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Thüringer NSU-Abschlussbericht

Die Verschwörungstheorie ist nun amtlich

Der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses in Thüringen liegt vor. Beachtenswert ist an ihm, dass er sich – auch in den Sondervoten – in einigen zentralen Punkten von anderen Abschlussberichten unterscheidet.

Von Freitag, 22.08.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.07.2015, 0:15 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

In aller Regel beginnt und endet die politische Aufklärung mit der Führung durch einen Märchenwald aus bedauerlichen Pannen, Missgeschicken und individuellen Fehlern – die, die dreizehnjährige Terror- und Mordserie des NSU erklären sollen. Im Abschlussbericht des Berliner Untersuchungsausschusses wurde noch ein kleines Zugeständnis gemacht: Man gab auch dem (institutionellen) Rassismus eine gewisse Mitschuld.

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Es zählt zu dem Verdienst dieses Thüringer Abschlussberichtes, dass er die allseits gepflegte Mär vom Behördenwirrwarr beendet. Er kommt vielmehr zu dem Schluss, „dass es dem Ausschuss nicht mehr vertretbar erscheint, hier nur von ‚Pannen‘ oder ‚Fehlern‘ zu sprechen“, was den „Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens des Auffindens der Flüchtigen“ nahe lege. Nur folgerichtig wirft der Ausschuss den Verfassungsschutzämtern die „mittelbare Unterstützung“ und „Begünstigung“ neonazistischer Strukturen vor.

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Und was bislang gut gemeint, aber tatsächlich Entlastungsfunktion hatte, ist ebenfalls angesprochen: Ohne die aktive Beteiligung und Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaften, Polizei und Innenministerium wäre das Ganze nicht erklärbar.

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Aber noch entscheidender als dies ist das Eingeständnis, dass das Agieren des Verfassungsschutzes alles andere als ein selbstherrliches, sich verselbstständigendes war. Anhand der noch vorhandenen Unterlagen lässt sich sehr präzise das Gegenteil belegen: Der Verfassungsschutz konnte nur so handeln, weil alle Hierarchieebenen dies so gedeckt bzw. ermöglicht haben: Das fängt bei der Staatsanwaltschaft an und führt bis hin zum Innenministerium. Denn das Innenministerium ist nicht nur oberster Dienstherr des Verfassungsschutzes, es hat auch immer – im Konflikt zwischen Polizei- und Geheimdienstinteressen – zugunsten Letzterer entschieden. Das ‚gekonnte‘ und gewollte ‚Versagen‘ ist also weder Pannen noch irgendwelchen Verselbstständigungen geschuldet, sondern wohl bedacht und abgewogen an der Spitze der Befehlskette entschieden worden:

Unter Berufung auf das Thüringer Landeskriminalamt berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR), „dass die drei Hauptverdächtigen 1998 kurz nach ihrem Untertauchen von Zielfahndern aufgespürt worden waren. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei habe die Möglichkeit zum Zugriff gehabt, sei aber im letzten Moment zurückgepfiffen worden.“ (Junge Welt vom 19.11.2011) Die Weigerung, die abgetauchten Mitglieder des sog. Thüringer Heimatschutzes (THS) festzunehmen, ist bis in das Jahr 2002 dokumentiert: „Vergangene Woche war in einer vertraulichen Sitzung des Thüringer Justizausschusses bekannt geworden, dass ein halbes Dutzend Aktennotizen aus der Zeit zwischen 2000 und 2002 existieren, laut denen das Innenministerium Festnahmeversuche verhindert hatte“, war in der Frankfurter Rundschau vom 8.12.2011 zu lesen.

Versprechen Nr. 55

Wir hoffen auf eine baldige gerechte und konsequente, rechtsstaatsgemäße Verurteilung aller Täter und aller weiteren Personen, die auf verschiedene Weise wissentlich und willentlich zu den Taten des NSU beigetragen oder sie schuldhaft ermöglicht und sich der Beihilfe, der Begünstigung und – womöglich – der Strafvereitelung schuldig gemacht haben.“

So steht es im Vorwort zum besagtem Abschlussbericht.

Wenn dieses Versprechen die Worte und das Papier wert sind, dann läge es doch auf der Hand, den längst überfälligen nächsten Schritt zu gehen: Wenn Behörden, Amtsleiter und Innenministerien nachweislich dazu beigetragen haben, dass die späteren NSU Mitglieder abtauchen konnten, dass mögliche polizeiliche Festnahmen verhindert wurden, dass der NSU mithilfe und mit Wissen von V-Leuten (und V-Mann-Führern) bewaffnet, mit Blanko-Ausweisen und Geld ausgestattet wurde, dann erfüllt das nach den Gesetzen dieser Bundesrepublik den dringenden Verdacht der Unterstützung bzw. Bildung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a Strafgesetzbuch).

Diese (Mit-)Täter und Unterstützer – das kann ohne Geheimnisverrat zu begehen gesagt werden – leben nicht im Untergrund, sie sind eigentlich ganz leicht fassen.

Die Mitglieder der Linkspartei (im Untersuchungsausschuss) haben viel dafür getan, dass die Mär von anonymen und individuellen Versagen begraben werden kann. Sie haben einiges dazu beitragen, den Staatsanteil am Zustandekommen eines Nationalsozialistischen Untergrundes, am Gewährenlassen dieses neonazistischen Terrors sichtbar, namentlich zu machen.

Die Linkspartei, die gerade im Wahlkampf ist und alles daran setzt, den ersten Ministerpräsidenten zu stellen, hat vieles in der Hand. Auch die tatsächliche Umsetzung des im Abschlussbericht gegebenen Versprechens.

Ein Anfang ist gemacht

Am 18.8.2014 „reichte der Stuttgarter Rechtsanwalt Khubaib Ali Mohammed für seinen Mandanten Ismail P. beim Landgericht Erfurt eine sogenannte Amtshaftungsklage (AZ: 10O1083/14) gegen das Land Thüringen, vertreten durch Innenminister Jörg Geibert, ein. In der 44-seitigen Klage wirft er den Behörden ‚individuelles sowie systemisches Versagen‘ vor … Mit der Klage will der Anwalt des Opfers nun ein Zeichen setzen, dass es neben Zschäpe, die sich im NSU Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten muss, auch Verantwortliche in den Behörden gibt. ‚Aus dem Abschlussbericht des Ausschusses ergibt sich eine klare Schuld der Thüringer Behörden, die die frühe Festnahme des Mord-Trios verhinderten‘, sagte der Anwalt. Deswegen müsse das Land haften.“ (Spiegel Online vom 20.8.2014) Aktuell Meinung

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