Antisemitismus & Islamophobie
Anstatt ein Problem zu lösen, haben wir uns ein neues geschaffen
In der Islamdebatte wird immer wieder betont, der Islam sei eine Art Zeitmaschine ins Mittelalter. Dort verorten Deutsche beispielsweise auch den Judenhass, im Neudeutsch „Antisemitismus“. Obwohl er dort natürlich nicht hingehört. Schließlich führte der Judenhass der Deutschen erst in der Mitte des letzten Jahrhunderts zum Holocaust.
Von Anja Seuthe Mittwoch, 20.08.2014, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.08.2014, 22:26 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Mit deutscher Präzision wurden Menschen bestohlen, zwangsbeschäftigt, gedemütigt und letztendlich getötet. Diese Verantwortung lastet bis heute schwer auf Deutschland und den Deutschen. Denn wenn auch nicht alle Deutschen Nazis waren – vor allem nicht in der Rückschau – so trägt doch das ganze Volk die Verantwortung für die unverzeihlichen Auswüchse des Naziterrors. Und dieser Verantwortung können sich die Deutschen nicht entziehen.
In etwa so, wie sich zur Zeit die Israelis der Verantwortung für die Getöteten in Gaza nicht entziehen können. Natürlich ist der Krieg eine Folge der Politik Israels, aber die Verantwortung tragen eben nach außen nicht nur die Politiker, sondern der ganze Staat und seine Bürger. Gerade in Israel müsste man vollstes Verständnis für dieses Konzept haben. Wenn also Demonstranten anderswo auf der Welt auf „Israel“ wettern, dann ist das nicht antisemitisch, sondern nur konsequent. Ganz abgesehen davon belegen Studien innerhalb Israels eine Akzeptanz von mehr als 85 % für den Gazakrieg. Und auf israelischen Straßen wird offen gegen Araber demonstriert.
Wie hoch die Zustimmung innerhalb Deutschlands für die antisemitische Politik Adolf Hitlers und den Zweiten Weltkrieg war, kann man heute nur noch erahnen. Erforscht werden kann das nicht mehr, da es schon direkt nach dem Krieg aussah, als habe ganz Deutschland aus Oppositionellen bestanden. In Deutschland konnte sich kaum jemand daran erinnern, die Politik der Nazis je gut gefunden zu haben. Ob das in Israel auch so kommen wird? Ob der Hass auf Araber, der in diesen Tagen offen auf israelischen Straßen verkündet wird, irgendwann gänzlich überwunden wird?
Aus der deutschen Erfahrung heraus würde ich die zweite Frage verneinen. Geschürter Hass auf eine Bevölkerungsgruppe verschwindet leider nicht so einfach aus dem kollektiven Bewusstsein. In Deutschland werden regelmäßig Umfragen zum Thema Antisemitismus durchgeführt. Laut Zahlen, die der Deutsche Bundestag im Jahre 2012 veröffentlichte, ist jeder fünfte Bundesbürger latent antisemitisch eingestellt. Also ganze 20 %.
Wenn man nun heute hört, dass Antisemitismus in Deutschland ein Problem der muslimischen Migranten ist, die auf der Straße offen gegen Israel protestieren, und damit Deutschland zurückwerfen ins Mittelalter, so ist das sachlich falsch. Es gehen immer noch gut 90 % der antisemitischen Straftaten in Deutschland auf das Konto von urdeutschen Rechtsextremen. Und selbst wenn jeder einzelne der 5 % Muslime in Deutschland latent antisemitisch wäre, so gäbe es immer noch locker dreimal so viele deutsche Antisemiten. Wie käme man sonst auf die 20 %?
Tatsächlich gibt es aber auch in Deutschland Initiativen, die von Juden und Muslimen gemeinsam getragen werden. Und Vertreter der muslimischen Gemeinden verurteilen regelmäßig Übergriffe auf jüdische Menschen und Einrichtungen in Deutschland. Etwas Positives erreichen kann man nur, wenn man alte Stereotype über Bord wirft und gemeinsam an einem Strang zieht.
Die Schuld am Antisemitismus in Deutschland abzuschieben auf muslimische Migranten, löst keine deutschen Probleme, sondern schürt nur Hass gegen eine weitere Minderheit. Mittlerweile werden Antisemitismus und Islamophobie in Deutschland im gleichen Atemzug genannt. Zu Recht. Anstatt ein Problem zu lösen, haben wir uns ein neues geschaffen. Aktuell Meinung
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