Interview mit Yaşar Aydın
„Türkei sollte Autonomie der türkischen Diaspora in Deutschland respektieren“
Von Yaşar Aydın ist kürzlich die SWP-Studie "Die neue türkische Diasporapolitik" erschienen. Im Interview erläutert er, was sich hinter dem Begriff verbirgt, welche Ziele die Türkei mit ihrer Politik verfolgt und welche Probleme es bei der Umsetzung gibt.
Von Candida Splett Montag, 03.11.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.01.2024, 10:28 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Sie schreiben in Ihrer jüngsten Studie über die Diasporapolitik der Türkei. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?
Yaşar Aydın: Mit ihrer Diasporapolitik verfolgt die Türkei die Strategie, mit der türkischen Diaspora in Europa dauerhafte, institutionalisierte Beziehungen aufzubauen oder aufrechtzuerhalten. Dabei wird unter der Diaspora in Deutschland eine Community verstanden, die sich dauerhaft hier niedergelassen hat. Dies steht im Gegensatz zur einstigen Wahrnehmung Türkischstämmiger als Gastarbeiter, die nur vorübergehend hier sind.
Welche Ziele verfolgt die türkische Regierung mit ihrer Diasporapolitik?
Aydın: Die Türkei möchte die Diaspora für ihre politischen Ziele, etwa den Beitritt der Türkei zur EU, mobilisieren. Sie soll so etwas wie ein Sprachrohr für die Interessen der türkischen Regierung sein. Um das zu erreichen, drängt die Türkei darauf, dass sich die türkische Community gut in Deutschland integriert, weil sie sich nur dann in Institutionen wie Parteien und Verbänden engagieren und damit als Lobbyistin für die Türkei fungieren kann. Eine schlecht integrierte Community hingegen könnte sich nach dieser Auffassung negativ auswirken, zum einen, weil sie sich nicht politisch engagiert, zum anderen, weil sie ein schlechtes Türkeibild bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft erzeugt.
Wie sind in diesem Zusammenhang etwa Mahnungen des ehemaligen türkischen Premiers und jetzigen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan an Türkeistämmige in Deutschland zu verstehen, sich nicht zu assimilieren?
Aydın: Mit Assimilation meint Erdoğan eine vollständige Übernahme der deutschen bzw. im Umkehrschluss eine Aufgabe der türkischen Identität. Dahinter steht der Gedanke, dass nur diejenigen, die sich kulturell mit der Türkei verbunden fühlen, auch in ihrem Interesse handeln können. Es geht also zum einen darum, gut integriert zu sein, zum anderen aber auch um den Erhalt der türkischen Kultur.
Welchen Stellenwert hat die Religion dabei?
Aydın: Für Erdoğan und für die türkischen Konservativen insgesamt ist die Religion sehr wichtig und eine der wichtigsten Komponenten der türkischen Identität. Auch für eine Mehrheit der türkischen Bevölkerung ist ein Türke, der nicht Muslim ist, kaum vorstellbar. Entsprechend spielt die Religion eine große Rolle in der konservativen Rhetorik, die auch gegenüber der Diaspora verwendet wird.
Wie viele Türkeistämmige in Deutschland fühlen sich denn von dieser Rhetorik angesprochen?
Aydın: Eine Mehrheit der Türkeistämmigen von etwa 60 Prozent teilt die konservative Sozialmoral Erdoğans und fühlt sich durchaus angesprochen. Aber die verbleibenden rund vierzig Prozent, die säkular Orientierten, religiös gemäßigten Alewiten oder Kurden, können damit nichts anfangen.
Wie konkret sieht denn der Kontakt der Türkei mit der Diaspora aus?
Aydın: In der Türkei gibt es das Amt für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften, das regelmäßig Diasporaverbände einlädt. Am Anfang war das noch inklusiver, da wurden auch kurdische oder alewitische Verbände eingeladen. Mit der Zeit ist die Politik exklusiver geworden, kritische Verbände fühlen sich nicht mehr erwünscht. Hinzu kommt, dass viele Verbände nach der Protestwelle in der Türkei im letzten Jahr von sich aus das Interesse an den Diasporaaktivitäten verloren haben.
Die Verbände ziehen sich also zurück?
Aydın: Viele Verbände tun das. Das trifft auf säkulare Organisationen wie die Türkische Gemeinde zu, die kritisiert, dass die Türkei nicht transparent macht, welche Ziele sie konkret mit ihrer Diasporapolitik verfolgt. Sie hält auch den Begriff der Diaspora für unglücklich, weil er nach Fernsteuerung durch die Türkei klingt. Aber auch im konservativen Lager ist eine Distanzierung von den Diasporaaktivitäten zu beobachten, etwa bei der Millî Görüş, die um ihre Autonomie fürchtet. Die alewitischen Verbände wiederum bleiben den Diasporatreffen fern, weil dort keine Kritik erwünscht und damit auch kein Dialog möglich ist. Tatsächlich bewegt sich die Kommunikation der Türkei mit der Diaspora auf einer Einbahnstraße. Die Interessen der türkischen Verbände in Deutschland werden kaum berücksichtigt.
Download: Yaşar Aydın, „Die neue türkische Diasporapolitik. Ihre Ziele, ihre Grenzen und ihre Herausforderungen für die türkeistämmigen Verbände und die Entscheidungsträger in Deutschland“. SWP-Studien 2014/S 14, September 2014, 29 Seiten. Download
Welche Chancen bietet die Diasporapolitik aus deutscher Sicht?
Aydın: Grundsätzlich ist es nachvollziehbar, dass die Türkei mit fünf Millionen Türkeistämmigen, die außerhalb ihres Landes leben, eine Diasporapolitik betreibt. Und prinzipiell könnte eine solche Diasporapolitik auch dazu beitragen, dass die türkische Community eine Brückenfunktion zwischen deutscher und türkischer Gesellschaft einnehmen kann. Eine große Chance sehe ich darin, dass Vertreter der türkischen Regierung, wann immer sie Reden in Deutschland halten, an die türkeistämmige Bevölkerung appellieren, sich zu integrieren, Bildungschancen zu nutzen, für ihren sozialen Aufstieg zu sorgen und sich politisch zu engagieren. Dies zu tun, erfordert eine Öffnung für Werte wie Demokratie, Pluralität und Rechtsstaatlichkeit und trägt zur Integration bei.
Offenbar wird aber die Türkei in dieser Sache nur noch von wenigen Türkischstämmigen gehört.
Aydın: In der Tat. Das Problem ist die schlechte Umsetzung der Diasporapolitik, die mit ihrer konservativen und zum Teil sehr überzogenen Rhetorik und der nicht vorhandenen Dialogbereitschaft zur Ablehnung in der türkischen Community führt. Und auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft erzeugt sie zunehmend eine ablehnende Haltung gegenüber der Türkei. Die Zustimmungsraten zu einem türkischen EU-Beitritt oder einer doppelten Staatsbürgerschaft sinken.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf für die deutsche Außenpolitik?
Aydın: Deutschland sollte in Gesprächen mit der türkischen Regierung deutlich machen, dass es nun darauf ankommt, die Vielfalt und Autonomie der türkischen Diaspora und Verbände in Deutschland zu respektieren und den Dialog zuzulassen. Gleichzeitig sollte aber auch deutlich gemacht werden, dass Deutschland es anerkennt, dass ein Großteil der Türkischstämmigen in Deutschland seine Beziehungen zur Türkei aufrechterhalte möchte. Eine binationale Identität sollte ausdrücklich wertgeschätzt werden. Aktuell Interview
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Rheinland-Pfalz-Studie Jeder zweite Polizist lehnt muslimfeindliche…
- Drama im Mittelmeer Seenotretter bergen hunderte Geflüchtete
- Neue Integrationskursverordnung Bundesregierung will Integrationskurse verschlanken
- Der Fall Prof. Dr. Kenan Engin Diskriminierung an deutschen Hochschulen kein Einzelfall
- Prof. Heckmann im Gespräch Migrationspolitik, die von Sicherheitsthemen…
- Auftrag des Grundgesetzes Menschenwürde in der Einwanderungsgesellschaft
Eines ist so sicher wie das Amin in der Moschee:
Je weiter Erdogan seinen autoritären Kurs in der Türkei ausbaut (nebst Führerkult und allem was dazu gehört) desto schwerer werden es die Türken hier haben die sich von ihm instrumentalisieren lassen.
…die Türken hier haben die sich von ihm instrumentalisieren lassen….
Zu welchem Zweck instrumentalisiert Erdogan denn die Türken? Ganz konkret, ohne Parteibuch, los..
Pingback: Diaspora-Politik
Der türkische Staat soll erstmal dafür sorgen, dass die Prozesse in den türkischen Konsulaten besser werden. Immer derselbe Scheisse jedesmal aufs Neue wenn man diese Gebäude mal betreten muss. Ein Pass kostet 198 Euro!!!!! Wo in der Welt kostet ein Pass 198 Euro???? Für jedes Foto für jede Kopie muss extra gezahlt werden. Die selbstgebrachten Fotos werden nicht angenommen, weil der Sachbearbeiter zu dumm ist, sie einzuscannen. Chauffeure werden innerhalb kürzester Zeit umgeschult zu Sachbearbeitern, die noch einen niedermachen. Ältere Türken, die nicht lesen und schreiben können, müssen sich wegen den Reglungen immer zwei Zeugen besorgen um eine Vollmacht ausstellen lassen zu können. Wo sollen sie zwei Zeugen auf einmal her bekommen, wo sie doch Stunden gewartet haben bis sie dran kommen. Jetzt werden einige sagen so sind die Gesetze, aber keiner im Konsulat stellt sich die Frage wie man die Prozesse für diese nicht seltenen Fälle optimieren kann. Prozessoptimierung ist ein Fremdwort. Seit über 30 Jahren läuft die Scheisse so. Keiner ist an einer Verbesserung der Situation interessiert. Termine kann man im Internet vereinbaren, so heißt es. E-Termin wird es genannt. Nur zu dumm, dass dieser Mist nicht funktioniert. Will man einen vereinbaren, heißt es auf einmal, das würde in dem Fall nicht angeboten werden. Im Konsulat weiß die linke Hand nicht was die Rechte tut. Veraltete EDV, dumme unmotivierte überhebliche Sachbearbeiter, denen man einzeln eins in die Fresse schlagen möchte.
Stellt sich der türkische Staat so etwa die neue Beziehungen zu den Türken in Deutschland und Europa vor?
Zu welchen Zweck instrumentalisiert Erdogan die Türken in Deutschland? Vielleicht um politische Macht zu sichern? Das was Politiker nun gemeinhin gern machen :)
@Wütender Türke Du sprichst mir aus der Seele.
…Das was Politiker nun gemeinhin gern machen…
Wenn Politiker das gemeinhin gern machen, was ist denn dann die Antwort darauf? Jetzt sagen Sie nicht, sich von anderen Politikern instrumentalisieren lassen.. :)
1. Wer ist überhaupt Yasar Aydin? Ich kenne diese Person überhaupt nicht. Candida Splett genauso wenig.
2. Desinformierend ist die Aussage: „…die Türkei möchte in die EU“.
In welche EU möchte denn die Türkei Herr Aydin???
Die „neue Türkei“ möchte in die „neue EU“. Sie stellt Bedingungen, da sie im Vergleich zu der „alten Türkei“ keine Bittstellerposition mehr gegenüber einer verschuldeten EU hat.
3. „..60% Pro-Erdogan-Konservative und 40% säkulare Kurden und Aleviten“???
Es gibt 30-50 verschiedene Türken (Ethnien). Es wäre falsch zu sagen „die restlichen 40% sind religiös gemäßigte säkulare Menschen“ genauso falsch wie „alle Erdogan Anhänger sind konservativ…“.
Das ist zu pauschalisierend.
4. @wütender Türke
Seit wann ist ein Chaffeur ein Konsulatsangestellter. Können Sie jemanden benennen oder versuchen Sie hier als „getarnter Türke“ Anti-Türken-Propaganda zu betreiben.
Das sieht aus wie ein Kommentar bei Focus, Welt….und Co.
5. „TÜRKEI sollte die TÜRKISCHE DIASPORA RESPEKTIEREN…“
Erst sollte Deutschland mal dafür sorgen, diese Leute wirklich zu integrieren, dann wären aus Deutscher Sicht schon mal viele Probleme gelöst.
Denn so lange sich diese Menschen in der Gesellschaft oder in den Medien nicht vertreten fühlen, werden sie sich nicht integrieren.
Das macht man nicht mit Anti-Türken-Propaganda.
@suriver Ich kann es nicht nur benennen ich habe es schwarz auf weiß der Name ist auf dem Beleg gekennzeichnet und unten drunter steht Soför! Wenn Sie mir eine Telefonnummer mitteilen rufe ich Sie gerne an und scanne den Beleg ihnen sogar ein! Das was ich geschrieben habe ist kein Hirngespinst, birebir yasadigim olaylar!!!
Aydın: „Deutschland sollte in Gesprächen mit der türkischen Regierung deutlich machen, dass es nun darauf ankommt, die Vielfalt und Autonomie der türkischen Diaspora und Verbände in Deutschland zu respektieren und den Dialog zuzulassen.“
Das wäre aber ziemlich bigott. DE istrumentalisiert nämlich auch gern dt. Minderheit in anderen Ländern für sich. Speziell die Adenauer- als auch die Naumann-Stiftung sind hier ein „Ruhmesblatt“ der dt. Außenpolitik.