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Nahostkonflikt

Unverhältnismäßige Verhältnismäßigkeitsdebatten

Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der israelischen Offensive impliziert, dass der Krieg legitim ist – nach dem Grundsatz: Tötet, aber nicht zu viele. Die Frage, welche Seite sich selbst verteidigt, scheint damit beantwortet. So einfach ist das aber nicht, meint Sanjay Patel.

Von Donnerstag, 14.08.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.04.2015, 17:44 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Der jüngste israelische Amoklauf in Gaza wird vor allem wegen seiner Unverhältnismäßigkeit kritisiert. Zum Beispiel sagte Generalsekretärs der UN, Ban Ki-moon:

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Die Menschen im Gaza können nirgendwohin. Sie sind gefangen und belagert auf einem kleinen Fleck Land. Überall sind Zivilisten. Jedes Zuhause, jede Schule, jeder Flüchtling wurde zum Ziel. Die Zahlen zu Opfern und Schäden werfen Fragen nach der Verhältnismäßigkeit auf.

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Der deutsche Autor und Publizist Jürgen Todenhöfer bezeichnete die „Bombardierungsorgie” Israels offen und direkt als „unverhältnismäßig und maßlos”. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit wurde und wird breit und kontrovers diskutiert, unter anderem auch massen-medial in Talksendungen wie von Anne Will.

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Diese Diskussionen zeigen uns, dass wir uns mit den falschen Fragen beschäftigen. Wenn wir uns fragen, wie verhältnismäßig oder unverhältnismäßig das Abschlachten von Palästinensern ist, dann akzeptieren wir zunächst einmal, dass Israel einen verhältnismäßigen Krieg gegen Palästinenser führen darf, etwa nach dem Grundsatz, paar dürfen abgeschlachtet werden, aber bitte nicht zu viele.

Wir fragen uns aber nicht, darf Israel überhaupt einen Krieg gegen die Palästinenser führen? Diese Frage stellen wir uns nicht, weil das Selbstverteidigungsrecht Israels bedingt durch sein Existenzrecht per se ein unumstößliches und unantastbares Dogma ist. Um keine falschen Zweifel aufkommen zu lassen, Israel hat ein Existenzrecht und Israel hat auch ein Selbstverteidigungsrecht. Das sind Selbstverständlichkeiten. Das Selbstverteidigungsrecht greift jedoch nicht, wenn Israel der Aggressor ist. Um das festzustellen, müssen wir uns die langfristige politische Strategie Israels anschauen, d.h. was ist die Norm nach dem Gaza-Konflikt?

Die Normalität für Gaza wird sein, dass die Bevölkerung unter menschenunwürdigen Bedingungen im sogenannten „größten Freiluftgefängnis” dahinvegetieren muss, zu wenig zum leben, zuviel zum sterben. Untermauert wird dieser Sachverhalt durch geheime Dokumente der US-Botschaft in Tel Aviv:

Israeli officials have confirmed to Embassy officials on multiple occasions that they intend to keep the Gazan economy functioning at the lowest level possible consistent with avoiding a humanitarian crisis […] Israeli officials have confirmed […] on multiple occasions that they intend to keep the Gazan economy on the brink of collapse without quite pushing it over the edge [Quelle: wikileaks].

Die Norm in der West-Bank ist, dass Israel illegale Siedlungen für überwiegend osteuropäische Einwanderer errichtet und sich alles unter den Nagel reißt, was von Wert ist, während die palästinensischen Gebiete in nicht überlebensfähige Enklaven zerstückelt werden, und deren arabischen Bewohner Repressionen und Gewalt ausgesetzt sind. Ein Blick auf die Landkarten von 1946 bis 2000 veranschaulicht, wie den Palästinensern ihre Gebiete verlustig gingen.

Mir ist kein Volk in der Menschengeschichte bekannt, das sich moralisch verpflichtet fühlt, sein Land und Boden bereitwillig Einwanderern zu überlassen und bei Flucht ebenso bereitwillig auf sein Rückkehrrecht verzichtet. Zum (unverhältnismäßigen) Vergleich, in Deutschland fürchten einige Teile der Gesellschaft bereits die sogenannten „Armutseinwanderer” aus Rumänien und Bulgarien, die im Zuge des Freizügigkeitsrechts der EU einzureisen versuchen und halten die integrationsbockigen muslimischen Einwanderer kaum noch aus. Insbesondere Politiker aus dem Lager der CDU/CSU erwarten von den Palästinensern eine Haltung gegenüber jüdischen Einwanderern in illegalen Siedlungen, die man für das eigene Land bereits bei herkömmlicher Einwanderung als sozialschmarotzend oder aus angeblich humanitären Gründen zu verhindern versucht (Bsp.: Ehegattennachzug).

Die Norm, zu der Israel zurückkehrt, zeigt, dass die über 65 jährige politische Strategie sich in einem Satz zusammenfassen lässt: maximiere palästinensisches Land und minimiere Anzahl der dort lebenden Palästinenser. Die Norm Israels stellt eine kontinuierliche Aggression gegen das palästinensische Volk dar.

Die Debatte um die Verhältnismäßigkeit der israelischen Offensive beinhaltet, dass der gewaltsame Widerstand der Palästinenser gegen die illegale Siedlungspolitik, die völkerrechtswidrigen Annexionen palästinensischer Gebiete und die menschenunwürdige Strangulierung Gazas eine terroristische Aggression ist, gegen die sich Israel aufgrund seines Existenzrechts verteidigen darf und muss, allerdings nur in Maßen.

Angenommen, ein schwer bewaffneter Ganove benötigt mehr Wohnraum, er tritt die Wohnungstür seines Nachbarn ein, wirft seine Möbel aus dem Fenster, um seine eigenen hineinzustellen und sperrt den Nachbarn in die Besenkammer. Wenn der Nachbar es wagt, gegen den Ganoven mit fiesen und hinterhältigen Methoden aufzubegehren, wird er brutal zusammengeschlagen. Alles, was wir uns fragen ist, ob der Ganove bei seinem Recht auf Notwehr nicht doch etwas zu hart zugeschlagen hat. Hier ist nicht nur der Ganove unverhältnismäßig, sondern auch unsere absurden Fragen.

Der Maßstab der Verhältnismäßigkeit ist die 2-Staaten Lösung gemäß der internationalen Vereinbarungen von 1967. Führer der Hamas haben diesem Plan wiederholt zugestimmt. Israel zusammen mit den USA sabotieren dagegen diese Lösung seit über vier Jahrzehnten, denn die 2-Staaten Lösung ist nicht vereinbar mit der Strategie, palästinensisches Land zu maximieren und die Anzahl der dort lebenden Palästinenser zu minimieren. Der Nachbar bleibt in seiner Besenkammer und seine Frau und Kinder vor der Haustür.

Es ist ein Propagandaerfolg, wenn Menschen eine menschen- und völkerrechtswidrige Strategie nicht mehr wahrnehmen, diese stillschweigend akzeptieren und sich darüber Gedanken machen, ob die Politik eines Tyrannen verhältnismäßig oder unverhältnismäßig ist. Wir beschäftigen uns mal wieder mit den falschen Dingen, damit wir uns nicht mit den relevanten Dingen beschäftigen. Das ist ein typisches Muster in der Politik. Aktuell Meinung

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  1. Petra sagt:

    Leider sind die Artikel auf Migazin zu diesem Konflikt sehr einseitig. Es wird eine einseitige Schuldzuweisung vorgenommen, die schlicht unfair ist und den Tatsachen nicht gerecht wird.

    Man sollte sich immer bewusst machen, dass die Hamas die Vernichtung Israels in ihren Grundsätzen trägt. Diesem Grundsatz verleiht sie täglich mit Raketenangriffen Ausdruck. Kein Staat dieser Welt würde sich so etwas dauerhaft gefallen lassen. Wenn die Autorin hier erwähnt, dass eine Zwei-Staaten-Lösung der einzige Weg zum frieden ist, und dabei die negierende Haltung der Hamas zum Israel außen vorlässt, ist das entweder ein Zeichen von Unwissenheit, oder von Boshaftigkeit.

  2. aloo masala sagt:

    Warum schießen die Hamas mit Raketen?

    Der frühere sowjetische Premierministers Alexei Kossygin sagte 1972 in einer Rede:

    „Manche Leute in Israel und Amerika glauben angesichts der aktuellen Lage, dass sich die Palästinenser letzten Endes mit der Besatzung ihrer Gebiete abfinden werden. Diese Einschätzung entbehrt jeder Grundlage.“

    Nach weiteren 40 Jahren völkerrechtswidriger Politik (illegale Siedlungen, Besatzung, Strangulierung Gazas, Verhinderung des Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser, …) scheint die Einschätzung nicht mehr jeder Grundlage zu entbehren.

    Um es in Ihren Worten zu sagen: „Kein Volk würde sich so etwas dauerhaft gefallen lassen“ und sein Land bereitwillig Einwanderern überlassen. Die Palästinenser wollen patrout nicht die Rolle der Indianer oder Aborigenes übernehmen, um in Reservaten wie in Gaza oder den zerstückelten Kantonen im Westjordanland ein Elendsdasein zu fristen. Israel möchte das aber, und Amerika unterstützt das.

  3. Marianne sagt:

    Ein ganz hervorragender Artikel, der die Dinge auf den Punkt bringt. Ich sehe das genauso
    @ Renate: Sie lassen komplett die Ursachen für die Raketenangriffe außen vor, Sie lassen komplett außen vor, dass die Hamas die Zwei-Staaten-Lösung verlangt und Israel sie hintertreibt, Sie lassen außen vor, dass die Forderungen der Hamas nicht nur absolut legitim, sondern das Mindeste sind, was den Palästinensern zusteht. Und vieles andere mehr. Auch die in dem Artikel benannten Sachverhalte lassen Sie komplett außen vor und reiten auf einer Charta rum, die längst überholt ist. Das weite Kreise in Israel, das mittlerweile von einer rechten Regierung regiert wird, das Recht auf einen Staat auch für die Palästinenser nicht nur ablehnen, sondern mit der illegalen Siedlungspolitik aktiv hintertreiben, vergessen Sie auch, und auf die Inhalte des Beitrags gehen Sie inhaltlich gar nicht ein, sondern ignorieren auch die. Insbesondere begründen Sie auch nicht, was konkret an dem Artikel einseitig oder falsch sein soll.

    Um Sie zu zitieren:

    Das ist entweder ein Zeichen von Unwissenheit oder von Boshaftigkeit.“

    Auf Unwissenheit tippe ich eher nicht, denn die Sachverhalte dürften ihnen zum Einen bekannt sein, zum Anderen steht Vieles davon im obigen Artikel geschrieben, was Sie leider komplett ignorieren und weglassen.

  4. Gero sagt:

    Marianne: Sie lassen komplett außen vor, dass die Hamas die Zwei-Staaten-Lösung verlangt
    ____
    Das wäre neu. Hamas verlangt die Vernichtung Israels.

  5. deutscher staatsbürger sagt:

    Jetzt wurde schon sehr viel geschrieben über dieses Thema aber so lange die Regierung hier nichts schreibt bzw. sagt, passiert nichts. Jetzt sind schon wieder so viele Menschen gestorben oder besser gesagt getötet worden. Die einen sagen die Israelis sind schuld und die anderen sagen die Palästinensiser sind schuld, aber niemand sagt die Europäer sind schuld. Vor hundert Jahren gingen sie hin und versprachen den Menschen dort sehr viel, um sie gegen die Türken aufzustacheln. Dabei haben die englischen Spione eine große Rolle gespielt. Bspw. Gerard Evelyn Leachman, Gertrude Bell, Thomas Edward Lawrence. Und? Seit hundert Jahren Krieg und Elend im mittleren Osten.

  6. Marianne sagt:

    Und eins würde mich mal interessieren: Glauben Sie tatsächlich, dass das, was Israel in den besetzten Gebieten und im eingekesselten Gaza tut, den Frieden fördert? Wer Frieden will, sperrt seine Feinde nicht in Gefängnisse ein, vertreibt sie nicht aus ihren Häusern, brennt ihre Dörfer nicht nieder, foltert sie nicht, macht keine willkürlichen Verhaftungen und Tötungen ohne Urteil und Verfahren, keine willkürlichen Razzien usw. Wer das tut, WILL keinen Frieden. Mit GEWALT und Demütigung erreicht man keinen Frieden, sondern Radikalisierung. Sehen Sie die Lösung darin, dass die Araber vollends vertrieben und vernichtet werden, damit Israel sein Großreich Israel errichten kann? Das gesamte Israel wurde auf geraubtem Land gegründet. Unzählige arabische Dörfer wurden plattgemacht, die Bewohner vertrieben und umgebracht. Finden Sie das richtig? Und finden Sie es richtig, dass Israel darüber hinaus seine Gebiete immer weiter ausdehnt? Wie sollen sich die Araber Ihrer Meinung nach verteidigen, oder haben die Ihrer Meinung nach kein „Selbstverteidigungsrecht“?