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Rezension zum Wochenende

Exodus. Warum wir die Einwanderung neu regeln müssen

Wohl kaum eine Frage wird heute so heftig debattiert wie die der Einwanderung. Dürfen wir Menschen an der Grenze abweisen und sie wieder in ihre Heimatländer zurückschicken, auch wenn dort Armut und Hunger herrschen? Einwanderungspolitik, schreibt Paul Collier, ist bislang eine Mischung aus viel Emotion und wenig Wissen. In seinem neuen Buch zeigt er, warum es sich lohnt, einen völlig neuen Blick auf die weltweite Migration zu werfen.

Freitag, 19.12.2014, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 04.01.2015, 16:40 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Mit der Globalisierung hat auch die Mobilität der Menschen zugenommen. Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der weltweiten Migranten, die ihren Wohnort verlassen, auf 232 Millionen. Die meisten Migranten bleiben als Binnenmigranten (IDPs) in den Herkunftsstaaten oder in den unmittelbaren Nachbarländern. Die Gründe, warum Millionen Menschen ihre Heimatorte verlassen, sind vielfältig: Konflikte, Armut, sich verschlechternde Lebensbedingungen sowie die Hoffnung, in der entwickelten Welt ein besseres Leben beginnen zu können, sind die wichtigsten.

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Vor diesem Hintergrund erscheint das neue Buch des renommierten Ökonomen Paul Collier, der sich an der Oxford-Universität mit den Zusammenhängen von Krieg, Armut und Migration auseinandersetzt. In seinen Augen bewirken vor allem die Aussicht auf Sicherheit und Wohlstand das stetige Wachstum der globalen Wanderungsbewegungen. Dieses werde sich fortsetzen, ganz egal, welche Hürden den Migranten künftig in den Weg gestellt werden. Denn Mobilität verspreche einen Zugewinn an Lebensqualität und die individuelle Chance, die beträchtlichen Einkommensunterschiede zwischen den armen und den reichen Ländern zu überspringen. Dass die Migration von armen in reiche Länder dennoch wenig zu diesem Einkommensausgleich beiträgt, ist eine Erkenntnis der Überlegungen, die Collier in „Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen“ anstellt. Dass sie trotzdem stattfindet und entscheidende Auswirkungen hat, eine andere.

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Mit seinem neuen Buch will Collier den vergifteten Einwanderungsdiskurs versachlichen. Anhand zahlreicher Daten und Modellrechnungen zeichnet er die Folgewirkungen von Einwanderung nach, um Antworten auf folgende Fragen zu finden: Wer darf unter welchen Bedingungen einwandern? Wer profitiert von Einwanderung, wer nicht? Gibt es ein richtiges Maß für Migration? Wenn ja, wann erreicht Migration die gesellschaftliche Belastungsgrenze? Collier diskutiert diese Fragen mit Blick auf die drei relevanten Akteure Herkunftsgesellschaft, Migranten und Aufnahmegesellschaft.

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Für die Aufnahmegesellschaft hat eine maßvolle Einwanderung nach Aufrechnung aller Nutzen und Kosten kaum einen spürbaren Effekt. Vor dem Hintergrund der aktuellen Kontroversen sind insbesondere die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt und der Wettkampf um soziale Güter spannend. Collier stellt fest, dass Migranten bei einer gemäßigten Einwanderung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie bei den sozialen Transferleistungen „nicht direkt mit einheimischen Arbeitern, sondern miteinander“ konkurrieren. Das Gegenteil sei aber bei einer unbegrenzten Einwanderung der Fall. In allen genannten Bereichen entstünden dann Konkurrenzen zwischen den Einwanderer-Communities und der Aufnahmegesellschaft. Diese würden das Vertrauen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.

Migranten, so Collier, seien die eindeutigen Gewinner von Migrationsprozessen. Mit ihrer Wanderung in eines der „reichen“ Länder verbindet sich zumindest die Aussicht auf ein besseres Leben – nicht nur für sie selbst, sondern oft auch für die ganze Familie. Familien nehmen daher oft viele Kosten auf sich, um einem Familienmitglied die notwendigen Bildungs- und Qualifikationsanforderungen zu ermöglichen, die zur Einreise in eines der „reichen Länder“ notwendig sind. Familien investieren so in ihre Zukunft. Für potenzielle Migranten lohnt sich diese Investition unabhängig davon, ob sie am Ende tatsächlich die Einwanderung in ein wohlhabendes Land antreten oder nicht. In jedem Fall gehören sie zur gut ausgebildeten Elite ihrer Gesellschaften.

Das größte Risiko tragen die Zurückgebliebenen in den Herkunftsländern, die sich auf einen ungewissen Deal mit ihren Auswanderern einlassen. In der Hoffnung auf Rücküberweisungen und Familiennachzug entsenden sie ihre Elite in die Staaten der entwickelten Welt. Je mehr Talente sie nach dieser Logik ins Ausland senden, desto unwahrscheinlicher wird der Rückfluss ihrer zuvor getätigten Investition. Denn je mehr Migranten in den Aufnahmeländern ankommen, desto größer wird deren Anziehungskraft. Es droht der braindrain, die massenhafte Abwanderung der Gebildeten, die den armen und ärmsten Ländern „ausgerechnet jene Fähigkeiten , die sie am nötigsten brauchen, um mit der Moderne Schritt halten zu können.“ Vor diesem Hintergrund hätten die wohlhabenden Nationen nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, die Einwanderung einzuschränken, sollen die Länder am unteren Ende der Wohlstandskala noch eine Chance haben. Denn „indem sie ein Maß für die Einwanderung in ihre Gesellschaften bestimmen, geben die Regierungen der reichen Länder unabsichtlich auch das Maß für die Auswanderung aus den armen Ländern vor“. Der Einwanderungsbeschränkung stellt er die Ausbildungsunterstützung für die Talente aus den einkommensschwachen Staaten sowie die Unterstützung der Rückkehr dieser in ihre Herkunftsländer gegenüber.

Colliers Argumentation konzentriert sich vor allem auf die langfristig geplante Auswanderung. Entsprechend geht er in seinem Buch auf die Fragen von Flucht und Asyl nur am Rand ein. Eine Befreiung der einkommensstarken Staaten von der Rettungspflicht gebe es nicht, dennoch brauche es Obergrenzen im Asylbereich. Schutz dürfe nur so lang wie nötig und so kurz wie möglich gewährt werden, damit die Menschen in ihre Herkunftsländer zurückkehren und dort zur Entwicklung beitragen.

Colliers größte Befürchtung besteht im Exodus in den Ländern der „untersten Milliarde“, denen er eine seiner erfolgreichsten Arbeiten gewidmet hat. Deshalb hat er auch kein Verständnis für jene, die versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. In einem Interview nach der Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa vor einem Jahr sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass „jeder, der mit dem Boot kommt“, automatisch zurückgeschickt werden solle. „Erst wenn das durchgesetzt wird, werden die Leute aufhören, es zu versuchen.“ Dass ein Großteil dieser Bootsflüchtlinge aus Regionen geflohen ist, in denen Gewalt und Krieg den Alltag bestimmen, gerät dabei aus dem Blick. Ob damit der untersten Milliarde tatsächlich geholfen wird, ist zumindest streitbar. Aktuell Rezension

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