Laut Knigge
Entschuldigt Euch! Bei den Muslimen
Die deutsche Politik erkennt alle Jahre wieder reumütig ihre Versäumnisse in der Sozial- und Bildungspolitik an. Bei Debatten über Muslime in Deutschland ist jedoch die Meinung vorherrschend, sie hätten ihre Umstände alleine zu verantworten. Dass die beiden Themenfelder zusammengehören, wird vollständig ausgeblendet.
Von Mustafa Esmer Dienstag, 30.09.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.09.2014, 22:03 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Nehmen wir beispielsweise die aktuelle Forderung der deutschen Öffentlichkeit, gerichtet an die Muslime, sie sollten sich für die Gräuel der IS entschuldigen und sich von dieser Organisation distanzieren. Dieses Diktat wird vorwiegend von der Politik forciert, mit Verallgemeinerung flankiert und durch periodische Wiederholung auf die Agenda der deutschen Leitmedien lanciert.
Wer auf die Einsicht der Politik hoffte, ist auch diesmal bitter enttäuscht worden. Statt sich für die Hetze gegen die Muslime, für die verbreiteten Lügen über den Islam und den eigenen, lapidaren Umgang mit den Salafisten, kombiniert mit einer miserablen Sozial- und Bildungspolitik und der existierenden sozialen Ungleichheit, zu entschuldigen, werden die Opfer zu Tätern stilisiert!
Deutsche Jihadisten – 60 Prozent in Deutschland geboren
Vor Kurzem veröffentlichte Die Welt eine Analyse, im Auftrag der Innenministerkonferenz, über die Islamisten, die aus Deutschland ausreisen, um sich im Ausland radikalislamischen Milizen anzuschließen. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz weisen die deutschen Jihadisten ähnliche Merkmale und Lebensläufe auf.
Betrachtet wurden 378 Islamisten, die Deutschland seit Mitte 2012 Richtung Syrien verlassen haben: Nur sechs Prozent dieser Menschengruppe habe eine abgeschlossene Ausbildung und nur zwei Prozent einen Hochschulabschluss.
Jeder Dritte stamme aus der Gruppe der 21- bis 25-Jährigen. 20 Prozent sei erwerbslos gemeldet. Einer Beschäftigung sollen nur zwölf Prozent nachgegangen sein. Die meisten mit einem Job im Niedriglohnsektor.
Einen deutschen Pass sollen 233 der erfassten Ausgereisten haben und von 54 Personen sei bekannt, dass sie deutschstämmige Konvertiten, also Biodeutsche seien. Die Radikalisierung der Ausgereisten habe fast ausnahmslos in der Salafistenszene begonnen, etwa in Moscheen, die den Sicherheitsbehörden bekannt seien.
Es ist sofort erkennbar, dass die Ursachen für die Radikalisierung dieser vorwiegend Jugendlichen und Heranwachsenden in ihrer jeweiligen Sozialisation in Deutschland zu suchen sind und nicht in ihrer Herkunft. Die Tatsache, dass zwei Drittel der Personen, in dieser Problemgruppe, gebürtige Deutsche sind, legt diese Vermutung nahe.
Was den Blick für Fakten vernebelt ist die Ethnisierung von sozialen Problemen
Bei einer ehrlichen Betrachtung der deutschen Zustände erkennen wir schnell auch eine Radikalisierung unter den biodeutschen Jugendlichen. Leicht nachweisbar durch Verweise auf den steigenden Zuspruch für rechtsextreme -, xenophobe – und antisemitische Positionen. Die Radikalisierung der Jugendlichen, vorwiegend in den Problembezirken der Großstädte, ist ein generelles Problem in Deutschland und besitzt nichts Islamspezifisches.
Weit bestimmender für das deviante Verhalten ist der Habitus der Menschen. In der Öffentlichkeit wird das Gleiche meist unterschiedlich dargestellt und dieser Umstand erklärt auch Deutschlands Problem mit der eigenen Realität. So werden die Taten von devianten, biodeutschen Jugendlichen individualisiert und ihre jeweilige Biografie bis hin zur Befruchtung der Eizelle ihrer Mutter durchleuchtet.
Deutsche, die dem islamischen Kulturkreis entstammen, erhalten das Label: „Muslim“ ohne die Vermittlung weiterer Details, die den Täter vielleicht zu einem Individuum machen könnten. Für die Mehrheitsgesellschaft ist dieses Etikett augenscheinlich vollkommen ausreichend, um das jeweilige normabweichende Verhalten zu erklären. Dass mit dieser Form der Kommunikation Einzeltaten zu kollektiven Zuschreibungen werden, scheint den Biedermännern unwichtig.
Es ist trauriger Alltag in Deutschland, dass auf der einen Seite ständig eine Integrationsbereitschaft von Fremdstämmigen eingefordert wird, auf der anderen Seite, dann alles Menschenmögliche unternommen wird, um sie auszugrenzen.
Deutschlands Verständnis von Gleichheit vor dem Gesetz
Die Speerspitze dieser gelebten Doppelmoral in der deutschen Politik bildet unbestritten der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Wolfgang Bosbach (CDU). Jüngstes Beispiel ist seine Forderung nach einer Kennzeichnung der Personalausweise von potenziellen Jihadisten, um diese an der Ausreise zu hindern.
Es muss Herrn Bosbach die Absicht unterstellt werden, dass er die bereits existierende Ungleichheit deutscher Muslime, vor dem deutschen Gesetz, zementieren will. Die Paradoxie dieser rechtlich sehr schwierig umsetzbaren Gedankenspiele besteht darin, dass er damit seinen eigenen Ausführungen, dass der Erwerb des deutschen Passes ein Indikator für gelungene Integration sei, widerspricht.
Für Deutschlands systematische Ausgrenzungspolitik gegenüber Menschen, deren Herkunft im islamischen Kulturkreis liegt, gibt es mannigfaltige Belege, die aufgezählt werden könnten. Exemplarisch soll hier nur auf die Tatsache hingewiesen werden, dass speziell deutsche Staatsbürger mit einem türkischen Migrationshintergrund beim Standesamt, neben ihrem deutschen Personalausweis, auch ihre Einbürgerungsurkunde im Original beilegen müssen.
Die Frage, ob der deutsche Personalausweis am Kaugummiautomaten erhältlich ist und warum der legale Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft nicht ausreichend ist, drängt sich einem unweigerlich auf. Die juristische Andersbehandlung deutscher Muslime, gerade im deutschen Rechtssystem, einhergehend mit der unkritischen Hofberichterstattung der deutschen Leitmedien, sind die größten Hindernisse für ein friedliches, interkulturelles Zusammenleben in Deutschland. Aktuell Meinung
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Komisch, dass sich kein Deutscher von der NSU distanziert hat!
Ach Mika, das ist ja geradezu unheimlich wenn sie das nicht mitbekommen haben. Die Zeitungen waren voll von Distanzierungen und Kritik an NSU, den Prozessen und der Ideologie.
Und die deutliche Kritik aller Medien am NSU – Verfahren zeigt auch eine deutliche Distanzierung.
@Mika
Sie lügen bewiesenermaßen:
http://www.youtube.com/watch?v=GdiLJ-emDbY
http://www.youtube.com/watch?v=xbgz_oCWfWU
Außerdem gibts doch gerade ein Prozess. Geht’s noch?
Hallo Herr Esmer,
danke, dass Sie bei den selbsternannten der Freitag-Linken mit diesem Artikel mal frische Luft reingelassen haben. Ich denke, das wird eine Weile nachwirken und führt deutlich die Mühsamkeit vor Augen, die alte eingebräste Selbstgerechtigkeit der Lippenbekenntnisse wieder zu erlangen.
Heute ist „man“ nicht mehr gegen Ausländer, „man“ ist aufgeklärt und daher „nur“ gegen Religionen. Ein Denkstück der besonderen Art.
Zur Lektüre empfohlen!
Grüße
GismoMandel
Hallo GismoMandel,
Zunächst vielen Dankl! Zu Der Freitag:
Obwohl mein Beitrag über doppelt soviele Kommentare aufweist und er der meistgelesene Beitrag ist, wurde er aufgrund von Protesten der beteiligten Linken aus der Meistkommentierten-Liste, wo er schon seit Tagen Platz 1 belegte, entfernt!
Schönes Beispiel für #GermanDoppelmoral!
Unliebsame Meinungen zensieren und in diesem Land stehen Linke für Freiheiten?
Lächerlich! Ich habe bereits -bis dato unbeantwortet- protestiert!
Ich nehme an, die FreitagsLinken wollte sich nicht noch mehr als Rechte entlarven lassen …
Hallo Herr Esmer,
378 Kommentare sind in der Tat beachtlich – Sie haben evident aufgeschreckt.
Dass Sie aus TOP 1 verschwunden sind, wundert mich nicht – mich wundert eher, dass der FREITAG den Blog überhaupt zulässt!
Es ist eine eigentümliche Entwicklung in der deutschen Presselandschaft, die nicht erst mit der Ukraine und der Putin-Berichterstattung begonnen hat.
Wenn Sie vor Gericht stehen, haben Sie (gesetzlich) das Recht, zu erfahren, wessen Sie beschuldigt werden, und Sie können sich verteidigen. Das ist bei den Online-Komentaren nicht so: eine sog. community-Moderation im Hintergrund entscheidet, was sie zulässt und wen sie sperrt – ohne Angabe von Gründen, und auch ohne die gesetzliche Verpflichtung dazu. Im Gegenteil ist der Gesezgeber sogar dabei, die sog. Content-Provider noch stärker als bisher in Haftung zu nehmen für alles, was „volksverhetzend“ sein könnte – was das ist, unterliegt dann dem richterlichen Ermessen.
Und so wird langsam aber sicher eine sich selbst bestätigende Tautologie draus: durch die präventive Abschottung tatsächlich kontroverser Meinungen werden diese ausgeschlossen und die in den Communities „Eingeschlossenen“ langsam aber sicher sediert, weil sie annehmen, sich in einem „echten“ Umfeld zu bewegen, das in Wirklichkeit ein inszenierter Schonraum ist. Daher auch die Hysterie, mit der auf Sie reagiert wurde.
Gruß G.M.
Herr Esmer, danke für die Literturtipps zum Islam im Freitag: ich hab sie dort (noch) lesen können. Falls Sie noch Aktuelleres aus Osnabrück erfahren, könnten Sies HIER einstellen?
An Ihrer Stelle würde ich den Blog im Freitag jetzt zumachen. Da tauchen jetzt nur noch Unsinn und Schattengewächse auf, die lediglich auf Provokation aus sind. Also mir wäre dafür die Zeit zu schade. Die haben alle nur Angst vor dem „bösen“ Islam (weil die Zeitungen hier das emsig fördern) dort – hilft nix, auf der Basis weiterzumachen (nur meine Meinung).
Der Freitag ist keine linksorientierte Zeitung. Sie hat mehr Gemeinsamkeiten mit der FDP-Ideologie als mit der Linken. Hier wird die Bedeutung von Begrifflichkeiten ausgehöhlt.
@Merka
Es gibt ein Prozess? Der Prozess ist doch blanker Hohn!
Da wird vertuscht, gelogen, unter dem Teppich gekehrt!
Zeugen begehen angeblich Selbstmord – und das während sie auf dem Weg zur Zeugenaussage sind!
Prozess? Dass ich nicht lache!!! Und Sie sind wohl auch der Meinung, dass es nur die drei waren? Die beiden anderen haben ja noch komischerweise auch wieder Selbstmord begangen! Das nennen Sie Prozess? Geht´s noch?
@Sozialist
Keine Ahnung, was eine FDP-Ideologie ist bzw. was Sie damit meinen. Boltanski/Chiapello unterteilen Kapitalismuskritik in Sozial- und Künstlerkritik. Sozial ist – grob – mehr Fürsorge, mehr Rechte, mehr Gleichheit, Künstler ist mehr Individualität, mehr Freiheit, mehr Chancen.
D a n a c h hat der Freitag mit der sog. Künstlerkritik absolut nichts zu tun: die Leute dort nörgeln am Staat rum, damit er Ihnen bessere Bedingungen „macht“. Künstlerkritik w ä r e, weniger Regelungen und mehr Eigenverantwortung zu fordern. Das aber werden Sie im Freitag nicht finden, da wett ich mt Ihnen um eine Karl-Marx-Gesamtausgabe….