Immigrierte Chefs
Prügelnde Fußballer und andere patriotische Taten
Die Engländer sind ein stolzes Volk, die Chinesen auch und die Russen sowieso. In Deutschland ist das Thema etwas kompliziert. Und: Was machen eigentlich Emmigranten mit ihren patriotischen Gefühlen?
Von Dr. Tobias Busch Montag, 24.11.2014, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.11.2014, 17:58 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Wenn jährlich am 5. November in England jedes Dorf ein Feuerwerk veranstaltet, handelt es sich nicht um vier Tage vorverlegte Feiern zum Fall der Berliner Mauer. Tatsächlich ist der Mauerfall bei 90% der Briten nicht im kollektiven Bewusstsein. Selbst die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes sind für die meisten Engländer zweitrangige Daten gegenüber Jahrestagen, die das eigene Volk betreffen. Und Guy Fawkes ist eben am 5. November 1605 daran gescheitert, das Parlament mit Sprengstoff in die Luft zu jagen und den König abzusetzen. Man hat ihn dann ordentlich gefoltert und so auch alle Mittäter aufhängen können. Das alles wird seitdem gefeiert!
Für uns Deutsche mit unserer vom nationalen Wahnsinn überschatteten Geschichte sind Patriotismus und Nationalismus ein schwieriges Thema. Mangels eigener Übung in den letzten Jahrzehnten fehlt uns vielleicht auch ein wenig das Verständnis für diese Gefühle in anderen Ländern und bei anderen Völkern. Schon die Unbefangenheit, mit der Briten und Amerikaner bei jeder Gelegenheit ihre Fähnchen schwingen, geht den meisten von uns ab. Von eruptiven Ausbrüchen gar nicht zu reden: Wenn in Belgrad ein Fußballspiel abgebrochen wird, weil sich die Nationalspieler aus Serbien und Albanien wegen einer Flagge und verletztem Nationalstolz prügeln, schütteln wir medial und in Person verständnislos den Kopf.
Auch die nationalen Konflikte in der Ukraine sind vielen von uns fremd; und ratlos nehmen wir zur Kenntnis, dass 45% der Schotten sich von England trennen möchten.
Auch Chinesen und Russen lieben ihre Heimat
Völlig absurd scheint uns der Nationalstolz der Chinesen. Wie kann ein Volk mit so massiven Problemen – von grassierender Korruption über galoppierende Umweltschädigung bis zu einem mitleidslosen totalitären Regime, das sich kommunistisch nennt und radikal kapitalistisch agiert – wie kann ein solches Volk derartig stolz auf sich sein, wie es die Chinesen zweifellos sind? Die nationale Karte ist so ziemlich der einzige Trumpf, den die Regierung im Spiel gegen das Volk noch hat. Geliebt oder geachtet ist sie nicht, geglaubt wird ihr auch nichts. Aber solange sie den Eindruck vermitteln kann, im Interesse des Volkes zu handeln, kann sie sich wahrscheinlich die Macht erhalten.
Auch in Russland ist der Patriotismus groß. Die Menschen lieben ihre Heimat und ihr kulturelles Erbe. Trotz aller akuten Unzulänglichkeiten achten und wählen viele von ihnen Wladimir Putin; weil der ihnen – zurecht oder zu Unrecht – glaubhaft vermittelt, für den russischen Stolz und für die Interessen ihres Landes zu kämpfen. Der Versuch, Putin international zu isolieren, wird trotz der mit den Sanktionen verbundenen Belastungen für lange Zeit wahrscheinlich eher Solidarität und Loyalität in der Bevölkerung mobilisieren als das Gegenteil. Die Propagandamaschine jedenfalls läuft seit Monaten erfolgreich und auf Hochtouren. Vielleicht wäre es erfolgversprechender, der russischen Regierung einen gesichtswahrenden Ausweg aus ihrer Ecke zu bahnen, als weitere Sanktionen zu ersinnen und die Isolation zu verschärfen.
Patriotismus der Emmigranten
Meine Assoziation zu all dem ist aber noch eine ganz andere: Wenn Nationalgefühl und Patriotismus für so viele Menschen eine so große Rolle spielen; als Quelle für Energie und Emotionen, als Antrieb und als Basis für die eigene Identität – wie lebt es sich eigentlich, wenn das alles noch durch Auswanderung kompliziert wird; oder für manche auch einfach wegfällt? Wie fühlen sich ausgewanderte Briten und Amerikaner ohne heimatliche Flaggen und die patriotische Begeisterung ihrer Nachbarn? Was machen Emmigranten mit ihren patriotischen Gefühlen und was tun die mit ihnen? Wie fühlt es sich an für die nächste Generation, für die Kinder der Ausgewanderten? Wo sollen bei ihnen Liebe und Patriotismus hin – in die Heimat der Eltern, zu der es oft nur eine abstrakte Beziehung gibt? Nach Deutschland, in dem sich vieles fremd anfühlt?
Es gibt viele Wege zu mehr Weisheit
Das sind natürlich alles keine neue Fragen. Aber wir vergessen sie bisweilen. Wir vergessen, wieviel Zusätzliches ein Mensch erlernen und verarbeiten muss, wenn er nicht in seinem Heimatland lebt. Wenn er das bewältigt, macht ihn das reifer und kompetenter als seine Altersgenossen. Dieser Effekt verstärkt die ohnehin großen Potenziale von ethnisch und national gemischten Teams. Kein Wunder, dass die Neue Züricher Zeitung eine Studie der Nationalen Universität in Singapur zitieren kann, die kürzlich zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Vielfalt in den Topmanagement Etagen stark mit guten wirtschaftlichen Unternehmensergebnissen korreliert. Man muss sicher in Rechnung stellen, dass Unternehmen, die gezielt auf Diversität setzen, wahrscheinlich auch mit anderen Themen intelligenter umgehen als der Wettbewerb. Trotzdem ist das ein ermutigendes Ergebnis, denn die Unterschiede zugunsten der Unternehmen mit Vielfalt in der Führung waren nicht klein, sondern ganz gewaltig! (NSU) Aktuell Meinung
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