Polizei und Rassismus

Über einen unschönen, aber unvermeidlichen Zusammenhang

Menschen wehren sich zunehmend und so beschäftigen sich Gerichte immer häufiger mit rassistischen Polizeikontrollen, dem sogenannten Racial Profiling. Prof. Dr. Schiffer-Nasserie kennt die Gründe: Schon der gesetzliche Auftrag der Polizei führt unweigerlich zu einem ethnisch rassistischen Selektionsprozess.

Von Montag, 10.11.2014, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.01.2016, 10:54 Uhr Lesedauer: 14 Minuten  |  

I. Worum geht es?

Beispiel 1: B. wird von einer Gruppe junger Männer auf der Straße rassistisch beleidigt und bedroht, u. a. mit einem Messer. Er kann fliehen und läuft zur Polizei, um Anzeige zu erstatten – das Kennzeichen des Autos eines Beteiligten hat er sich gemerkt. Der angesprochene Beamte schickt ihn wieder weg und nimmt die Anzeige nicht auf. Nachdem sich B. darüber mit Hilfe der mobilen Opferberatung beim Dienstleiter beschwert, werden sprachliche Missverständnisse als Begründung vorgebracht, dem Opfer also Mitschuld zugesprochen. Bei der anschließenden Begehung des Tatortes trägt der Leiter des örtlichen Staatsschutzes ein T-Shirt der auch bei Hooligans und Rechten beliebten und von einem Zwickauer Neonazi gegründeten Marke »Brachial«.

___STEADY_PAYWALL___

Beispiel 2: In einer Kleinstadt ist der schwarze C. mit seiner weißen Frau auf der Straße unterwegs. Polizisten kommen auf ihn zu und wollen ihn kontrollieren. Sie nennen keinen Grund, nur er wird kontrolliert. Er regt sich darüber auf. Die Polizisten fordern ihn auf, sich hinten in den Polizeibulli zu setzen, bis seine Personalien durchgefunkt sind. Ein Beamter duzt ihn. C. weist darauf hin, dass er nicht geduzt werden will, daraufhin schubst einer der Beamten ihn vom Sitz und drückt ihn auf den Boden. Ein anderer hält sein Bein so fest, dass es sich nicht mit dem Körper mitbewegen kann und fast bricht. In der Folge schlagen zwei Beamte auf ihn ein, während er am Boden des Autos liegt. Ein Kollege fordert sie vom Beifahrersitz aus auf, damit aufzuhören. Antwort: »Warum?« Einer der Beamten sagt: »Wenn er uns anzeigt, sagen wir, wir haben Drogen gefunden.« Zeitgleich reißt seine Frau die Schiebetür auf und hält einen der Tonfas (Polizeischlagstock) fest, mit dem er geschlagen wird. Der Beamte mit dem Tonfa schlägt diesen bzw. die daran befindliche Hand der Frau mehrfach gegen einen Tisch im Auto.

Beispiel 3: Nach Streitigkeiten unter mehreren Beteiligten wird ein von anderen Flüchtlingen beschuldigter Asylsuchender in eine Polizeiwache verbracht. Zum Transport werden ihm Handschellen hinter dem Rücken angelegt. Verbunden mit der Frage »Was machst du in unserem Land?« schlägt ein Polizist dem gefesselten Flüchtling mehrfach ins Gesicht.

Die Fallbeispiele stammen aus einem aktuellen Forschungsbericht der Fachhochschule Polizei aus Sachsen-Anhalt, veröffentlicht im August 2014 – und wurden hier gekürzt wiedergegeben. Die vollständige Beschreibung dieser und weiterer Fälle erschüttert beim Lesen.

Zwar ist der Duktus der polizeiwissenschaftlichen Studie durchgängig beschwichtigend und relativierend. Aber immerhin konstatiert sie, dass die Beamten im Einsatz »Wahrnehmungsdefizite« oder »mangelnde Sensibilität« beim Umgang mit Opfern rechter Gewalt haben, offensichtlich rassistische Motive der Täter »übersehen« und die Geschädigten für ihre Lage mitverantwortlich machen oder sie zum Teil sogar zu Tätern erklären. Die saubere Trennung von Polizei und rassistischer Gewalt will also trotz politischer Bemühungen weder in Deutschland noch in anderen Staaten mit langer demokratisch-republikanischer Tradition wie den USA, Frankreich und Großbritannien so recht gelingen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang;

  • die als Einzelfall skandalisierten polizeilichen Übergriffe gegen Ausländer, Muslime, Roma, Schwarze etc. – nicht selten mit tödlichem Ausgang wie am 9. August im US-amerikanischen Ferguson und am 8. Oktober in St. Louis,
  • die kaum wahrgenommenen, aber endlosen Berichte der betroffenen Communities,
  • der Opferberatungsstellen und Menschenrechtsgruppen gegen rassistische Gewalt der Polizei
  • die Erkenntnisse der Ermittlungsausschüsse zum NSU-Skandal über die Rolle der Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste, gesammelt unter dem häßlichen Stichwort »Dönermorde«,
  • die Erkenntnisse über Polizisten beim Ku-Klux-Klan, in rassistischen Kameradschaften, in Wehrsportgruppen und in rechtsextremen Parteien,
  • der Fall des im Dessauer Polizeigewahrsam verbrannten Oury Jalloh,
  • die Ermordung Marwa Ali El-Sherbinis im Dresdner Landgericht 2009 durch einen Rassisten und die Schüsse eines Polizisten auf ihren Ehemann, der ihr gegen den Messerstecher zu Hilfe kommen wollte,
  • die im September bekanntgewordenen Fälle rassistischen Mobbings gegen migrantische Mitbewerber unter Polizeischülern aus Aachen, Köln und Bonn,
  • Kalender der Deutschen Polizeigewerkschaft mit Zeichnungen, die nicht etwa den Rassismus der Polizei, sondern die rassistische Karikatur ihrer Opfer (vgl. Bild) zum Gegenstand der Belustigung machen,
  • schließlich alle paar Jahre wieder – gewissermaßen als »Höhepunkt« – gewaltige Unruhen, die von einer kollektiven Identifizierung der potentiell Betroffenen mit den Opfern polizeilicher Gewalt zeugen und die sich meist nach tödlichen Übergriffen der Polizei auf marginalisierte Jugendliche in den Armutsquartieren der westlichen Metropolen und nach der juristischen Entlastung der verbeamteten Täter vor Gericht abspielen (Los Angeles 1992, Paris 2005, London 2011).
Eine Karikatur aus dem Kalander 2012 der Polizeigewerkschaft

Eine Karikatur aus dem Kalander 2012 der Polizeigewerkschaft

Zwischenfazit: Faktisch ist der Zusammenhang zwischen Polizei und Rassismus also kaum zu übersehen. Medial und politisch hat das Thema Konjunkturen und wird mal als »Skandal« aufbereitet und dann – bis auf weiteres – vergessen. Das öffentliche Interesse von Politik, Justiz, Polizeiführung und des allergrößten Teils der Presse gilt ohnehin nicht den Opfern. Was bei diesem Thema stört, sagte 2012 exemplarisch Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) frei heraus: »Das schadet dem Ansehen der Polizei, das schadet dem Ansehen des Landes.« Mit der Sorge um die Opfer der polizeilichen Übergriffe sind beim besten Willen nicht zu verwechseln. Leitartikel Meinung Politik

Seiten: 1 2 3 4

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Anna sagt:

    „die Ermordung Marwa Ali El-Sherbinis im Dresdner Landgericht 2009 durch einen Rassisten und die Schüsse eines Polizisten auf ihren Ehemann, der ihr gegen den Messerstecher zu Hilfe kommen wollte,“

    Der Fall war wohl tatsächlich ein Irrtum. Meiner Information nach hat sich der Polizist nachher bei dem Mann entschuldigt und es sehr bedauert. Er hat ihn wohl tatsächlich zunächst für den Angreifer der Frau gehalten.

    Der Fall ist vielleicht geeignet, um über die Schwelle zum Schusswaffeneinsatz nachzudenken, aber ein Fall rassistischer Gewalt durch die Polizei ist er wahrscheinlich nicht.

  2. dossenbacher sagt:

    Die Polizei hat ein Gewaltproblem. Das muss man auch sagen. Leider reagieren scheinbar viele Beamte ihre Wut an Unschuldigen ab. Hier müssen höhere Strafen her!