Statistik zum Staunen
Nicht die Öffnung des Arbeitsmarktes für Rumänien und Bulgarien war ein Fehler, sondern die Sperre
Die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Rumänen und Bulgaren vor einem Jahr hat nicht zu der Masseneinwanderung geführt, wie sie von der CSU befürchtet wurde. Ökonom attestiert dennoch einen Fehler: Der Arbeitsmarkt hätte viel früher geöffnet werden müssen.
Von Isabel Guzmán Montag, 05.01.2015, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 06.01.2015, 22:25 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Statistik sorgt für Staunen: Um 115.000 ist die Zahl der in Deutschland lebenden Rumänen und Bulgaren zwischen September 2013 und September 2014 gestiegen. Unter den Neuankömmlingen waren sehr viele Menschen mit Hoffnung auf Arbeit, aber auch Kinder, Hausfrauen, Studenten. Und dennoch stieg die Zahl der Rumänen und Bulgaren in festen sozialversicherungspflichtigen Jobs im selben Zeitraum fast genauso stark: um 103.000. Wie war das möglich?
Trends dieser Art analysiert Herbert Brücker, Ökonom am Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Er hat die Folgen untersucht, die die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Rumänen und Bulgaren vor genau einem Jahr hatte. Die Zahlen sprächen eine deutliche Sprache, sagt er im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst: „Von den Rumänen und Bulgaren, die im letzten Jahr eine Arbeit gefunden haben, waren viele schon vor dem 1. Januar 2014 hier. Sie wollten regulär arbeiten, nur durften sie nicht. Jetzt haben sie den Jobeinstieg nachgeholt.“
Keine Masseneinwanderung
Zur Masseneinwanderung von Arbeitskräften vom Balkan ist es im vergangenen Jahr nicht gekommen. Brücker und andere Experten hatten das auch nicht erwartet – auch, weil sie schon die Öffnung der Arbeitsmärkte für Polen, Tschechien und sechs andere Länder am 1. Mai 2011 beobachtet hatten. Eine gewisse Zahl Menschen kam schon vor dem Stichtag, schlug sich zumeist irgendwie durch. Die Menschen arbeiteten teils als kleine Selbstständige, teils schwarz, teils erhielten sie Geld von Verwandten. Nur auf reguläre Angestelltenjobs durften sie sich nicht bewerben, sofern sie nicht als gut Qualifizierte Ausnahmen genossen.
„Meiner Meinung nach war die ganze Arbeitsmarktsperre für Rumänen und Bulgaren ein Fehler. Sie hat einheimischen Arbeitnehmern nicht geholfen, dafür aber die prekären Lebensbedingungen von Migranten verschärft „
„Meiner Meinung nach war die ganze Arbeitsmarktsperre für Rumänen und Bulgaren ein Fehler“, sagt Brücker. „Sie hat einheimischen Arbeitnehmern nicht geholfen, dafür aber die prekären Lebensbedingungen von Migranten verschärft.“ Mit diesem Befund liegt er nahe an dem der EU-Kommission in Brüssel. Die Behörde findet die Freizügigkeit grundsätzlich vorteilhaft für Wirtschaft und Menschen. Nur mit Murren hatte sie hingenommen, dass Deutschland und andere Länder ihre Arbeitsmärkte für die Balkanländer sieben Jahre lang verriegelten. Das ist das Maximum, das nach EU-Recht erlaubt ist.
Bilanz nicht makellos
Allerdings ist die Bilanz der Arbeitsmarktforscher zum Jahreswechsel nicht durchweg rosig. Zusammen mit der Beschäftigungsquote stieg laut IAB auch die Zahl der Bulgaren und Rumänen, die in Deutschland Hartz-IV-Leistungen erhielten. Zwischen August 2013 und August 2014 wuchs die Zahl von rund 39.000 auf rund 69.000. Die Entwicklung war je nach Stadt unterschiedlich: In Duisburg, Dortmund, Hamburg und Mannheim stieg die Zahl überdurchschnittlich, in München, Düsseldorf, Berlin und Frankfurt am Main unterdurchschnittlich.
Städte mit vergleichsweise hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Mietpreisen meldeten tendenziell einen stärkeren Anstieg. Bulgaren bezogen häufiger Leistungen als Rumänen. Das evangelische Hilfswerk Diakonie betont, dass unter den Hartz-IV-Empfängern nicht wenige Menschen seien, die einer Arbeit nachgingen. Sie verdienten jedoch so wenig, dass sie mit Hartz IV aufstocken müssten, unterstreicht Katharina Stamm, Migrationsexpertin der Diakonie in Berlin.
Migranten schuften und werden geprellt
Stamm findet es „logisch“, dass die Hartz-IV-Zahlen durch die insgesamt wirtschaftlich vorteilhafte Arbeitnehmerfreizügigkeit angestiegen sind. Sie hält es jedoch für besser, dass die Menschen sich im Hartz-IV-System befinden, als dass sie in einer Schattenwelt ohne jegliche Regeln und jeglichen Schutz leben. Wenn es für die Menschen keine regulären Wege der Existenzsicherung gebe, könnten Firmen ihre Notlage leicht ausbeuterisch nutzen, meint sie.
Die Expertin verweist auf Skandale wie den um das neue Berliner Shoppingzentrum „Mall of Berlin“. Auf der Baustelle schufteten Migranten in einem undurchsichtigen Geflecht aus Subunternehmen, wurden um einen Teil des ohnehin geringen Lohns geprellt. Es sei unverzichtbar, dass ausländische Arbeitskräfte Rechte hätten und über diese Bescheid wüssten, sagt Stamm. Selbst wer Hartz IV bekomme, ruhe sich nicht aus: „Hartz IV gibt es nicht umsonst. Man muss sich bewerben, sich fortbilden. Die meisten Menschen wollen das auch tun.“ (epd/mig) Aktuell Wirtschaft
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Ein gemessen an der bisherigen Debatte ausgesprochen sachlicher Beitrag!
Tatsächlich ist ein beträchtlicher Teil der bis Ende 2013 gezwungermaßen bulgarischen und rumänischen Kleinselbständigen oder Schwarzarbeiter seit Anfang 2014 in reguläre Arbeitsverhältnisse gewechselt.
Allerdings ist parallel dazu tatsächlich auch die Anzahl der Bulgaren und Rumänen im SGB-Bezug vergleichsweise ähnlich massiv angestiegen.
Zu konstatieren ist also eine Art Polarisierung zwischen einer immer besser in den Arbeitsmarkt integrierten Gruppe und einer Gruppe, die in zunehmenden Umfang Sozialleistungen in Anspruch nimmt. In Bezug auf letztere Gruppe ist es auch korrekt, dass mit ihrem ‚Eintritt in das System‘ es überhaupt erst möglich wird, arbeitsmarktbezogene Unterstützungsmaßnahmen für sie zu organisieren. Allerdings bleibt angesichts der sehr schlechten (Berufs-)bildungsvoraussetzunen dieser Gruppe zu fragen, wie erfolgversprechend solche Maßnahmen für den größeren Teil dieser Gruppe sein werden.
Auf jeden Fall entstehen insbesondere in den sowieso schon finanziell überforderten Kommunen durch diese massive Zunahme von SGB-II-Beziehern (in Duisburg bis Juni 2014 um mehr als 90 % gegenüber dem Dezember 2013; in Gelsenkirchen sogar um 184 %9 erhebliche Kosten, die durch die inzwischen geleistete Bundeshilfe nur in geringem Maße aufgefangen werden.
Diese Kosten werden mit dem demnächst zu erwartenden EUGH-Urteil, das voraussichtlich den Bezug von SGB-II-Leistungen für EU-Ausländer erleichtern wird, voraussichtlich noch erheblich steigen.
Diese Kommunen bezahlen damit die Kosten für politische Fehlentwicklungen auf Bundes-, EU-Ebene und in den Herkunftsländern – und auch hierüber sollte man diskutieren.
Auffällig finde ich es, dass solche sachlich orientierten Artikel in diesem Forum anscheinend keine besondere Beachtung finden; Versachlichung einer hochpolitisierten und -ideologisierten Debatte gehört anscheinend nicht zu den Anliegen der Nutzer des MIGAZINS-Forums.