Vor 50 Jahren
Waren Gastarbeiter wirklich willkommen?
Der Historiker Ulrich Op de Hipt vom Haus der Geschichte in Bonn meint, Gastarbeiter seien in Deutschland willkommen gewesen. Diplom Museologin Christine Braunersreuther hält dagegen: Diese Darstellung sei falsch und überrasche nicht.
Von Christine Braunersreuther Montag, 15.09.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.09.2014, 22:41 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
„Eine Geste zwischen Höflichkeit und Hilflosigkeit“, so beschreibt das ZEIT-Magazin den Willkommensgruß an den „Millionsten Arbeitsmigranten“ Armando Rodrigues de Sà am 10. September 1964 anlässlich des 50. Jahrestages.
Diese Beschreibung trifft es wohl ganz gut, wenn man einem Portugiesen, der soeben zwei Tage und Nächte im Zug verbracht hat und kein Wort Deutsch spricht, einen Blumenstrauß überreicht und ein Moped schenkt, für das er gar keinen Führerschein hat. Aufgrund dieser einmaligen Geste aber von einer „Willkommenskultur“ zu sprechen, wie es Ulrich Op de Hipt vom Haus der Geschichte in Bonn macht, ist nicht einfach nur übertrieben, sondern schlichtweg falsch. Und es ist erschreckend (aber leider wenig überraschend), dass diese Worte von einem Historiker stammen, der an einem der zwei großen deutschen historischen Museen eine Ausstellung zum Thema Einwanderung vorbereitet. Zumal er noch um die Worte ergänzt: „Gastarbeiter waren damals in Deutschland willkommen“ und Ausländerfeindlichkeit sei noch kein Thema gewesen.
Gut – so unrecht hat er in diesen beiden Sätzen nicht. Denn die Arbeiter waren tatsächlich willkommen, das Wirtschaftswunder musste beflügelt werden. Da hat man sich gefreut, wenn sie in Köln-Deutz ankamen. Für alle Nichtkölner: der Bahnhof Deutz ist nicht der Kölner Hauptbahnhof. Am Hauptbahnhof wird gereist, in Deutz wird geliefert, so sagt man in Köln. Denn Deutz liegt auf der Schäl Sick – der „falschen“ Seite Rheins, auf der sich die großen Industriestandorte befinden, für die Arbeitskräfte gebraucht wurden. Dass mit diesen Arbeitskräften auch Menschen kamen, das wurde lange Zeit ignoriert.
Somit waren Ausländerfeindlichkeit oder Diskriminierungen aller Art tatsächlich kein Thema. Es war ganz selbstverständlich, dass die ArbeiterInnen häufig ohne jeglichen Raum für Privatsphäre in Wohnheimen untergebracht wurden, die bestenfalls Häuser, nicht selten auch Baracken oder alte Eisenbahnwaggons waren. Auch dass einige dieser Unterkünfte abends nicht mehr verlassen werden durften, um die Sicherheit der umliegenden Bevölkerung zu sichern – Schichtarbeiter natürlich ausgenommen – muss man ja verstehen können und hatte rein gar nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun, weil die ja kein Thema war damals.
Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung oder gar aktive Integrationsmaßnahmen waren ebenso wenig Thema. Letztere gab es allein deshalb nicht, weil davon ausgegangen wurde, dass die Gastarbeiter sich wie anständige Gäste benehmen und brav wieder „nach Hause“ fahren, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.
Dass es dieses „zu Hause“ aber eventuell nicht mehr geben könnte, weil durch die Arbeitsmigration ganze Landstriche quasi entvölkert wurden, lokale Wirtschaftssysteme zusammenbrachen und nicht zuletzt Familienverbände kaputt gingen, daran hatte niemand gedacht. Dass es einige von ihnen trotz oft widriger Bedingungen und rassistischen Anfeindungen vorzogen in Deutschland zu bleiben, sorgte daher zunächst einmal für Chaos. Dabei blieben tatsächlich nur einige hier und nicht die meisten, wie Claudia Rometsch fälschlicherweise im Vorspann des Artikels schreibt. Allein zwischen 1962 und 1972 waren es mehr als 3 Millionen Rückehrer.
Hätte das Deutsche Historische Museum einige der Dagebliebenen gefragt, dann hätte die Mär von der Willkommenkultur sich wohl sehr schnell zerschlagen. Aber offensichtlich zählt für das Museum der Mensch hinter der Geschichte immer noch weniger als die Objekte dazu, Oral History nach wie vor als unseriös. Dabei hätte man noch nicht einmal selbst aktiv werden müssen.
Denn seit 1990 sammelt DOMiD, das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V., sozial-, alltags- und kulturhistorische Zeugnisse zur Geschichte der Einwanderung nach Deutschland und hat sehr viele Interviews mit Protagonisten geführt, um zu verhindern, dass deren Stimme in Vergessenheit gerät und die Migrationsgeschichte allein über Leitobjekte wie das Moped des Millionsten Arbeitsmigranten erzählt wird.
Denn auch dieses Objekt stand anfangs ohne die Geschichte seines Besitzers im Haus der Geschichte. Dass Armando Rodrigues de Sà früh verstarb und seine Ersparnisse für die medizinische Behandlung aufgebraucht hatte, weil er – wie viele Rückkehrer – nicht über seinen Anspruch auf Krankengeld aufgeklärt worden war, wurde von DOMiD im Nachhinein auf die Objektbeschriftung reklamiert.
Dabei ist das Haus der Geschichte in dem Punkt nicht besser oder schlechter als sein ostdeutsches Pendant, das Deutsche Historische Museum in Berlin, es zur Eröffnung der Dauerausstellung im Juni 2006 war: das Abteil eines Gastarbeiterzuges, das dort repräsentativ für die Geschichte der Arbeitsmigration stand, war ganz offensichtlich erst gegen Ende dazwischen gequetscht worden. Mittlerweile haben dort jedoch einige Sonderausstellungen zu Migrationsthematiken stattgefunden.
Es bleibt zu hoffen, dass die Politik der Ignoranz nicht die Art bleibt, wie Migrationsgeschichte in Museen präsentiert wird. Viele kleinere und größere Ausstellungsprojekte haben gezeigt, dass es auch anders geht; dass Migrationsgeschichte zu präsentieren nämlich auch ein aktiv integrativer Akt sein kann. Aktuell Feuilleton Meinung
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Waren Gastarbeiter willkommen?
Eigentlich ja, aber die Bevölkerung hat kaum was davon gemerkt. Sicher waren bei den einfachen öffentlichen Arbeiten mehr Menschen aus anderen Ländern oder einer anderen Sprache, aber wie sie lebten und wo sie lebten, viel nicht auf.
Ich kann mich erinnern, als wir umgezogen sind, dass auf dem Grundstück hinter unserem Garten eine „hässliche“ Baracke stand und wir erstaunt waren, dass da viele Männer wohnten. Erst da haben wir bemerkt, dass auch in unserem Ort „Gastarbeiter“ waren. Die sich aber sehr still verhielten und nicht auffielen.
Wir haben Kontakt aufgenommen und es ist daraus eine Freundschaft geworden. Er lebt zwar heute wieder in der Türkei, aber zwei Mal haben wir schon Besuch von ihm gehabt.
Gruß Elisabeth Müller
Danke für diese „Richtigstellung“ einiger Fakten. Manchmal hat man bei den Rückblicken den Eindruck, dass die Geschichte im Nachhinein schön geredet wird, nach dem Motto: So hätten wir es heute gerne, dass es gestern gewesen ist.
Ja wenn ich mich recht erinnere, war das Bild recht gemischt. Das hing ganz von der Gruppe ab. Spanier waren als Arbeiter recht angesehen, während andere das halt nicht waren, im Prinzip nicht anders als heute. Aus subjektiver Sicht waren einfach die Deutschen die Nr. 1 beim Schuften, weil die aus den Armutsverhältnissen heraus wollten, die ja während der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die allermeisten Leute prägend waren. Die Armut mit der die Deutschen vor 1933 zu tun hatten, hätte niemand dazu veranlasst, in dieses Land einzuwandern.
Warum sollte bei diesem Thema die museale Ausstellung nicht von der aktuellen politischen Debatte beeinflusst sein? Leider ist doch häufig die Darstellung (ob und falls ja, wie dargestellt wird) gerade in Zeiten der Abhängigkeit von Mittelgeber*innen nicht wirklich objektiv. Das führt nicht nur in diesem Fall zu Geschichtsklitterung, nach politischem Willen.
In diesem Falle ist sie ja aber politisch-pädagogisch gesehen nicht unbedingt schlecht (wenn auch historisch vielleicht falsch), denn so können sich auch konservativ-traditionell Denkende besser mit einer Willkommenskultur anfreunden (denn: „das war ja schon immer so“). Es bleibt die grundsätzlich Frage, ob Geschichtsschreibung dafür instrumentalisiert werden sollte/darf (wo ich dem Anliegen der Autorin ausdrücklich zustimmen möchte, dass dies nicht der Fall sein sollte – trotzdem würde ich als Präsentation von Negativbeispielen eher solche wählen, die nachweisbar negativere Auswirkungen auf das Denken und Zusammenleben in der Gesellschaft erzeugen).