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Interview mit Raed Saleh

„Ich möchte eine Stadt, in der Toleranz zur DNA gehört“

Raed Saleh will neuer Bürgermeister von Berlin werden. In aktuellen Umfragen liegt er aber hinten. Trotzdem stehen seine Chancen nicht schlecht; seine Biografie zeigt, dass Aufstieg allen gelingen kann. Im Gespräch mit dem MiGAZIN erklärt er das Konzept „Aufstieg durch Bildung", die Flüchtlingspolitik und seine Zukunftsvision für Berlin.

Von Philipp Wehner Donnerstag, 09.10.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 14.10.2014, 16:51 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Bis zum 17. Oktober haben Mitglieder der Berliner SPD Zeit, sich für einen neuen Regierenden Bürgermeister zu entscheiden. Neben Raed Saleh kandidieren auch Stadtentwicklungssenator Michael Müller und der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß um das Amt.

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MiGAZIN: Herr Saleh, Sie sind einer von drei Kandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters in Berlin. Zu Ihren Prioritäten gehört, dass allen Menschen der soziale Aufstieg garantiert werden sollte. Wie wollen Sie das konkret umsetzen?

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Raed Saleh: Das Aufstiegsversprechen ist ein zentrales Element unserer Gesellschaft. Es ist der Klebstoff, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Das müssen wir verstanden haben, wenn wir nach den Hebeln suchen, mit denen wir die Aufstiegswege freiräumen wollen. Und diese Hebel sind in vielen Politikbereichen zu finden. Es beginnt in der KiTa, in der wir allen Kindern die gleichen Startvoraussetzungen mitgeben müssen. Hier will ich mehr Verbindlichkeit beim KiTa-Besuch und einen kostenfreien Zugang. Es geht weiter mit einer Schullandschaft, wo die Stärken jedes einzelnen Kindes gefördert werden und niemand aufgrund einzelner Defizite aussortiert wird. Hier waren wir als Berliner in Deutschland mit Vorreiter bei der Abschaffung der Hauptschulen. Dazu gehören unser international beachtetes Ausbildungssystem und unsere Hochschulen. Und später ein diskriminierungsfreier Arbeitsmarkt oder aber auch ein barrierefreier Zugang, wenn jemand in die Selbstständigkeit gehen will.

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„Der Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungsmisserfolg in unserem Land ist beschämend hoch. Deshalb kommt es darauf an, dass wir unser Bildungssystem so umbauen, dass niemandem Steine in den Weg gelegt und vorhandene Steine weggeräumt werden. Wir dürfen kein Kind zurücklassen.“

Gerade im Bereich der sogenannten ethnischen Ökonomie liegen wichtige Ressourcen für unsere Gesellschaft. Als Sozialdemokratie haben wir das Aufstiegsversprechen in der Vergangenheit beispielsweise mit dem Bafög, den Ganztagsschulen oder dem 2. Bildungsweg erfüllt. Es bedarf einer Neuauflage und Weiterentwicklung alter Instrumente und der kreativen Suche nach neuen Wegen.

Halten Sie den Slogan „Aufstieg durch Bildung“ immer noch für aktuell?

Saleh: Brandaktuell. Der Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungsmisserfolg in unserem Land ist beschämend hoch. Deshalb kommt es darauf an, dass wir unser Bildungssystem so umbauen, dass niemandem Steine in den Weg gelegt und vorhandene Steine weggeräumt werden. Wir dürfen kein Kind zurücklassen.

Vielen Menschen wird der soziale Aufstieg durch Benachteiligung immer noch verwehrt. Wie wollen Sie dieses Problem angehen?

Saleh: Sozialer Aufstieg braucht Motivation, Respekt aber man muss den jungen Leuten auch Chancen geben, auch zweite und dritte Chancen. Natürlich geht es auch um Anerkennung der Herkunft und der Vielfalt der Stadt. Als Berliner sind wir auch bei der Bekämpfung der Benachteiligung auf einem guten Weg. Mit dem ersten Partizipations- und Integrationsgesetz sind wir viele Hürden angegangen und haben z.B. festgelegt, dass wir die gesellschaftliche Vielfalt auch in den staatlichen Institutionen abbilden wollen. Wir haben eines der ersten Landesantidiskriminierungsstellen bundesweit und diese macht eine tolle Arbeit. Diesen Pfad, den Berlin als Pionier geht, will ich konsequent und beherzt fortsetzen.

Die Berliner Flüchtlingspolitik ist in den letzten Monaten stark in die Kritik geraten. Flüchtlinge sind in den Hungerstreik getreten, haben auf Dächern protestiert, Abmachungen wurden offenbar nicht eingehalten und die Politik wirkte gelähmt. Was muss sich in Ihren Augen ändern, um eine humanere Flüchtlingspolitik zu gewährleisten?

Saleh: Ich will eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Forderungen der Flüchtlinge. Und was mir besonders am Herzen liegt, dass wir die Diskussionen auf Augenhöhe führen. Sie haben berechtigte Forderungen, die wir auf Landesebene leider nicht erfüllen können. In meiner Rede im April habe ich – soweit mir bekannt ist – als erster Fraktionsvorsitzender auf Landesebene wichtige Forderungen der Flüchtlinge unterstützt: Die Residenzpflicht muss abgeschafft werden, es muss ein Bleiberecht nach Kettenduldungen geben, damit Flüchtlinge sich integrieren können und einige weitere Punkte. Aber im selben Atemzug muss ich zugeben, ich kann gerade an diesen Punkten als Landespolitiker wenig versprechen. Außer, dass ich mich für die Themen weiter auf Bundesebene stark machen werde. Ich möchte auf einen Punkt an dieser Stelle aufmerksam machen. Es bewegt sich ja so viel in diesem Themenbereich, was wir seit zwei Jahrzehnten kaum bewegen konnten. Bei den Kettenduldungen wird es eine Neuregelung geben und die Residenzpflicht wird abgebaut. Wir sind hier noch nicht am Ziel, aber stolz können wir auf diese Fortschritte – die auch von der SPD miterkämpft wurden – schon sein.

In Berlin und auf lokaler Ebene müssen wir aber die direkten Lebensumstände der Menschen verbessern. Den Zugang zum Bildungssystem, die Unterbringung und weitere Aspekte des täglichen Lebens. Hier haben wir schon unter der rot-roten Koalition mit dem Innensenator Erhart Körting auf die frühe Unterbringung in Wohnungen gesetzt, was wir momentan aufgrund der steigenden Zahlen nicht mehr befriedigend gewährleisten können. Im aktuellen Schuljahr haben wir bis jetzt für alle Kinder auch einen Schulplatz besorgen können. Diesen Weg will ich weitergehen. Das gehört zu einer weltoffenen Metropole wie Berlin dazu.

Wo sehen Sie Ihre Vorteile gegenüber Jan Stöß und Michael Müller im Rennen um das Amt des Regierenden Bürgermeisters?

„Ich möchte, dass meine Kinder in einer Stadt leben, in der das Anderssein die ‚Normalität‘ ist. Eine Stadt, in der ein englischer, französischer oder aber auch ein arabischer Akzent einfach dazu gehört, wie die Berliner Schnauze. Eine Stadt, in der Toleranz zur DNA gehört.“

Saleh: In der Politik kommt es darauf an, dass Inhalte authentisch vermittelt werden. Wenn die Person zum Inhalt nicht passt, wird es nicht geglaubt. Die Zustimmung zu unseren sozialdemokratischen Vorhaben sind seit Jahren auf einem hohen Niveau, aber in den Umfragen zur Sonntagsfrage schlägt sich das nicht nieder. Mit meiner Biografie verkörpere ich das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen. Unsere Kernkompetenz. Ich bin mir sicher, dass das ein gewichtiger Vorteil bei den nächsten Abgeordnetenhauswahlen sein wird. Und das ist mein Ziel, dass wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten über das Jahr 2016 für ein erfolgreiches Berlin weiterarbeiten.

Was ist Ihre Zukunftsvision für Berlin?

Saleh: Mein Berlin von morgen ist das Vorbild für viele Regionen, wenn es darum geht, wie ein Miteinander zwischen Menschen unterschiedlicher Herkünfte gestaltet werden kann. Mit gemeinsamen Regeln, die jeder und jedem Freiheiten bietet und sie dort begrenzt, wo die Freiheiten anderer begrenzt werden. Ich möchte, dass meine Kinder in einer Stadt leben, in der das Anderssein die „Normalität“ ist. Eine Stadt, in der ein englischer, französischer oder aber auch ein arabischer Akzent einfach dazu gehört, wie die Berliner Schnauze. Eine Stadt, in der Toleranz zur DNA gehört. Eine Stadt, in der Neu-Ankömmlinge sich auf ihr Sofa setzen, durchatmen und sagen: Hier kann ich so sein, wie ich will, hier bin ich zuhause. Mein Berlin ist im Prinzip eine WG, in der wir nach gemeinsamen Regeln und einem gemeinsamen Verständnis von Zusammenleben – nicht nebeneinander, sondern miteinander – das Leben bestreiten. Manchmal Party, oft harte gemeinsame Arbeit und hoffentlich öfter ein einfaches Zusammensitzen im Chill-Modus. Interview Leitartikel Politik

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  1. Realist sagt:

    Toleranz kommt von lateinisch tolerare „ertragen“, „erdulden“. So viel zu den sprachlichen Feinheiten. Berlin lebt vom Rest der Republik und ist somit als Kommune auf fiskalische „Toleranz“ angewiesen. Wehe dem Tag, an dem der ökonomische Offenbarungseid geleistet werden muss!

  2. Tobias Anand Schneider sagt:

    Ja stimmt. Toleranz bedeutet, das man sich eher selbst zurücknehmen muss anstatt, alles zuzulassen, deswegen stehe ich dem oben bvorgstelleten Konzept eher verneinen gegenüber.

  3. Loewe sagt:

    Eine STADT kann keine DNA haben und auch keine Toleranz. Da fängt es ja schon mal an.
    Ich halte Herrn Saleh für absolut ungeeignet als Regierender Bürgermeister von Berlin. Gerade er hatte hier alle Chancen und hat nicht mal eine Berufsausbildung ANGEFANGEN. Was ist denn eine Tätigkeit in einem Schnellimbiss und dann „Leitender Angestellter“ im Café Charlotte in Spandau?
    Reicht das, um eine Stadt wie Berlin regieren zu können mit ihren riesigen Problemen, dem fehlenden Geld? Heute hängt Berlin nur noch am Tropf durch den Länderfinanzausgleich, aber die Probleme in anderen Ländern werden auch größer. Berlin ist im Grunde heute schon längst Pleite mit einem jährlichen Defizit von 3 Mrd. Euro – ohne Länderfinanzausgleich.

    Saleh war auch für den Ausschluss von Thilo Sarazzin aus der SPD. Ohne die Leistung Sarazzins als Finanzsenator würde in Berlin nicht mal mehr die Müllabfuhr funktionieren. Man kann von Sarazzin denken, was man will, aber seine Leistung für Berlin und auch sonst ihm abzusprechen, ist unredlich. Ein Herr Saleh hat noch einen weiten Weg.

    Außerdem halte ich ihn für zu jung – neben seiner fehlenden Qualifikation. Es gehört auch Lebenserfahrung dazu – es reicht nicht, in einem Cafe gearbeitet zu haben und ansonsten als Parteisoldat.

    Dass nun ausgerechnet die PARTEI den Regierenden wählt und nicht die Bürger, ist ja nochmal ein anderes Thema. Mit Demokratie hat das nichts zu tun. Aber es sind ja schon lange nicht mehr die Fähigen in der Politik. Ich hoffe, Herr Saleh wird nicht gewählt und tritt vielleicht in 15 Jahren noch mal an.

  4. Han Yen sagt:

    Sonntagsreden sind immer unsäglich – und ein schlechter Ausweis der politischen Befähigung.

    „Aufstieg durch Bildung“ ist ein liberales Märchen – genau so wie der unsägliche semantische Import Equal Opportunity, Multikulturalismus und Diversity Management.

    Arbeitsmärkte werden institutionell und sozial reguliert und stehen mit anderen Märkten in enger Beziehung z.B. dem Wohnungsmarkt und dem Ausbildungsmarkt.

    Die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt führt zu Schließungsmechanismen beim Zugang zu guten Kindergärten und Grundschulen. Die Konsequenzen sieht man dann später in der Statistik. Das Problem der Verschränkung von Diskriminierung auf dem Bildungsinstitutionen, Wohnungsmarkt und Arbeitsmarkt läßt sich flächendeckend auflösen, wenn man den städtischen Wohnungsbestand wieder aufstocken würde. Das geht im Grunde nur im Bündnis mit Rentnern, Frauen und Familien, die ein Interesse an einer solchen Wohnungspolitik haben. Sozialere Wohnungspolitik führt automatisch zu größeren Handlungsmöglichkeiten in der Bildungspolitik, weil man dann die ethnische Mischung der Einzugsgebiete der Bildungsinstitutionen durch Wohnraumzuweisung beeinflussen kann.

    Erfolgreiche Bildungspolitik findet aber auch nur dann statt, wenn die Institution Familie tatkräftig mit arbeitet. Migrantische Familien waren da schon immer benachteiligt durch die privaten Nachhilfeinstitute und die Geringfügigkeitsregelung für Nachhilfelehrer. Seltsamerweise gewährt der Staat einen steuerlich abziehbaren Freibetrag für Nachhilfe für Familien, die zwischen den Bundesländern umziehen. Die Begründung lautet, dass sich die Lehrpläne zu sehr voneinander unterscheiden und Chancengleichheit gewahrt werden muss. Bei migrantischen Schülern – bei denen die Eltern oder Großeltern Staatsgrenzen überwunden haben und die ausländische Schul-Sozialisierung noch in den Knochen steckt – wird dieser Freibetrag nicht gewährt ?! Ein eindeutiger Fall von institutionellen Rassismus.

    Bei der Arbeitsmarktpolitik hätte man sich schon immer einen zweiseitigen Matching Markt mit transnationalen Konzernen einrichten müssen, wo die Bewerber neben Qualifikation auch in Konkurrenz mit Einsatzbereitschaft in den Auswanderungsländern, Firmenloyalität und Umzugsbereitschaft treten können. Die US Army macht es bereits so, um ihre weltweite militärische Hegemonie mit Personal abzusichern. Transnationale Konzerne auf mehr als hundert verschiedenen Märkten in aller Welt, sollten es nicht anders machen. Das Gequasel über Diversity Management ist nur Zeitverschwendung.