen islamische Terroristen“ 3, „Terroranschlag in Kenia“ 4, „Die Gotteskrieger der ISIS“ 5, „Krieg der ISIS-Terroristen – Kommt ein führender Dschihadist aus Deutschland?“ 6, „Irak: Einschätzungen von Volker Schwenck“ 7, „Die Isis-Milizen weiter auf dem Vormarsch“ 8, „Kenia: Die Angst kehrt zurück“ 9, „Blutiger Feldzug – wie gefährlich sind die islamistischen Gotteskrieger?“ 10, „Salafisten in Deutschland“ 11, „Islamisten auf dem Vormarsch – Tödliche Gefahr für Deutschland?“ 12, „Die ausgeklügelte Propaganda des islamischen Staates“ 13, „Irak: Flüchtlinge in Ebil“ 14, „Syrische Christen: Mobbing“ 15, „Das Leid christlicher Flüchtlinge in Asylbewerberheimen“ 16, „Wie deutsche Islamisten unbehelligt nach Syrien reisen“ 17, „Sterben für Allah? Der Weg deutscher Gotteskrieger nach Syrien“ 18, „Irak: Menschen auf der Flucht vor der Terror“ 19.
Die Aufzählung solcher Beiträge, die den Rezipienten in unerträglicher Redundanz eine (Islam-)Angst verbreitende Botschaft zu indoktrinieren versucht, ließe sich hier noch schier endlos fortsetzen. D.h., ein Bemühen um Nachrichtenvielfalt in der journalistischen Beschäftigung mit dem Thema „Islam“, die über eine einseitige Vermittlung von Gewaltaspekten hinausgeht, scheint in der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ nicht zu existieren. Angesichts der anhaltenden medialen Überflutung von Informationen zu radikalisierten Menschen, die – weil sie einen muslimischen Hintergrund haben – als „Islamisten“ betitelt werden, lässt sich an dieser Stelle die dringende Frage aufwerfen, zu welchem Zweck die Dramatisierung des konstruierten Bildes vom „radikalen Islamisten“ dient. Vor dem eingangs explizierten Hintergrund scheint die aktuelle Schürung einer medial inszenierten „antimuslimischen Hetze“ nicht zufällig zu erfolgen. Sie dient u.E. vorrangig der Dethematisierung der vorsätzlichen Rechtsbrüche, die derzeit durch die israelische Armee in Gaza begangen werden und somit der stillen Legitimierung des Israel-Kriegs.
Die Tatsache, dass man häufig in der Rubrik „Ähnliche Beiträge“ bei Beiträgen zum Israel-Krieg nunmehr vermehrt Berichte findet, in denen es um Gewalttaten oder Verbrechen muslimischer Einzeltäter an jüdischen und christlichen Mitbürgern oder um „Islamist“ markierte Menschen geht, deutet auf bewusste Einflussnahme durch Verzerrungen in der Berichterstattung hin, die zu Legitimationszwecken instrumentalisiert werden. In der Folge wirkt sich diese Funktionalisierung auf den Medienkonsumenten wie folgt aus: Durch die mediale – bewusste – Schärfung des konstruierten Feindbildes „Muslim“ parallel zu den Ereignissen in Gaza, wird die Wahrnehmung der Situation von muslimischen Opfern im Gaza-Streifen durch das in den Vordergrund gerückte Bild vom „kampfbereiten Islamisten“ überlagert. „Den Muslim“ oder „die Muslime“ als Opfer zu betrachten erscheint unvereinbar vor diesem Hintergrund. Auf dieser Grundlage kann der Angriff auf Gaza subtil als Prävention als notwendige Verteidigungsstrategie vermittelt werden, worauf in den gegenwärtigen Diskussionen über den Israel-Krieg auch vermehrt affirmativ zurückgegriffen wird. Anstatt der intensiven und analytischen Auseinandersetzung bezogen auf den Nahost-Konflikt zur Aufklärung über die sozial-politische Lage in Gaza und zur Information über die historischen Gegebenheiten, dominiert der Versuch der Legitimierung kriegerisch gegen Muslime vorgehen zu dürfen bzw. zu müssen.
In Anbetracht der hohen Opferzahl (darunter viele Säuglinge, Kinder, Frauen und Senioren) innerhalb weniger Wochen in Gaza auf der Basis eines unaufgeklärten Mordfalls an drei jüdischen Schülern, mutet diese Vorgehensweise geradezu paradox an. Anstatt die Täter der getöteten Jugendlichen gezielt zu suchen, indem Ermittlungen aufgenommen werden, Beweise sichergestellt werden etc. fließt die gesamte Energie darin, einen Krieg zu legitimieren, der an Grausamkeit und Sinnlosigkeit kaum zu übertreffen ist.
Die Akzentverschiebung in der Berichterstattung von einer Betrachtungsweise auf eine machtlose muslimische Zivilbevölkerung in Gaza hin zu einer Fixierung auf hasserfüllte Einzeltäter mit muslimischen Hintergrund, trübt nicht nur den Blick auf die gravierende Unverhältnismäßigkeit der israelischen Kriegsführung, sondern macht auch die Öffentlichkeit im Zeitalter von Menschenrechten unempfänglich für die Wahrnehmung menschlicher Verpflichtungen und das zeugt von einer unentschuldbaren Ohnmacht menschlicher Vernunft.
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An Frau Cilly: Sie haben leider meine Frage nicht beantwortet, was an den Forderungen der Hamas falsch sein soll. Ganz konkret. Stattdessen flüchten Sie sich in Einstufungsbetrachtungen. Erstens ist das völlig wurscht, wie angeblich „international“ die Hamas „eingestuft“ wird, weil es nicht um Einstufungen, sondern um Möglichkeiten zum Frieden geht. Zweitens ist es nun keineswegs so, dass die Hamas weltweit als präfaschistoide Organisation eingestuft wird. Dass es im Nahen Osten keinen Frieden gibt, ist exakt der Denkweise geschuldet, die Sie hier vertreten.
Israel ist ein Staat auf geraubtem Land. Das Land wurde den Palästinensern geraubt, die wurden vertrieben und ermordet.
Die wahren faschistoiden Terroristen sitzen in der israelischen Regierung, die den auf geraubtem Land gegründeten Staat Israel mit weiterem Landraub, mit dem Niederbrennen von Dörfern und dem Vertreiben der Bewohner immer weiter ausdehnt und den Palästinensern die elementarsten Menschenrechte verweigert, rassistische Gesetze für Araber in Israel erlässt, Dörfer niederbrennt, Menschen in Freiluftgefängnisse sperrt, sie ihrer wirtschaftlichen Grundlagen und ihrer (Bewegungs)freiheit beraubt, ethnische Säuberungen und Vertreibungen durchführt, willkürliche Verhaftungen, Tötungen und Folter. Wenn das nicht faschistisch ist, was ist es dann?
Wie sollen sich die Palästinenser gegen den Terror des bis an die Zähne bewaffneten Atom- und Besatzungsstaats Israel Ihrer Meinung nach zur Wehr setzen? Oder sind Sie der Meinung, dass die palästinensischen „Untermenschen“, im Vergleich zum selbsternannten „auserwählten“ Volk, das sich als Herrenrasse begreift, keinerlei Rechte haben und sich der faschistischen Ggewalt unterordnen sollen?
Welchen „Ausgleich“ meinen Sie? Israel gesteht den Palästinensern schlichtweg gar nichts zu. Die Forderungen der Hamas sind das MINDESTE, daran ist nichts, aber auch gar nichts terroristisch.
Freiheit für den Gazastreifen,
Keine Militäroperationen, zu Lande, zu Wasser und in der Luft,
Abzug der israelischen Armee aus Gaza, damit palästinensische Bauern ihr Land bis an den Grenzenzaun zu Israel nutzen können,
Freilassung von Palästinensern, die erst im Austausch für den israelischen Soldaten Gilat Shalit freikamen und dann bald wieder verhaftet wurden,
Die Beendigung der Blockade und Wiedereröffnung der Grenzen in Gaza. Auch muss der Hafen und der internationale Flughafen unter die Kontrolle der UN gestellt werden,
Erweiterung der Fischerei-Zone und Internationale Überwachung des Grenzübergangs in Rafah,
Zusage einer zehnjährigen Waffenruhe und Schließung des Luftraums in Gaza für israelische Flugzeuge,
Erlaubnis für die Einwohner des Gazastreifens für die Reise nach Jerusalem, um in der Al- Aksa-Moschee zu beten,
Keine Einmischung in die innerpalästinensische Innenpolitik und Regierungsbildung,
Die Eröffnung von Gazas Industriezone.
Was, bitteschön, ist an diesen mehr als berechtigten Forderungen falsch, terroristisch oder gar faschistisch?
Sie haben auch immer noch nicht belegt, was angeblich an den rassistischen bzw. faschistischen Zitaten israelischer Politiker und Würdenträger, die ich hier eingestellt hatte, unrichtig sein soll.
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