Ein Jahr Lampedusa
„Wir haben nicht aus den schrecklichen Ereignissen gelernt.“
Vor rund einem Jahr ereignete sich vor der Insel Lampedusa eine Flüchtlingstragödie bei der 366 Menschen starben. Das politische Echo mit der Forderung für eine humanere Flüchtlingspolitik ließ nicht lange auf sich warten. Doch angesichts aktueller Zahlen muss man feststellen, dass sich nichts verändert hat.
Dienstag, 07.10.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.10.2014, 21:32 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Auf der italienischen Insel Lampedusa haben Flüchtlinge, Menschenrechtler und Politiker am Freitag der Bootstragödie vor einem Jahr gedacht. „Jedes verlorene Leben ist ein Schandfleck für unsere Zivilisation“, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Gemeinsam mit der Präsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer, Laura Boldrini, ließ Schulz einen Blumenkranz ins Meer gleiten. Er forderte eine Möglichkeit für Flüchtlinge, bereits außerhalb der EU-Grenzen einen Asylantrag zu stellen, damit sie die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer nicht erst antreten müssten.
Bei der Katastrophe am 3. Oktober 2013 war ein überfülltes Boot nur 800 Meter vor der Küste in Brand geraten und gesunken. 366 Menschen, die meisten von ihnen Eritreer und Somalier, starben dabei. An den Gedenkveranstaltungen am Freitag nahmen auch überlebende des Unglücks und Angehörige der Opfer teil.
Europa könne nicht jeden aufnehmen, der eine Konfliktregion verlassen wolle, sagte Schulz. Es habe aber seine Möglichkeiten, Menschen Sicherheit und Zukunftsperspektiven zu bieten, noch nicht ausgeschöpft. Auch die designierte EU-Außenbeauftragte, die Italienierin Federica Mogherini, verlangte mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten nach Europa.
Am Rande der Veranstaltung kam es auch zu Tumulten. Demonstranten warfen Schulz und anderen EU-Politikern vor, ihre Versprechen über einen besseren Flüchtlingsschutz nicht in die Tat umzusetzen. Einwohner Lampedusas klagten, angesichts der Migrantenzahlen nicht genug Unterstützung zu bekommen. Flüchtlingsrechtler kritisierten im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst, dass Europa bei den Problemen an den Grenzen immer noch häufig wegsehe – in den Tagen rund um den Lampedusa-Gedenktag jedoch zahlreiche Flüge auf die Mittelmeerinsel ausgebucht seien.
Bereits 3.000 Tote im Jahr 2014
In der französischen Stadt Straßburg legte die Parlamentarierversammlung des Europarats im Gedenken an die Opfer von Lampedusa eine Schweigeminute ein. Die Präsidentin Anne Brasseur verwies darauf, dass 2014 trotz der Rettungsbemühungen Italiens schon 3.000 Menschen im Mittelmeer gestorben seien. Auch das Europaratsparlament verlangt sichere Einreisewege, etwa mittels humanitärer Visa oder konkreter Umsiedlungsprogramme. Es schlägt auch vor, im internationalen Recht einen neuen Straftatbestand einzuführen, um Schleusern das Handwerk zu legen, die Menschen in voller Absicht in unsicheren Booten auf das offene Meer fahren.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Genf versuchten in den Monaten Juli, August und September 90.000 Menschen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. 2.200 von ihnen starben. Im Vorjahr wurden 75.000 Flüchtlinge und 800 Tote gezählt. „Wir haben nicht aus den schrecklichen Ereignissen vom letzten Oktober gelernt“, sagte der UN-Flüchtlingskommissar António Guterres am Donnerstag. Die EU-Staaten müssten zusammenarbeiten, um die Seenotrettung fortzusetzen und zu verstärken, fordert das UNHCR.
Fehlende Solidarität
Auch die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström ist der Ansicht, dass sich nach wie vor viele EU-Länder ihrer Verantwortung bei der Aufnahme von Flüchtlingen entziehen. „Die fehlende Solidarität zwischen den EU-Ländern ist möglicherweise unsere größte Herausforderung“, sagte die Schwedin am Donnerstag in Brüssel: „Einige Länder bieten jedes Jahr nur einer Handvoll Menschen Schutz. Und das, während die Welt um uns herum in Flammen steht.“
Länder mit wenigen Asylbewerbern könnten beispielsweise über das Resettlement-System der Vereinten Nationen Schutzbedürftige einfliegen, unterstrich die EU-Kommissarin. Auch der deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) pocht derzeit energisch auf eine andere Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union. Beratungen über die kurz- und langfristige Flüchtlingspolitik soll es auf dem EU-Innenministertreffen am 9. Oktober in Luxemburg geben. (epd/mig) Leitartikel Politik
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