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Bades Meinung

Roma-Integration und Politik in Deutschland: Pragmatismus und Populismus

Schlaglichter zu dem am 1.12.2014 in Berlin vorgestellten Buch von Max Matter: “Nirgendwo erwünscht. Zur Armutswanderung aus Zentral- und Südosteuropa in die Länder der EU unter besonderer Berücksichtigung von Angehörigen der Roma-Minderheiten” – von Prof. Klaus J. Bade.

Von Montag, 01.12.2014, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.12.2014, 22:39 Uhr Lesedauer: 16 Minuten  |  

Rechtsextreme Orientierungen im engeren Sinne gehen in Deutschland zurück. Umso mehr wird gruppenbezogene Menschenfreundlichkeit zu einer Alltagserfahrung in der Mitte der Gesellschaft, wo rechtspopulistische Positionen expandieren.

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Vierschrötiger Rechtsextremismus gilt dort als fies. Aber von ihm transportierte gruppenfeindliche Ausgrenzungen werden zur Normalität in der Orientierung und Zusammenhalt stiftenden Selbstvergewisserung von Angst- und Wutbürgern, die im Sinne „negativer Integration“ ihre Sorgen auf die Schwächsten der Schwachen projizieren. 1 Das sind, von sozial Schwachen und insbesondere Langzeitarbeitslosen abgesehen, vor allem zwei Zuwanderergruppen: Asylsuchende, die weithin als getarnte Wirtschaftswanderer und damit als „Asylbetrüger“ gelten und Arbeit suchende Roma, die meist “Armutswanderer” genannt und als „Sozialbetrüger“ verdächtigt werden.

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Das alles zeigen verschiedene neuere Umfragen, zuletzt die am 20.11.2014 in Berlin vorgestellte Erhebungsstudie „Fragile Mitte – Feindselige Zustände: Rechtsextremismus in Deutschland 2014“. Darin wurden erstmals zwei gut eingeführte Erhebungslinien zusammengeführt: die seit 2006 laufende “Mitte-Studie” der Friedrich-Ebert-Stiftung und die seit 2002 veröffentlichte Reihe “Deutsche Zustände” des Bielefelder Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. 2

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Die Studie “Fragile Mitte” bietet einen vorzüglichen Hintergrund für die zeitgleich und unabhängig davon erarbeitete, am 1.12.2014 in Berlin vorgestellte kritische Dokumentation des Schweizer Kulturanthropologen und Ethnologen Max Matter, der bis zu seiner Emeritierung 2010 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau gelehrt hat. Er beschäftigt sich mit der Geschichte und Gegenwart einer dieser ausgegrenzten Gruppen, den Roma-Minderheiten, die heute als Arbeitskräfte und als Asylsuchende nach Deutschland streben. 3

Max Matter hat sich um die Roma verdient gemacht. Sein Buch bietet auf der einen Seite ein differenziertes Bild der vielfältigen Roma-Minderheiten in Europa. Es beleuchtet auf der anderen Seite vor zeithistorischen und aktuellen politischen Hintergründen antiziganistische Diskurse, Positionen und Projektionen. Hier geht es im Folgenden nur um diese zweite, politisch-populistische Dimension:

Der antiziganistische Grundkonsens

Geredet wird pejorativ von der sogenannten Armutswanderung, die in Wahrheit versuchte Arbeitswanderung ist. Gemeint sind damit meist Roma-Minderheiten aus Rumänien und Bulgarien, die heute EU-Bürger sind.

Sie streben, oft im Zuge von Kettenwanderungen, in die neuralgischen Zonen von de-industrialisierten Städten mit stark angeschlagenen Sozialetats. Das verursacht nicht, verschärft aber mitunter die dort schon vorhandenen sozialen Probleme. Bekannteste Beispiele sind Duisburg und Dortmund, wo rund ein Viertel der Bevölkerung an der statistischen Armutsgrenze lebt, Tendenz dramatisch steigend.

Politisch agitiert, parlamentarisch debattiert und legislativ entschieden wurde über einen angeblich bedrohlichen Missbrauch der Sozialsysteme durch EU-Zuwanderer, der aber in Wahrheit geringfügig ist: De facto gab es nach Ermittlungen im Deutschen Bundestag (Die Linke) für das Jahr 2013 bundesweit insgesamt nur 91 Verdachtsfälle auf Sozialbetrug durch EU-Ausländer.

Gedacht wurde dabei – zu Unrecht – vorzugsweise an Roma aus Rumänien und Bulgarien. Ergebnis der Debatte war ein Exklusionsgesetz gegen den Sozialmissbrauch durch EU-Zuwanderer, das unausgesprochen antiziganistisch ausgerichtet war und vor allem Roma aus Rumänien und Bulgarien meinte.

Agitiert, debattiert und entschieden wurde zugleich über einen angeblich massenhaften, in Wahrheit zwar lästigen, aber eher überschaubaren Missbrauch des deutschen Asylrechts durch Drittstaatsangehörige aus Europa, also durch europäische Zuwanderer aus Ländern jenseits der EU. Das gilt insbesondere für Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien. Gemeint war auch hier vorwiegend die Asyl-Zuwanderung von Roma-Minderheiten aus ihren Elendsquartieren in diesen Ländern, besonders ins trockene und warme sogenannte Winterasyl im reichen Deutschland.

Solche und andere von vornherein aussichtslose und deshalb fast durchweg als “unbegründet” abgelehnte Asylanträge verursachten nur Aufenthaltskosten plus Rückreisepauschale (die als nicht intendiertes Lockmittel später abgeschafft wurde). Und sie verstärkten zugleich den Bearbeitungsstau im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Kosten der Behandlung der Anträge von im engeren Sinne des deutschen Asylrechts politisch Verfolgten oder Bürgerkriegsflüchtlingen, z.B. aus Syrien.

Das öffentliche und politische Ringen um das vermeintlich nötige gesetzliche Hilfsmittel gegen “Asylmissbrauch” und zu Gunsten der “echten” Flüchtlinge aber war wesentlich ein antiziganistisches Schattenboxen, effektiv wohl nur in seiner negativen, populistischen Wirkung:

  1. Zum Konzept der “negativen Integration” s. Klaus J. Bade, Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, “Islamkritik und Terror in der Einwanderungsgesellschaft, Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Ts. 2013, (3. erw. Aufl. als eBook 2014).
  2. Andreas Zick, Anna Klein, fragile Mitte – Feindselige Zustände: rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, hg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Ralf Melzer, Verlag Dietz, Bonn 2014.
  3. Max Matter, nirgendwo erwünscht. Zur Armutsmigration aus Zentralstrich und Südosteuropa in die Länder der EU- 15 unter besonderer Berücksichtigung von Angehörigen der Roma- Minderheiten, Reihe: Rat für Migration, Wochenschau Verlag, Schwalbach i.Ts. 2014.
Aktuell Meinung

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  1. Stefan Böckler sagt:

    Zu dem interessanten und gehaltvollen Artikel von Herrn Bade könnte man sicherlich sehr viel sagen – noch gespannter ist man nach seinem Artikel auf das vorgestellte Buch.

    Hier nur ein paar Bemerkungen zum Sinn/Unsinn des Terminus ‚Armutszuwanderung‘, der ja ideologisch höchst besetzt ist, aber gerade deshalb auf seine analytische Tragkraft zu befragen wäre – was Herr Bade tut, aber m. E. mit inkorrekten Argumenten und falschen Schlussfolgerungen.

    Zunächst ist festzuhalten, dass große Teile von Zuwanderung Armutszuwanderung in dem Sinn sind, dass die Zuwanderer aus ‚armen‘ Verhältnissen stammen und ihr Glück in anderen ‚reicheren‘ Ländernsuchen – meist ist dies das Hauptmotiv für Ihre Wanderung, Das war ja auch bei den ‚Gastarbeitern‘ so.

    Die Absicht solcher aus der Armut stammender Zuwanderer ist im Regelfall die, im Zuwanderungsland Arbeit zu finden, um dadurch der Armut zu entkommen. Das gilt vermutlich auch für die Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien, da ja auch ihr beruflich unqualifizierte Teil bis zur Veränderung in ihren Ländern mit dem Ende des Realsozialismus weitgehend in Arbeit war (in den staatssozialistischen Betrieben).

    Der Unterschied zu den ‚Gastarbeitern‘, die damals ausdrücklich zur Arbeit angeworben wurden und deshalb auch direkt Arbeit, Lohn und Sozialversicherung gefunden haben, und auch anderen Zuwanderergruppen, die aktuell Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt besitzen, besteht aber nicht so sehr in der Motivation der Emigration und der Intention der Immigration, sondern in den tatsächlichen Perspektiven der Zuwanderer.

    Diejenigen Bulgaren und Rumänen, die keine berufliche Qualifizierung (und selbstverständlich auch sehr geringe Deutschkenntnisse besitzen, zum Teil sogar Analphaben sind; diese Gruppe macht auf Bundesebene schätzungsweise 50% aus, in den besonders betroffenen Kommunen liegen die Werte noch weitaus höher – in Duisburg schätzungsweise bei ca. 90 %), besitzen in der Mehrzahl keine Perspektiven, über eine sozialversichrerungspflichtige Beschäftigung ihren Lebensunterhalt und ihre Krankenversicherung zu bestreiten.

    Diese Teilgruppe kommt also aus der Armut, lebt auch hier weiter in Armut und hat auch hier wenig Chancen, der Armut zu entkommen.

    Und insofern sind Befürchtungen, dass diese Gruppe überdurchschnittlich Sozialleistungen in Anspruch nehmen wird. durchaus berechtigt, Im Moment ist dies noch nicht der Fall, aber 2014 hat es bundesweit und in einzelnen Städten eine deutliche Steigerung der SGB-II-Bezieher gegeben (in Gelsenkirchen beispielsweise allein im ersten Halbjahr 2014 um 184 %, in Duisburg um 80 %).

    M.E. bezeichnet der Terminus’Armutszuwanderer‘ also – unabhängig von einer Bewertung der Wanderungsmotive – ziemlich präzise die objektive Situation einer Teilgruppe der bulgarischen und rumänischen Zuwanderer und weist – trotz seiner häufig missbräuchlichen Verwendung – auf eine tatsächliche sozial- und bildungspolitische Herausforderung wenn nicht der Bundesrepublik Deutschland insgesamt, so zumindest einiger besonders betroffener Kommunen hin.

  2. Pingback: “Roma does not equal poverty migration” - rroma.org

  3. Pingback: 05.12.2014 “Roma does not equal poverty migration” - rroma.org